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Christopher und Ich

By: SummoningIsis
folder German › Originals
Rating: Adult ++
Chapters: 31
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Reviews: 20
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Disclaimer: This is a work of fiction. Any resemblance of characters to actual persons, living or dead, is purely coincidental. The Author (being obviously ME) ;) holds exclusive rights to this work. Unauthorized duplication is prohibited.
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14

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Meine Hände zitterten, als ich die Haustür öffnete und die kühle Luft des Hausflures vage über mein Gesicht strich. Ich räusperte mich und lauschte den sich nähernden Schritten des Mannes, der nun mein Master war. Master. Master. Wie ein Mantra hallte dieses unscheinbare Wort durch meinen Kopf. Ein Wort, hinter dem sich noch so viel Unbekanntes verbarg. Ich dachte an meine erste kleine Bestrafung, die rein gar nichts im Vergleich mit all den Videos darstellte, die ich in den Tiefen des Webs erspäht hatte; ich beschwor den leichten Schmerz dieser Erinnerung herauf; ich dachte an die ersten Regeln, die Christopher mir mit milder Stimme aufgezählt hatte…

Wenn ich sage, du sollst nackt sein, dann ziehst du ohne mit der Wimper zu zucken deine Klamotten aus…
Dein Platz an meiner Seite ist auf dem Boden, es sei denn, ich befehle dir etwas anderes…
Du senkst deinen Blick, schaust immer zu Boden…


Ich bekam auch jetzt eine Gänsehaut, als ich daran dachte, wie er mich vor sich knien ließ, die Beine so unverschämt gespreizt. Und diese kleine Übung stellte erst den minimalen Anfang unseres Weges dar. Dieser Tatsache war ich mir selbst als Laie schon bewusst. Ich hatte genügend Geschichten gelesen, mich reichlich informiert. Und dennoch wusste ich eigentlich rein gar nichts in diesem Moment. Meine Kenntnis schien mir einer Null gleich. Sie war mit einer scheinbar endlosen Dunkelheit vergleichbar. Einer düsteren Leere. Und nun war da noch etwas anderes.

Ich hatte durchgehend darauf bestanden, bereit für alle Forderungen Christophers zu sein. Bedenkzeit war unangebracht in diesem Zusammenhang. Hatte ich das nicht selbst geäußert? Ich war mir sicher, ich hätte genügend Zeit gehabt, mich mit allem vertraut zu machen und über gewisse Dinge nachzudenken. Ich hatte behauptet, er solle mich besitzen, dass dies mein Wunsch sei.

Vielleicht denkt ihr, dass ich all diese mentalen Äußerungen, nun, da ich mit zitternden Händen an der Tür stand und auf ihn wartete, verwarf. Dass ich alles zurücknahm. Dass ich einen Rückzieher machen wollte.

Vielleicht habt ihr teilweise sogar recht.

Allerdings negierte ich nicht die Tatsache, dass ich mit ihm zusammen sein wollte.
Ich war ihm verfallen.
Und ich wollte sein Sklave sein.
Nur…

Kann man sagen, ich bekam kalte Füße? So wie es in klischeehafter Darstellung dem Bräutigam vor dem festlich geschmückten Altar passierte? Der kurz vor dem Ziel von Panik befallen wird und sich einredet, doch nicht das Richtige zu tun, obwohl er genau weiß, dass er durch das ja jenes Leben bekommt, von dem er schon die ganze Zeit geträumt hat?

Ich realisierte in diesen wenigen Minuten wohl, dass die Erfüllung bestimmter Fantasien, die sich seit dem ersten Begutachten dieser bestimmten DVD in meinem Kopf abspielten, immer noch mit der bitteren Realität zu tun hatten. In der man sich nicht zurücklehnen konnte. In der man nicht die Augen schloss und sich sein Handeln und bestimmte Reaktionen ausdachte, sondern sie tatsächlich vollführen musste.

Wollte ich, dass Christopher mich auspeitschte und über mich dominierte? Scheiße, ja!
Und: Scheiße, nein!
Wieso zur Hölle machte mein Gehirn solche seltsamen Sprünge? Wieso hatte ich plötzlich diese ziemlich seltsamen, bierbäuchigen Männer in Ganzkörper-Latexanzügen vor meinem inneren Auge, die sich in über 20-minütigen Videos vor ihrer billigen Webcam selbst auspeitschten oder gar ein wenig sinnfrei an ihrem kleinen, runzeligen Penis herumspielten? Diese Gummimaskenmänner.
Wollte Christopher, dass ich auch so etwas trug?
Einen Ganzkörper-Latexanzug?

Die Klamotten, die er mir zum Geburtstag geschenkt hatte, waren… ich konnte es nicht verleugnen: geil. Aber nun stellte sich mir plötzlich die Frage, ob dies auch nur der reine Anfang gewesen war. Eine Art leichter Einführung? Christopher hatte doch zu mir gemeint, er würde mich langsam aufklären und mir vorsichtig Einzug in diese Welt gewähren. Sollte sie in einem Latexkostüm kulminieren? Brauchte ich dazu noch einen Bierbauch? Und eine Webcam?!

Auf Handschellen stand ich ja schon vorher.

Und all das, was Christopher mit mir getan hatte, diese ruppige Art und Weise, in der er mit mir verfuhr, wie er mich ansah, wie er mich an meinem Arm zerrte, mit ins Ohr zischte; sein süß-bedrohlicher Blick; diese samtige, tiefe Stimme kontrastierend mit diesem unwiderstehlichem Lächeln, diesem Schimmer in seinen blauen Augen… Das alles gefiel mir und diese Tatsache wollte ich auch gar nicht abstreiten.

Aber.
Und.


Wir standen vor einem HIV-Test. Ich hatte Christopher so schnell so nah an mich heran gelassen, wie noch nie jemanden zuvor. Ich…

„Hallo Niko“, ertönte diese betörende Stimme plötzlich. Er kam direkt auf mich zu. Seine Hände umfassten meine Hüften und als er mich küsste, direkt auf den Mund, schob er mich in meine Wohnung und stieß die Tür mit seinem Bein zu. Seine Zunge war so warm, seine Berührungen so zärtlich.

„Hi… Christopher“, antwortete ich ihm. Er lächelte. Und ich war vollends verwirrt, unsicher über meine eigene Gefühlslage.

„Bist du fertig? In einer halben Stunde haben wir den Termin, wir müssen gleich los“, sagte er, ohne die Augen von mir zu nehmen. Und ich nickte, weiterhin in diesem leicht schizophrenen Geisteszustand gefangen, in dem zwei Seiten gegeneinander kämpften. Und in diesem momentanen Krieg konnte ich absolut nicht sagen, auf welcher dieser Seiten ich überhaupt stand. Geschweige denn, wie jene Seiten überhaupt definiert werden konnten.

„Okay, schnapp dir deine Jacke und gib mir deine Schlüssel“, orderte er und ich tat, was er sagte, weil… Weil er es sagte. Ich sah zu, wie er meine Wohnung abschloss und der Schlüssel in seiner tiefen Manteltasche verschwand. Eine Prozedur, die nicht neu war, auch wenn wir erst kurz zusammen waren.

Da war es wieder.

Dieses enorme Glücksgefühl. Dieser Strom aus Endorphinen, der durch meinen Körper jagte, direkt zu meinem Herzen, als ob es das vermeintliche Ziel dieses außergewöhnlichen Marathons wäre.
Wir waren endlich zusammen. Christopher gehörte zu mir. Sein warmer Blick galt nur mir. Ich hatte das geschafft, wovon ich seit unserem allerersten Zusammentreffen im Park geträumt hatte. Ich hatte ihn.

Wir waren noch nicht einmal bis zur Treppe gelangt.
Unsere wenigen Schritten gaben einen dumpfen Widerhall. Im Treppenhaus war niemand. Und selbst wenn, gegen diesen heftigen Durchbruch meiner Emotionen hätte ich mich sowieso nicht wehren können. Unüberlegt ergriff ich Christophers Hand und stoppte ihn. Er schaffte es nur, mich anzusehen, mit diesem leicht verdutzten Blick, dieser Überraschung in seinen Augen. Ich dachte nicht nach, drückte ihn gegen die Wand, während ich meine Lippen auf seine presste. Und… er ließ mich. Er schubste mich nicht weg. Er drehte den Spieß nicht um. Er drückte mich nicht auf den Boden nieder. Stattdessen spreizte er seine Lippen und ich ließ meine Zunge in seinen Mund gleiten.

Meine Finger vergruben sich in seinem kurzen und doch dichten Haar. Ich konnte seine Finger in meinem Nacken spüren. Wir küssten uns stürmisch. Lang. Bis wir keine Luft mehr bekamen. Christopher lachte leise.

„Wir kommen zu spät, wenn du so weiter machst…“, bemerkte er leicht süffisant, mir tief in die Augen schauend. Widerwillig ließ ich von ihm ab. Es hatte sich so gut angefühlt… Es hatte mich beruhigt. Ich musterte ihn während der Autofahrt, als er konzentriert auf die Straße blickte, auf den dichten Verkehr, der ab nun immer schlimmer werden würde. Vor allem im Zentrum.

Heute trug er einen schwarzen Anzug. Ich konnte keine einzige Falte entdecken. Alles war so penibel. Sein Haar saß perfekt. Die kleine Erinnerung an einen eben erst erwachten Christopher schlich sich in meinen Kopf. Ich musste grinsen. Lächeln, als ich an die abstehenden, kleinen Härchen dachte.
Und dann war da wieder das Bild des verfetteten Gummimasken-Typen.
Und ich war abermals schizophren.
Gespalten.
Und ich wusste nicht, was zu tun war.
Ich konnte den wirren Strom der Gedanken, die sich zu einem emotionalen Gewitter formierten, nicht stoppen.

Die Wirklichkeit zog an mir vorbei, wie ein D-Zug.

„Steig aus und komm mit“, lauteten die Anweisungen Christophers.

Ich erinnere mich an diese weiße Praxis, mit dem extrem auffälligen Aquarium, in dem sich bunte Fische tummelten und an die Kinder von einigen Patienten, die gegen die Scheibe trommelten. Warum wir sofort drangenommen wurden, begriff ich nicht sofort. Erst, als der Arzt meinen Freund mit dem Vornamen begrüßte und ich eine gewisse Vertrautheit in ihrem Smalltalk feststellen konnte, kapierte ich, dass sie sich kannten. Währenddessen bereitete die junge Arzthelferin schon die Nadeln vor und wir mussten uns setzen. Christopher als erstes. Dann ich.

„Die Ergebnisse des Schnelltests sind in 30 Minuten da, ich rufe euch dann an, ja?“, wandte sich der Arzt an Christopher. Dieser nickte und lächelte zufrieden.

„Danke dir, Kilian“, erwiderte er. Ich verabschiedete mich mit einem Nicken. Die frische Luft tat mir gut.
Ein Schnelltest.
Natürlich.
Hatte Christopher nicht gesagt, er wolle endlich mit mir schlafen?
Ohne auch nur einen Hauch zwischen uns?
Meine Knie wurden weich.
Christopher bezahlte eine höhere Summe.
Nickte den Arzthelferinnen freundlich zu.
Wir verließen die Praxis.

„Äh, und wohin gehst du, bitteschön?“, riss Christophers Stimme mich in die Realität zurück.

„Äh…“, erst jetzt bemerkte ich, dass ich in die völlig falsche Richtung gelaufen war. „Spazieren?“, scherzte ich dümmlich. Christopher öffnete mir schmunzelnd die Beifahrertür. Eine kleine Geste, die mein Herz erneut einen Tick lauter schlagen ließ.

„Danke…“, murmelte ich noch und er sagte gar nichts.

Er startete den Wagen. „So“, sagte er dann, bevor wir losfuhren. Er drehte sich zu mir und ich sah ihn fragend an. Wieso hielt ich meinen Atem an? „Und jetzt schweigst du, verstanden?“, fuhr er mit dieser harten Stimme fort.

„Ja… Christopher“, antwortete ich, so wie ich es nun minimal gewöhnt war. Er nickte, legte den ersten Gang ein. Die Fahrt dauerte nicht lang. Wir hielten in einer dubiosen Seitenstraße, in der Geschäft an Geschäft gereiht war. Gemüseläden, Afroshops, seltsame Kioske und Läden mit zahlreichen Handys im dreckigen Schaufenster. Ich folgte ihm, den Mund haltend. So wie er es mir befohlen hatte. Vorbei an den wenigen Menschen, die wohl nach einem anstrengenden Tag nach Hause eilten, oder eben noch etwas besorgen wollten.

Eigentlich wusste ich sofort, was sich vor meinen Augen abspielte, als wir das Geschäft betraten, was wohl eine Art Schuhmacher mit Extradiensten sein sollte. Einige Glocken schellten, als die Tür hinter uns wieder zufiel und Christopher meine Schlüssel auf die Theke pfefferte, die der alte Mann mit Bart und leicht brauner Haut, die in tiefe Falten gelegt war, entgegen nahm. Er warf Christopher einen langen Blick zu.

„Nachmachen?“, fragte er dann. Christopher nickte. Der Mann sagte gar nichts und verschwand hinter der Theke. Wir warteten schweigend. Es dauerte etwa 10 Minuten. Der alte Mann bewegte sich träge, sagte nichts, tippte nur etwas in die Kasse, murmelte Christopher einen Preis zu und dann war die Prozedur abgeschlossen.

„Hier“, sagte Christopher abfällig und drückte mir meinen Schlüsselbund in die Hand. „Den brauche ich jetzt nicht mehr.“

Ich betrachtete die silbernen Schlüssel eine Weile, die an dem leicht rostigen Ring hingen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Christopher nun die neuen, bunten Exemplare an sein schweres Bündel befestigte und dieses nun klimpernd in seiner Manteltasche verschwinden ließ. Ich musste schlucken. Wir waren nicht mal eine Woche zusammen und er besaß die Schlüssel zu meinem Domizil bereits.

War das verrückt?

Als wir die Straße wieder herabschlenderten fragte ich ihn: „Sag mal, braucht man normalerweise nicht so ne Karte oder so was, um die Schlüssel nachmachen zu lassen?“ Christopher schwieg, schlenderte weiterhin gelassen den Gehweg hinunter, bis wir zu seinem Auto kamen. Mit einem Klick leuchteten die Blinker kurz auf und er schlüpfte hinein. Ich rutschte, immer noch auf eine Antwort wartend, auf den Beifahrersitz. Und dann bekam ich meine Antwort.

Ohne Vorwarnung packte er mich am Kragen meiner Jacke und zerrte mich über die Mittelkonsole des BMWs dicht an sein Gesicht heran, das puren Tadel widerspiegelte. „Ich habe dir gesagt, du sollst schweigen, oder nicht?“, flüsterte er bedrohlich und seine blauen Augen musterten mich dabei so intensiv, dass ich pures Herzflattern verspürte.

„Darf ich dich küssen…?“, murmelte ich geistesabwesend. Dieses Mal bekam ich meine Antwort umgehend. Und sie war kein tadelndes Zischen. Sie hatte nichts mit Schmerz zu tun.
Gierig presste Christopher seine Lippen gegen meine. Ich spürte seine Zunge, seine Zähne, seinen Atem. Minutenlang ließen wir unsere Zungen umeinander kreisen. Ich sog seinen Geruch ein, ließ meine Hände entlang seiner Arme, seines Nackens wandern. Er leckte über meine Lippen, biss kurz hinein, sog daran und forderte meine Zunge immer wieder zu diesem Tanz auf.

Das Klingeln seines Handys brachte uns auseinander. Ich musste nach Luft schnappen. Mich beruhigen. Alles fühlte sich so richtig an. Ja, einfach nur richtig. Ich blinzelte. Ja, richtig. Oder?

„OK, war zu erwarten“, sprach Christopher in den Hörer und lachte. „Das ist nur fair, Kilian. Wenn ein Test, dann nur zu zweit. Ja. Ich gebe ihn dir.“ Er wandte sich an mich. „Dr. Manscherow“, erklärte er knapp und drückte mir das Gerät in die Hand.

„Hallo?“

„Hallo, hier ist Dr. Manscherow. Ich wollte auch dir, ups, ich meine Ihnen, pardon, das Ergebnis mitteilen. Alles wunderbar. Der Test ist negativ.“

Als ich das Ergebnis erfuhr, wurde mir erst bewusst, dass ich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet hatte. Dass ich so sehr mit Christopher und der neuartigen Richtung unserer Beziehung beschäftigt war, dass ich nicht ein einziges Mal an dieses Ergebnis, die Essenz des heutigen Tages, gedacht hatte. Nur, was für eine Konsequenz es hatte.

Ich finde, ich habe lange genug damit gewartet. Ich will mit dir schlafen, Niko. Ohne etwas zwischen uns. Das weißt du mittlerweile.

Christophers Worte hallten durch meinen Kopf, so als hätte er sie mir eben erst mitgeteilt.

Ich war eigentlich immer vorsichtig.
Bevor ich mit meinen festen Freunden, wie Marcel zum Beispiel, ohne Gummi schlief, ging ich immer zum Test. Sex ohne Kondom war zwar noch nie fester Bestandteil meines Lebens gewesen, aber ich hatte immer behaupten können, gut auf mich aufzupassen. Deswegen überraschte mich das Ergebnis eigentlich auch nicht.

Aber wo war die der Logik entgegen gesetzte Angst, die man bei diesem Test immerzu minimal verspürte, auch wenn man sich des Ergebnisses so gut wie sicher sein konnte?

Über das Fehlen dieser unwesentlichen Furcht war ich überrascht.
Über mein eigenes Denken war ich überrascht.
Über dieses turbulente Auf und Ab in meinem Innern, das alles andere auszublenden schien.
Ich bekam ja nicht einmal mit, wie Christopher den Wagen wieder in Gang setzte und mich nach Hause fuhr.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er mich plötzlich, als der Motor schon längst zur Ruhe gekommen war. Erst dann wurde mir bewusst, dass sein Blick auf mir ruhte. Wahrscheinlich schon seit Längerem.

„Ja… Ja, klar. Bin nur ein wenig in Gedanken“, antwortete ich fast automatisch.

„Und woran denkst du?“, hakte er ruhig nach.

Der turbulente Strom in meinem Innern begann erneut, wuchs zu einem schwer definierbaren Sturm. Ich sah Christopher an.
Er lächelte.
Ganz milde.
War leicht zu mir gebeugt.

Ich kam ihm entgegen, ohne etwas zu sagen, denn ich hätte auch nicht gewusst, wie.
Ich tat das, was mein Herz mir befahl. Jedenfalls meinte ich, dass es dies tat. Und wenn dem nicht so war, dann sollte es mir auch egal sein, denn diesen Mann zu küssen war der pure Wahnsinn, der mich nahezu in Ekstase versetzte. Als unsere Lippen heute erneut aufeinander prallten, war es so, als würde jeder einzelne Herzschlag diese abstrusen und mich völlig aufwühlenden Gedanken bekämpfen und in den Hintergrund drängen. Ich wollte ihn nicht los lassen. Es war perfekt.

Doch jeder Moment geht irgendwann vorbei.
Das ist es auch, was ihn besonders macht.

„Ich muss heute leider noch einiges erledigen“, erklärte Christopher mir mit milder Stimme. Ich nickte.

„Okay. Und wann sehen wir uns das nächste Mal?“, fragte ich vorsichtig.

„Ich denke leider erst Freitag, es gibt noch einige Dinge, um die ich mich kümmern muss und das kann spät werden.“

„Kommst du direkt in den Pub, oder vorher noch zu mir?“, hakte ich nach. Er überlegte kurz. Dann seufzte er. Lächelte.

„Am liebsten würde ich jetzt einfach hier bleiben und erstmal gar nicht mehr gehen“, sagte er und strich mir eine Strähne aus der Stirn.

War ich glücklich, als er diese Worte sagte?
Ich küsste ihn ein weiteres Mal.
Er lachte.

„Ich ruf dich morgen an, OK?“, sagte er noch und ich nickte eifrig. Ich schaute zu, wie der BMW langsam aus meiner Sicht verschwand. Eine ganze Weile blieb ich noch an der frischen Luft stehen und ließ die Dinge, die heute passiert waren, auf mich wirken. Als mich wieder diese Verwirrung ergriff, eilte ich nach oben und schaltete meinen Laptop an, machte mir noch einen Tee und schaute drei Horrorfilme am Stück. Bis ich in den Schlaf abdriftete.

Als ich am kommenden Morgen erwachte und an Christopher dachte, die Erlebnisse das vergangenen Tages durch mein Gedächtnis strichen, ich mich an seine Stimme erinnerte, das Funkeln in seinen Augen, und seinen Arm, der mich ruppig über die Mittelkonsole zog, durchfuhr mich ein angenehmes Zittern. Und ich musste sogar grinsen, als ich realisierte, dass dieses seltsame Gefühl, diese düstere Nebenwirkung, fort zu sein schienen.

Ich ging einkaufen.
Ich bereitete mir ein gemütliches Frühstück zu.
Ich putzte sogar die Bude.
Wenn Christopher vorher zu mir kommen könnte, sollte es hier ordentlich aussehen. Darauf schien er zu stehen.
Auf penible Ordnung.

Als ich auf Knien einem garstigen Teppichflecken den Kampf ansagte, tauchte erneut dieses Bild vor meinem inneren Auge auf. Die Erinnerung an diese demütige Haltung vor Christopher strömte als wohliger Schauer über meine Haut und verursachte eine temporäre Wärme in mir.

Ich ertappte mich dabei, wie ich Christopher schon wieder in meinen Gedanken auszog. Doch dieses Mal war es natürlich etwas völlig anderes. Denn in meinem Kopf rief ich abgespeicherte Eindrücke ab, malte mir seine nackte Haut in kompletten Detail aus, so wie ich sie nun gesehen hatte; seine Haut, die ich bereits berührt, deren Geschmack ich gekostet hatte.

Langsam wurde mir heiß.
Dennoch putzte ich weiter.
Jedenfalls versuchte ich es.

Doch diese Eindrücke in meiner Fantasie, die immer wilder und ausgefallener wurde, erschwerten mir die Prozedur der Reinigung. Letztendlich führten mich meine Beine fast wie von allein in mein übersichtliches Schlafzimmer. Den Mopp und Staubsauger ließ ich links liegen. Stattdessen öffnete ich meinen Kleiderschrank und holte mein Geburtstagsoutfit hervor, das ich nur wenige Tage zuvor zum aller ersten Mal getragen hatte. Eine leichte Gänsehaut nahm meine Haut in Beschlag, als ich die schwarze Latexhose über meine Hüften zog und in das ebenso dunkle T-Shirt schlüpfte.

Schweigend stellte ich mich vor den Spiegel.
Ich wusste noch genau, wie Christopher von hinten an mich getreten war. Ich konnte seine warmen Hände regelrecht an meinem Körper spüren, fuhr die Linien entlang meiner Seiten nun selbst nach, die sie berührt hatten. Ich erinnerte mich an Christophers heißen Atem, der meinen Nacken gekitzelt hatte. An seine Stimme. „Heiß…“
An den intensiven Kuss danach.

Unaufgehalten glitt meine Hand unter die Latexhose, unter der ich nichts trug.
Ich stellte mir vor, es seien Christophers Finger, die sich um mein hartes Fleisch wanden.

Ich dachte an den Moment, in dem er mir dieses Lederhalsband in seinem Wagen angelegt hatte; als er die Leine in seiner Hand gehalten hatte, um mich an ihn zu binden. Ich konnte seine ehrlichen Worte hören, als ob er sie mir nun direkt wieder ins Ohr säuseln würde.
„Ich will dich besitzen. Und ich will, dass du mir gehorchst. Ich will dir weh tun. Ich will dich auf den Knien vor mir sehen. Ich will dich fesseln, knebeln, schlagen und ficken. Ich will die Kontrolle über dich haben, ich will dich führen.“

Meine Gedanken kehrten zu der Show zurück, zu den drei Männern die ich von dem Bild der Ausstellung kannte; der ersten offiziellen Begegnung mit Christopher. Ich konnte mich noch ganz genau an sein Outfit erinnern. An seine kalten Augen, mit denen er mich gemustert hatte.
Ich dachte an seine heißen Küsse am Abend meines Geburtstages, an seine ersten intimen Berührungen.

„Fuck!“
Erschöpft setzte ich mich aufs Bett, meine Hand voll von meinem eigenen Saft.
Ich musste mich beruhigen.
Ich ging ein zweites Mal duschen an diesem Tag.
Die Wohnung war sauber.

Es war 20 Uhr, als mein Telefon klingelte.

„Hallo Niko.“
Diese dunkle Stimme…

„Hallo Christopher.“

„Du klingst leicht außer Atem…“
Diese blasierte Arroganz.

„Ich habe die ganze Wohnung geputzt.“

„Die Vorstellung von dir auf Knien ist wundervoll.“
Diese raue Samtigkeit.

„Schade dann wohl, dass du nicht hier warst…“

„Allerdings…“
Diese ehrliche Zärtlichkeit.

Er hatte nicht viel Zeit, war gerade erst nach Hause gekommen und musste sich nun ebenfalls um seinen Haushalt kümmern, morgen schon früh zur Arbeit fahren. Wir sprachen nur kurz. Doch auch dieses knappe Telefonat brachte mich durcheinander.
Christopher schaffte es tatsächlich immer wieder, mich in eine konfuse Stimmung zu bringen.

„Ich hoffe, all deine Freunde wohnen hier in der Stadt und kommen irgendwie nach Hause nach deiner Feier?“, fragte er ruhig.

„Äh, ja. Wieso?“, hakte ich leicht verwirrt nach.

„Weil es ziemlich nervig gewesen wäre, hättest du jemandem einen Schlafplatz angeboten“, erklärte er mit matter Stimme. „Schließlich gehört dein Bett in dieser Nacht mir. Ich melde mich morgen und dann sehen wir, ob ich es noch vorher zu dir schaffe. Schlaf gut. Und träum von mir“, gab er amüsiert hinzu. Dann legte er auf.

Schließlich gehört dein Bett in dieser Nacht mir.

Mein Herz verriet mich.
Ich war aufgeregt.

Und es war furchtbar wirr in meinem Innern.
Das Bett hatten wir bereits geteilt, eine Trivialität im Leben eines jeden Paares schließlich.
Dennoch befiel mich leichte Skepsis. Mir fielen abermals Christophers Regeln ein.
Dein Platz an meiner Seite ist auf dem Boden, es sei denn, ich befehle dir etwas anderes…

Schließlich gehört dein Bett in dieser Nacht mir.


Bedeutete dies etwa, ich solle in dieser Nacht auf dem Boden neben dem Bett schlafen, in dem Christopher es sich bequem machen würde?
Über dieses Szenario war ich schon des Öfteren in den Weiten des Netzes gestolpert auf meiner gierigen Suche nach düsteren Geschichten. Würde es in meinem Fall ebenso eintreffen? Direkt in der zweiten Nacht, die Christopher mit mir verbringen würde?

Ich setzte mich ruckartig auf.

…die Christopher mit mir verbringen würde.
Ich dachte an den Test.
Und erneut überrollte mich eine Welle von aufgelösten Gedanken. Es war wie eine rasante Achterbahnfahrt, ein stürmischer Wechsel von auf und ab; ein Meer an Umschwüngen.
Ich wollte noch immer, dass er mich besaß. Ich dachte daran, wie er mich fesseln würde, wie sich potenzielle Schnüre in mein Fleisch gruben und meine Haut wund rieben; an Christophers Finger, die sich in meine Oberschenkel krallten, an diese schon erlebte Mischung aus Schmerz und Geilheit. Die noch intensiver werden würde.
Doch plötzlich tauchte wieder die mich vollkommen abtörnende, gar widerliche Vorstellung des Gummimaskenmannes auf. Aufgeschnappte und nur kurz betrachtete Bilder und Videos aus dem Internet, die mich eigentlich in einen Zustand der höchsten Erregung versetzt hatten, erschienen mir plötzlich wie eine kalte Bedrohung.
Und dann malte ich mir wieder Christophers Gesicht aus; griff zu den Erinnerungen unserer ersten, intimen Berührung; rief seine kalte und dabei doch so unglaublich erregende Stimme ins Gedächtnis, dachte an seine forsche Umgehensweise, seinen Befehlston und es war so, als würde ich mit einem Mal in der Sonne stehen, deren Strahlen wohlige Wärme auf meine Haut zaubern würden.
Bis sich wieder unvermittelt eine dunkle Wolke zwischen uns drängte, die meine Gedanken abermals für kurze Zeit und temporäre Düsterheit tauchte.
Bis die Sonne wieder zu sehen war.
Ein wechselhaftes Wetter in meinem Innern.

An Schlaf war diese Nacht kaum zu denken.

Verwirrt von meinem neuen Lebensabschnitt, den ich selbst gewählt hatte, passierte es, dass ich erst in den frühen Morgenstunden Erlösung fand und in einen traumlosen Schlaf verfiel. Es war wohl gegen 15 Uhr, als ich das Klingeln des Telefons am Rande meines immer noch benebelten Bewusstseins registrierte, das mich mit seinem wirren Ton nur langsam in die wache Realität zog. Ich blinzelte, brauchte etwas Zeit um zu verstehen, dass ich gerade erwachte. Dann sprang ich auf.

„Wolltest du mich warten lassen?“, zog mich der Anwalt amüsiert auf, der meine gesamte Gefühlswelt auf den Kopf gestellt hatte.

„Nein! Ich… Ich hab echt noch gepennt.“

„Um drei…“, kommentierte er skeptisch.

„Ja…“, entgegnete ich knapp und legte mich zurück aufs Bett, seufzend. „Konnte gestern nicht einschlafen.“

„Aufgeregt?“
Diese süffisante Art…
Ich schloss die Augen.
Ich war ihm hoffnungslos verfallen.

„Irgendwie schon…“, brachte ich gebrochen heraus.

„Das wird schon“, sagte er plötzlich mit dieser milden Stimme, die wildes Herzklopfen bei mir auslöste. Als sei ich ein kleines Schulmädchen. Ich seufzte.

„Schaffst du es, vorher noch zu mir zu kommen?“, fragte ich ihn.

„Ja“, sagte er ruhig und dennoch klang ehrliche Freude in seiner Stimme mit. „Es wird zwar knapp, aber ich schaffe es auf jeden Fall.“

„Das ist echt cool…“, floss es aus mir heraus und ich lächelte dümmlich.
Seine sanfte Stimme beruhigte mich.

„Ich wäre dann so gegen 19 Uhr bei dir. Ist das in Ordnung für dich.“

„Ja, na klar. Ich bin eh die ganze Zeit hier!“

„Hast du denn auch alles fürs morgige Frühstück da?“, hakte er erheitert nach und ich verspürte wieder dieses Kribbeln.
Unglaublich, dass der Mann, hinter dem ich die ganze Zeit her war, tatsächlich schon wieder hier schlafen würde. Dass er mit mir schlafen würde.
Seltsam, dass die Erfüllung dieses Wunsches, den ich seit Anfang unserer Bekanntschaft so offen geäußert hatte, mich plötzlich so nervös stimmte…

„Nein, ich… geh gleich noch mal einkaufen. Irgendwelche Wünsche?“, versuchte ich gelassen hinzuzufügen.

„So einige… die nichts mit Essen zu tun haben“, entgegnete er verheißungsvoll.
Ich erstarrte. Und er lachte. „Wir sehen uns später“, sagte er noch. Dann war es wieder still.

Das Duschen, der Einkauf und auch der Akt des Ankleidens für meine anstehende Geburtstagsparty zogen an mir vorbei, als hätten sie nichts mit meinem Leben zu tun, sondern wären ein Film, den ich in meinem wirren Zustand oder auch aus Langeweile betrachtete. Ich erschrak und stieß beinahe einen Schrei aus, als ich das aufgehende Schloss meiner Wohnungstür hörte, die unmittelbar aufschwang.

„Habe ich dich erschreckt?“, zog Christopher mich sichtlich amüsiert auf.

„Ja!“, brüllte ich fast. Dass er den Schlüssel zu meiner Wohnung besaß, hatte ich in diesem Moment schlicht und einfach vergessen, weil sich so viele verschiedene Gedanken in meinem Kopf tummelten, dass die allgemeine Prozedur des Denkens mir so schwer wie nie fiel. Es war fast unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen. Und wieder erschrak ich, als Christophers Hand plötzlich sachte meinen Nacken umfasste und er mich in einen sanften Begrüßungskuss zog.

„Hi…“, säuselte er ebenso milde.

„Hallo, Christopher…“

Mein Blick fiel auf die kleine dunkle Reisetasche, die noch in Christophers Hand ruhte.

„Ich ziehe mich eben noch schnell um, dann können wir gehen“, erklärte er mir und betrat mein Schlafzimmer. Ich folgte ihm. Aus seinem Gepäck entnahm er eine dunkelblaue Jeans und seinen schwarzen Pullover. Ich betrachtete ihn, während er sich gemächlich und präzise aus seinem hellgrauen Anzug schälte, den er auf einem mitgebrachten Kleiderbügel penibel in meinem Schrank auf hing. Er hatte nicht gefragt. Er hatte es einfach getan. Aber das war in Ordnung. Wenn nicht sogar scheiß egal, weil er jetzt nur noch in knapper Boxershorts vor mir stand.

Er grinste und sagte rein gar nichts, als er im ebenso gemütlichen Tempo in seine Jeans schlüpfte. Der Pullover stand ihm total.

„Wow“, murmelte ich und er sah mich fragend an. „Äh, ich hab dich bis jetzt immer nur im Anzug gesehen“, stammelte ich. Christopher grinste.

„Und?“, hakte er nach. „Gefällt dir, was du jetzt siehst?“

„Und wie…“

„Gut“, sagte er knapp und schnallte seinen Gürtel fest.
Er sah aus wie ein Model.

Mein Blick fiel auf meinen Wecker.
„Scheiße, wir kommen zu spät!“, rief ich aus.

„Es ist noch nicht einmal halb acht, Niko“, bemerkte Christopher skeptisch.

„Ja, aber wir brauchen ne halbe Stunde, um überhaupt mit dem Bus zur Uni zu kommen!“, erklärte ich ihm. Da kam er direkt auf mich zu. Graziös wie ein Panther.

„Wir nehmen mein Auto“, erklärte er mit harter Stimme.

„Willst… Willst du denn gar nichts trinken?“, fragte ich ihn verwundert. Und Christopher grinste nur und sagte:

„Ich will einen klaren Kopf haben, wenn ich dich später vögel.“
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