Christopher und Ich
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German › Originals
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Adult ++
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31
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Disclaimer:
This is a work of fiction. Any resemblance of characters to actual persons, living or dead, is purely coincidental. The Author (being obviously ME) ;) holds exclusive rights to this work. Unauthorized duplication is prohibited.
18
Die Vorlesungen rasen an mir vorbei wie ein unaufhaltsamer, reißender Fluss. Paul und Markus bleiben der Institution heute fern und ich hasse sie dafür; ich sitze alleine da, langweile mich noch viel mehr als sonst und als wir auch noch Gruppenarbeit machen müssen, bin ich nahe der Verzweiflung. Soziale Kompetenz besitze ich nicht. Meine Mitstreiter haben mir längst den Stempel „Eigenbrötler“ aufgetragen und diese Position beziehen sie mir gegenüber auch heute - wissen nicht, wie sie sich in meiner Gegenwart verhalten sollen, wie sie mich ansprechen können; wissen meine Reaktionen nicht zu deuten, haben keinen Schimmer, ob meine Antworten ironisch, oder doch ernst gemeint sind. Persönliche Details zu erfahren geben sie langsam auf. Letztendlich basteln wir trotz Kommunikationsprobleme und nicht bestehenden Sympathien gar professionell eine kleine Powerpoint-Präsentation über ThyssenKrupp und deren Personalführung zusammen. Meine vier Kommilitonen tragen sie mehr oder weniger kompetent vor – ich bediene nur die Maus am Computer, die uns von Folie zu Folie führt. Mir recht. Dem Dozenten auch. Kein Problem.
Es ist 16 Uhr, als ich letztendlich an der Bushaltestelle stehe. Ich habe mich viel zu dick eingepackt, der Winter ist längst zurückgewichen und ich scheine das noch nicht so recht begriffen zu haben. Die Jackenknöpfe lösend steige ich in den Bus ein, wie auch geschätzte 30 andere Studenten; ein Sitzplatz ist eine Utopie, ich darf 20 Minuten lang gegen die Gravitation und den betrunkenen Fahrstil des Busfahrers ankämpfen – was mich irgendwie an mich selbst erinnert. Den Lappen habe ich allerdings schon längst wieder bekommen… Ich weiß noch, wie mein alter Herr damals ausgerastet ist, schließlich hatte er die 600 Euro zahlen müssen. Christopher wird mich mit seinem Wagen wahrscheinlich nie fahren lassen, aber das muss er auch nicht: Ich hasse Autofahren. Zudem lasse ich mich allzu gern von meinem Anwalt durch die Gegend kutschieren. Erst recht, wenn er mich immerzu so harsch über die Mittelkonsole zerrt und gierig seine Lippen auf meinen Mund presst, wann immer ihm danach ist.
Ich will mich sputen, schnell zu ihm gelangen.
Eilig werfe ich einige Sachen mehr in meine kleine Reisetasche, die mich schon so oft begleitet hat; als aller erstes packe ich den besonderen Ring ein, der in der tiefschwarzen Schatulle ruht. Christophers Geschenk. Der kleine Ring auf dem größeren Ring. Nicht wirklich schön und doch so viel bedeutend, nicht wirklich teuer und doch mit wertvollem, sentimentalem Wert belegt.
Mein Magen knurrt. Ich verpasse den Bus. Es ist wie immer.
Die kleine Reise ist mittlerweile eine Routine. Ich kenne jedes Gebäude, das ich passiere, jede Straße, jede Leuchtreklame. Beinahe sprinte ich die Treppen hoch, klingele - es ist 17.15 Uhr. Da ich keine haargenaue Zeit mit Christopher abgemacht habe, kann ich nicht zu spät sein. Ein Grinsen tritt auf meine Lippen, im selben Moment schwingt die Holztür auf und er steht vor mir: lächelnd, die Haare perfekt nach hinten gegelt, die blauen Augen freudig leuchtend. Er trägt eine graue Jeans, einen simplen, schwarzen Rollkragenpullover. Darüber eine pechschwarze Schürze, die ihn wie einen prominenten TV-Koch aussehen lässt. Es riecht köstlich, mein Magen macht sich erneut laut bemerkbar und Christopher lacht, tritt zur Seite, hält mir die Tür auf.
„Komm rein“, meint er milde und schließt hinter mir ab. „Geh weiter, Niko“, fügt er hinzu. Unser kleiner Code, der mir mitteilt, dass ich mich meiner Kleidung nicht hier im Flur entledigen muss, dass ich so bleiben kann, dass meine Bestrafung noch nicht beginnt; dass wir jetzt erst einmal ein paar normale Stunden miteinander verbringen werden. Wenn man unser alltägliches Miteinander überhaupt mit diesem Wort bezeichnen kann.
„Wie war die Uni?“, fragt er mich, als ich meine Tasche abstelle und aus meiner Jacke schlüpfe.
„Paul und Markus waren nicht da“, informiere ich ihn und er nickt grinsend, weiß, was dies für mich bedeutet hat. Ich entledige mich meiner Schuhe und folge meinem Freund dann in die Küche. Er steht am Herd, als ich mich an den bereits gedeckten Tisch setze.
„Heute gibt es Hirschbraten mit Backkartoffeln und roter Beete“, informiert er mich, ohne sich mir zuzuwenden.
„Wow“, meine ich nur und muss an meinen TV-Koch-Gedanken von eben denken.
„Ich hoffe, ich kann bald ein ‚wow’ äußern“, sagt er etwas ironisch und dreht sich zu mir um, deutet auf den Küchentisch. „Ich hab dir was gekauft“, erklärt er, als ich ihn verwirrt ansehe. Erst jetzt sehe ich in die genaue Richtung, in die er mit dem Zeigefinger weist. Rechts neben mir, direkt an der Küchenwand, liegt ein Geschenk; in rotes Papier gewickelt. Umgehend reiße ich es auf - Das Kochbuch.
„Ahhhhhh“, mache ich zufrieden. „Danke, Christopher.“
„Bedank dich nicht zu früh“, entgegnet er keck und kommt auf mich zu, und funkelt mich dabei irgendwie diabolisch an. Mit beiden Händen stützt er sich an der Tischplatte ab und beugt sich bedrohlich zu mir herab, sodass sein Gesicht das meinige fast berührt. Arktisches Blau. Wie ich es liebe. „Für jedes verpatze Gericht gibt es eine gerechte Strafe, Niko“, haucht er gefährlich, mit diesem feinen Grinsen auf den Lippen, das auf Arroganz und Amüsiertheit deutet. Er küsst mich; zart, kurz und viel zu schnell. „Essen ist fertig“, informiert er mich dann, als es plötzlich schon wieder vorbei ist. Schmunzelnd holt er das Wild aus dem Backofen, während ich das Gefühl, von ihm geküsst worden zu sein, noch immer genieße.
Das Essen schmeckt hervorragend.
Wie in einem teuren Restaurant.
Wir sprechen ein wenig über Frank und über Holger und Martin. Die beiden organisieren nächste Woche eine Gay-and-Lesbian Fetisch-Party. Christopher fragt mich, ob wir hingehen wollen. Ich zucke mit den Schultern. „Ich habe keine Meinung. Von mir aus.“
„Vor mir aus“, imitiert er mich zunächst. „ist eine Meinung, Niko“, beendet er den Satz.
Ich verziehe das Gesicht. Christopher schaut mich herausfordernd an.
„Also gehen wir“, fasse ich zusammen, mehr fragend als feststellend.
„Bingo“, kommt es von ihm.
„Wer kommt noch?“, hake ich nach.
„Kilian wird auf jeden Fall dort sein“, antwortet er und legt sein Besteck beiseite, wischt sich seinen schönen Mund mit der Serviette ab. „Karina und Ina wollten vielleicht auch kommen. Mit ihrer Frauenrunde.“ Ich verdrehe die Augen. „Ich weiß, dass du Miriam nicht magst. Aber das wirst du ertragen“, kommentiert er mein Tun. Miriam ist eine bisexuelle Frau Ende 30, gutaussehend, nicht fest liiert, witzig, gebildet – und sie findet meinen Freund äußerst attraktiv. Natürlich flirten sie nicht, Miriam schmeißt sich nicht an ihn ran; Christopher geht auf diese Weise auch nicht auf sie zu, schon allein, weil er mit Frauen absolut gar nichts anfangen kann – als potenzielle Partner. Er ist einfach nur ein Gentleman. Wie immer, auch ihr gegenüber: höflich, charmant, zuvorkommend. Auch wenn es keinen triftigen Anlass gibt, bringt mich Miriams Nähe zu ihm öfters aus dem Konzept. Sie mag mich zwar sehr und findet unsere Bindung spannend, aber ich empfinde eine simple Antipathie, die ich nicht genau erklären und definieren kann. Manchmal ist das einfach so. Ich denke, ihre Sympathie für Christopher ist einfach nur das I-Tüpfelchen dieser Empfindungen.
„Soll ich abräumen?“, frage ich ihn also, auch um von Miriam abzulenken.
„Nein“, meint er nur und steht auf. „Du gehst ins Arbeitszimmer, machst den Rechner an und öffnest schon mal deine angefangenen Bewerbungen, an denen wir gleich weiterarbeiten werden.“
„Okay. Danke fürs Essen“, entgegne ich und erhebe mich ebenfalls. Christopher lächelt. Ich komme nicht umhin, an ihn heranzutreten und ihm einen liebevollen, zarten Kuss auf die Wange zu hauchen.
„Ab ins Arbeitszimmer…“, flüstert er verspielt-bedrohlich und sieht mich in eben dieser Art dabei an. Grinsend drehe ich mich um und tue, wie mir aufgetragen wurde.
Christophers Arbeitszimmer ist groß, nicht so geräumig wie sein Büro und irgendwie auch viel gemütlicher eingerichtet, mit kuscheligem Teppich, dunkelbraunen Holzregalen, in denen Ordner und Bücher ruhen; einem großen Doppelfenster, das bis zum Boden reicht, weinroten Gardinen und schneeweißen Vorhängen. Ein riesiges Bild hängt an der Wand, dort, wo der tiefe Arbeitsschrank steht, auf dem Drucker, Fax und ein zweites Telefon verweilen, das WLAN-Modem. Eine winterliche Landschaft. Der massive, antik anmutende Schreibtisch aus Eichenholz gefertigt ist das Zentrum des Raumes. Ich rutsche in den breiten, pechschwarzen Ledersessel und schalte den Rechner ein, richte meinen Kopf nach links und betrachte den Bildschirm, der mir schon bald die Oberfläche von Windows zeigt.
Meine Dateien habe ich auf meinem USB-Stick mitgebracht. Die kläglichen Versuche eines Anfangs. Die Word-Dokumente mit den Adressen und den Notizen aufrufend erkenne ich, dass sich so etwas wie Heißhunger auf Süßes in meinem Innern breit macht. Ich husche zurück in die Küche. Christopher ist noch mit dem Abwasch beschäftigt.
„Gibt’s ein Problem?“, fragt er umgehend, den Blick auf mich richtend. Ich schüttele lediglich den Kopf und mache mich schon daran, einen gewissen Küchenschrank aufzumachen, in dem mein Freund Süßigkeiten aufbewahrt. Für sich selbst: Pralinen, dunkle Schokolade, so etwas wie Raffaello. Für mich: Kinderschokolade, Snickers- und Marsriegel, Schokobons. „Sauber“, murmele ich und will nach ihnen greifen. Ich schaffe es gerade noch, meine Hand wegzuziehen, als Christopher die Schranktür mit einem lauten Knall zuschlägt. Sein kalter Blick ruht auf mir, er steht mir so nahe, dass ich seinen Atem an meiner Haut spüren kann.
„Niko“, haucht er gefährlich und langgezogen. „Was soll das werden?“, will er wissen.
Verdammt. Mein Heißhunger hat die Kontrolle über mich ergriffen, ich hatte nicht nachgedacht. „Es tut mir leid, Christopher“, sage ich nun aufrichtig und senke den Blick etwas. „Ich habe mich vergessen.“
„Das will ich meinen, mein Freund“, entgegnet er spöttisch und schnaubt.
„Darf ich mir etwas Süßes nehmen?“, frage ich ihn und sehe ihm nun in die Augen.
Erlaubnis; ich bitte ihn um seine Erlaubnis. Er muss sie mir geben, dann darf ich mich bedienen. Wie am Tisch. Immer erst nach ihm auftun, auf sein kurzes Nicken warten, seine Erlaubnis bekommen.
„Nein“, meint er schroff, die Hand noch immer an der Schranktür ruhend. „Später. Erst wirst du arbeiten. Verstanden?“
„Ja, Christopher“, entgegne ich.
„Abmarsch“, ordert er und deutet streng mit seinem Finger auf die Küchentür. Ich verlasse den Raum, so wie er mich auffordert, setze mich vor den Rechner, warte. Nach wenigen Minuten betritt er das Arbeitszimmer und wirft mir etwas zu. Ich reagiere schnell, reflexartig. Ein einzelner Schokobon ruht in meiner Handfläche, die ich nun betrachte. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht.
„Mehr gibt es, wenn du gute Arbeit leistet“, scherzt er und ich stehe auf, mache ihm Platz, packe die kleine Süßigkeit zwischen meine Lippen und laufe ins angrenzende Zimmer, um den etwas kleineren Drehstuhl dazuzuholen. Der Chefsessel gehört Christopher. Der andere ist für mich, der, den ich gerade neben ihn schiebe. Die Augen meines Freundes ruhen auf dem Bildschirm. In Gedanken, konzentriert, liest er, was ich fabriziert habe; schweigt. Dann dreht er mir seinen Kopf zu. Der schokoladige Geschmack verweilt noch immer auf meiner Zunge.
Christophers Augen sind nicht so kalt wie sie es der Fall ist, wenn er mich bestrafen will. Sein Blick ist ernst, aber nicht gemein, nicht selbstgefällig oder arrogant. Einfach nur ernst.
„Ist das alles, was du bis jetzt geschafft hast?“, fragt er mich entschieden.
„Äh… Ja. Ich sagte ja, ich komme nicht richtig voran“, entgegne ich und starre den Bildschirm mit meinen Notizen an. „Aber ich hab schon Adressen rausgesucht.“
„Adressen rausgesucht, oder dich tatsächlich über die hier aufgelisteten Firmen informiert?“, hakt er direkt nach – etwas säuerlich.
„Naja… rausgesucht.“
Er lehnt sich seufzend zurück und verschränkt die Arme vor seiner Brust, stiert mir regelrecht an. „Du hast noch nie wirklich Bewerbungen geschrieben“, bemerkt er trocken.
„Nö, wieso denn auch“, gebe ich etwas patzig zurück.
„Haben die euch das nicht an der Uni beigebracht?“
Ich denke an den freiwilligen Kurs zur Praktikums-Beratung mit integrierten Bewerbungsschreibkurs; den ich verpennt habe. „Nicht wirklich“, antworte ich deshalb – etwas zu unsicher. Christopher schnaubt.
„Komisch Niko, in deinem Kursangebot steht aber deutlich geschrieben, dass ihr vor eurem Praxissemester von den Praktikumsbeauftragten eures Studiengangs beraten werdet…“, sagt er dann, etwas sarkastisch. Scheiße. Ich hab total vergessen, dass er sich alles, was mit mir zu tun hat, genau ansieht, dass er Bescheid weiß. Ich seufze laut.
„Okay, ich hab den Termin verpennt!“, gebe ich zu und lasse die Schultern hängen.
„Dann lüg mich nicht an“, entgegnet er knapp.
„Sorry…“, murmele ich.
„Ich sag dir jetzt was: du hängst dich an den Rechner und guckst dir genau an, welches Unternehmen dir mit welchem Bereich für die Zukunft nützlich wäre, ja? Dann machst du eine neue Liste, mit den genauen Ansprechpartnern fertig und wir setzen uns gemeinsam ans Werk, um darauf hin zu zielen, deine Bewerbungsschreiben zu formulieren“, schlägt er mir vor oder besser gesagt: befiehlt er. „Hast du schon Bewerbungsfotos machen lassen?“
„…scheiße, voll vergessen.“
Christopher seufzt genervt. „Das machst du dann morgen.“
„Gute Idee.“
Er sieht mich noch eine Weile nachdenklich an und ich frage mich, was ihm durch den Kopf geht. Sein Blick ist immer noch so ernst. Diese Seriosität macht mich irgendwie nervös. „Kann es sein, dass du überhaupt gar keinen Bock auf das Ganze hast?“, fragt er mich plötzlich, die Beine übereinander geschlagen, die Arme immer noch verschränkt. Er wirkt ein wenig wie ein Lehrer. Ein strenger Lehrer. Oder ein strenger Vater. Das Oberhaupt einer wichtigen Familie die für Disziplin und Ordnung steht und es dir reinprügeln wird, wenn du dich diesen Prinzipien nicht aus freiem Willen fügst.
„Ehrlich gesagt: nein“, gestehe ich und schaue ihm dabei nicht in die Augen.
„Dann rate ich dir jetzt einfach mal, deine Faulheit wegzusperren und dich ans Werk zu machen. Du wirst heute so lange hier sitzen, bis die Bewerbungen fertig sind“, schimpft er kalt und leicht erzürnt. Er fasst mich nicht an. Er zieht mich nicht an den Haaren, oder schubst mich an den Schreibtisch; er steht einfach auf, straft mich mit einem herabwürdigenden Blick, der irgendwie anders ist als sonst, im Spiel, und verlässt den Raum.
Ich seufze laut, bleibe eine Weile einfach so sitzen und rutsche dann erst in den freigegebenen Chefsessel, beginne die aufgetragene Recherche – und scheitere kläglich. Weil ich schon auf der ersten Seite des ersten Unternehmens keine Konzentration aufbringen kann; weil ich Sätze von vorne lese und alle Buchstaben wie Hieroglyphen erscheinen. Weil ich weiß, dass diese Schreiben von hoher Wichtigkeit sind und die ersten wahren Schritte auf meinem beruflichen Weg sein werden. Genau vor jenem will ich mich drücken. Ich finde es erschreckend, dass mein Bachelor zu Ende geht, dass ich bald den ersten Abschluss in der Tasche haben werde. Dann bleiben mir noch zwei Jahre des Masterstudiums, bis es ernst wird. Und ich will nicht, dass es ernst wird. So, wie es jetzt ist, ist es perfekt, diese Routine, die Vorlesungen, die Hausaufgaben – und doch so viel Zeit. Zeit für Christopher und mich. Zeit für Horrorfilme. Zeit fürs Faulenzen.
Wenn ich an das Praktikum denke, wird mir schlecht. Fünf Tage die Woche zur selben Zeit aufstehen, immer pünktlich sein, Anwesenheitspflicht, Tag für Tag acht Stunden ackern, sich dem Gebilde fügen, strebsam sein.
Ich lande auf einer Seite, für die ich wahrscheinlich umgehend eine Ohrfeige von Christopher ernten würde; einem Sammelsurium an Browserspielen. Simplen, ablenkenden, bunten Tätigkeiten, die binnen Sekunden geladen haben; die einen einladen, nicht mehr auf seine Umwelt zu achten.
Ich schrecke hoch, als die Tür sich plötzlich öffnet und Christopher hineinstolziert, direkt auf den Schreibtisch zugeht. In der ersten Sekunde bin ich so paralysiert, sodass ich nichts tun kann; in der nächsten mache ich mich panisch daran, diese Spielchen, von denen ich drei gleichzeitig offen habe, damit ich noch schneller zwischen ihnen wechseln kann, wegzuklicken – viel zu offensichtlich. Christopher steht schon hinter mir, die Augen auf den Bildschirm gerichtet. Ich kann ihn schnauben hören und betrachte, wie der Browser hängen bleibt. Ich möchte am liebsten meinen Kopf gegen die Tischplatte hauen, so beschämt bin ich.
„Du willst Praktikum bei jetztspielen.de machen? Interessant“, sagt er in diesem fiesen, zynischen Ton.
Ich rutsche etwas nervös auf dem Stuhl zurecht und räuspere mich. „Ich hab eben nur ne kleine Pause gemacht. Ich, äh, bin noch nicht fertig“, erkläre ich ihm, während ich mich ihm zuwende. Er sieht… ziemlich wütend aus.
„Okay“, sagt er klar und hebt eine Hand, in drohender Geste. Dann: „Code Red.“
Deutlich und ruhig ausgesprochen. Eine bedeutungsvolle Pause zwischen den Äußerungen. Diese zwei englischen Wörter halten die Zeit an. Sie stoppen unseren Fluss. Sie lösen unser Verhältnis auf. Er steht über mir, Christopher, mein Freund, mein Geliebter – nicht als Master, nicht als Herr; nicht als Sklavenhalter. Einfach nur als mein Freund.
„Code Red“ – unser Alltagspasswort, das unsere BDSM-Beziehung zu einer völlig normalen Beziehung transformiert, bis der, der es ausgesprochen hat, es – mit Einverständnis des Anderen – durch die Äußerung „Code Green“ wieder aufhebt.
Wir benutzen es, wenn es um wichtige Diskussionen geht, wenn Christopher mir mit seiner Macht nicht den Mund verbieten will. Wenn wir Entscheidungen treffen wollen. Richtige Entscheidungen, gemeinsam getroffene Entscheidung. Oder wenn wir uns streiten…
„Ich fühle mich ein wenig verarscht, Herr Klaas“, sagt er giftig und rührt sich nicht vom Fleck. „Ich stehe in der Küche, bekoche dich, arbeite mein Arbeits-Pensum ab, damit ich Zeit für dich und deine Bewerbung habe und du spielst hier mit irgendwelchen virtuellen Affen!“ Er deutet wütend auf den Bildschirm. Der Browser reagiert endlich wieder. Das von mir nicht angerührte Word-Dokument liegt wieder auf der Oberfläche. „Was soll das?!“, blafft er mich an.
Ich fahre mit meinen Händen durchs Gesicht. „Ich bin einfach nicht bei der Sache“, sage ich dann.
„Das haben wir ja jetzt schon festgestellt. Wo liegt das Problem? Du hast lang genug geschlafen, du hattest keinen langen Tag, du hast gut gegessen“, zählt er auf.
„Ja, ich weiß!“, zische ich.
„Also?“, verlangt er weiterhin eine Erklärung, die Augenbrauen angehoben, ein skeptischer und ziemlich von Wut gezeichneter Blick auf mir ruhend.
„Mann!“, meine ich und stehe auf, der Stuhl rutscht nach hinten und prallt beinahe gegen Christopher. „Ich hab einfach keine Lust drauf.“
„Vielleicht solltest du aber Lust drauf haben!“, moniert er lauter. „Wir haben jetzt Mitte April, falls du es nicht realisiert hast. Deine Vorlesungen haben bereits angefangen. Du hättest jetzt schon längst deine Bewerbungen rausschicken müssen. Du weißt ganz genau, dass manche Firmen eine Frist von einem Jahre haben – die fehlt jetzt somit schon die Hälfte.“
„Paul und Markus haben auch noch nichts“, werfe ich ein und lehne mich gegen das Schreibtischblatt.
„Unterbrich mich nicht, ja…?“, meint er dazu nur ruhig, seine Stimme jedoch bebend. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich habe ihn schon lange nicht mehr so… sauer gesehen. Wirklich sauer. Real sauer. Ungut sauer. „Dir ist scheinbar nicht bewusst, wie wichtig praktische Erfahrung heutzutage ist. Das Praxissemester ist nicht umsonst angelegt worden. Du solltest froh darüber sein, andere Studenten ersticken an der Theorie und sind später nicht fähig, zu arbeiten. Du bekommst die Chance, schon jetzt einen Blick in die Arbeitswelt zu werfen. Ich kann verstehen, dass dir das Angst macht. Man will für immer studieren, es nicht so ernst nehmen, viel Freizeit haben, lange Semesterferien; aber ich bezweifle, dass du vor hast, ein Langzeitstudent zu werden. Oder?“
Ich schüttele bedächtig den Kopf. Sein Blick durchdringt mich. Geht tief. Bis in die Knochen. Ich fühle mich wie ein Kind. In solchen Momenten wird mir unser Altersunterschied bewusst. Ich kaue auf meiner Unterlippe.
„Ich finde es ätzend, dass du meine Zeit so dermaßen verschwendest“, fährt er nun mit aggressiveren Worten fort. „Ich finde es eine Frechheit, dass du meinen Befehl, der dir gut tut, so missachtest und dich querstellst. Wenn du nicht willst, dass ich dir helfe, dann sag es mir.“
Er schweigt, wartet auf eine Antwort.
„…ich will ja, dass du mir hilfst“, stammele ich, aber ich weiß nicht, was ich weiter sagen soll. Ich bin ein beschämtes Kind. Eigentlich weiß ich es besser, weiß, dass er recht hat. Meine Faulheit steht mir im Weg. Es gilt, sie zu bekämpfen.
„Dann mach das, was ich dir sage. Ich helfe dir jetzt auch gern beim Firmencheck“, meint er ruhiger.
„Das wäre gut, ich brauche jemanden, der mir da derbe in den Arsch tritt…“, gebe ich zu und kratze mich immer noch peinlich berührt am Hinterkopf. Christopher grinst.
„…darin bin ich recht gut“, sagt er dann etwas erheitert und ich muss leicht lachen, als unsere Augen sich treffen.
„Tut mir leid“, meine ich.
„Das hoffe ich“, entgegnet er daraufhin ernst. „Wollen wir?“ Ich nicke. Er setzt sich wieder in den Chefsessel, rutscht aber ein Stück weit weg, damit ich direkt an die Tastatur und Maus kann.
„Code Green“, sagt er leicht und sieht mich dabei an. Ich muss bestätigen. Tief blicke ich ihm in die Augen.
„Code Green“, wiederhole ich dann.
„…gut“, kommt es dann wieder leicht arrogant von ihm, sein Blick an Härte gewonnen, sein Grinsen an Großspurigkeit, an der Christopherischen Süffisanz. Er ist wieder voll und ganz mein Herr, auf der alltäglichen Ebene. Ich muss in mich hineingrinsen, als wir uns ernsthaft an die Arbeit machen.
Irgendwie ist diese Erkenntnis immer erstaunlich. Die Erkenntnis, dass wir solch eine funktionierende Routine haben nach zwei Jahren Beziehung. Auf solch extremen Ebenen. Und ich habe das Gefühl, dass wir immer krasser werden. Im positiven Sinne. Ich kann mir ehrlich gesagt, keine andere Bindung mehr vorstellen. Wieder muss ich an Kilians Worte denken; dass manche Menschen für BDSM einfach prädestiniert bin. Ich denke, ich gehöre dieser Kategorie Mensch an. Auch wenn zu Anfang nie gedacht hätte, dass ich irgendwann mal alleine von Peitschenhieben kommen könnte…
Schon seltsam, wie verwirrt ich an jenem Geburtstagsabend vor zwei Jahren gewesen war, als ich ständig an den Gummimaskenmann gedacht hatte…
Es war damals erst Nachmittag, als wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Mein Herz wollte sich einfach nicht beruhigen. Mit weit offenen Augen lag ich auf meinem Rücken und starrte die graue Decke meines kläglichen Schlafzimmers an. Erst vor wenigen Minuten hatte Christopher sich aus mir heraus gezogen; ich war noch immer geweitet und ließ die heißen und verdammt frischen Erinnerungen durch meinen Kopf gehen. Christophers von Verlangen dominiertes Gesicht, die Art, wie er sich auf die Unterlippe gebissen hatte, als er mich nahm, der Klang seines Stöhnens.
„Hey…“, flüsterte er und ich erschrak. Das Bett gab ein Stück weit nach, als er sich wieder neben mich setzte. Vorsichtig legte sich seine linke Hand auf mein Knie und er spreizte mein Beine; ich hielt die Luft an, nur um zu erkennen, dass er mich säubern wollte. Das Tuch war weich und Christopher tat es mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ich gar nicht protestierte. Er zauberte ein weiteres Tuch wie aus dem Nichts und wischte meinen Bauch ab – auf dem ich unverkennbare Spuren unseren Zusammenseins hinterlassen hatte.
Er verschwand, kam in wenigen Sekunden schon wieder, noch immer splitterfasernackt. Ich konnte meine Augen nicht von ihm nehmen. „Was ist?“, hakte er sachte nach und lächelte dabei, als er sich wieder neben mich legt, die Decke über unsere Körper zog, mich wieder an sich drückte, an seine immer noch erhitzte, klar Haut. Ich sog seinen betörenden Duft ein, kuschelte mich an ihn.
„Ich kann nicht glauben, dass ich mit dir geschlafen habe…“, murmelte ich gegen seine Halsbeuge. Er lachte kurz und seine Brust bewegte sich dabei rapide auf und ab.
„War es schön für dich?“, erkundigte er sich mit milder Stimme.
Ich nickte hastig, hob meinen Kopf an, sodass ich ihm direkt in die Augen blicken konnte. „Ja, war es… Christopher“, fügte ich an. Er lachte erneut leise und kurz. Dann strichen seine Finger über meine Wangen. Er hielt meinen Kopf fest und küsste mich.
„Geht’s dir denn mittlerweile etwas besser?“, fragte er.
„Das Aspirin scheint ein wenig geholfen zu haben“, meinte ich daraufhin.
„Das ist gut. Und wie sieht es seelisch aus? Immer noch Angst vor dem Gummimaskenmann?“, scherzte er.
„…ein bisschen“, meinte ich grinsend und er küsste meine Stirn.
„Ich will nicht, dass du Angst hast“, bemerkte er leise.
„Mhm…“, machte ich und nickte dabei. Momentan… verspürte ich sie auch nicht mehr. Seine Worte hatten mich beruhigt. Schon allein das Aussprechen meiner Ängste hatte befreiend gewirkt.
Vergiss bitte diesen Gummimaskenmann. Wir beide werden nur das tun, wozu wir beide auch Lust haben.
Er hatte gesagt, es ginge ihm um mein Einverständnis. Dass BDSM auf Freiwilligkeit aufbaute.
Ich muss deine Vorlieben erst richtig kennenlernen, bevor ich ohne dein Wissen irgendetwas Neues in unsere Beziehung einbringe. Und momentan ist alles neu.
Ich lag mit Christopher im Bett. Nackt, leicht verschwitzt vom Akt. Mit Christopher Lang. Dem Anwalt aus dem Park.
„Ich steh auf Handschellen“, hörte mich nach einer Weile plötzlich plappern, in der wir einfach nur still dagelegen hatten.
„…ja, das weiß ich doch…“, kam es ruhig und trotzdem interessiert von ihm, irgendwie auffordernd, leise.
„Mhm…“, ich presste meinen Kopf weiter gegen seine Halsbeuge, spürte seine Arme um meinen Körper geschlungen und fuhr langsam fort: „Ich finde es geil, in diesem Moment, so ausgeliefert zu sein; wenn ich dann nicht fähig bin, in das Geschehen einzugreifen und einfach alles passieren lassen muss.“
„…erregt es dich, wenn du dich bewegen willst und es nicht funktioniert…?“
„…ja…“
„…törnt es dich an, wenn du dich winden und drehen kannst, wie du nur möchtest, und doch keine Befreiung findest?“, fragt er erneut mit einer tieferen Stimme, die mich erschaudern ließ. Die Zweifel, die mich die Nacht zuvor hatten zu tief ins Glas schauen lassen, waren weit, weit weg. Verdrängt. Dieses neue Gefühl zog mich wieder in den Bann. Die Erkenntnis, dass ich jetzt ein Sklave war. Ein Sex-Sklave. Was hatte Christopher genau gesagt?
Ich fordere deinen absoluten Gehorsam, aber ich bin kein Sadist. Ich will nicht, dass du deine eigene Existenz aufgibst und nur noch das tust, was ich von dir verlange. Ich will dass du mein Sexsklave wirst, aber ich will dich nicht auf diese Position reduzieren. Ich will, dass du „nein“ sagen kannst. Safety ist mir wichtig, Vertrauen ist mir wichtig.
Und…
Ich will dir weh tun. Ich will dich auf den Knien vor mir sehen. Ich will dich fesseln, knebeln, schlagen und ficken.
Eine Gänsehaut überkam mich.
Mal wieder.
Ein Moment, in dem mir abermals bewusst wurde, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
„…ja…“, beantwortete ich nun seine Frage.
„Das freut mich sehr…“, wisperte er und sein Atem strich über meine Stirn.
„Bleibst du heute Nacht?“, fragte ich ihn, irgendwie erwartungsvoll.
„Ich kann nicht“, sagte er und in seiner Stimme schwang ehrliche Enttäuschung und so etwas wie Bedauern mit. „Ich muss noch einen wichtigen Fall für Montag vorbereiten“, fügte er hinzu und seufzte; ich schwieg. „Zudem würde ich dir eh gern ein bisschen Zeit lassen, um über alles alleine nachzudenken…“
Er setzte sich auf und so war auch ich gezwungen, von ihm abzulassen. An die Bettkante lehnend betrachtete er mich mit einem milden Lächeln. „Ich möchte, dass du noch mal in Ruhe über alles nachdenkst…“
„Ich mach keinen Rückzieher!“, fiel ich ihm ins Wort.
„…ich weiß, Niko“, fuhr er darauf bezogen fort und grinste. „Dafür ist es auch längst zu spät, das wissen und fühlen wir doch beide…“, er nahm meine Hand und führte sie zu seinem Mund, hauchte mir einen Kuss auf meinen Handrücken. „Du bist bereits mein Sklave. Dein Training hat schon längst begonnen.“
„Ja, Christopher“, sagte ich und er lachte zufrieden.
„Sehr, sehr gut, Niko“, stellte er genüsslich fest und strich mir durchs Haar. So zärtlich. So langsam. Belohnend.
„Und dennoch“, setzte er wieder an und seine Berührung endete; mit ernster Miene begutachtete er mich. „Ich will, dass du diesen Abend erstmal sacken lässt und diese Vorstellung des Gummimaskenmannes aus deinen Gedanken verbannst.“ Er schaute mir sehr tief in die Augen und ich nickte einfach nur, wollte jenes tun, meinen Geist befreien. „Ich habe noch eine kleine Aufgabe für dich. Du bist ja ein recht guter Rechercheur, wir sich herausgestellt hat – auch wenn dich einige Dinge abgeschreckt haben mögen und dir eine etwas verquerte Vorstellung der Szene vermittelt haben. Ich will, dass du dir ein Blatt Papier nimmst und aufschreibst, was du dir auf keinen Fall vorstellen kannst, was du absolut nicht machen willst. Wenn du es schriftlich hast, wird es dir vielleicht ein wenig besser gehen – vor allem, da du mir dieses Blatt geben wirst, damit ich es auch noch mal vor Augen habe. Ja?“
„Gute Idee“, meinte ich daraufhin.
„Und wie gesagt: wenn ich dir etwas aus dem BDSM-Bereich zeigen will, dann spreche ich das vorher mit dir ab, damit du dich mental darauf vorbereiten kannst oder wir das gegebenenfalls verschieben können. Also musst du dir keine Gedanken mehr machen bei unseren Treffen, ob ich jetzt etwas vorhabe mit dir, oder eben nicht. Und wenn ich eine Tasche mitbringe und vorher nichts mit dir abgesprochen habe, kannst du davon ausgehen, dass dort weder Handschellen noch irgendwelche anderen Sextoys drin sind, okay?“
Ich musste irgendwie beschämt lachen, als ich an die Reisetaschen-Aktion von vorhin dachte.
„Ja, okay…“
„Gut“, sagte er nun eine Spur härter, ein Grinsen umspielte seine Lippen immer noch. Heute war Christopher nicht ganz so krass in seinem Emotionswechsel. Vermutlich, um mich zu beruhigen, weil ich immer noch gaga war vom Alkohol, weil er Rücksicht nahm. Ein schönes Gefühl waren diese Erkenntnisse…
Ich beobachtete ihn, wie er sich gemächlich anzog, seine Tasche packte. „Bleib liegen“, meinte er zu mir, als ich aufstehen wollte, um ihn zur Tür zu begleiten. „Ich finde den Weg schon“, scherzte er etwas sarkastisch. „Ich will, dass du dich ausruhst, verstanden…?“
„…ja, Christopher.“
„Gut.“ Ein Nicken. Ein Grinsen. Dann beugte er sich herunter zu mir, schlang seine Arme um mich und drückte seine Lippen auf die meinigen. „Genieß die Zeit allein und ruf mich morgen nach dem Frühstück direkt an. Das… ist ein Befehl“, machte er auf lockere Art und Weise deutlich.
„Okay, Christopher“, meinte ich nur und er nickte erneut zufrieden.
Dann war alles still und ruhig und meine Gedanken zu schwach, um sie wirklich wahrzunehmen. Mein Hintern pochte noch ein wenig – ich hatte lange Zeit keinen Sex mehr gehabt. Da war er. Der warme Rotschimmer auf meinen Wangen. Ich wälzte mich auf meinem Bett und lachte, wie ein Verrückter; oder wie ein verliebtes Schulmädchen aus Hollywoodfilmen. Stereotypische, übertriebene Darstellungen von sozialen Gruppen.
Ich hatte mit ihm geschlafen.
Ohne Kondom.
Er hatte mich mit seinem Saft gefüllt.
Ich war sein Sklave.
Was für eine seltsame, neue Welt… Ich dachte nach, führte mir Christophers Erscheinung vor die Augen, dachte an unser erstes Mal, an den Tag der letzten Woche, an dem er mir die ersten seiner Regeln vorgetragen hatte.
Als ich nackt vor ihm kniete…
Ich dachte an seine Bestrafung; die harten Klapse auf meinen Hintern…
Mein Handy vibrierte. Es lag direkt neben dem Bett. Christopher schrieb mir, wahrscheinlich schon von zuhause aus. Seit seinem Abgang war bereits einige Zeit verstrichen, wie ich erst jetzt bemerkte.
„Es war wunderschön mit Dir Niko… Ich vermisse Dich schon jetzt. Christopher“
…erneut wälzte ich mich auf dem Bett, mit klopfendem Herzen und tippte, als ich mich wieder beruhigt hatte, eilig zurück: „Ich fand es auch wundervoll. Ich hab so lange drauf gewartet… Bis Morgen, freue mich jetzt schon auf Deine Stimme! Niko“
Es dauerte nicht lang, da fiel ich wirklich in einen tiefen Schlaf. Ich hatte es nicht einmal geschafft, mir eine Schlafhose zu greifen; war einfach so, wie Christopher mich zurückgelassen hatte eingeschlafen.
Am kommenden Morgen erwachte ich gegen 10 Uhr. Ich duschte, schlüpfte in frische Klamotten, frühstückte hastig und setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett. So etwas wie Aufregung hielt mich in ihrem Bann, als ich seine Nummer wählte, dem Freizeichen lauschte und erwartungsvoll auf seine wunderschöne Stimme wartete.
Ich erreichte ihn nicht. Die mechanische Mailbox erklang am anderen Ende und ich hasste es, aufs Band zu sprechen. Ein Klick, das Handy lag beiseite. Ich kaute auf meiner Unterlippe und ließ mich mit dem Rücken auf die Matratze zurückplumpsen; im selben Moment klingelte das Mobiltelefon und ich wirbelte zur Seite – sein Name stand deutlich auf dem Display, umgehend nahm ich das Gespräch an.
„Guten Morgen, Christopher!“, begrüßte ich ihn. Ein warmes, dezentes Lachen ertönte.
Dann diese milde Stimme: „Guten Morgen, Niko. Hast du gut geschlafen?“
„Ja, ja das hab ich. Und du?“
„Ich auch, danke, dass du fragst. Geht es dir gut?“
„Ja, ich bin gut“, sagte ich irgendwie dümmlich. Er lachte wieder.
„Ja, bis jetzt bist du ein braver Junge“, zog er mich – leicht verführerisch – auf. „Dein Kopf auch wieder OK?“
„Keine Kopfschmerzen und keine seltsamen Gedanken“, beantwortete ich seine doppeldeutige Frage.
„Gut.“ Raue Samtigkeit in seiner Stimme; ich erschauderte leicht. „Ich hoffe, deine Party hat dir trotz dieser quälenden Fragen und Bedenken gefallen?“
Hatte ich mich überhaupt schon bei Christopher bedankt? Ich konnte mich nicht mehr erinnern, war mir nicht sicher. „Ganz, ganz herzlichen Dank dafür, Christopher. Es war wirklich schön und das mit Sarah fand ich ehrlich gesagt auch sehr lustig – im Nachhinein. Auch wenn mir Frank ganz schrecklich leid tut. Dem war das ziemlich peinlich…“
„Dem sollte seine unterbelichtete Freundin auch peinlich sein“, kam es im etwas hochnäsigen Ton vom Anwalt. „Aber freut mich, dass er dir dennoch gefallen hat. Deine wenigen Freunde scheinen wirklich nett zu sein.“
Krasser Fang.
Mareikes Worte fielen mir ein.
„Ja… Ich glaube auch, sie fanden dich nett.“
„Wie kann man mich nicht nett finden?“
Ich konnte mir sein aufgeblasenes, triumphierendes Grinsen bildlich vorstellen bei dieser Äußerung.
„Ich finde dich sogar sehr nett“, meinte ich also glucksend.
„Sehr nett? Aha“, schmunzelte er.
„Sehr, sehr nett…“
„Ich werde aber nicht immer sehr, sehr nett zu dir sein…“
Etwas wundervoll-bedrohliches klang in seiner Stimme mit. Ein Prickeln auf meiner Haut.
„Das will ich auch nicht…“
„Apropos wollen…“, meinte er dann. „Ich hoffe, du hast meine kleine Aufgabe nicht vergessen?“
„Nein.“
„Nein, Christopher“, sprach er mir abermals vor.
„Nein, Christopher“, wiederholte ich unvorzüglich.
„Gut.“
Gott, sein knappes ‚gut’ brachte mich immer wieder beinah um den Verstand. Ein einzelnes Wort – aber dieser Tonfall und diese Bedeutung dahinter…!
„Dann mach dich an die Arbeit, lass dir aber Zeit. Ich will, dass du genau nachdenkst. Und ich möchte, dass du mich anrufst, wenn du meinst, du bist fertig. Einverstanden?“
„Ja, Christopher.“
„Wunderbar… Also. Bis später, Niko.“
„Ja, bis später.“
Ich holte den Laptop zu mir aufs Bett, loggte mich ein, öffnete ein neues Dokument; holte tief Luft, meine Fingerkuppen bereits über den Tastaturenblock streichend. Kurz schloss ich die Augen. Das war nicht einfach nur eine Liste, die ich anfertigen würde. Das war eine Entscheidung, die ich treffen würde; die Grenzlinie, dich ich ziehen durfte. Mein minimales Mitbestimmungsrecht auf unserem seltsamen Weg, den ich schon seit meiner ersten Wiederkehr in den Park eingeschlagen hatte. Ich drehte mich nicht mehr um, weil ich das Verlassene nicht mehr betrachten wollte.
„Gummimaskenmann…“, murmelte und kicherte dümmlich. Jetzt, nach diesem klärenden Gespräch, nach den beruhigenden Worten, war ich in der Lage, selbst ein wenig über mich zu lachen, diese Ängste von meiner Seele wegzuschieben, sie zuzuordnen und sie mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Und dieser Gedankenzug wurde zum ersten Punkt auf meiner Liste. Ich zückte den Kuli.
- Stichwort Rubber: Ich will keine Gummimasken oder sonstigen Kopfbedeckungen tragen, die mir den Mund und die Augen zudecken - und keine Ganzkörperanzüge
Der erste Punkt eines Papiers, das Wichtigkeit erreichen sollte.
Ich stürzte mich erneut in die Recherche und gab Begrifflichkeiten ein, die mir schon bei meinem vorigen Stöbern aufgefallen und im Kopf geblieben waren.
- Richtiges Bloodplay
- Saliromanie bzw. Scat
Nein, ich konnte mir keine Toilettenspielchen vorstellen. „Der Sklave wird als Toilette von seinem Herren / seiner Herrin benutzt.“ Vielleicht waren meine Vorstellungen von dem kommenden Sexleben mit Christopher bereits „verquert“ und für manche „seltsam“ – aber dass mich Kot oder Urin an Kleidung, Körper – oder im Mund – erregen könnte; nein. Ein widerlicher Schauer kroch meinen Rücken hinunter. Das wollte ich mir einfach nicht näher vorstellen. Ich bezweifelte zwar, dass Christopher darauf stand, aber ich sollte schließlich alles aufschreiben.
Das war sein Befehl.
Dass mein „Fleisch“ nicht zur sexuellen Befriedigung an andere Master „verliehen“ werden konnte, hatten wir bereits geklärt.
Ich fordere absolute Loyalität von dir. Und ich kann dich auch versprechen, dass auch ich dir absolut treu sein werde, verstanden?
Das hatte er mir im Bistro bei unserem ersten gemeinsamen Frühstück als Pärchen gesagt…
Ich surfte weiter, dachte nach, schrieb.
- Zwangsjacken
- Klinikspiele
- Branding
- Messerspielchen, Cutting
- degradierende Beleidigungen
- öffentliche Vorführungen
Und dann blieb ich auf einer besonderen Amateurseite hängen. Über verschiedene Bondage-Termini war ich zu ihre gelangt, musterte die kleinen Videobeispiele, die man kostenlos abrufen konnte, sich vor die Augen führte; lediglich ein paar Minuten, das Maximum: zehn. Ich schluckte.
Der Sklave: ein junger Mann mit zarter Haut und ausgeprägten Bauchmuskeln, komplett rasiert; die Arme mit einem hellen, weißen Seil in komplizierten Knoten und Windungen über die Brust, Schultern, Oberarme, Hals hinter den Rücken gebunden. Die Beine: gespreizt, ein Seil jeweils die Unterschenkel an die Oberschenkel bindend, keine Möglichkeit, die Beine zu strecken. Ein schwarzer Lederriemen um seinen Hoden gebunden. Sein Geschlecht: hart wie ein Felsen. Und der Master? Er umfasste den Hodensack, drückte zu – und begann zu schlagen. Mit der bloßen Hand. Zuerst langsam, in großen Abständen, dann wiederum schneller, bis sein Sklave jaulte; wieder langsam, Streicheleinheiten. Zuckerbrot und Peitsche. Dieser Begriff wurde mir durch diese Zuwendungen so deutlich. Der Sklave empfand enorme Pein; er schrie, wimmerte, jaule. Aber er stöhnte auch, keuchte, seufzte. Er wand sich, bäumte sich auf, zitterte.
Er kam.
Allein vom Schmerz, die die schlagende Hand seines Masters, verursacht hatte.
Video vorbei.
Noch mal.
CBT – Cock and Ball Torture.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, wie viele kurze Clips dieser Art ich mir vor die Augen führte. Es war wie eine langsam erwachende Sucht, ein gieriges Verlangen, das ich zu stillen versuchte.
Ich fasste mich an.
Das war… es war phänomenal.
Wieso war ich vorher nie auf solche Praktiken aufmerksam geworden?
Weil ich nie den richtigen Partner hatte.
Meine Augen fanden den Weg zur Uhrzeitanzeige. Ich erschrak. Es war beinahe 14 Uhr. Ich griff zum Telefon.
„Hallo Niko“, grüßte mich Christopher, dieses Mal umgehend nach dem ersten Freizeichen. Hatte er meinem Anruf etwa entgegengefiebert?
„Hi…“, murmelte ich etwas heiser und musste mich räuspern.
„Ist deine Liste fertig?“, fragte er direkt.
Ich nickte und mir fiel auf, dass er diese Geste doch gar nicht sehen konnte. „Nein. Äh. Doch! Ja. Ja, sie ist fertig.“
„Was denn jetzt?“, kam es etwas patzig. O Gott, dieser Emotionswechsel. Herrlich!
„Sie ist fertig. Christopher.“
„Gut.“
Er wollte noch etwas hinzufügen, aber die Worte strömten einfach so aus meinem Mund: „Kommst du heute vorbei, um sie dir anzusehen?“
Klang ich flehend?
Er schmunzelte. Eine Weile schwieg er. „Eigentlich wollte ich dir Zeit für dich allein geben, weil du ja doch etwas überfordert schienst von der ganzen Sache… Aber scheinbar habe ich das falsch eingeschätzt.
„Ja, hast du!“
„Halt den Mund!“
Diese barsche Stimme.
„Ich komme heute um 18 Uhr vorbei“, verkündete er dann schon etwas milder.
Dieser Wechsel…
„Falls du deine Meinung ändern solltest und doch lieber allein sein willst, sag mir einfach Bescheid. Ich bin dir dann auch nicht böse, wir können auch einfach erstmal nur miteinander telefonieren, okay?“
„Okay.“
Ich änderte meine Meinung nicht.
Stattdessen verfasste ich eine andere Liste. Eine JA-Liste. Eine Liste mit Dingen, die mich fasziniert hatten auf meiner virtuellen Suche. Die Tatsache, dass ich jene Praktiken in Zukunft tatsächlich durchleben würde, wirkte plötzlich gar nicht mehr abschreckend, so wie sie es gestern sporadisch noch getan hatte; sie wirkte betörend, irgendwie… berauschend.
- CBT
- Spanking
- Cum-Control
- Bondage im Allgemeinen
- Peitschen, Flogger, Rohrstocke, aufblasbare Knebel
- Reizstrom
- Pet-Play
Ich starrte auf den Bildschirm. Die beiden Listen. Ich schwitze, obwohl ich mich nicht bewegt hatte. Ich war außer Atem, obschon ich nicht gerannt war. Es war halb sechs. Eine halbe Stunde. In einer halben Stunde würde er wieder hier sein.
Mein fester Freund.
Mein Herr.
Mein Master.
Christopher.
Und unser Weg würde konkreter werden…
„Was bitte lenkt dich jetzt schon wieder ab?!“, erklingt die barsche Stimme in der Gegenwart. Erst jetzt bemerke ich, dass ich in meinen Gedanken schon wieder viel zu weit abgedriftet bin, dass die Bewerbung noch nicht vollends steht, dass ich weiter tippen muss. Ich will antworten, da reißt Christopher meinen Kopf hinten, seine Finger in mein Haar vergraben. „Was?!“, blafft er, seine kalten Augen auf mir ruhend.
„Ich hab mich an etwas erinnert!“, antworte ich gehorsam.
„An was?“, hakt er langgezogen nach.
„An meine Liste von No-Gos…“, meine ich kleinlaut. Er lässt ab von mir. Langsam richte ich meinen Kopf wieder nach vorne, den Augenkontakt nicht brechend. Christopher grinst. Eine Mischung aus Wärme und Arroganz.
„Ahhh“, macht er. „Die Liste…“
Wir schmunzeln beide.
„Du warst wirklich erpicht darauf, deinen Schwanz von mir verprügelt zu bekommen…“, raunt er und beginnt, mit einer Haarsträhne von mir zu spielen, sie zwischen seinen Fingern zu zwirbeln.
„…das bin ich noch immer…“, wispere ich rau zurück und beuge mich vor, will unsere Münder kollidieren lassen, seinen Duft einsaugen, meine Zunge über seinen Muskel streichen lassen; dieser Welt für einen kurzen Moment entfliehen und mich meinen düsteren Gedankengängen völlig hingeben. Aber das lässt Herr Lang nicht zu.
Unsanft pralle ich mit meinem Gesicht auf die Schreibtischplatte, seine Hand meinen Kopf brüsk dagegen drückend; sein Mund direkt an meinem Ohr flüstert er beängstigend: „Erst machst du diese verdammten Schreiben fertig… Dann, und nur wenn mir danach ist, werde ich mich deiner annehmen, Sklave. Kapiert, Niko?!“
„Ja, Christopher!“, wimmere ich. Meine Hose ist viel zu eng, das Kribbeln weitet sich aus.
„Gut“, meint er knapp. Dann erhebt er sich. „Den Rest schaffst du allein.“
Er ist fort.
Ich tippe.
Und ich weiß: Später wird ihm danach sein…
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Ich bedanke mich ganz herzlich für ALLE Kommentare :)
Kapitel 19 ist schon begonnen.
Alle Updates: http://twitter.com/#!/SummoningIsis
Uuuuuuuund, ich hab euch CHRISTOPHER "gemalt": http://twitpic.com/3qx9uw ^^
Fragen an "Chris": http://www.formspring.me/LangChristopher