Dem Wahnsinn so nah
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German › Books
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Adult ++
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Disclaimer:
I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
Prolog - Der ?berfall
Prolog - Der Überfall
Augen. Überall Augen und sie spähten glühend rot aus der Finsternis hervor.
„Drow! Wir werden angegriffen!“, erklang ein Schrei durch die finstere Nacht.
„Lauft um Eurer Leben!“, ertönte die nächste Stimme.
Handir hörte die lauten Rufe, die das Unheil verkündeten denn sie rissen ihn aus seinem Schlaf. Plötzlich hellwach zog der Elf eilig seine Kleidung über, nahm den Waffengürtel samt Schwert, der über einer Stuhllehne hing und stürmte hinaus ins Freie. Der Mondelf Handir Dyneren stand vor seiner kleinen Behausung mitten im Mondwald. Er schnallte sich den Gürtel um und schaute in das Durcheinander von fliehenden Mondelfen vor sich. Viele Elfen rannten um ihr Leben. Schreie hallten durch die dunkle Nacht. Kinder weinten und wieder ertönte die Warnung. „Wir werden angegriffen. Es sind Drow!“
Der Alptraum hat begonnen, war Handirs erster Gedanke, als er über die Lage nachdachte. Erst in den letzten Zehntagen hatten er, der Hauptmann der Soldaten der kleinen Siedlung und seine Männer, des Öfteren Dunkelelfenaktivitäten in diesem Abschnitt ihrer Heimat entdeckt. Doch niemand, nicht mal die Ältesten und Weisen seines Clans rechneten jemals mit einem Überfall. Sie hatten sich geirrt, das Schreckensszenario fand gerade statt, direkt vor seinen Augen.
„Ihr wolltet mir nicht glauben, jetzt werden die Unschuldigen für eure Nachlässigkeit ihr Leben lassen“, fluchte Handir leise vor sich hin.
Er zog sein Schwert aus der Scheide und rannte mitten ins Geschehen. Eine junge Mondelfe schrie neben ihm laut auf. Als sich der Krieger Handir umdrehte, stand vor ihm ein Drow. Unheil verkündend leuchteten dessen Augen rot und er rief etwas, was der Soldat nicht verstand. Offensichtlich in seiner eigenen Sprache. Der Ton und die Art und Weise, wie der Feind sprach ließen die Worte nur eine Aussage zu - Tod. Der Feind zog sein Langschwert aus dem Körper der Elfe heraus, die augenblicklich leblos zu Boden sank und stürzte sich einen Atemzug später auf Handir. Beide Waffen trafen aufeinander. In einem schnellen Tanz wirbelten die Schwerter durch die Luft. Stahl schabte an Stahl und die Funken stoben durch die ungeheure Kraft davon. Einige Minuten gaben sich der Mondelf und der Drow dem Rhythmus des Kampfes hin. Der Takt war ihr eigener Herzschlag als Handir plötzlich durch die Wucht eines gut durchgeführten Schlages das Gleichgewicht verlor. Als nächstes erblickte er über sich die glühenden, vor Mordgier funkelnden Augen seines Gegners, dann raste der Schmerz durch seinen Körper. Etwas Hartes traf den Mondelfen am Kopf. Warmes Blut begann ihm jäh an der Schläfe herunter zu laufen und alles um ihn fing an wie wild zu wirbeln. Dann verblassten die Bilder und Geräusche, während Handir in eine tiefe Ohnmacht fiel.
Schreie, immer wieder Schreie. Sie stürmten von oben, unten, von den Seiten auf ihn herab, drangen beständig auf ihn ein. Handir hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Doch statt zu verebben, wurden die lauten Rufe intensiver. Er schloss die Augen und als er sie wieder öffnete sah er vor sich einen hellen Schein. Instinktiv wurde er davon angezogen. Er lief darauf zu ohne zu wissen, was es war. Immer näher kam er dem Schein. Er musste blinzeln.
Handir öffnete seine Augen und rings um ihn herrschte Finsternis. Dann folgte ein heftiger Schmerz. Der Krieger versuchte sich zu bewegen und die Pein durchzuckte seinen Körper und schüttelte ihn. Wenigstens bin ich nicht tot, war der erste Gedanke, der ihn ergriff und so versuchte der Mondelf sich erneut zu bewegen. Doch er konnte es nicht. Einige Augenblicke später wurde er sich bewusst, dass er an Händen und Füßen gefesselt war. Ein Knebel steckte in seinem Mund. Der Kopf schmerzte und er spürte getrocknetes Blut auf der Stirn und an seinen Schläfen. Wo bin ich nur?
Dann erinnerte sich Handir zurück. Unser Clan wurde von Drow überfallen, ich war auf dem Schlachtfeld und dann gab es nur noch Dunkelheit. Durch seine Erfahrungen als Soldat wusste er, dass er zwar nicht tot war, aber im Mondwald schien er auch nicht zu sein. Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Die Dunkelelfen hatten ihn wohl niedergeschlagen, ihn gefesselt und geknebelt und mit ins Unterreich mitgenommen.
Ein Feuerschein kam plötzlich näher und Handir musste kurz die Augen schließen, um sich von der vollkommenen Finsternis an das hell wirkende Licht zu gewöhnen. Als er seine Lider erneut öffnete, stand ein Drow über ihn gebeugt. In seiner eigenen Sprache sagte er etwas zu ihm, was er nicht verstand, kurz darauf war er verschwunden und die brennende Fackel, die dieser gehalten hatte, ebenfalls. Erneut Dunkelheit. Handir versuchte seine Hände und Füßen zu bewegen, doch die Fesseln saßen fest. Alles in ihm fühlte sich taub an. Seine Gedanken schweiften über diese neue, unerwartete Situation, bis ihm klar wurde, dass sie ihn höchstwahrscheinlich als Sklave in ihre eigene Stadt bringen würden. Die Panik wollte ihn ergreifen, doch er musste Ruhe bewahren. Wenn er sich ruhig verhielt, dann würde er wenigstens den Weg durch das tiefe Unterreich überleben. Doch wenn er sich zu Wehr setzten würde, dann konnte es ihn sein Leben kosten. Handir wollte nicht sterben, er wollte zurück zu seinem Clan. Er versuchte sich auszumalen, ob die anderen es geschafft hatten, dem Angriff der Dunkelelfen zu entkommen und wenn ja, wo sie sich nun versteckt hielten.
Weitere Tage vergingen, doch für den Elfen schienen Jahre vergangen zu sein. Handir Dyneren wurde zusammen mit einigen anderen Kriegern seines Clans durch das Unterreich gebracht. Die Sklaven, wie er richtig erkannt hatte, waren in einem kleinen Wagen mit Gitterstäben zusammen gepfercht, während die Drow sich durch die finsteren, wilden Wege und große Kavernen bewegten. Sie hielten nur zur Nachtruhe an, wie Handir annahm, denn in der undurchdringlichen Dunkelheit konnte er nichts erkennen, noch wusste er, ob es Tag oder Nacht war. Zur Erleichterung der Mondelfen, trugen einige Drow brennende Fackeln, obwohl dieses Unterfangen gefährlich war, da die Lichtquelle Kreaturen des Unterreiches anlocken konnte, doch die gefangenen Krieger hatten so ein wenig Licht zur Verfügung. Viele von seinen Kameraden überkam eine plötzliche Panikattacke und am Ende lagen sie wie ein Häuflein Elend zusammengekauert in einer Ecke des Wagens und jammerten.
Die Reise verlief jedoch ereignislos. Nach über zwei Zehntagen erspähten die Gefangenen die glühenden Lichter einer unterirdischen Stadt. Eine riesige Höhle dehnte sich in der Finsternis aus. Je näher die Drow zusammen mit ihren Gefangenen kamen, desto heller wurde es. Handir, der immer auf dem Glauben war, dass Dunkelelfen in absoluter Dunkelheit lebten, wurde nun eines besseren belehrt. Die zentrale Höhle vor ihnen erstrahlte in einem dämmrig, bläulich-weißen Licht und es erinnerte Handir an den Mond der Oberfläche, der von kleinen Wolken verdeckt werden würde. Drei große Gebäude erstreckten sich im hinteren Teil hoch über die ganze Stadt. Rechts und Links davon ragten große Burgen aus dem Fels der Höhle hervor. Seltsamerweise auch Bäume. Nicht Bäume, wie er sie aus dem Mondwald kannte. Sie wirkten etwas kleiner, trugen glänzende Blätter und leuchteten im Blau der Höhlendecke. Was er nicht wusste, die Drow der Stadt Eryndlyn hatten eine eigene Baumart gezüchtet, die durch magisches Licht und die Wärme des Unterreiches nach oben wuchsen und gediehen. Weiter unten zweigten einige kleinere Höhlen ab, in denen sich einfachere Häuser befanden, wenig prunkvoll wie die auf dem erhöhten Sockel. In der Mitte lagen ebenfalls Behausungen, doch diese ähnelten eher öffentlichen Gebäuden. Die Gruppe aus Drowsoldaten und dem Wagen mit den Sklaven, passierte ein großes, hell erleuchtetes Stadttor, das von mehreren Wachen beschützt wurde.
Wo haben mich die Bestien nur hinverschleppt, dachte Handir, als die vielen, neuen Eindrücke sich in sein Gedächtnis brannten. Je weiter sie in die Stadt vordrangen, desto geschäftiger wurden die Straßen. Vorbei an Tavernen, Gasthäuser und Märkten. Vielerlei Rassen huschten durch die Straßen, Orks, Goblins, Hobgoblins, Grauzwerge, Menschen und sogar einige Elfen der Oberfläche. Doch der größte Teil der Bevölkerung schien, nicht wie in anderen Städten der Drow, aus Dunkelelfen zu bestehen. Noch während sich der Hauptmann Handir darüber Gedanken machte, hielt der Wagen abrupt an und einer der Wachmänner rief einen Befehl. Handir konnte durch die Gitterstäbe erkennen, dass ein schmächtiger Drow, in eine dunkle Robe gehüllt, flankiert von mehreren Kriegern, sich auf den Wagen mit den Gefangenen zu bewegte. In einer Hand hielt er eine magisch erleuchtete Fackel. Die Dunkelelfen sprachen in ihrer eigenen Sprache und nach mehreren Minuten und einer heftigen Diskussion schienen sie sich einig zu sein. Die Elfenkrieger aus dem Mondwald wurden aus dem engen Wagen gescheucht. Jeder der selbstständig laufen konnte, half jemand anderem, der durch die anstrengende Reise keine Kraft mehr besaß, auf eigenen Beinen zu stehen. Alle mussten sich in einer Reihe aufstellen und der Drow mit der Robe stolzierte auf und ab. Beim dritten Mal deutete er mit seiner ausgestreckten Hand auf einige Elfen, zu denen auch Handir gehörte. Verstehen konnte er kein einziges Wort, aber ihm war klar, dass es sich um einen Sklavenhändler handelte. Nachdem er fünf von insgesamt zwanzig Gefangenen ausgesucht hatte, konnte der Elf mit anschauen, wie ein prall gefüllter Beutel mit Edelsteinen den Besitzer wechselte. Während die restlichen fünfzehn Männer zurück in den Wagen getrieben wurden, blieb Handir mit den Ausgesuchten stehen.
Ein lauter Knall ertönte plötzlich hinter ihm und als er sich umdrehte, stand dort ein grimmig aussehender Dunkelelf, mit einer Peitsche in der Hand. Beim nächsten Schnalzen traf er den Rücken des Kriegers. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seinen Körper, doch er biss sich auf die Lippen, um keinen Laut von sich zu geben. Nach wenigen Momenten wurden sie in ein nahe stehendes Gebäude getrieben. Das Licht der Decke erschien angenehm und obwohl Handir die Sprache nicht verstand, vermittelte das Leuchten ein wenig seiner geliebten Oberfläche. Die Furcht vor dem Unbekannten lastete seit Anfang der Reise schwer auf ihm und wurde verstärkt, als er sich nun in einer großen, dunklen Zelle wieder fand. Im Gang erhellten zwei Fackeln die Finsternis, Gitterstäbe trennten die Gefangenen von der Freiheit und alle Rassen schienen vertreten zu sein. Handir verkroch sich in eine dunkle Ecke der Zelle und versuchte sich an die neue Situation zu gewöhnen. Sein Körper war durch die Strapazen ebenfalls geschwächt, wie bei all den anderen, doch er wollte sich nicht die Blöße geben und so blieb er noch lange wach, bis die Müdigkeit ihn übermannte. Der Krieger dachte über alles nach, was ihm zugestoßen war, seit der Überfall stattgefunden hatte. Doch eine Tatsache wunderte ihn am meisten, hier gab es mehr Licht als er jemals annahm, wenn es sich auch um magisch erzeugte Helligkeit handelte. Niemand konnte es ihm erklären. Nur eines brachte der Elf in Erfahrung, dass er sich kilometerweit von seiner Heimat entfernt befand, mitten in der unterirdischen Stadt Eryndlyn. Eine der Städte der Drow, die sich im Norden Faerûns befand. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, es war ein traumloser Schlaf, bis ein Drowsoldat mit einer Peitsche knallte und die neuen Gefangenen hinaus auf den Gang und in einen weiteren Raum führte. Dort bekam jeder der Neuen von einem Schmied ein angepasstes Halsband umgelegt und Handir war sich im Klaren, dass nun ein Leben als Sklave soeben den Anfang genommen hatte.
Eine weitere Woche verbrachte der einstige Mondelfenkrieger in dieser stinkenden Zelle, zusammen mit vielen anderen Sklaven, als er an einem Morgen zeitig mit einigen anderen Gefangenen auf den Sklavenmarkt von Eryndlyn gebracht wurde. Die vergangenen Tage verliefen ereignislos und bestanden die meiste Zeit aus Schlafen und Grübeln. Doch von einem seiner Mitgefangenen erfuhr Handir, dass diese Drow ein wenig seltsam gegenüber ihrem großen Konkurrenten Menzoberranzan zu sein schienen. Viele adlige Häuser beherbergten Elfen der Oberfläche, die als Soldaten in die Gemeinschaft eingegliedert werden würden. Diese Neuigkeit versetze den Krieger in Aufregung. Vielleicht lag in dieser Tatsache ja der Weg in die Freiheit.
Auf dem Sklavenmarkt angekommen, verbrachten der Mondelfenkrieger und seine Leidensgenossen, zusammen eingepfercht den Morgen in einem kleinen Käfig, am Rand des Marktes, der kaum genug Platz für die Insassen aufwies. Handir, der nur langsam mit seinem neuen Leben zu Recht kam, jedoch keine Möglichkeit fand, aus dieser Situation zu fliehen, versuchte alles so zu akzeptieren, wie es sich bot. Hatte er überhaupt eine andere Wahl, sich seinem neuen Schicksal zu stellen? Er liebte sein Leben und er wollte es nicht verlieren, nicht als Krieger und erst recht nicht als ein einfacher Sklave. Er machte sich große Vorwürfe, dass er nicht härter bei seinem Clan durchgegriffen hatte, um die unheilvolle Katastrophe zu verhindern. Aber die Zeit ließ sich nicht mehr zurück drehen, jetzt gab es vermutlich kaum noch lebende Elfen in der Siedlung und die, welche es bewerkstelligt hatten sich vor den Drow zu verstecken oder zu fliehen, konnten froh sein, mit dem eigenen Leben davon gekommen zu sein. Niemand seines Clans würde ihn suchen oder befreien, er musste versuchen, das Beste daraus zu machen.
Während Handir in den eigenen Gedanken versank, spazierte unbemerkt eine Drowfrau an dem Käfig mit dem Mondelfen vorbei. Es handelte sich um eine hoch gewachsene Frau mit langen, schneeweißen Haaren, die kunstvoll zu Zöpfen geflochten und um ihren wohlgeformten Kopf hochgesteckt waren. Ihre Augen leuchteten in einem sanften Bernstein. Die Lippen schienen voll und glänzend. Chalithra, so hieß sie. Chalithra, die erste Tochter aus dem Haus Myt’tarlyl, zweites Haus in der unterirdischen Stadt Eryndlyn und Anhänger Vhaerauns. Letzteres nichts Ungewöhnliches in der Stadt, in der Lolth- und Vhaeraunanbeter ihren Glauben, anders als in Menzoberranzan – die Stadt Lolths – ausleben konnten. Jedoch für öffentliche Bekenntnisse ein zu prekäres Thema, als dass es den Bürgern von Eryndlyn erlaubt gewesen wäre, frei und ungezwungen ihren Glauben ohne Beobachtung auszuüben. Auch wenn jeder der Adligen und das hohe Konzil wussten, welche Gottheit in der Hauskapelle verehrt wurde, war es Privat und sollte auch so behandelt werden. Einzig und alleine der Zusammenhalt bei etwaigen Überfällen und die gemeinschaftliche Verteidigung wurde groß geschrieben. Die Gottesdienste und Gebete blieben im Inneren der herrschenden Häuser.
Chalithra schlenderte ruhig und gelassen über den Sklavenmarkt, obwohl sie nicht vorhatte, heute einen neuen Sklaven oder andere Dinge für sich selbst zu erwerben. Es war ein Zeitvertreib für sie, so wie manch andere Drowfrauen ihren eigenen Interessen nachgingen. Als sie jedoch am äußeren Bezirk des Marktes ankam, bemerkte sie augenblicklich die gefangenen Mondelfen.
Neue Sklaven, dachte sie sofort und ihr fiel ein, dass ihr Vater letzte Woche von einem Überfall eines Drowkommandos sprach, die Elfenkrieger mitgebracht hatten. Einer von ihnen erregte plötzlich ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Ein Oberflächenelf, mit langen, schwarzen Haaren, breiten Schultern und wohlgeformten Muskeln an Armen, Beinen und Brust erweckte ein Gefühl in ihr, dass sie nur selten anderen Männern, ob Drow oder Elfen entgegen brachte.
Mit ihren 250 Jahren war sie noch jung, aber nicht unerfahren. Besonders die Anhängerschaft von Tarlyn, ihrem Vater, zu Vhaeraun, setzte voraus, dass sie nicht wie andere Töchter zu einer Hohepriesterin Lolths ausgebildet wurde, sondern eher die untergeordnete Rolle einer Tochter des Hauses einnahm, wenn auch die Erste.
Tarlyn Myt’tarlyl, der Patriarch des Hauses Myt’tarlyl. Er herrschte über den Besitz, die Adligen und Bürgerlichen des Hausrates, sowie über die Priesterschaft und Magier, welche ebenfalls ihren festen Bestandteil im Haus innehatten. Die Rolle der Frauen diente lediglich zu einem Zweck, das zweite Haus zu repräsentieren. Da Waerva, die verstorbene Mutter Oberin und Ehefrau von Tarlyn schon vor mehr als 20 Jahren bei einem Überfall auf Eryndlyn nicht mehr unter ihnen weilte, nahm Chalithra die Position ihrer Mutter ein. Ihre jüngere Schwester Iymril, 220 Jahre alt, sowie ihr älterer Bruder Kalanzar, gehörten zur restlichen adligen Familie. Ihr Bruder, bereits 350 Jahre alt, würde dem Vater in der Position des Vaterpatrons folgen, doch dieser sollte sich noch viele Jahrzehnte der Aufgabe als Waffenmeister widmen, bevor ihn dieses Privileg zu eigenen werden würde.
Chalithras Gedanken schweiften plötzlich um die neuen Sklaven dieser Woche und als sie den Mondelfen in dem kleinen Käfig, heimlich aus den Augenwinkeln beobachtete, konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben und aus einer fernen Ecke hinüber zu schielen. Ich wusste gar nicht, dass Mondelfen so attraktiv ausschauen können, schmunzelte sie in sich hinein. Sie beobachtete aufgeregt, wie der Elf still und zurückgezogen in einer Ecke des Pferches auf dem Boden saß und seinen Gedanken nachhing. Einige Zeit verstrich, doch sie verflog wie im Fluge, als Chalithra hinter sich Schritte vernahm. Erschrocken drehte sie sich herum und erkannte einige Meter von ihrem Versteck aus entfernt, wie sechs Soldaten, ein Sklavenaufseher und zwei Gefolgsmänner aus einem kleinen Gebäude spazierten. Einer der Männer trug eine magisch beleuchtete Fackel in der Hand, das bläulich-weiße Licht flimmerte hell, jedoch nicht grell in den Augen der Dunkelelfe. Sie zog sich weiter in ihren Schlupfwinkel zurück, da sie nicht gesehen werden wollte und beobachtete jetzt neugieriger den je, was sich wohl bald abspielen sollte. Lange musste Chalithra nicht warten. Der Sklavenaufseher rief im Oberflächendialekt, den Chalithra so gut wie jeder in ihrem Haus verstand, dass die Mondelfen herausgebracht und aneinander gekettet werden sollten.
Gesagt getan und Handir wurde durch das laute Gebrüll des Drow und dessen dominanten Befehle aus seinen Grübeleien gerissen. Die Tür zum Käfig öffnete sich und zwei Dunkelelfen mit Peitschen in der Hand, ließen sie unheilsvoll auf dem Boden knallen. Durch den unterirdischen Fels der großen Höhle von Eryndlyn hallten die Schläge wie Donner in den Ohren Handirs wider. Er wich gekonnt den Hieben aus und raffte sich so schnell wie möglich von dem harten Fußboden auf. Der Elf und seine Mitgefangenen beeilten sich und standen nur kurze Momente später in Reih und Glied vor dem kleinen Käfig. Ihnen wurden Hand- und Fußfesseln angelegt und diese mit einer großgliedrigen Kette aneinander gebunden. Wenn jetzt jemand aus der Gruppe fliehen wollte, dann nur in Begleitung mit den anderen Sklaven und auf Kosten ihres Lebens. Denn niemand konnte ohne den anderen laufen, außer in kleinen, kurzen Schritten.
„Los, ihr Abschaum“, trieb sie einer der Gefolgsmänner des Sklavenhändlers an und holte zu einem erneuten Peitschenknall aus, wobei er erneut in der Sprache der Oberfläche redete.
Handir und seine Mitgefangenen zuckten kurz zusammen, dann bewegte sich die kleine Gruppe auf die Mitte des Sklavenmarktes zu.
Chalithra beobachtete immer noch aufmerksam und konnte dabei ihren Blick nicht von dem hübschen Mondelfen mit den langen, schwarzen Haaren lassen. Was ist nur mit mir los, fragte sich die Drow und schüttelte irritiert ihren Kopf. In sicherem Abstand folgte sie dem Sklavenhändler und seiner Ware und kam unmittelbar kurze Zeit später an dem großen Podest an, auf dem die Sklaven zu kaufen sein würden. Chalithra mischte sich unter die anderen Drow, hauptsächlich adlige Männer, die auf der Suche nach geeigneten Arbeitern zu sein schienen oder auf gute Beute aus waren. Die Drowfrau fiel in dieser großen Ansammlung von Bürgern dieser Stadt nicht sonderlich auf.
Angespannt wartete sie mit den restlichen Dunkelelfen, die als mögliche Käufer in Betracht kamen. Sie musterte wie beiläufig auch die anderen Sklaven und bekundete hier, mal da ihr Interesse. Doch der wahre Grund, der schwarzhaarige Mondelf von heute Morgen konnte sie nicht ignorieren und ging ihr nicht aus dem Kopf. Was ist nur mit mir heute los, du bist doch sonst nicht wie eine räudige Hündin?
Nach über einer Stunde im dichten Gedränge auf dem Sklavenmarkt, wurden die Krieger als Letztes nach oben auf das Podest geschleift.
„Adlige, Bürger, hört mich an“, übertönte plötzlich die Stimme des Auktionators die laute Geräuschkulisse des Sklavenmarktes und verschaffte sich mit seiner strengen Stimme sofort wieder die Aufmerksamkeit der umherstehenden Käuferschaft. „Hier präsentiere ich Euch Krieger, doch nicht irgendwelche Kämpfer. Nein, meine Mitbürger, es sind Mondelfenkrieger.“
Ein Raunen ging durch die Menge und das Interesse richtete sich vollkommen auf die letzte Gruppe von Sklaven, Handir und seine Mitgefangenen. Als die Drow der Stadt Eryndlyn alle begutachtet hatten, wurde auch schon das erste Gebot laut. Ein etwas rundlich wirkender Dunkelelf mit kurz geschorenen Haaren und einer dunklen Tunika bot bereits hundert Goldstücke für Handir. Darauf folgte das nächste Angebot und Chalithra, die ein Leben lang von Diener und Sklaven umgeben war, fühlte sich mit einmal Mal nicht wohl in ihrer Haut. Sie wusste jedoch nicht warum. Nur eines schien ihr sicher, sie spürte ein gewisses Verlangen an dem schwarzhaarigen Mondelfen. Eine unerwartete Möglichkeit, ein Gefühl von Intimität rauschte mit einem Mal durch ihre Adern. Ihr Herz raste, wie sie es niemals gekannt hatte. Das Interesse wurde größer und so zog Chalithra eilig ihre Geldbörse hervor und durchsuchte deren Inhalt. Zweihundert Goldmünzen klimperten im Inneren. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht und dann zögerte sie auch nicht lange und bot für das Objekt ihrer Neugier. Während der Auktion konnte sie mit ansehen, wie der Mondelf verunsichert das Geschehen verfolgte. Teils aus Grund der sprachlichen Hürden, auf der anderen Seite wohl deswegen, weil eine Drowfrau sich an der Versteigerung beteiligte. Am Ende hatte Chalithra gewonnen und für ihr Gold den Mondelf namens Handir gekauft. Ein ungeheures Glücksgefühl kam ihn ihr auf.
Nach einer weiteren halben Stunde bezahlte die erste Tochter des Hauses Myt’tarlyl den Preis und hielt unmittelbar danach eine Eisenkette in der Hand, die an dem Halsband des Elfen befestigt war. Seine Kleidung bestand lediglich aus einer schmutzigen, schwarze Lederhose. Weder Stiefel noch Hemd trug er am Leib. Er beäugte mit einer Mischung aus Abscheu, Unverständlichkeit und wohl auch aus Hass seine neue Herrin. In seinem Gesicht stand der Unglaube, wobei er jedoch nicht wie es sich geziemen sollte, den Kopf senkte. Umso überraschter sah er Chalithra an, als sie ihn in einwandfreiem Oberflächendialekt nach seinem Namen fragte und dabei sanft lächelte. Nicht ein hinterhältiges Grinsen, dass zu jemanden ihrer gefährlichen Rasse passen würde, sondern herzlich und freundlich.
„Ich …ich“, begann Handir, brach jedoch ab ohne ein weiteres Wort sagen zu können und überlegte. Er hatte das Gefühl nicht zu wissen, was er denken oder fühlen sollte. Es erschien ihm alles wie ein Traum, ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Vielleicht bin ich doch schon tot und …, da wurde er aus seinen Gedanken gerissen.
„Du wolltest mir deinen Namen verraten, Elf“, sprach die Drowfrau mit sanfter Stimme höflich und musterte ihn dabei sorgfältig. In ihrem Gesicht stand geschrieben, dass sie diese Worte bereits schon einige Male wiederholt haben musste ohne eine Antwort zu erhalten.
Betreten und beschämt, sich von ihrem Verhalten aus der Fassung bringen zu lassen, setzte Handir erneut an, „Mein Name lautet Handir. Handir Dyneren, Herrin“, flüsterte er mit kalter Stimme, um der Frau nicht gleich einen Grund für eine sinnlose Handlung zu bieten.
„Handir“, sann Chalithra nach und erneut huschte ein Lächeln über ihre Lippen. „Das ist ein wirklich sehr schöner Name, mein Hübscher. Du hast Glück, dass ich heute hier war, sonst wärst du wohl bei einem dieser Arbeitertrupps wie deine Kameraden gekommen. Krieger sind wohl begehrt und jemanden von deiner Statur kommt denen recht“, erklärte Chalithra in einem Plauderton, als würde sie mit einem neuen Freund sprechen.
Handir musterte die Frau aus den Augenwinkeln heraus, während er zwei Schritte hinter ihr herlief und versuchte mit seinen Beinfesseln das Tempo zu halten, um nicht über die eigenen Füße zu stolpern. Die Drow besaß eine äußerst attraktive Figur, wie er bei genauerem Hinschauen bemerkte. Schmale Schultern, einen wohlgeformten Rücken, eine schmale Taille sowie lange Beine, die unter ihrem Gewand hervor lugten. Ihre weißen Haare waren prunkvoll in Zöpfen um ihren Kopf gelegt und wirkten auf Handir mit einmal Mal sehr anziehend.
Was hat diese Dunkelelfe nur an sich, fragte sich der Mondelf, während er immer noch hinter ihr Schritt hielt. Wer ist sie und wo wird sie mich hinbringen? Auf jeden Fall ist sie niemand, der einen Arbeiter sucht, sondern wohl lieber eine der Frauen, die Liebe sucht. Noch viele Fragen wirbelten durch seinen Kopf und er schien überrascht, dass der Weg beide nach oben zu den prachtvollen Adelshäusern, führte. Hinauf auf die Anhöhen dieser Stadt, zu den adligen Häusern von Eryndlyn, wie er nur wenige Tage zuvor erfahren hatte.
Als sie vor einem großen Anwesen standen, hörte er seine neue Herrin etwas in der Sprache der Drow sagen. Die Wachen am Haupteingang machten platz und plötzlich standen die beiden in einem prächtigen Innenhof. Zwei große Gebäude zierten die hintere Wand, sie leuchteten ebenfalls in einem bläulich-weißen Licht und verliehen dem Grundstück eine angenehme und friedliche Atmosphäre. Auf beiden Seiten, rechts und links, erstreckten sich ebenfalls kleinere Häuser, die wie die anderen Gebäude in fluoreszierendes Licht getaucht waren.
Auf schnellem Weg überquerte Handir mit der Dunkelelfe den Hof und verschwand im Schlepptau in einem der hinteren Häuser.
Im Laufe des Tages erfuhr der ehemalige Mondelfen Krieger Handir Dyneren, wer und was die Drowfrau darstellte, die ihn nun ebenfalls auf fremde Weise faszinierte. Wenn er es nicht besser wüsste, dann hätte er bereits zu diesem Zeitpunkt behaupten können, diese Drow hegte anderweitiges Interesse an ihm, mehr als den Mann, als einfachen Sklaven oder Soldaten in den Haushalt des Hauses Myt’tarlyl einzugliedern.
Handir wurde in die Obhut des Dieners Sabrar gegeben, der seinem Herrn Tarlyn Myt’tarlyl loyal und zufrieden stellend folgte, wie auch den anderen Mitgliedern der Adelsfamilie. Der ehemalige Kämpfer wurde in einem Seitengebäude, den so genannten Soldatenquartiere eingebunden und war mehr als nur erstaunt, dass er nicht der einzige Oberflächenelf hier zu sein schien. Einige weitere Goldelfen, sowie auch Wildelfen reihten sich in die kleine Gruppe von auswärtigen Kämpfern ein und ihnen standen sogar eigene Kammern zur Verfügung. Mit diesem überraschendem Anblick hatte Handir nicht gerechnet, noch jemals davon geträumt, als er noch vor einigen Tagen durch das wilde Unterreich hier her gebracht worden war.
Zur gleichen Zeit stand Chalithra geduldig vor ihrem Vater, der sie mit argwöhnischen, rot glühenden Augen betrachtete.
„Meine Tochter, seit wann bist du so edelmütig und verständnisvoll, wenn es um die Belange der Soldaten geht?“, fragte Tarlyn seine älteste Tochter, die kurz nach ihrem Ausflug vom Sklavenmarkt Bericht erstattete.
„Mein Patron ...“, schmunzelte sie ihn an, „man sollte Gelegenheiten beim Schopf packen“.
„Dein Bruder Kalanzar könnte sich durchaus freuen.“
„Mein Bruder interessiert mich nicht“, antwortete Chalithra hitzköpfig und hoffte, schnell aus dem Verhör entlassen zu werden. Auch wenn sie ihrem Vater den gehörigen Respekt entgegen brachte und ihn als Oberhaupt der Familie betrachtete, konnte sie nicht mit seinem manchmal aufbrausenden Temperament umgehen.
Wie auf Kommando oder vielleicht las er auch ihr Unbehangen von ihren Gesichtszügen ab, entließ er sie mit einem Wink. Erleichtert atmete die älteste Tochter auf und verschwand eilig in ihren eigenen Gemächern. Sie wurde von ganz anderen Gedanken beherrscht.
Chalithra öffnete die Tür und betrat ein einladend, großräumiges Wohnzimmer. Auf der Fensterseite, die sich direkt gegenüber dem Eingang erstreckte, stand ein reichlich gedeckter Tisch mit allerlei Speisen aus dem Unterreich, sowie auch Gerichten von der Oberfläche. Eine warme Suppe dampfte in einem Teller und erfüllte ihr Zimmer mit dessen Duft. Eine Dienerin eilte herbei und lud ihre Herrin zum Mahl ein. Kurze Momente später ließ sich die Dunkelelfe nieder, schickte alle aus ihren Gemächern und sann gedankenversunken über den aufregenden Morgen nach.
Handir, wie schön doch sein Name klingt, dachte Chalithra. Wieso hat er mich eigentlich so in Beschlag genommen. Was hat dieser Elf an sich, dass mich andere niemals zuvor sehen gelassen haben? Bei diesen Worten schaute sie auf den vollen Teller, rümpfte ihre Nase und schob ihn zur Seite. In ihrem Inneren entstand das wunderschöne und attraktive Gesicht des Mondelfen. Seine blauen Augen fixierten ihren Körper und ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Ihr Blick aus dem Tagtraum musterte den muskulösen Elfen. Seine Arme, hart wie Stahl und braungebrannt spannten sich an, er rückte näher zu ihr heran und nahm sie in eine sanfte Umarmung. Seine Hände streichelten ihren nackten Rücken und berührten spielerisch ihre langen Haare. Sein Körper schmiegte sich an ihren Leib und beide zitterten vor den intimen Berührungen. Ihre Lippen trafen aufeinander, seine Zunge spielte mit ihrer und mit einem lauten Stöhnen kehrte Chalithra plötzlich wieder zurück in die Wirklichkeit.
Alles nur ein Traum, schoss es ihr durch den Kopf. Oder vielleicht doch die Wahrheit? Was ist nur los mit mir? So viele Fragen auf einmal und keine Antwort darauf. Heute Morgen bin ich aufgestanden, ein Tag wie jeder andere in dieser Stadt und aus Langeweile heraus, ging ich spazieren. Vielleicht Schicksal, vielleicht aber nur Zufall und mein Weg führte mich zu dem Sklavenmarkt. Niemals zuvor war ich dort alleine und schon gar nicht würde ich für meinen Vater Soldaten erstehen. Was also hatte mich zu Handir gebracht?
Mit einmal kam ihr ein Gedanke, einer, von dem sie nie geglaubt hatte, dass so etwas überhaupt möglich wäre. Erneut stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie rief nach ihren Dienerinnen. Sie wies sie an, sie für einen wunderschönen Abend vorzubereiten. Danach brachte eine ihrer Zofen die Botschaft an den Hauptmann der Soldaten, dass der Mondelf Handir sich später am Abend in ihren Gemächern einzufinden hätte. Als die Vorbereitungen für dieses plötzliche Treffen gerade im vollen Gange waren, überkamen sie neue Gedanken. Ich muss es herausfinden. Doch was ist, wenn er nicht das ist, was mir mein Schicksal vorherbestimmt hat? Was wird mein Vater sagen, wenn ich ihm mein persönliches Interesse an dem Elfen verrate? Aber immerhin war es Tarlyn doch, der ihr schon Jahrzehnte predigte, die Vermischung der Elfenrassen hätte die höchste Priorität. Vhaerauns Dogma und dieses schicksalhafte Treffen müssen vorherbestimmt gewesen sein. Nur das konnte der wahre Grund sein. Je mehr sie diesen Gedanken nachhing, und sich beim Frisieren lassen im Spiegel beobachtete, desto stärker wurde ihre Aufregung vor dem Abend. Was würde der Elf sagen, wenn er von den tiefsten Gefühlen und Wünschen einer Tochter eines Drowadelshauses hörte. Immerhin war er heute Morgen noch ein eingepferchter Sklave und jetzt war er bereits ein Mitglied der Soldaten des zweiten Hauses Myt’tarlyl. Konnte man ihm klar machen, dass ihm hier in diesem Haus nichts passieren würde? Kannte er den Gott Vhaeraun, der Sohn von Corellon – das Oberhaupt des elfischen Pantheons von Arvandor – und der größte Widersacher Lolths? Oder würde er sich verschließen und ihr nicht die Möglichkeit geben, dass sie sich erklären konnte. Vielleicht bin ich auch zu voreilig und überstürze die Ereignisse, sagte sie zu sich selbst. Auf einen Versuch kommt es immerhin an und was wäre das Leben – vor allem das eines Drow – wenn er es zumindest nicht probieren würde. Das Leben steckt voller Geheimnisse, Hindernissen und hohen und tiefen Hürden. Dann erschien wieder sein Gesicht vor ihren Augen und ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Ein Kribbeln schoss durch ihre Adern und ein angenehmer Schauer ließ ihre Haut prickeln. Bald ist es soweit, bald werde ich die Wahrheit wissen, sagte sich Chalithra und ein freudiges Lächeln umspielte ihre Lippen.
Zwei Stunden später war der Augenblick gekommen und Chalithra konnte endlich erfahren, was sie den ganzen Tag so beschäftigt hatte. Sie kannte das Gefühl der Liebe, aber auch das körperliche Verlangen nach einem Mann. Als sie Handir das erste Mal erblickte, war es zuerst ihre Neugier, dann ein Gefühl, dass beide Eigenschaften vermischte. Als es an der Tür zu ihren Privatgemächern klopfte, fing ihr Herz automatisch wie wild an zu rasen. Ihre treuste Dienerin öffnete und herein trat der Mondelf. Sein Aussehen hatte sich verändert, fiel der ersten Tochter des Hauses sofort auf. Seine Hand- und Fußfesseln waren entfernt, lediglich das eiserne Halsband umschloss noch seine Kehle. Die schmutzige Hose von heute Morgen war eingetauscht worden durch eine Uniform des Hauses. Eine schwarze Lederhose, dazu schwarze Lederstiefel und ein schwarzes Hemd zierte jetzt seinen muskulösen Körper. Auf dem Hemd prangte das Haussymbol – ein kreisrundes Symbol mit silbernen und goldenen Runen, in denen ein Langschwert steckte. Seine Haare, ordentlich gewaschen, gekämmt und zu einem strengen Zopf zusammen gebunden, rundeten das äußere Bild des attraktiven Elfen ab. Sein Blick ging zu Boden und obwohl sie seine Augen nicht sehen konnte, wusste sie, dass er keine Ahnung hatte, was er hier sollte. Doch er schien sich zu fügen, was würde ihm auch schon übrig bleiben, wenn er überleben wollte.
Als Handir so in der geöffneten Tür stand, befahl sie ihm, sich zu ihr zu begeben und schickte die Bediensten aus ihren Privatgemächern. Chalithra thronte gemächlich auf einem Samt überzogenen Diwan. Dann waren beide alleine und sie beobachtete den Mann nun jetzt genauer.
Die Stille, die sich in diesem Moment in dem Zimmer ausbreitete war zu viel für Handir. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass er sich seit Stunden in diesem Haus aufhielt, statt ein Sklave war er ein Soldat, war gewaschen, gekleidet und letztendlich eingeladen, die erste Tochter des Hauses zu beehren.
Ich dachte immer, ich würde viel über die Drow wissen, aber das ist nicht so, sagte sich der Krieger immer wieder, während er nur da stand und angespannt wartete, dass die Frau vor ihm sich äußerte, was dieses Treffen zu bedeuten hatte.
„Bitte trete näher“, flüsterte Chalithra plötzlich und machte den Elfen somit auf sich aufmerksam.
„Meine Herrin“, begann Handir zu antworten und konnte sich kaum noch zurückhalten, endlich die lang ersehnten Antworten auf seine Fragen zu bekommen.
„Nenn mich nicht Herrin. Mein Name ist Chalithra. Chalithra Myt’tarlyl“, sprach sie sanft und musterte dabei mit ihren bernsteinfarbenen Augen ihr Gegenüber.
Handir fühlte sich wie ein Junge. Obwohl ihr Ton sanft und anmutig klang und keine bösen Absichten verbarg, konnte er mit der ungewohnten Situation noch nichts anfangen.
„Bitte, setzt dich, Handir. Krieger der Mondelfen“, wies sie den Mann an.
Handir gehorchte und schritt langsam auf die Frau zu, die bequem in dem gepolsterten Diwan ruhte. Einen Moment zögerte er noch, dann nahm er Platz, wie sie ihn angewiesen hatte.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Heute ist dein Glückstag“. Freundlich lächelte sie ihn an und hoffte, dass sie nicht zu aufdringlich wirkte.
Doch was sich in dieser Nacht ereignete, war gerade erst der Anfang. Beide unterhielten sich. Handir erfuhr alles, was er wissen musste, über die Familie und seine neue Position. Des Weiteren lernte er mehr über das Wesen der Drow kennen und staunte über den Glauben des Hauses. Alles was er bis zu diesem Zeitpunkt über die Dunkelelfen - seine Verwandten und ruhelosen Mörder wusste - wurde mit einmal auf den Kopf gestellt. Er kannte Lolth und ihre tödlichen Priesterinnen und deren grauenhaftes Matriarchat. Doch hier erfuhr er, dass es auch anders ging. Nachdem die erste Hürde zwischen den Zweien hinter ihnen lag spürten beide eine gewisse Vertrautheit. Er schaute Chalithra an und sie blickte zu ihm herüber und beide tauschten hin und wieder ein freundliches Lächeln aus. Ihre Unterhaltung führte sie zu allen möglichen Themen und immer wieder kamen sie auf die Lebensweise in diesem Haus zurück. Handir konnte spüren, dass ihm hier keine Gefahr drohte und sein Leben, solange er es nicht im Kampf verlor, noch lange weiter gehen könnte ohne als geschundener Sklave eines Tages tot auf dem Boden zu liegen. Ihm wurde der nötige Respekt gegenüber dargebracht, wie er ihn von seinem Clan auf der Oberfläche kannte.
Im weiteren Verlauf des Abends wurde sich Chalithra immer sicherer, dass es das Schicksal gut mit ihr meinte. Es konnte kein Zufall sein, dass sie diesen Elfen erst heute Morgen kennen gelernt hatte und sich beide bestens unterhielten. Bis spät in die Nacht redeten sie und kamen sich dabei immer näher.
Nicht das man meinen konnte, dass Handir es aus höflicher Ehrfurcht tat, sondern weil diese Frau vor seinen Augen plötzlich eine seltsam anziehende Aura auf ihn wirkte. Das Gleiche spürte auch Chalithra und sie konnte es kaum glauben. Sie hatte sich Hals über Kopf in einen Elfen verliebt und er schien nicht abgeneigt zu sein ihre Gefühle zu erwidern.
In der gleichen Nacht lagen sich beide eng umschlungen in den Armen. Ihre Lippen liebkosten sich gegenseitig. Sie berührten einander zärtlich und streichelten sich sanft. Ihre Küsse wurden intensiver bis sich Chalithra und Handir ihrer plötzlich aufwallenden Leidenschaft hingaben.
Augen. Überall Augen und sie spähten glühend rot aus der Finsternis hervor.
„Drow! Wir werden angegriffen!“, erklang ein Schrei durch die finstere Nacht.
„Lauft um Eurer Leben!“, ertönte die nächste Stimme.
Handir hörte die lauten Rufe, die das Unheil verkündeten denn sie rissen ihn aus seinem Schlaf. Plötzlich hellwach zog der Elf eilig seine Kleidung über, nahm den Waffengürtel samt Schwert, der über einer Stuhllehne hing und stürmte hinaus ins Freie. Der Mondelf Handir Dyneren stand vor seiner kleinen Behausung mitten im Mondwald. Er schnallte sich den Gürtel um und schaute in das Durcheinander von fliehenden Mondelfen vor sich. Viele Elfen rannten um ihr Leben. Schreie hallten durch die dunkle Nacht. Kinder weinten und wieder ertönte die Warnung. „Wir werden angegriffen. Es sind Drow!“
Der Alptraum hat begonnen, war Handirs erster Gedanke, als er über die Lage nachdachte. Erst in den letzten Zehntagen hatten er, der Hauptmann der Soldaten der kleinen Siedlung und seine Männer, des Öfteren Dunkelelfenaktivitäten in diesem Abschnitt ihrer Heimat entdeckt. Doch niemand, nicht mal die Ältesten und Weisen seines Clans rechneten jemals mit einem Überfall. Sie hatten sich geirrt, das Schreckensszenario fand gerade statt, direkt vor seinen Augen.
„Ihr wolltet mir nicht glauben, jetzt werden die Unschuldigen für eure Nachlässigkeit ihr Leben lassen“, fluchte Handir leise vor sich hin.
Er zog sein Schwert aus der Scheide und rannte mitten ins Geschehen. Eine junge Mondelfe schrie neben ihm laut auf. Als sich der Krieger Handir umdrehte, stand vor ihm ein Drow. Unheil verkündend leuchteten dessen Augen rot und er rief etwas, was der Soldat nicht verstand. Offensichtlich in seiner eigenen Sprache. Der Ton und die Art und Weise, wie der Feind sprach ließen die Worte nur eine Aussage zu - Tod. Der Feind zog sein Langschwert aus dem Körper der Elfe heraus, die augenblicklich leblos zu Boden sank und stürzte sich einen Atemzug später auf Handir. Beide Waffen trafen aufeinander. In einem schnellen Tanz wirbelten die Schwerter durch die Luft. Stahl schabte an Stahl und die Funken stoben durch die ungeheure Kraft davon. Einige Minuten gaben sich der Mondelf und der Drow dem Rhythmus des Kampfes hin. Der Takt war ihr eigener Herzschlag als Handir plötzlich durch die Wucht eines gut durchgeführten Schlages das Gleichgewicht verlor. Als nächstes erblickte er über sich die glühenden, vor Mordgier funkelnden Augen seines Gegners, dann raste der Schmerz durch seinen Körper. Etwas Hartes traf den Mondelfen am Kopf. Warmes Blut begann ihm jäh an der Schläfe herunter zu laufen und alles um ihn fing an wie wild zu wirbeln. Dann verblassten die Bilder und Geräusche, während Handir in eine tiefe Ohnmacht fiel.
Schreie, immer wieder Schreie. Sie stürmten von oben, unten, von den Seiten auf ihn herab, drangen beständig auf ihn ein. Handir hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Doch statt zu verebben, wurden die lauten Rufe intensiver. Er schloss die Augen und als er sie wieder öffnete sah er vor sich einen hellen Schein. Instinktiv wurde er davon angezogen. Er lief darauf zu ohne zu wissen, was es war. Immer näher kam er dem Schein. Er musste blinzeln.
Handir öffnete seine Augen und rings um ihn herrschte Finsternis. Dann folgte ein heftiger Schmerz. Der Krieger versuchte sich zu bewegen und die Pein durchzuckte seinen Körper und schüttelte ihn. Wenigstens bin ich nicht tot, war der erste Gedanke, der ihn ergriff und so versuchte der Mondelf sich erneut zu bewegen. Doch er konnte es nicht. Einige Augenblicke später wurde er sich bewusst, dass er an Händen und Füßen gefesselt war. Ein Knebel steckte in seinem Mund. Der Kopf schmerzte und er spürte getrocknetes Blut auf der Stirn und an seinen Schläfen. Wo bin ich nur?
Dann erinnerte sich Handir zurück. Unser Clan wurde von Drow überfallen, ich war auf dem Schlachtfeld und dann gab es nur noch Dunkelheit. Durch seine Erfahrungen als Soldat wusste er, dass er zwar nicht tot war, aber im Mondwald schien er auch nicht zu sein. Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Die Dunkelelfen hatten ihn wohl niedergeschlagen, ihn gefesselt und geknebelt und mit ins Unterreich mitgenommen.
Ein Feuerschein kam plötzlich näher und Handir musste kurz die Augen schließen, um sich von der vollkommenen Finsternis an das hell wirkende Licht zu gewöhnen. Als er seine Lider erneut öffnete, stand ein Drow über ihn gebeugt. In seiner eigenen Sprache sagte er etwas zu ihm, was er nicht verstand, kurz darauf war er verschwunden und die brennende Fackel, die dieser gehalten hatte, ebenfalls. Erneut Dunkelheit. Handir versuchte seine Hände und Füßen zu bewegen, doch die Fesseln saßen fest. Alles in ihm fühlte sich taub an. Seine Gedanken schweiften über diese neue, unerwartete Situation, bis ihm klar wurde, dass sie ihn höchstwahrscheinlich als Sklave in ihre eigene Stadt bringen würden. Die Panik wollte ihn ergreifen, doch er musste Ruhe bewahren. Wenn er sich ruhig verhielt, dann würde er wenigstens den Weg durch das tiefe Unterreich überleben. Doch wenn er sich zu Wehr setzten würde, dann konnte es ihn sein Leben kosten. Handir wollte nicht sterben, er wollte zurück zu seinem Clan. Er versuchte sich auszumalen, ob die anderen es geschafft hatten, dem Angriff der Dunkelelfen zu entkommen und wenn ja, wo sie sich nun versteckt hielten.
Weitere Tage vergingen, doch für den Elfen schienen Jahre vergangen zu sein. Handir Dyneren wurde zusammen mit einigen anderen Kriegern seines Clans durch das Unterreich gebracht. Die Sklaven, wie er richtig erkannt hatte, waren in einem kleinen Wagen mit Gitterstäben zusammen gepfercht, während die Drow sich durch die finsteren, wilden Wege und große Kavernen bewegten. Sie hielten nur zur Nachtruhe an, wie Handir annahm, denn in der undurchdringlichen Dunkelheit konnte er nichts erkennen, noch wusste er, ob es Tag oder Nacht war. Zur Erleichterung der Mondelfen, trugen einige Drow brennende Fackeln, obwohl dieses Unterfangen gefährlich war, da die Lichtquelle Kreaturen des Unterreiches anlocken konnte, doch die gefangenen Krieger hatten so ein wenig Licht zur Verfügung. Viele von seinen Kameraden überkam eine plötzliche Panikattacke und am Ende lagen sie wie ein Häuflein Elend zusammengekauert in einer Ecke des Wagens und jammerten.
Die Reise verlief jedoch ereignislos. Nach über zwei Zehntagen erspähten die Gefangenen die glühenden Lichter einer unterirdischen Stadt. Eine riesige Höhle dehnte sich in der Finsternis aus. Je näher die Drow zusammen mit ihren Gefangenen kamen, desto heller wurde es. Handir, der immer auf dem Glauben war, dass Dunkelelfen in absoluter Dunkelheit lebten, wurde nun eines besseren belehrt. Die zentrale Höhle vor ihnen erstrahlte in einem dämmrig, bläulich-weißen Licht und es erinnerte Handir an den Mond der Oberfläche, der von kleinen Wolken verdeckt werden würde. Drei große Gebäude erstreckten sich im hinteren Teil hoch über die ganze Stadt. Rechts und Links davon ragten große Burgen aus dem Fels der Höhle hervor. Seltsamerweise auch Bäume. Nicht Bäume, wie er sie aus dem Mondwald kannte. Sie wirkten etwas kleiner, trugen glänzende Blätter und leuchteten im Blau der Höhlendecke. Was er nicht wusste, die Drow der Stadt Eryndlyn hatten eine eigene Baumart gezüchtet, die durch magisches Licht und die Wärme des Unterreiches nach oben wuchsen und gediehen. Weiter unten zweigten einige kleinere Höhlen ab, in denen sich einfachere Häuser befanden, wenig prunkvoll wie die auf dem erhöhten Sockel. In der Mitte lagen ebenfalls Behausungen, doch diese ähnelten eher öffentlichen Gebäuden. Die Gruppe aus Drowsoldaten und dem Wagen mit den Sklaven, passierte ein großes, hell erleuchtetes Stadttor, das von mehreren Wachen beschützt wurde.
Wo haben mich die Bestien nur hinverschleppt, dachte Handir, als die vielen, neuen Eindrücke sich in sein Gedächtnis brannten. Je weiter sie in die Stadt vordrangen, desto geschäftiger wurden die Straßen. Vorbei an Tavernen, Gasthäuser und Märkten. Vielerlei Rassen huschten durch die Straßen, Orks, Goblins, Hobgoblins, Grauzwerge, Menschen und sogar einige Elfen der Oberfläche. Doch der größte Teil der Bevölkerung schien, nicht wie in anderen Städten der Drow, aus Dunkelelfen zu bestehen. Noch während sich der Hauptmann Handir darüber Gedanken machte, hielt der Wagen abrupt an und einer der Wachmänner rief einen Befehl. Handir konnte durch die Gitterstäbe erkennen, dass ein schmächtiger Drow, in eine dunkle Robe gehüllt, flankiert von mehreren Kriegern, sich auf den Wagen mit den Gefangenen zu bewegte. In einer Hand hielt er eine magisch erleuchtete Fackel. Die Dunkelelfen sprachen in ihrer eigenen Sprache und nach mehreren Minuten und einer heftigen Diskussion schienen sie sich einig zu sein. Die Elfenkrieger aus dem Mondwald wurden aus dem engen Wagen gescheucht. Jeder der selbstständig laufen konnte, half jemand anderem, der durch die anstrengende Reise keine Kraft mehr besaß, auf eigenen Beinen zu stehen. Alle mussten sich in einer Reihe aufstellen und der Drow mit der Robe stolzierte auf und ab. Beim dritten Mal deutete er mit seiner ausgestreckten Hand auf einige Elfen, zu denen auch Handir gehörte. Verstehen konnte er kein einziges Wort, aber ihm war klar, dass es sich um einen Sklavenhändler handelte. Nachdem er fünf von insgesamt zwanzig Gefangenen ausgesucht hatte, konnte der Elf mit anschauen, wie ein prall gefüllter Beutel mit Edelsteinen den Besitzer wechselte. Während die restlichen fünfzehn Männer zurück in den Wagen getrieben wurden, blieb Handir mit den Ausgesuchten stehen.
Ein lauter Knall ertönte plötzlich hinter ihm und als er sich umdrehte, stand dort ein grimmig aussehender Dunkelelf, mit einer Peitsche in der Hand. Beim nächsten Schnalzen traf er den Rücken des Kriegers. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seinen Körper, doch er biss sich auf die Lippen, um keinen Laut von sich zu geben. Nach wenigen Momenten wurden sie in ein nahe stehendes Gebäude getrieben. Das Licht der Decke erschien angenehm und obwohl Handir die Sprache nicht verstand, vermittelte das Leuchten ein wenig seiner geliebten Oberfläche. Die Furcht vor dem Unbekannten lastete seit Anfang der Reise schwer auf ihm und wurde verstärkt, als er sich nun in einer großen, dunklen Zelle wieder fand. Im Gang erhellten zwei Fackeln die Finsternis, Gitterstäbe trennten die Gefangenen von der Freiheit und alle Rassen schienen vertreten zu sein. Handir verkroch sich in eine dunkle Ecke der Zelle und versuchte sich an die neue Situation zu gewöhnen. Sein Körper war durch die Strapazen ebenfalls geschwächt, wie bei all den anderen, doch er wollte sich nicht die Blöße geben und so blieb er noch lange wach, bis die Müdigkeit ihn übermannte. Der Krieger dachte über alles nach, was ihm zugestoßen war, seit der Überfall stattgefunden hatte. Doch eine Tatsache wunderte ihn am meisten, hier gab es mehr Licht als er jemals annahm, wenn es sich auch um magisch erzeugte Helligkeit handelte. Niemand konnte es ihm erklären. Nur eines brachte der Elf in Erfahrung, dass er sich kilometerweit von seiner Heimat entfernt befand, mitten in der unterirdischen Stadt Eryndlyn. Eine der Städte der Drow, die sich im Norden Faerûns befand. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, es war ein traumloser Schlaf, bis ein Drowsoldat mit einer Peitsche knallte und die neuen Gefangenen hinaus auf den Gang und in einen weiteren Raum führte. Dort bekam jeder der Neuen von einem Schmied ein angepasstes Halsband umgelegt und Handir war sich im Klaren, dass nun ein Leben als Sklave soeben den Anfang genommen hatte.
Eine weitere Woche verbrachte der einstige Mondelfenkrieger in dieser stinkenden Zelle, zusammen mit vielen anderen Sklaven, als er an einem Morgen zeitig mit einigen anderen Gefangenen auf den Sklavenmarkt von Eryndlyn gebracht wurde. Die vergangenen Tage verliefen ereignislos und bestanden die meiste Zeit aus Schlafen und Grübeln. Doch von einem seiner Mitgefangenen erfuhr Handir, dass diese Drow ein wenig seltsam gegenüber ihrem großen Konkurrenten Menzoberranzan zu sein schienen. Viele adlige Häuser beherbergten Elfen der Oberfläche, die als Soldaten in die Gemeinschaft eingegliedert werden würden. Diese Neuigkeit versetze den Krieger in Aufregung. Vielleicht lag in dieser Tatsache ja der Weg in die Freiheit.
Auf dem Sklavenmarkt angekommen, verbrachten der Mondelfenkrieger und seine Leidensgenossen, zusammen eingepfercht den Morgen in einem kleinen Käfig, am Rand des Marktes, der kaum genug Platz für die Insassen aufwies. Handir, der nur langsam mit seinem neuen Leben zu Recht kam, jedoch keine Möglichkeit fand, aus dieser Situation zu fliehen, versuchte alles so zu akzeptieren, wie es sich bot. Hatte er überhaupt eine andere Wahl, sich seinem neuen Schicksal zu stellen? Er liebte sein Leben und er wollte es nicht verlieren, nicht als Krieger und erst recht nicht als ein einfacher Sklave. Er machte sich große Vorwürfe, dass er nicht härter bei seinem Clan durchgegriffen hatte, um die unheilvolle Katastrophe zu verhindern. Aber die Zeit ließ sich nicht mehr zurück drehen, jetzt gab es vermutlich kaum noch lebende Elfen in der Siedlung und die, welche es bewerkstelligt hatten sich vor den Drow zu verstecken oder zu fliehen, konnten froh sein, mit dem eigenen Leben davon gekommen zu sein. Niemand seines Clans würde ihn suchen oder befreien, er musste versuchen, das Beste daraus zu machen.
Während Handir in den eigenen Gedanken versank, spazierte unbemerkt eine Drowfrau an dem Käfig mit dem Mondelfen vorbei. Es handelte sich um eine hoch gewachsene Frau mit langen, schneeweißen Haaren, die kunstvoll zu Zöpfen geflochten und um ihren wohlgeformten Kopf hochgesteckt waren. Ihre Augen leuchteten in einem sanften Bernstein. Die Lippen schienen voll und glänzend. Chalithra, so hieß sie. Chalithra, die erste Tochter aus dem Haus Myt’tarlyl, zweites Haus in der unterirdischen Stadt Eryndlyn und Anhänger Vhaerauns. Letzteres nichts Ungewöhnliches in der Stadt, in der Lolth- und Vhaeraunanbeter ihren Glauben, anders als in Menzoberranzan – die Stadt Lolths – ausleben konnten. Jedoch für öffentliche Bekenntnisse ein zu prekäres Thema, als dass es den Bürgern von Eryndlyn erlaubt gewesen wäre, frei und ungezwungen ihren Glauben ohne Beobachtung auszuüben. Auch wenn jeder der Adligen und das hohe Konzil wussten, welche Gottheit in der Hauskapelle verehrt wurde, war es Privat und sollte auch so behandelt werden. Einzig und alleine der Zusammenhalt bei etwaigen Überfällen und die gemeinschaftliche Verteidigung wurde groß geschrieben. Die Gottesdienste und Gebete blieben im Inneren der herrschenden Häuser.
Chalithra schlenderte ruhig und gelassen über den Sklavenmarkt, obwohl sie nicht vorhatte, heute einen neuen Sklaven oder andere Dinge für sich selbst zu erwerben. Es war ein Zeitvertreib für sie, so wie manch andere Drowfrauen ihren eigenen Interessen nachgingen. Als sie jedoch am äußeren Bezirk des Marktes ankam, bemerkte sie augenblicklich die gefangenen Mondelfen.
Neue Sklaven, dachte sie sofort und ihr fiel ein, dass ihr Vater letzte Woche von einem Überfall eines Drowkommandos sprach, die Elfenkrieger mitgebracht hatten. Einer von ihnen erregte plötzlich ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Ein Oberflächenelf, mit langen, schwarzen Haaren, breiten Schultern und wohlgeformten Muskeln an Armen, Beinen und Brust erweckte ein Gefühl in ihr, dass sie nur selten anderen Männern, ob Drow oder Elfen entgegen brachte.
Mit ihren 250 Jahren war sie noch jung, aber nicht unerfahren. Besonders die Anhängerschaft von Tarlyn, ihrem Vater, zu Vhaeraun, setzte voraus, dass sie nicht wie andere Töchter zu einer Hohepriesterin Lolths ausgebildet wurde, sondern eher die untergeordnete Rolle einer Tochter des Hauses einnahm, wenn auch die Erste.
Tarlyn Myt’tarlyl, der Patriarch des Hauses Myt’tarlyl. Er herrschte über den Besitz, die Adligen und Bürgerlichen des Hausrates, sowie über die Priesterschaft und Magier, welche ebenfalls ihren festen Bestandteil im Haus innehatten. Die Rolle der Frauen diente lediglich zu einem Zweck, das zweite Haus zu repräsentieren. Da Waerva, die verstorbene Mutter Oberin und Ehefrau von Tarlyn schon vor mehr als 20 Jahren bei einem Überfall auf Eryndlyn nicht mehr unter ihnen weilte, nahm Chalithra die Position ihrer Mutter ein. Ihre jüngere Schwester Iymril, 220 Jahre alt, sowie ihr älterer Bruder Kalanzar, gehörten zur restlichen adligen Familie. Ihr Bruder, bereits 350 Jahre alt, würde dem Vater in der Position des Vaterpatrons folgen, doch dieser sollte sich noch viele Jahrzehnte der Aufgabe als Waffenmeister widmen, bevor ihn dieses Privileg zu eigenen werden würde.
Chalithras Gedanken schweiften plötzlich um die neuen Sklaven dieser Woche und als sie den Mondelfen in dem kleinen Käfig, heimlich aus den Augenwinkeln beobachtete, konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben und aus einer fernen Ecke hinüber zu schielen. Ich wusste gar nicht, dass Mondelfen so attraktiv ausschauen können, schmunzelte sie in sich hinein. Sie beobachtete aufgeregt, wie der Elf still und zurückgezogen in einer Ecke des Pferches auf dem Boden saß und seinen Gedanken nachhing. Einige Zeit verstrich, doch sie verflog wie im Fluge, als Chalithra hinter sich Schritte vernahm. Erschrocken drehte sie sich herum und erkannte einige Meter von ihrem Versteck aus entfernt, wie sechs Soldaten, ein Sklavenaufseher und zwei Gefolgsmänner aus einem kleinen Gebäude spazierten. Einer der Männer trug eine magisch beleuchtete Fackel in der Hand, das bläulich-weiße Licht flimmerte hell, jedoch nicht grell in den Augen der Dunkelelfe. Sie zog sich weiter in ihren Schlupfwinkel zurück, da sie nicht gesehen werden wollte und beobachtete jetzt neugieriger den je, was sich wohl bald abspielen sollte. Lange musste Chalithra nicht warten. Der Sklavenaufseher rief im Oberflächendialekt, den Chalithra so gut wie jeder in ihrem Haus verstand, dass die Mondelfen herausgebracht und aneinander gekettet werden sollten.
Gesagt getan und Handir wurde durch das laute Gebrüll des Drow und dessen dominanten Befehle aus seinen Grübeleien gerissen. Die Tür zum Käfig öffnete sich und zwei Dunkelelfen mit Peitschen in der Hand, ließen sie unheilsvoll auf dem Boden knallen. Durch den unterirdischen Fels der großen Höhle von Eryndlyn hallten die Schläge wie Donner in den Ohren Handirs wider. Er wich gekonnt den Hieben aus und raffte sich so schnell wie möglich von dem harten Fußboden auf. Der Elf und seine Mitgefangenen beeilten sich und standen nur kurze Momente später in Reih und Glied vor dem kleinen Käfig. Ihnen wurden Hand- und Fußfesseln angelegt und diese mit einer großgliedrigen Kette aneinander gebunden. Wenn jetzt jemand aus der Gruppe fliehen wollte, dann nur in Begleitung mit den anderen Sklaven und auf Kosten ihres Lebens. Denn niemand konnte ohne den anderen laufen, außer in kleinen, kurzen Schritten.
„Los, ihr Abschaum“, trieb sie einer der Gefolgsmänner des Sklavenhändlers an und holte zu einem erneuten Peitschenknall aus, wobei er erneut in der Sprache der Oberfläche redete.
Handir und seine Mitgefangenen zuckten kurz zusammen, dann bewegte sich die kleine Gruppe auf die Mitte des Sklavenmarktes zu.
Chalithra beobachtete immer noch aufmerksam und konnte dabei ihren Blick nicht von dem hübschen Mondelfen mit den langen, schwarzen Haaren lassen. Was ist nur mit mir los, fragte sich die Drow und schüttelte irritiert ihren Kopf. In sicherem Abstand folgte sie dem Sklavenhändler und seiner Ware und kam unmittelbar kurze Zeit später an dem großen Podest an, auf dem die Sklaven zu kaufen sein würden. Chalithra mischte sich unter die anderen Drow, hauptsächlich adlige Männer, die auf der Suche nach geeigneten Arbeitern zu sein schienen oder auf gute Beute aus waren. Die Drowfrau fiel in dieser großen Ansammlung von Bürgern dieser Stadt nicht sonderlich auf.
Angespannt wartete sie mit den restlichen Dunkelelfen, die als mögliche Käufer in Betracht kamen. Sie musterte wie beiläufig auch die anderen Sklaven und bekundete hier, mal da ihr Interesse. Doch der wahre Grund, der schwarzhaarige Mondelf von heute Morgen konnte sie nicht ignorieren und ging ihr nicht aus dem Kopf. Was ist nur mit mir heute los, du bist doch sonst nicht wie eine räudige Hündin?
Nach über einer Stunde im dichten Gedränge auf dem Sklavenmarkt, wurden die Krieger als Letztes nach oben auf das Podest geschleift.
„Adlige, Bürger, hört mich an“, übertönte plötzlich die Stimme des Auktionators die laute Geräuschkulisse des Sklavenmarktes und verschaffte sich mit seiner strengen Stimme sofort wieder die Aufmerksamkeit der umherstehenden Käuferschaft. „Hier präsentiere ich Euch Krieger, doch nicht irgendwelche Kämpfer. Nein, meine Mitbürger, es sind Mondelfenkrieger.“
Ein Raunen ging durch die Menge und das Interesse richtete sich vollkommen auf die letzte Gruppe von Sklaven, Handir und seine Mitgefangenen. Als die Drow der Stadt Eryndlyn alle begutachtet hatten, wurde auch schon das erste Gebot laut. Ein etwas rundlich wirkender Dunkelelf mit kurz geschorenen Haaren und einer dunklen Tunika bot bereits hundert Goldstücke für Handir. Darauf folgte das nächste Angebot und Chalithra, die ein Leben lang von Diener und Sklaven umgeben war, fühlte sich mit einmal Mal nicht wohl in ihrer Haut. Sie wusste jedoch nicht warum. Nur eines schien ihr sicher, sie spürte ein gewisses Verlangen an dem schwarzhaarigen Mondelfen. Eine unerwartete Möglichkeit, ein Gefühl von Intimität rauschte mit einem Mal durch ihre Adern. Ihr Herz raste, wie sie es niemals gekannt hatte. Das Interesse wurde größer und so zog Chalithra eilig ihre Geldbörse hervor und durchsuchte deren Inhalt. Zweihundert Goldmünzen klimperten im Inneren. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht und dann zögerte sie auch nicht lange und bot für das Objekt ihrer Neugier. Während der Auktion konnte sie mit ansehen, wie der Mondelf verunsichert das Geschehen verfolgte. Teils aus Grund der sprachlichen Hürden, auf der anderen Seite wohl deswegen, weil eine Drowfrau sich an der Versteigerung beteiligte. Am Ende hatte Chalithra gewonnen und für ihr Gold den Mondelf namens Handir gekauft. Ein ungeheures Glücksgefühl kam ihn ihr auf.
Nach einer weiteren halben Stunde bezahlte die erste Tochter des Hauses Myt’tarlyl den Preis und hielt unmittelbar danach eine Eisenkette in der Hand, die an dem Halsband des Elfen befestigt war. Seine Kleidung bestand lediglich aus einer schmutzigen, schwarze Lederhose. Weder Stiefel noch Hemd trug er am Leib. Er beäugte mit einer Mischung aus Abscheu, Unverständlichkeit und wohl auch aus Hass seine neue Herrin. In seinem Gesicht stand der Unglaube, wobei er jedoch nicht wie es sich geziemen sollte, den Kopf senkte. Umso überraschter sah er Chalithra an, als sie ihn in einwandfreiem Oberflächendialekt nach seinem Namen fragte und dabei sanft lächelte. Nicht ein hinterhältiges Grinsen, dass zu jemanden ihrer gefährlichen Rasse passen würde, sondern herzlich und freundlich.
„Ich …ich“, begann Handir, brach jedoch ab ohne ein weiteres Wort sagen zu können und überlegte. Er hatte das Gefühl nicht zu wissen, was er denken oder fühlen sollte. Es erschien ihm alles wie ein Traum, ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Vielleicht bin ich doch schon tot und …, da wurde er aus seinen Gedanken gerissen.
„Du wolltest mir deinen Namen verraten, Elf“, sprach die Drowfrau mit sanfter Stimme höflich und musterte ihn dabei sorgfältig. In ihrem Gesicht stand geschrieben, dass sie diese Worte bereits schon einige Male wiederholt haben musste ohne eine Antwort zu erhalten.
Betreten und beschämt, sich von ihrem Verhalten aus der Fassung bringen zu lassen, setzte Handir erneut an, „Mein Name lautet Handir. Handir Dyneren, Herrin“, flüsterte er mit kalter Stimme, um der Frau nicht gleich einen Grund für eine sinnlose Handlung zu bieten.
„Handir“, sann Chalithra nach und erneut huschte ein Lächeln über ihre Lippen. „Das ist ein wirklich sehr schöner Name, mein Hübscher. Du hast Glück, dass ich heute hier war, sonst wärst du wohl bei einem dieser Arbeitertrupps wie deine Kameraden gekommen. Krieger sind wohl begehrt und jemanden von deiner Statur kommt denen recht“, erklärte Chalithra in einem Plauderton, als würde sie mit einem neuen Freund sprechen.
Handir musterte die Frau aus den Augenwinkeln heraus, während er zwei Schritte hinter ihr herlief und versuchte mit seinen Beinfesseln das Tempo zu halten, um nicht über die eigenen Füße zu stolpern. Die Drow besaß eine äußerst attraktive Figur, wie er bei genauerem Hinschauen bemerkte. Schmale Schultern, einen wohlgeformten Rücken, eine schmale Taille sowie lange Beine, die unter ihrem Gewand hervor lugten. Ihre weißen Haare waren prunkvoll in Zöpfen um ihren Kopf gelegt und wirkten auf Handir mit einmal Mal sehr anziehend.
Was hat diese Dunkelelfe nur an sich, fragte sich der Mondelf, während er immer noch hinter ihr Schritt hielt. Wer ist sie und wo wird sie mich hinbringen? Auf jeden Fall ist sie niemand, der einen Arbeiter sucht, sondern wohl lieber eine der Frauen, die Liebe sucht. Noch viele Fragen wirbelten durch seinen Kopf und er schien überrascht, dass der Weg beide nach oben zu den prachtvollen Adelshäusern, führte. Hinauf auf die Anhöhen dieser Stadt, zu den adligen Häusern von Eryndlyn, wie er nur wenige Tage zuvor erfahren hatte.
Als sie vor einem großen Anwesen standen, hörte er seine neue Herrin etwas in der Sprache der Drow sagen. Die Wachen am Haupteingang machten platz und plötzlich standen die beiden in einem prächtigen Innenhof. Zwei große Gebäude zierten die hintere Wand, sie leuchteten ebenfalls in einem bläulich-weißen Licht und verliehen dem Grundstück eine angenehme und friedliche Atmosphäre. Auf beiden Seiten, rechts und links, erstreckten sich ebenfalls kleinere Häuser, die wie die anderen Gebäude in fluoreszierendes Licht getaucht waren.
Auf schnellem Weg überquerte Handir mit der Dunkelelfe den Hof und verschwand im Schlepptau in einem der hinteren Häuser.
Im Laufe des Tages erfuhr der ehemalige Mondelfen Krieger Handir Dyneren, wer und was die Drowfrau darstellte, die ihn nun ebenfalls auf fremde Weise faszinierte. Wenn er es nicht besser wüsste, dann hätte er bereits zu diesem Zeitpunkt behaupten können, diese Drow hegte anderweitiges Interesse an ihm, mehr als den Mann, als einfachen Sklaven oder Soldaten in den Haushalt des Hauses Myt’tarlyl einzugliedern.
Handir wurde in die Obhut des Dieners Sabrar gegeben, der seinem Herrn Tarlyn Myt’tarlyl loyal und zufrieden stellend folgte, wie auch den anderen Mitgliedern der Adelsfamilie. Der ehemalige Kämpfer wurde in einem Seitengebäude, den so genannten Soldatenquartiere eingebunden und war mehr als nur erstaunt, dass er nicht der einzige Oberflächenelf hier zu sein schien. Einige weitere Goldelfen, sowie auch Wildelfen reihten sich in die kleine Gruppe von auswärtigen Kämpfern ein und ihnen standen sogar eigene Kammern zur Verfügung. Mit diesem überraschendem Anblick hatte Handir nicht gerechnet, noch jemals davon geträumt, als er noch vor einigen Tagen durch das wilde Unterreich hier her gebracht worden war.
Zur gleichen Zeit stand Chalithra geduldig vor ihrem Vater, der sie mit argwöhnischen, rot glühenden Augen betrachtete.
„Meine Tochter, seit wann bist du so edelmütig und verständnisvoll, wenn es um die Belange der Soldaten geht?“, fragte Tarlyn seine älteste Tochter, die kurz nach ihrem Ausflug vom Sklavenmarkt Bericht erstattete.
„Mein Patron ...“, schmunzelte sie ihn an, „man sollte Gelegenheiten beim Schopf packen“.
„Dein Bruder Kalanzar könnte sich durchaus freuen.“
„Mein Bruder interessiert mich nicht“, antwortete Chalithra hitzköpfig und hoffte, schnell aus dem Verhör entlassen zu werden. Auch wenn sie ihrem Vater den gehörigen Respekt entgegen brachte und ihn als Oberhaupt der Familie betrachtete, konnte sie nicht mit seinem manchmal aufbrausenden Temperament umgehen.
Wie auf Kommando oder vielleicht las er auch ihr Unbehangen von ihren Gesichtszügen ab, entließ er sie mit einem Wink. Erleichtert atmete die älteste Tochter auf und verschwand eilig in ihren eigenen Gemächern. Sie wurde von ganz anderen Gedanken beherrscht.
Chalithra öffnete die Tür und betrat ein einladend, großräumiges Wohnzimmer. Auf der Fensterseite, die sich direkt gegenüber dem Eingang erstreckte, stand ein reichlich gedeckter Tisch mit allerlei Speisen aus dem Unterreich, sowie auch Gerichten von der Oberfläche. Eine warme Suppe dampfte in einem Teller und erfüllte ihr Zimmer mit dessen Duft. Eine Dienerin eilte herbei und lud ihre Herrin zum Mahl ein. Kurze Momente später ließ sich die Dunkelelfe nieder, schickte alle aus ihren Gemächern und sann gedankenversunken über den aufregenden Morgen nach.
Handir, wie schön doch sein Name klingt, dachte Chalithra. Wieso hat er mich eigentlich so in Beschlag genommen. Was hat dieser Elf an sich, dass mich andere niemals zuvor sehen gelassen haben? Bei diesen Worten schaute sie auf den vollen Teller, rümpfte ihre Nase und schob ihn zur Seite. In ihrem Inneren entstand das wunderschöne und attraktive Gesicht des Mondelfen. Seine blauen Augen fixierten ihren Körper und ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Ihr Blick aus dem Tagtraum musterte den muskulösen Elfen. Seine Arme, hart wie Stahl und braungebrannt spannten sich an, er rückte näher zu ihr heran und nahm sie in eine sanfte Umarmung. Seine Hände streichelten ihren nackten Rücken und berührten spielerisch ihre langen Haare. Sein Körper schmiegte sich an ihren Leib und beide zitterten vor den intimen Berührungen. Ihre Lippen trafen aufeinander, seine Zunge spielte mit ihrer und mit einem lauten Stöhnen kehrte Chalithra plötzlich wieder zurück in die Wirklichkeit.
Alles nur ein Traum, schoss es ihr durch den Kopf. Oder vielleicht doch die Wahrheit? Was ist nur los mit mir? So viele Fragen auf einmal und keine Antwort darauf. Heute Morgen bin ich aufgestanden, ein Tag wie jeder andere in dieser Stadt und aus Langeweile heraus, ging ich spazieren. Vielleicht Schicksal, vielleicht aber nur Zufall und mein Weg führte mich zu dem Sklavenmarkt. Niemals zuvor war ich dort alleine und schon gar nicht würde ich für meinen Vater Soldaten erstehen. Was also hatte mich zu Handir gebracht?
Mit einmal kam ihr ein Gedanke, einer, von dem sie nie geglaubt hatte, dass so etwas überhaupt möglich wäre. Erneut stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie rief nach ihren Dienerinnen. Sie wies sie an, sie für einen wunderschönen Abend vorzubereiten. Danach brachte eine ihrer Zofen die Botschaft an den Hauptmann der Soldaten, dass der Mondelf Handir sich später am Abend in ihren Gemächern einzufinden hätte. Als die Vorbereitungen für dieses plötzliche Treffen gerade im vollen Gange waren, überkamen sie neue Gedanken. Ich muss es herausfinden. Doch was ist, wenn er nicht das ist, was mir mein Schicksal vorherbestimmt hat? Was wird mein Vater sagen, wenn ich ihm mein persönliches Interesse an dem Elfen verrate? Aber immerhin war es Tarlyn doch, der ihr schon Jahrzehnte predigte, die Vermischung der Elfenrassen hätte die höchste Priorität. Vhaerauns Dogma und dieses schicksalhafte Treffen müssen vorherbestimmt gewesen sein. Nur das konnte der wahre Grund sein. Je mehr sie diesen Gedanken nachhing, und sich beim Frisieren lassen im Spiegel beobachtete, desto stärker wurde ihre Aufregung vor dem Abend. Was würde der Elf sagen, wenn er von den tiefsten Gefühlen und Wünschen einer Tochter eines Drowadelshauses hörte. Immerhin war er heute Morgen noch ein eingepferchter Sklave und jetzt war er bereits ein Mitglied der Soldaten des zweiten Hauses Myt’tarlyl. Konnte man ihm klar machen, dass ihm hier in diesem Haus nichts passieren würde? Kannte er den Gott Vhaeraun, der Sohn von Corellon – das Oberhaupt des elfischen Pantheons von Arvandor – und der größte Widersacher Lolths? Oder würde er sich verschließen und ihr nicht die Möglichkeit geben, dass sie sich erklären konnte. Vielleicht bin ich auch zu voreilig und überstürze die Ereignisse, sagte sie zu sich selbst. Auf einen Versuch kommt es immerhin an und was wäre das Leben – vor allem das eines Drow – wenn er es zumindest nicht probieren würde. Das Leben steckt voller Geheimnisse, Hindernissen und hohen und tiefen Hürden. Dann erschien wieder sein Gesicht vor ihren Augen und ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Ein Kribbeln schoss durch ihre Adern und ein angenehmer Schauer ließ ihre Haut prickeln. Bald ist es soweit, bald werde ich die Wahrheit wissen, sagte sich Chalithra und ein freudiges Lächeln umspielte ihre Lippen.
Zwei Stunden später war der Augenblick gekommen und Chalithra konnte endlich erfahren, was sie den ganzen Tag so beschäftigt hatte. Sie kannte das Gefühl der Liebe, aber auch das körperliche Verlangen nach einem Mann. Als sie Handir das erste Mal erblickte, war es zuerst ihre Neugier, dann ein Gefühl, dass beide Eigenschaften vermischte. Als es an der Tür zu ihren Privatgemächern klopfte, fing ihr Herz automatisch wie wild an zu rasen. Ihre treuste Dienerin öffnete und herein trat der Mondelf. Sein Aussehen hatte sich verändert, fiel der ersten Tochter des Hauses sofort auf. Seine Hand- und Fußfesseln waren entfernt, lediglich das eiserne Halsband umschloss noch seine Kehle. Die schmutzige Hose von heute Morgen war eingetauscht worden durch eine Uniform des Hauses. Eine schwarze Lederhose, dazu schwarze Lederstiefel und ein schwarzes Hemd zierte jetzt seinen muskulösen Körper. Auf dem Hemd prangte das Haussymbol – ein kreisrundes Symbol mit silbernen und goldenen Runen, in denen ein Langschwert steckte. Seine Haare, ordentlich gewaschen, gekämmt und zu einem strengen Zopf zusammen gebunden, rundeten das äußere Bild des attraktiven Elfen ab. Sein Blick ging zu Boden und obwohl sie seine Augen nicht sehen konnte, wusste sie, dass er keine Ahnung hatte, was er hier sollte. Doch er schien sich zu fügen, was würde ihm auch schon übrig bleiben, wenn er überleben wollte.
Als Handir so in der geöffneten Tür stand, befahl sie ihm, sich zu ihr zu begeben und schickte die Bediensten aus ihren Privatgemächern. Chalithra thronte gemächlich auf einem Samt überzogenen Diwan. Dann waren beide alleine und sie beobachtete den Mann nun jetzt genauer.
Die Stille, die sich in diesem Moment in dem Zimmer ausbreitete war zu viel für Handir. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass er sich seit Stunden in diesem Haus aufhielt, statt ein Sklave war er ein Soldat, war gewaschen, gekleidet und letztendlich eingeladen, die erste Tochter des Hauses zu beehren.
Ich dachte immer, ich würde viel über die Drow wissen, aber das ist nicht so, sagte sich der Krieger immer wieder, während er nur da stand und angespannt wartete, dass die Frau vor ihm sich äußerte, was dieses Treffen zu bedeuten hatte.
„Bitte trete näher“, flüsterte Chalithra plötzlich und machte den Elfen somit auf sich aufmerksam.
„Meine Herrin“, begann Handir zu antworten und konnte sich kaum noch zurückhalten, endlich die lang ersehnten Antworten auf seine Fragen zu bekommen.
„Nenn mich nicht Herrin. Mein Name ist Chalithra. Chalithra Myt’tarlyl“, sprach sie sanft und musterte dabei mit ihren bernsteinfarbenen Augen ihr Gegenüber.
Handir fühlte sich wie ein Junge. Obwohl ihr Ton sanft und anmutig klang und keine bösen Absichten verbarg, konnte er mit der ungewohnten Situation noch nichts anfangen.
„Bitte, setzt dich, Handir. Krieger der Mondelfen“, wies sie den Mann an.
Handir gehorchte und schritt langsam auf die Frau zu, die bequem in dem gepolsterten Diwan ruhte. Einen Moment zögerte er noch, dann nahm er Platz, wie sie ihn angewiesen hatte.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Heute ist dein Glückstag“. Freundlich lächelte sie ihn an und hoffte, dass sie nicht zu aufdringlich wirkte.
Doch was sich in dieser Nacht ereignete, war gerade erst der Anfang. Beide unterhielten sich. Handir erfuhr alles, was er wissen musste, über die Familie und seine neue Position. Des Weiteren lernte er mehr über das Wesen der Drow kennen und staunte über den Glauben des Hauses. Alles was er bis zu diesem Zeitpunkt über die Dunkelelfen - seine Verwandten und ruhelosen Mörder wusste - wurde mit einmal auf den Kopf gestellt. Er kannte Lolth und ihre tödlichen Priesterinnen und deren grauenhaftes Matriarchat. Doch hier erfuhr er, dass es auch anders ging. Nachdem die erste Hürde zwischen den Zweien hinter ihnen lag spürten beide eine gewisse Vertrautheit. Er schaute Chalithra an und sie blickte zu ihm herüber und beide tauschten hin und wieder ein freundliches Lächeln aus. Ihre Unterhaltung führte sie zu allen möglichen Themen und immer wieder kamen sie auf die Lebensweise in diesem Haus zurück. Handir konnte spüren, dass ihm hier keine Gefahr drohte und sein Leben, solange er es nicht im Kampf verlor, noch lange weiter gehen könnte ohne als geschundener Sklave eines Tages tot auf dem Boden zu liegen. Ihm wurde der nötige Respekt gegenüber dargebracht, wie er ihn von seinem Clan auf der Oberfläche kannte.
Im weiteren Verlauf des Abends wurde sich Chalithra immer sicherer, dass es das Schicksal gut mit ihr meinte. Es konnte kein Zufall sein, dass sie diesen Elfen erst heute Morgen kennen gelernt hatte und sich beide bestens unterhielten. Bis spät in die Nacht redeten sie und kamen sich dabei immer näher.
Nicht das man meinen konnte, dass Handir es aus höflicher Ehrfurcht tat, sondern weil diese Frau vor seinen Augen plötzlich eine seltsam anziehende Aura auf ihn wirkte. Das Gleiche spürte auch Chalithra und sie konnte es kaum glauben. Sie hatte sich Hals über Kopf in einen Elfen verliebt und er schien nicht abgeneigt zu sein ihre Gefühle zu erwidern.
In der gleichen Nacht lagen sich beide eng umschlungen in den Armen. Ihre Lippen liebkosten sich gegenseitig. Sie berührten einander zärtlich und streichelten sich sanft. Ihre Küsse wurden intensiver bis sich Chalithra und Handir ihrer plötzlich aufwallenden Leidenschaft hingaben.