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Dem Wahnsinn so nah

By: Elbenstein
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Rating: Adult ++
Chapters: 47
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Disclaimer: I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
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25. Kap. Familienbande

25. Kapitel
Familienbande

Gleich am nächsten Morgen ging die Reise nach Eryndlyn sehr früh los. Nhaundar saß auf seiner Reitechse und ein kleiner Shar kauerte etwas verängstigt vor ihm im Sattel. Noch niemals in seinem Leben zuvor war der Junge auf solch einem Tier geritten und jetzt als er es tat, wünschte er sich, er würde es nicht tun. Es war hoch und er schaukelte immer wieder von einer Seite auf die andere. Gleichzeitig hob und senkte sich im Rhythmus der Schritte des Tieres Shars Magen, der sich dabei verkrampfte und ihm wurde ein wenig übel. Nhaundar hielt die Zügel in der einen Hand und mit der anderen fixierte er den jungen Halbdrow vor sich auf dem Sattel, damit dieser nicht hinunter fiel. Yazston und noch weitere zehn fähige Soldaten begleiteten den Sklavenhändler.
Doch jetzt zählte erst einmal das Neue und die absolut aufregende Reise nach Eryndlyn. Darüber vergaß Shar auch bald die aufkeimende Übelkeit.
Ihr Weg führte durch die noch nicht sehr belebten Straßen von Menzoberranzan und schließlich hinaus in den Mantel, der die Stadt mit seinen vielen Gängen und kleinen Kavernen umgab. Erst dahinter erstreckte sich das weite Unterreich und dessen Gefahren, die jedem Lebewesen drohte, dass sich alleine hinaus wagte.
Shar saß tapfer vor Nhaundar und beobachtete alles sehr genau. Er trug seinen Wollumhang, doch der Sklavenhändler verzichtete zu dieser frühen Stunde darauf, die Kapuze über den Kopf des Jungen zu stülpen. So hatte der junge Halbdrow eine gute Übersicht über die Soldaten und den Weg, der sich vor ihnen erstreckte. Die dunklen Gänge bereiteten Shar etwas Angst, denn hier gab es kein Licht mehr. Keine Fackel oder eine Kerze und selbst das fluorzierende Leuchten der Häuser von Menzoberranzan existierte hier nicht mehr. Übrig blieb nur die angeborene Wärmesicht, die bei Shar weniger ausgeprägt war, als bei dem Sklavenhändler und seinen Männern. Eingehüllt in die Finsternis ritten Nhaundar und der Junge flankiert von Soldaten in Richtung des Portals, das sie bis kurz vor die Stadtmauern von Eryndlyn bringen würde. Genau wie damals, als Handir von dem skrupellosen Sklavenhändler in die Stadt der Spinnenkönigin verschleppt wurde.
Kaum war die Gruppe im Mantel angekommen führte ihr Weg durch verlassene Gänge und einige Minuten später erreichten sie ihr Ziel. Das Portal stand in einer kleinen Nebenhöhle. Es maß einige Meter im Durchmesser. Zwei in die Höhe erstreckende Säulen umrahmten das Portal, so dass es als solches zu erkennen war. Viele unbekannte Runen waren in die Steinsäulen gemeißelt und deren Erschaffer lebten schon seit Jahrhunderten nicht mehr.
Nhaundar ritt zusammen mit Shar darauf zu. Die tiefblauen Augen des Jungen weiteten sich vor Erstaunen, denn niemals zuvor hatte er so etwas gesehen. Sein Herz klopfte vor Aufregung wild in seiner Brust, der Atem kam vor Nervosität schneller und er konnte kaum den Mund vor Staunen schließen. Der Sklavenhändler war jedoch nicht blind, noch konnte man ihm nachsagen, dass er nichts von der Gefühlsregung seines liebsten Schatzes spürte. Innerlich amüsierte sich der schmierige Dunkelelf über die kindliche Freude und dessen offensichtliche Aufgeregtheit, die der Halbdrow versprühte. Er streichelte kurzerhand den Kopf des Jungen, um ihn anschließend wieder an der Hüfte festzuhalten. Shar schien dies gar nicht wahrzunehmen, so fasziniert war er über das Neue. Was würde erst geschehen, wenn sie in Eryndlyn ankommen, dachte der Dunkelelf und musste instinktiv grinsen. Kurz wartete Nhaundar noch ab, vergewisserte sich, dass alle Männer um ihn herum versammelt waren und sprach die Worte, die er von Ranaghar gelernt hatte, um das Portal zu aktivieren. Ein blaues Glimmen erschien und wurde allmählich zu einem blau-weißen Leuchten. Mit einer kurzen Geste gab er den Soldaten das Kommando und unbeirrt schritten alle durch das Glühen hindurch, gefolgt von Nhaundars Reitechse. Ein kurzes Ziehen und eine Art Druckgefühl lastete für einige Sekunden auf der Reisegruppe, doch bevor diese erst einmal das Gefühl einordnen konnten, wurde es plötzlich wieder dunkel und es wirkte alles so, als wäre nie etwas passiert. Nhaundar und seine Männer waren plötzlich viele hunderte Kilometer von Menzoberranzan entfernt und standen unmittelbar in einer kleinen Seitenhöhle in der Nähe der Stadtmauer von Eryndlyn.
„Männer, haltet die Augen und Ohren offen. Ich möchte nicht eine unliebsame Überraschung erleben“, gab Nhaundar kurz angebunden den Befehl an Yazston und seine Männer.
Der Hauptmann antwortete mit einer kurzen Geste in der Zeichensprache der Drow und bestätigte damit die Anweisungen seines Herrn. Nur einige Momente später erteilte er an seine Soldaten weitere Befehle, sie sollten ausschwärmen und die vor ihnen liegende Umgebung genau auskundschaften, bevor sie weiter reisten.
Währenddessen verharrte Nhaundar zusammen mit Shar auf der Reitechse und beide mussten geduldig abwarten, bis Yazston den Weg freigab. Shar verstand nicht viel davon. Doch das auch ihm Gefahr bei einem möglichen Überfall drohte, dass war ihm klar. Er wünschte sich bereits jetzt schon, dass sie endlich weiter reiten konnten, vor allem aber auch, weil er wieder festen Boden unter seinen nackten Füßen spüren wollte. Er fühlte sich von Minute zu Minute unbehaglicher auf diesem Tier und das Staunen über die Reise durch das Portal war bereits wieder vergessen. So gut es ging, versuchte er sich an diese ungewöhnliche Fortbewegung zu gewöhnen und war innerlich froh, dass Nhaundar ihm half, dass er nicht aus dem Sattel rutschte.
„Bald haben wir es geschafft, mein Hübscher“, flüsterte sein Herr in sein Ohr und küsste ihn auf den Kopf.
Die Reaktion des jungen Halbdrow bestand lediglich in einem Nicken.

Nach einiger Zeit kamen die Späher zurück zu Nhaundar Xarann und berichteten, dass der Weg bis in die Stadt frei und ohne irgendwelche Zwischenfälle verlaufen würde. So setzte sich die kleine Reisegruppe erneut in Bewegung und einige Gänge später kamen sie aus der Finsternis des Unterreiches zu der Stadtmauer von Eryndlyn.
Shar erspähte schon von weitem die glühenden Lichter der unterirdischen Stadt. Eine riesige Höhle dehnte sich vor ihren Augen aus. Je näher sie kamen, desto heller wurde es. Die zentrale Höhle erstrahlte in einem dämmrig, bläulich-weißen Licht.
Drei große Gebäude erstreckten sich im hinteren Teil hoch über die ganze Stadt. Sie erinnerten Shar an Menzoberranzan, wo es fast so ähnlich ausschaute. Rechts und Links davon ragten große Burgen aus dem Fels der Höhle hervor. Seltsamerweise auch etwas, dass er niemals zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Es waren Bäume, aber nicht Bäume, wie sie jedermann von der Oberfläche kannte. Sie wirkten etwas kleiner, trugen glänzende Blätter und leuchteten im Blau der Höhlendecke. Die Drow der Stadt Eryndlyn hatten eine eigene Baumart gezüchtet, die durch magisches Licht und der Wärme des Unterreiches wuchsen und gediehen. Shar wusste nicht recht, was dieses Etwas darstellte, denn er kannte ja keine Vegetation von der Sonne beschienen Oberfläche. Er erinnerte sich lediglich an die Erzählungen von Handir und genau jetzt wurde er sich bewusst, dass sein Vater genau diese hier in seine Geschichten mit einfließen gelassen hatte. Sooft erzählte Handir damals von dem Reich über dem dunklen Felsen und von Shars Geburtsstadt und jetzt konnte er es endlich mit eigenen Augen erblicken. Der junge Halbdrow staunte nicht schlecht, aber sein Blick glitt unbeirrt über die fremde Stadt. Weiter vorne zweigten einige kleinere Höhlen ab, in denen sich einfachere Häuser befanden, wenig prunkvoll wie die auf dem erhöhten Sockel. In der Mitte lagen ebenfalls Behausungen, doch diese ähnelten eher öffentlichen Gebäuden. Die Gruppe aus Drowsoldaten und der Reitechse passierte ein großes, erleuchtetes Stadttor, das von mehreren Wachen beschützt wurde und sie ungehindert durchließen. Je weiter sie in die Stadt vordrangen, desto geschäftiger wurden die Straßen. Vorbei an Tavernen, Gasthäuser und Märkten. Vielerlei Rassen huschten durch die Straßen, Orks, Goblins, Hobgoblins, Grauzwerge, Menschen und sogar einige Elfen der Oberfläche, die meisten davon Sklaven oder Händler. Es schien fast so, als hätten sie nie Menzoberranzan verlassen.
Ihr Weg führte sie tief in die Stadt hinein und letztendlich kamen sie vor einem Gasthaus zum stehen.
„Yazston, du wirst für die Echse sorgen. Ich werde für mich und für euch einige Zimmer organisieren. Lesaonar Rrostarr hat bis jetzt immer ein Platz für mich frei gehalten“, lächelte Nhaundar schmierig und begann von der Reitechse abzusteigen. Dann gab er Shar das Zeichen, er solle es ihm nach machen und schon kurz darauf wurde der Junge in den Armen seines Herrn gehalten, der ihn auf den Boden absetzte. Zufrieden seufzte der Junge und schien froh, dass der Ritt zu Ende war.
Zur gleichen Zeit begab sich Yazston mit einigen Männern zu dem angrenzenden Stall und erledigte wie schon sooft die Befehle seines Herrn. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass er zusammen mit dem Sklavenhändler in diese Stadt reiste. An den letzten Aufenthalt konnte er sich sehr gut erinnern. Fünfzig Jahre lagen dazwischen und damals kämpfte er mit Handir in einer dunklen Gasse. Doch jetzt zählte die Gegenwart und von Nhaundar winkte für diese besondere Reise ein höherer Wochenlohn als sonst. Yazston vergaß schnell alle Erinnerungen an die Vergangenheit und machte sich mit seinen Männer an die bevorstehende Aufgabe.
Nhaundar Xarann war währenddessen bereits im Gasthaus „Schattentänzer“ verschwunden und erhielt, wie er es bereits voraussagte, drei Zimmer von dem Wirt Lesaonar Rrostarr, den er von seinen früheren Aufenthalten noch gut kannte. Eines der Zimmer war allein für ihn und seinen jungen Halbdrow zugedacht. Diesen ersten Tag ließ der Sklavenhändler ruhig verstreichen, denn erst am nächsten Vormittag wurde er von Iymril Myt’tarlyl erwartet und so lange konnte er seinen eignen Gelüsten frönen, was er auch zum Missmut des Jungen augenblicklich in die Tat umsetzte.
Am nächsten Morgen war es endlich soweit. Shar wurde von Nhaundar höchstpersönlich zu Recht gemacht, nachdem dieser seinen Herrn wie fast jeden Morgen in einer Badewanne wusch. Der Junge trug anschließend die schwarzen Lederfetzen, die der Sklavenhändler als Hose bezeichnete. Der schwarze Seidenstoff umspielte die dünnen Beine des jungen Halbdrow, nicht zu vergessen die goldenen Ketten, die den Hals, Ober- und Unterarme zierten. Seine Haare waren ordentlich gekämmt und Nhaundar konnte es sich nicht nehmen lassen, seinen liebsten Schatz wie sooft zuvor mit der Hand zu füttern. Nachdem alles zur vollsten Zufriedenheit des Sklavenhändlers verlief, verließen er, in Begleitung des Liebessklaven, Yazston und zwei weitere Wachen das Gasthaus. Shar trug nicht seinen Wollumhang, denn Nhaundar wusste nur zu gut, dass hier der Anblick eines Halbdrow weniger für Aufregung sorgte, als in der Stadt der Spinnenküsser. So bekleidet trottete der Junge seinem Herrn hinter her, der ihn an der eisernen Kette zog. Nicht nur einmal wurde der Kleine von Passanten beobachtete und angestiert. Bei dieser äußerst reizvollen Kleidung auch kein Wunder. Doch der Junge kannte diese Blicke nur zu gut und schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Der Sklavenhändler dagegen freute sich innerlich darüber, denn so wusste er, dass er hier und da im Anschluss an das Treffen mit Iymril Myt’tarlyl noch weitere Geschäfte abschließen konnte. Ihr Weg führte sie hinauf zu den Anhöhen dieser Stadt, zu den prachtvollen, adligen Häusern von Eryndlyn, wie Shar von Nhaundar unterwegs erfuhr.
Als sie vor einem großen Anwesen standen, hörte der Jungen seinen Herrn etwas sagen, aber verstand es nicht wirklich. Viel zu aufgeregt war Shar, denn solch eine Pracht zu erblicken war dem Halbdrow nicht jeden Tag vergönnt. Gegen das Anwesen der Familie Baenre in Menzoberranzan wirkte die Burg des Vhaeraunpriesters Tarlyn Myt’tarlyl wie blank poliertes Silber, dass sich herrisch und mächtig von allen anderen Gebäuden ringsherum hervor hob und eindeutig viel luxuriöser war. Die Wachen am Haupteingang gaben den Weg in den Innenhof frei, als Nhaundar ihnen zuvor die Einladung der Tochter des Hauses gezeigt hatte und Herr und Sklave liefen anschließend über einen glanzvollen Innenhof, gefolgt von Yazston und dessen Männer. Shar trottete immer hinter Nhaundar her. Zwei große Gebäude zierten die hintere Wand, sie leuchteten ebenfalls in einem bläulich-weißen Licht und verliehen dem Grundstück eine angenehme und friedliche Atmosphäre. Auf beiden Seiten, rechts und links, erstreckten sich ebenfalls kleinere Häuser, die wie die anderen Gebäude in fluorzierendem Licht gehüllt waren.
Auf schnellem Weg überquerte Nhaundar Xarann mit dem jungen Halbdrow den Hof und verschwand in einem der größten Häuser. Yazston und die beiden Soldaten blieben im Innenhof zurück und warteten geduldig auf die Rückkehr ihres Herrn.
Shar war in diesem Augenblick überwältigt von dem Glanz und all den schön anzuschauenden Dingen, die er bisher gesehen hatte. Sein Herz pochte vor Aufregung wild in seiner Brust und mit leicht geöffnetem Mund beobachtete er neugierig alles und jeden. Nhaundar und er wurden kurz nach dem Eintreten in das Hauptgebäude von einem jungen Dunkelelfen in Empfang genommen. Dieser Diener war kein Sklave, er trug kein Halsband und bewegte sich frei und ungezwungen auf die Gäste zu. Nhaundar zeigte auch diesem Drow das Schreiben von Iymril und nach einem prüfenden Blick und einem Nicken wies der Diener den Sklavenhändler und den Sklaven an, ihm zu folgen.
Überall wo Shar hinschaute, erstreckten sich große Flure und Gänge, alle hell erleuchtet durch Fackelschein. Roter Samtstoff fiel von den Wänden nach unten, goldene- und silberne Verziehrungen prangten von den Decken und stellten noch nie gesehene Runen und sonstige Verziehrungen dar. Große Kerzenständer, Statuen mit seltsamen Formen säumten den Weg und schließlich ging es eine breite Treppe hinauf in den ersten Stock. Solch eine Pracht hatte Shar in seinem Leben niemals erblickt, nicht einmal im Haus Baenre und Innen war alles noch wundervoller als von Draußen. Oben angekommen zweigten zwei Gänge zu beiden Seiten ab. Der Diener wendete sich nach links und beobachtete ständig mit einem Blick über die Schulter, dass der ältere Dunkelelf samt Anhang auch folgten, während es den beiden Neuankömmlingen beim Gehen so vorkam, als würden sie einmal im Kreis laufen. Gleich darauf hielten sie vor einer großen Doppelflügeltür mit Goldverzierungen inne und der jüngere Drow bat Nhaundar hier zu warten. Dann verschwand er durch die Tür und kam nur wenige Augenblicke später wieder heraus.
„Die Herrin erwartet euch, mein Herr. Hier herein“, meinte der junge Diener höflich und machte dem Sklavenhändler daraufhin Platz, in dem er selbst von der geöffneten Tür zur Seite huschte.
Nhaundar nickte nun wiederum höflich dem Dunkelelfen zu, zog kurz an der Kette und gab so Shar den Befehl, dass er ihm folgen sollte. Ohne den Diener dann noch eines Blickes zu würdigen, schritt der Sklavenhändler mit erhobenem Haupt in den Raum dahinter und achtete darauf, dass der junge Halbdrow dicht hinter ihm blieb. Dann vernahm er das Schließen der Tür.
Shar wiederum überkam plötzlich ein seltsames Gefühl. Eine ungewöhnliche Woge der Erleichterung übermannte ihn, begleitet von einem Empfinden, dass er hier gar nicht fremd war. Leicht irritiert über die unbekannte Sinneswahrnehmung schüttele Shar sie augenblicklich ab und konzentrierte sich wieder auf alles Neue, dass sich vor ihm abspielte.
Dieses wunderschöne Stadt, die hell erleuchteten Gebäude und jetzt diese prachtvollen Flure und Gänge und gleich darauf stand er mitten in einem Raum, der nicht minder mit kostbarem Wandschmuck verziert wurde. Eine riesige Fensterfront gab den Blick nach Draußen frei und man konnte von hier aus die Stadt überblicken. Shar erkannte die weit entfernten Gebäude und die seltsam, glühenden Bäume wieder. Auch hier waren die Wände mit rotem Samtstoff verhangen, Gold und Silber zierte die Decke und mehrere große und kleine Sofas standen im Halbkreis um einen riesigen Teppich, auf dem ein großer Tisch aus schwarzem Marmor prangte. Auf einem dieser Diwans sahen Nhaundar und Shar eine jung aussehende Dunkelelfe sitzen, die sich genüsslich auf dem weichen Polster räkelte. Es handelte sich um Iymril Myt’tarlyl, die einzige noch lebende Tochter des Hauses und um Shars Tante. Doch von alldem wusste der Junge nichts und selbst dem Sklavenhändler war diese Tatsache in jenem Augenblick nicht bewusst.
Nhaundar ließ die Kette von Shars Halsband los, verbeugte sich tief und marschierte gleich darauf zielstrebig auf die Frau zu. Diese brachte sich in der Zwischenzeit in eine sitzende Position und ihre roten Augen glühten erwartungsvoll auf, als sie ihren Gast erkannte.
„Nhaundar, ihr seit pünktlich“, säuselte Iymril und ein hinterhältiges Grinsen huschte über die sanften Gesichtszüge.
„Immer ganz zu euren Diensten, meine Teuerste“, erwiderte der Sklavenhändler im gleichen Tonfall und blieb unvermittelt vor der Drowfrau stehen. Auch auf seinem Gesicht zeigte sich der Hauch eines Lächelns, während seine Augen bei dem Anblick der attraktiven Gestalt der Dunkelelfe sich weiteten.
Iymril trug ein dunkelblaues Gewand aus Seide, das sich leicht um ihren Körper legte. Es enthüllte ihre wohlgeformten Schultern und gab auch einen Blick auf den Ansatz ihres Busens frei. Das Kleid endete in fließenden Bewegungen an ihren Knöcheln, betonte den schlanken Körper, während es auf den Seiten links und rechts durch Schlitze die langen Beine freigab. Ein Anblick, den Nhaundar schon viel zu lange vermisst hatte und den er schon mehr als einmal bewundern durfte.
Iymril erhob sich vom Diwan und schritt auf den älteren Drow zu. Dann breitete sie ihre Arme aus und schloss den Dunkelelfen seltsamerweise in ihre Arme. Nicht zum ersten Mal spürte Nhaundar ein Ziehen im Unterleib. Jetzt wusste er auch wieder, warum er gerne Geschäfte mit der tückischen Dunkelelfe abschloss. Sie war sich nicht zu schade, ihre körperlichen Reize einzusetzen, um dass zu bekommen, was sie wollte. Nhaundar fügte sich in jenem Moment einfach viel zu gerne.
Doch augenblicklich löste Iymril sich von Nhaundar und stieß ihn auf Armeslänge von sich zurück. Ihre Augen glühten plötzlich vor Ärger auf und funkelten unheilsvoll.
„Wer ist das?“, fragte sie ungehalten und schnaubte verächtlich in Shars Richtung. „Ihr habt einen eurer Sklaven mitgebracht?“ Dabei starrte Iymril wütend auf Shar, der immer noch an Ort und Stellte weilte, wo ihn sein Herr zurückgelassen hatte.
Der Junge verstand nicht ganz, war es doch immerhin erst die zweite Frau, die er in seinem Leben näher zu Gesicht bekam. Des Weiteren war es die erste Drow, die so auf ihn reagierte. Sein Herz raste plötzlich vor Angst und ihn durchfuhr ein kalter Schauer, der nicht nur durch die Reaktion, sondern auch durch den gefährlichen Tonfall der Dunkelelfe ausgelöst wurde. So tat er einfach nur das, was er auch bei jemand anderen tun würde, er senkte seinen Kopf und machte sich so klein und unscheinbar, wie nur möglich.
Nhaundar beobachtete alles genau und wusste augenblicklich, dass er Shar hätte vor der Tür lassen sollen. Iymril war leicht zu reizen und einen ungebetenen Gast wollte sie eindeutig nicht dulden, zumal dieser auch noch ein Sklave war. Noch immer erinnerte er sich nicht daran, dass es sich bei Iymril um eine Verwandte seines liebsten Lustsklaven handelte. Bevor jedoch die Stimmung seiner Geschäftspartnerin sich verschlimmern würde und er die Reise womöglich umsonst in Kauf genommen hatte, schritt der Sklavenhändler ein. Er hob eine Hand und legte sie besänftigten auf eine der nackten Schultern der Dunkelelfe, die kurz zusammenzuckte, aber die Hand des unverschämten Mannes nicht entfernte.
„Iymril, bitte verzeiht mir, aber ich habe nicht mehr an meinen Sklaven gedacht. Ich wollte ihn nur nicht bei den Soldaten lassen, sie würden nur Unsinn mit ihm anstellen.“
Iymril schnaubte verächtlich und wand sich dem Drow zu. „Dann bringt ihn weg, ich will nicht, dass er hier zugegen ist, macht schon!“
Nhaundar kam dieser Aufforderung sogleich nach, hechtete hinüber zu Shar und schnappte sich dessen Halskette. Eilig zog er den jungen Halbdrow zur Tür hinüber und ging mit ihm hinaus auf den Flur. Dort drückte Nhaundar den Jungen gegen die Wand und flüsterte leise.
„Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle. Hast du verstanden?“
Shar nickte und blickte nervös zu Boden.
„Es wird etwas länger dauern, ich hole dich dann hier ab“, meinte der Sklavenhändler und ließ die Kette los. Dann schlüpfte er wieder durch die Tür und Shar blieb ganz alleine und verloren im Gang zurück.

Der Hohepriester Tarlyn Myt’tarlyl aus dem ersten Haus in der Stadt Eryndlyn saß zur gleichen Zeit, als Shar zusammen mit seinem Herrn das Haus betrat, vertieft in seine Arbeit an seinem Schreibtisch aus Obsidian und las eines der vielen Schreiben, die er für den heutigen Tag durcharbeiten musste. Da verspürte er plötzlich etwas. Es schien ein Gefühl oder sogar eine Ahnung zu sein, doch er vermochte es nicht einzuschätzen. Mitten im Satz eines Schreibens, dessen er sich eben noch gewidmet hatte, hielt er inne und schaute auf. Seine bernsteinfarbenen Augen glühten und sein Blick richtete sich starr geradeaus auf die geschlossene Tür. Eine Hand wanderte an sein Heiliges Symbol – eine goldene Maske an einer goldenen Kette - und er umklammerte es fest.
„Mein Maskierter Fürst, ich erbitte deinen Rat“, flüsterte er leise und wartete geduldig, ob eine Antwort erfolgen würde.
In der Zeit eines Lidschlags hallte die Stimme seines Gottes in seinem Kopf wider. „Gelobe mir deine Treue.“
Verwirrt durch die Antwort sah Tarlyn hinab zu seinem Heiligen Symbol, dass er immer noch fest umklammerte und verstärkte den Griff darum. Er fragte sich, welch einen ungewöhnlichen Befehl er soeben erhalten hatte.
„Was wünscht Ihr, mein Maskierter Fürst?“, betete er stumm. „Ich habe euch mein Leben geschenkt, ich gelobe meinen Dienst in all der Zeit, in der ich lebe um nur euch zu dienen, mein Fürst.“
Doch diesmal bekam der Hohepriester keine Antwort. Stattdessen überkam Tarlyn erneut eine seltsame Empfindung und er verspürte den Drang, dass er sich eilig in den Tempel begeben sollte. So erhob er sich eilig von seinem gepolsterten Stuhl aus Mahagoniholz, umrundete den Schreibtisch und eilte hinüber zur Tür.

Shar hatte sich mittlerweile auf den Boden gesetzt und hatte sich alles in unmittelbarer Umgebung angesehen. Doch nachdem es nichts mehr Neues zu entdecken gab, wurde ihm recht schnell langweilig. Er wusste nicht wie viel Zeit bereits verstrichen war, seit Nhaundar ihn hier zurück gelassen hatte. Für ihn schienen viele Stunden vergangen zu sein obwohl gerade erst eine halbe Stunde durch das Stundenglas der Zeit gerieselt war. Hin und wieder huschte sein Blick durch den Gang auf und ab und er bewunderte den schönen Stil des Hauses. Alles wurde hell erleuchtet und selbst von den Verziehrungen der Decke wurde das Licht der Flammen reflektiert. Nicht einmal bei Nhaundar brannten so viele Kerzen und Fackeln, die gleich alles in freundlicherem Licht erschienen ließen. Aber gerade diese Tatsache zog Shar in Bann. Er dachte an Handir und an all seine Geschichten, die der junge Halbdrow von ihm erzählt bekommen hatte. Sie handelten von der Oberfläche und der Sonne, die der Junge noch niemals zu Gesicht bekommen hatte. Shar erinnerte sich auch daran, wie sein Vater ihm einst erklärte, dass diese so genannte Sonne heller schien als manch eine Kerze, viel viel heller. Er versuchte sich das vorzustellen, doch scheiterte kläglich und ein Schmollmund breitete sich auf dem Gesicht des Jungen aus. Dann kamen ihm die Geschichten über den Mondwald in den Sinn. Wie Handir mit leuchtenden Augen von den Bäumen und Wiesen erzählte, die Shar selbst nicht kannte. Der junge Halbdrow konnte tief in seinem Inneren seinen Vater sehen, wie er ihn in den Arm nahm und dann von der alten Heimat sprach. Doch mit einem Mal wurde sich der junge Halbdrow wieder bewusst, dass Handir auch von seiner Mutter und der Stadt Eryndlyn erzählt hatte. Genau von dieser Stadt, wo er sich gerade befand und wo er geboren wurde.

„Überall erheben sich Häuser vom Boden in die Höhe, Große und Kleine. Alle Gebäude leuchten in einem weiß-bläulichen Licht und hüllen einen Fremden in die eigene Phantasie ein, mein Sohn. Wundervolle Bäume erglimmen in der Finsternis dieser Stadt und machen sie zu einer Augenweide. Eines Tages wirst auch du diese Schönheit sehen, das weiß ich.“ Daraufhin gab Handir Shar einen Kuss auf die Stirn und begann weiter zu erzählen. „Doch weißt du Shar, deine Mutter war noch viel schöner als alles andere in Eryndlyn. Sie überstrahlte alles und jeden und aus unserer Liebe wurdest du geboren. Wir beiden lieben dich und auch wenn Chalithra nicht bei uns sein kann, weiß ich dennoch, dass sie dich stets in ihrem Herzen trägt.“

Auf Shars Gesicht trat ein Lächeln und eine Träne rann ihm über die Wange, als ihm die längst vergangene Erinnerung überkam. Er konnte Handir sehen und fühlen und war der Meinung, er würde hier bei ihm sitzen, ganz so, wie er es immer im Haus seines Herrn getan hatte. Der junge Halbdrow fühlte einen Stich in seinem eigenen Herzen und er fragte laut in die Stille hinein. „Handir, kommst du bald? Ich vermisse dich so sehr.“
Daraufhin kam keine Antwort und die Vision verblasste. Plötzlich erregte eine Bewegung Shars Aufmerksamkeit und aus dem Augenwinkel erkannte der Junge, dass jemand den Gang entlang schritt. Die Neugier siegte über die Angst vor dem Unbekannten und so hob der junge Halbdrow leicht seinen Kopf und erkannte von weitem eine Gestalt. Sie lief den Flur geradewegs auf ihn zu und dieser jemand hatte graue Haut und weiße lange Haare. Je näher die unbekannte Person kam, desto mehr konnte Shar erkennen und erschrak. Dieser jemand war ein Halbdrow, genauso wie er. Nur das Shar selbst eine viel hellerer Haut besaß, während der Fremde grauer wirkte und auch älter zu sein schien. Der unbekannte Halbdrow ließ sich von nichts beirren und beachtete nicht einmal den am Boden sitzenden Shar und lief ohne eine Reaktion zu zeigen einfach weiter. Shar drehte den Kopf und musterte neugierig den Fremden und konnte gerade noch so dessen lilafarbenen Augen erkennen. Er trug eine wunderschöne dunkelrote Robe. Die Überraschung stand Shar ins Gesicht geschrieben. Er blickte mit weit aufgerissenen Augen dem fremden Halbdrow hinter her und sein Unterkiefer klappte nach unten. Die Neugier wurde in dem Jungen geweckt und dabei vergaß er völlig seinen Herrn Nhaundar, der hinter der verschlossenen Tür mit irgendeiner Dunkelelfe zusammen saß. Shar war so fasziniert, dass er sogar vergaß, dass er als Sklave nicht das Recht besaß einen wildfremden Mann einfach anzusprechen. Er wollte gerade dem Fremden hinterher rufen, da entdeckte er eine weitere Person.
Ein Drow bog gerade in den Gang ein in dem Shar saß. Er trug eine schwarze Robe, die vorne offen war und darunter lugte eine schwarze Lederrüstung hervor. Die Ränder der Robe waren mit silbernen Zeichen gesäumt und dadurch wirkte die Kleidung so edel, dass Shar noch niemals zuvor jemand so ehrenwert gekleidetes gesehen hatte und sein Mund blieb offen stehen. Nicht einmal Sorn schaute so aus, obwohl ihm dieser augenblicklich in den Sinn kam, denn auch sein Liebster trug solche Kleidung gerne. Der Fremde besaß lange Haare, wirklich sehr lange Haare, wie der Junge erkannte, und zwei Strähnen fielen ihm vorne über die Brust und reichten bis zu den Knien. Sie strahlten rot. Über dem Kopf trug er ein schwarzes, dünnes Seidentuch, das zwar das Gesicht des Fremden verhüllte, aber dennoch durch das Fackellicht dessen Züge erkennen ließ. Je näher der fremde Drow auf Shar zukam, desto mehr erkannte er von diesem. Auch diesmal siegte die Neugier über die Angst über eine Bestrafung, die auf Grund seines ungebührlichen Verhaltens folgen würde und der junge Halbdrow starrte mit weit aufgerissen Augen diesen unbekannten Dunkelelfen an.
Der Junge erkannte, wie der andere Halbelf am Ende des Ganges plötzlich stehen blieb, sein Haupt senkte und wartete, bis der Drow in der edlen Kleidung an diesem vorbei geschritten war. Dann richtete sich der Halbdrow in der roten Robe wieder auf und lief um die Ecke davon. Der Dunkelelf dagegen tat gar nichts, er ging einfach weiter und schien dabei ständig auf den Boden zu schauen. Er schritt geradewegs auf Shar zu und unmittelbar bevor dieser den Jungen erreichte, erkannte Shar etwas auf dessen Brust, was sein Herz höher schlagen ließ, ein Heiliges Symbol. Es handelte sich um eine goldene Halbmaske, die an einer Kette baumelnd um den Hals hing. Das gleiche Zeichen, dass auch Sorn trug und das dieser immer gerne fest in seinen Händen hielt. Des Weiteren kam hinzu, dass Shar bei dem fremden Drow überhaupt keine Angst verspürte. Er fühlte eine Art Vertrautheit und so konnte der junge Halbdrow auch nicht seinen Blick senken.
Tarlyn beachtete stattdessen niemanden. Weder den Halbdrow auf dem Flur, noch etwas anderes oder jemanden, der ihm begegnete. Er war so in ein stummes Gebet vertieft, dass er nichts um sich herum wahrnahm. Das einzige Anliegen, dass der Hohepriester gerade jetzt empfand, war sich in den Tempel zu begeben. Es schien schon fast so, als würde ihn der Maskierte Fürst selbst zu sich rufen. So schritt Tarlyn andächtig an Shar vorbei und merkte dies nicht einmal.
Shars Augen weiteten sich immer mehr, als der Fremde an ihm vorbei lief und sein Herz pochte wild in seiner Brust. Er musste immer wieder an Sorn denken und dass er ihn vermisste. Gleichzeitig spürte der junge Halbdrow, dass er seinen Blick einfach nicht abwenden konnte. Irgendetwas oder Irgendjemand schien ihn dazu zu zubringen, dass er den Dunkelelfen nicht aus den Augen ließ. Der Fremde schritt an dem Jungen vorbei und ging den Flur weiter. Doch dann passierte es. Shar starrte immer weiter auf den Mann in der schwarzen Robe und dessen lange Haare und als dieser schon fast das Ende des Ganges erreicht hatte stand dort Handir. Ein hoch gewachsener Oberflächenelf mit schwarzen, langen Haaren, blauen Augen und gekleidet in eine schwarze Lederrüstung. Er lächelte und schaute direkt in Shars Richtung.
„Komm zu mir“, flüsterte Handir und winkte mit einer Hand seinen Sohn zu sich hinüber, der die Worte deutlich in seinem Kopf wahrnahm.
Im ersten Moment schien Shar wie von einem Blitz getroffen. Sein Unterkiefer klappte vor Erstaunen nach unten. Sein Herz raste immer schneller und seine Augen weiteten sich vor Überraschung und Verwirrung. Der kleine Körper des Jungen zitterte und bebte und er dachte in jenem Moment, dass er dies alles nur träumte.
„Shar, komm zu mir“, flüsterte Handir erneut in Shars Kopf und die Worte hallten wie von tausend Stimmen gleichzeitig gesprochen laut nach.
„Handir?“, wisperte der Junge leise. „Handir, bist du endlich zu mir zurückgekommen?“ Shars Stimme zitterte.
Der Mondelf am anderen Ende des Ganges lächelte erneut freundlich und winkte abermals dem jungen Halbdrow zu. „Ich bin gekommen, so wie ich es dir immer versprochen habe, mein Sohn. Sei brav und gehorsam und ich werde dich nie mehr verlassen.“
Shar konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten. Er vernahm die Worte und er wusste augenblicklich, dass waren genau jene, wie sie Handir sprach, wenn er ihn in seinem Kopf hörte. Der Junge sprang hastig vom Boden auf, schaute ein letztes Mal zu der Tür, in der Nhaundar verschwunden war und rannte, so schnell er konnte, den Flur entlang und auf Handir zu.
Kaum das Shar dort ankam, wo er eben noch seinen Vater gesehen hatte, war dieser plötzlich verschwunden und der Junge blickte sich traurig um.
„Shar, komm mit mir“, hörte der junge Halbdrow wiederholt die Stimme von Handir und als der Junge in den abzweigenden Gang zu seiner rechten schaute – der gleiche Flur übrigens, indem soeben auch Tarlyn verschwunden war – da stand am Ende der Mondelfenkrieger und winkte Shar zu.
„Vater ich komme. Ich war immer gehorsam und jetzt bist du zu mir zurückgekehrt“, antworte der junge Halbdrow laut und lächelte bis über beide Ohren. Dann rannte er auch diesen Flur entlang.
Viele Male wiederholte sich das Gleiche und Shar drang dabei immer tiefer in das Haus des Hohepriesters Tarlyn Myt’tarlyl ein. Doch der Junge bekam von alldem nichts mit. Er lief seinem Vater hinter her, der mal hier und mal dort auftauchte und ihn somit über Abkürzungen und sogar Geheimgängen bis in den Vhaerauntempel im Innern des Hauses führte. Dieser lag im Herzen des Anwesens. Schließlich kauerte Shar hinter dem Altar des Tempels und bekam von Handir die Anweisung, er soll hier warten. Der junge Halbdrow vertraute seinem Vater, was sollte dieser auch böses von ihm wollen, besonders wenn nun schon fast dreißig Jahre seid dem Tod des Kriegers lag und dieser eben sein Versprechen der Wiederkehr in die Tat umsetzte. So versteckte sich der Junge brav und starrte mit vor Freude glänzenden Augen nach oben und dort auf eine riesige, goldene Halbmaske, die von der Decke in den Raum darunter hing. Es wirkte schon fast so, als würde diese schweben. Shars Herz pochte und pochte und der Junge konnte es kaum noch abwarten Handir endlich in die Arme zu schließen.

Tarlyn Myt’tarlyl befand sich währenddessen noch auf dem Weg in den Tempel und immer noch schien er so tief im Gebet versunken, dass er niemanden auf dem Weg wahrnahm. Er verstand die Botschaft des Maskierten Fürsten immer noch nicht und er fragte sich, ob er etwas getan haben könnte, dass Vhaeraun verärgert hatte. Vielleicht würde er im Innern des Heiligtums mehr Antworten erhalten, beruhigte sich der Hohepriester selbst und trat auch schon wenige Momente später durch eine große, bis an die Decke sich erstreckende Doppelflügeltür in den Vhaerauntempel ein. Die Tür selbst war aus Gold und glänzend spiegelte sie das Fackellicht der Wände wider. Tarlyn verriegelte eilig hinter sich den Eingang, denn er wollte alleine sein. Alleine für sich und ebenfalls alleine mit seinem Gott. Er wand sich um und erkannte viele Meter vor sich die große, ebenfalls aus Gold bestehende Halbmaske, das Heilige Symbol, wie sie über dem Altar schwebte, wo sie durch Vhaerauns Magie festgehalten wurde. Bei dem Anblick entglitt dem Hohepriester ein leichtes Seufzen. Tarlyn schaute zu den Wänden, wie auch zur Decke und diese waren schwarz, so schwarz und dunkel wie ein Schatten nur sein kann. Der Boden bestand aus nacktem Fels, während sich an den Seiten links und rechts Stuhl an Stuhl anreihte. Der Tempel war groß, doch nicht so groß, wie es sich Tarlyn immer gewünscht hatte. Doch er musste schon einige Schritte zurücklegen bis er an dem schwarzen Altar aus Obsidian ankam. Neben ihm stand ein mit rotem Samt überzogener und sehr bequem aussehender Stuhl, doch diesen ignorierte er geflissentlich. Er stellte sich vor den Altar, schloss die Augen und breitete seine Arme zu beiden Seiten aus, als wolle er seinen Gott in die Arme schließen.

Shar kauerte immer noch hinter dem Altar und vernahm nicht einmal das Geräusch einer Person, die zuerst die Tür verriegelte und dann zum Altar schritt. Er schien nur noch Augen für die wunderschöne, schwebende Maske zu haben. Doch dann trat plötzlich jemand mitten in sein Blickfeld. Shar schaute daraufhin genauer hin und er erkannte dort, wo Tarlyn verharrte, Handir, der ihn anlächelte und gleichzeitig hallten die Worte in seinem Kopf. „Komm zu mir und umarme mich. Ich habe dich so lange vermisst.“
Ich habe dich auch so sehr vermisst, dachte der junge Halbdrow, sprang im gleichen Moment aus seinem Versteck hervor und über den Altar hinüber. Shar landete direkt am Hals des Hohepriesters Tarlyn, der vor Schreck vergaß zu atmen.
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