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Dem Wahnsinn so nah

By: Elbenstein
folder German › Books
Rating: Adult ++
Chapters: 47
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Disclaimer: I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
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27. Kap. Urteil ?ber Leben und Tod

27. Kapitel
Urteil über Leben und Tod

„Ich bin Gast in diesem Haus und werde vor meinen Augen bestohlen. Bodenlose Frechheit!“, erklang eine laute und hysterische Stimme im Gang, den Tarlyn und Sabrar entlang kamen und augenblicklich vor einem aufgeplusterten Dunkelelfen Halt machten. Beide sahen nur seinen Rücken.
„Gäste dieses Hauses wissen sich zu benehmen und werden nicht ausfallend“, äußerte der Hohepriester seine Meinung und beobachtete, wie der Fremde sich umdrehte.
Beide schauten sich in die Augen. Während bei Nhaundar der Zorn von ihm Besitz ergriff, blieb der Vaterpatron ruhig und gelassen und versuchte sich gleichzeitig das Gesicht einzuprägen und herauszufinden, ob er dieses jemals gesehen hatte. Er hätte schwören können dies schon einmal in seinem Leben gesehen zu haben, die Frage lautete nur „Wo und Wann?“. Wenn er an Shars Worte zurückdachte, dann war dies Nhaundar Xarann, ein Sklavenhändler aus Menzoberranzan und zu dieser Stadt pflegte er keinerlei Beziehungen. Im Blick der rot glühenden Augen seines Gegenübers erkannte er einen reiferen Dunkelelfen, komplett in schwarzes Leder gekleidet, dazu kurze Haare und ein Gesicht, das vor Wut verzerrt war. Vielleicht ist dieser ungehobelte Drow ohne jedwedes Benehmen sogar der Vater von Shar?, fragte sich Tarlyn nun zum wiederholten Mal an diesem Tag und hielt dem eisernen Blick des Fremden stand. Doch er hielt es für unwahrscheinlich, da er sich nicht vorstellen konnte, dass ein Vater seinen Sohn so schlecht behandeln würde. Drow hin oder her.
„Mein Sklave ist mir gestohlen worden und das in diesem Haus“, erwiderte Nhaundar aufgebracht ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wer soeben vor ihm aufgetaucht und zu ihm gesprochen hatte.
Der Hohepriester ließ kurz seinen Blick über die Szene schweifen und musterte die unmittelbare Umgebung. Vor ihm stand dieser Sklavenhändler, dahinter lungerte Iymril in der Tür und schien aufmerksam zuzuhören ohne Anstalten zu machen, sich einzumischen. Dann erkannte Tarlyn noch einige seiner Bediensten, die etwas irritiert und unruhig auf die Ankunft ihres Herrn gewartet und es nicht geschafft hatten den Fremden im Zaum zu halten. Darüber konnte er sich jedoch später Gedanken machen, stattdessen wand er seine volle Aufmerksamkeit wieder dem Drow und seiner Tochter zu. In den Augenwinkeln erkannte er noch ein hinterhältiges Grinsen von Iymril und fragte sich, was dies wohl bedeuten konnte. Aber erst einmal galt es, hier für Ruhe und Frieden zu sorgen. Er brauchte sich solch einen Aufstand in keinem Fall gefallen zu lassen.
„Hier werden keine Sklaven gestohlen …“, begann Tarlyn in ruhigem Ton zu antworten und tat dabei so, als wüsste er nichts von Shar und dessen Existenz.
„Nhaundar Xarann ist mein Name“, erwiderte der Sklavenhändler stattdessen, um sich angemessen dem ihm unbekannten Hohepriester vorzustellen, jedoch machte er keine Anstalten sich zu verbeugen. Bestätigte jedoch gleichzeitig Tarlyns Vorstellung eines widerlichen Sklavenhändlers, dieser Dunkelelf war arrogant und plump.
Der Vaterpatron war nicht zornig über die fehlenden Höflichkeiten, denn sein Gegenüber wirkte wie ein Tölpel und mit solchen Individuen wollte er nichts zu schaffen haben.
„Dunkelelfen mit Verstand überdenken gerne ihre Situation und wahrscheinlich wird sich bald der Sklave wieder einfinden, Nhaundar Xarann“, sprach der Hohepriester mit sanfter Stimme und konnte dabei ein Lächeln nicht unterdrücken. Hinterlistig musterte er den Sklavenhändler, der endlich aufgehört hatte, wie wild durch die Gegend zu schreien.
Sabrar versuchte nicht in Gelächter auszubrechen, denn er verstand die Beleidigungen des Vaterpatrons sehr wohl.
Nhaundar bemerkte von der spitzfindigen Beleidigung nichts und war zu der Erkenntnis gelangt, dass die Diebe mit dieser Beschimpfung gemeint waren und nicht er selbst. Damit bestätigte Nhaundar Xarann instinktiv das Bild von Tarlyns Vorstellung eines Dummkopfes. So erwiderte er das Grinsen des Vaterpatrons und sprach etwas ruhiger. „Dürfte ich erfahren mit wem ich es zu tun habe?“
Jetzt war es Sabrar, der nach vorne trat und laut an der Stelle von Tarlyn antwortete. „Ihr sprecht mit dem Hohepriester und Vaterpatron Tarlyn Myt’tarlyl aus dem ersten Hause von Eryndlyn und Herr dieses Anwesens, Nhaundar Xarann.“ Bei den Worten hob der Berater stolz den Kopf und schien absolut zufrieden mit seiner eigenen Aussage zu sein.
„Schon in Ordnung Sabrar“, meinte daraufhin Tarlyn freundlich, legte Sabrar beschwichtigend eine Hand auf die Schulter und näherte sich dann dem Fremden.
„Aber, aber mein Herr …“, flüsterte Sabrar leise, aber immer noch hörbar dem Hohepriester zu und erkannte in jenem Moment, dass Tarlyn etwas plante. In den Augenwinkeln bemerkte er dabei das schiefe Grinsen auf Iymrils Gesicht, das nicht gerade seine Abneigung gegen sie und den Sklavenhändler schmälerte. Denn er hatte von einem loyalen Diener des Hauses berichtet bekommen, dass die beiden – Iymril und Nhaundar - den ganzen Tag in den Privatgemächern der Tochter verbracht hatten. Aus seiner Sicht keine gute Nachrichten.
Nhaundar bekam von alldem nur wenig mit, obwohl ihm die Vorstellung vom Herrn des Hauses kurz schlucken ließ. Er befand sich bereits in der Höhle des Löwen - ein altbekanntes Sprichwort von der Oberfläche - und so ruhig wie sich der Hohepriester bei ihm gab, so stellte er sich auch einen Löwen vor. Selbst einen gesehen hatte er nie, aber die Autorität spürte er jetzt recht deutlich, denn nun machte niemand Anstalten einen Laut von sich zu geben. Gefahr lag unsichtbar in der Luft und ließ ihn kurz innehalten. Er wusste, auf Iymril konnte er jetzt nicht zählen. Dann beobachtete Nhaundar sein Gegenüber eingehender und er erkannte das Heilige Symbol – eine goldene Halbmaske – die an dessen Brust prangte. Wieder musste der Sklavenhändler schlucken und konnte sich recht gut an die Auseinandersetzungen mit Sorn Dalael zurück erinnern. Nur das dieser Hohepriester weit über dem jungen Priester in den Rängen von Vhaeraun stand. Somit auch höher in der Gunst des Maskierten Fürsten und wohl kaum so bestechlich wie Sorn. Nhaundar hatte hier einen angenehmen Tag verbracht, geschäftlich wie privat, und eine Menge Informationen und Geld in Aussicht gestellt bekommen, so dass er jetzt Vorsicht walten lassen musste. Er setzte von neuem an und sprach diesmal höflicher, aber dennoch mit seiner gewohnt blasierten Art.
„Mein Sklave ist mir abhanden gekommen. Ich hatte ihn hier zurück gelassen, weil ich aus Sorglosigkeit ihn an diesen wundervollen Ort mitgenommen habe“, dabei unterstrich Nhaundar seine Worte mit einer Geste und verwies auf den leeren Flecken, wo er Shar zum letzten Mal gesehen hatte. „Ich möchte ihn allerdings wieder haben, denn er gehört mir. Er ist mein Eigentum!“
Tarlyn erschrak ein wenig über dass, was er da hörte, denn die selbstgefällige Stimme des Sklavenhändlers gefiel ihm nicht. Auch nicht, wie er über den jungen Halbdrow sprach, der oben in seinen Gemächern wartete und nichts von alledem mitbekam. Bei solch einem Herrn, sagte sich der Vaterpatron, kann ich durchaus das verstörte Verhalten des Jungen verstehen. Außerdem musste er dafür sorgen, dass Shar keine unnötige Bestrafung zuteil wurde, an der er und wirklich nur er alleine die Schuld trug. Immerhin nahm Tarlyn selbst den Halbdrow mit zu sich.
„Ich fürchte, dass ich der Schuldige bin …“, begann der Hohepriester mit der Erklärung und schaute dabei Nhaundar direkt in dessen immer noch rot glühenden Augen. Dann begann Tarlyn hinterlistig zu lächeln und erzählte weiter. „… als ich heute Morgen zum Tempel ging habe ich ihn gesehen und mich gefragt, wer dies sein könnte. Wir sprechen doch von einem jungen Halbdrow mit Namen Shar, oder nicht?“
Nhaundar nickte daraufhin eifrig und wollte dringend die weiteren Erklärungen über das Verschwinden seines Eigentums erfahren.
„Gut, ich will immerhin sicher gehen, dass nicht noch jemand hier in meinem Haus auftaucht und laut nach Vergeltung ruft. Wie schon erwähnt, Dummheit tut keinem gut. Wenn ihr euch nicht zu benehmen wisst, dann seit ihr in meinem Haus unerwünscht.“
Erneut beleidigte Tarlyn sein Gegenüber ohne dass dieser es zu merken schien. Die angedeutete Drohung in seinen Worten über den bevorstehenden Rauschmiss schien der Sklavenhändler genauso wenig wahrzunehmen und Tarlyn sprach einfach weiter. „Nun, ich habe mir den Jungen näher angesehen und aus diesem Grund ist er auch in meinen Privatgemächern.“
Sabrar?“
Der Berater wand sich dem Hohepriester zu. Er verstand noch nicht ganz und wartete auf die nun folgende Anweisung. „Sabrar, hole den Sklaven hier her. Du findest ihn in meinem Gemächern, wie ich bereits sagte.“
Sabrar nickte kurz, schaute einmal noch zu Iymril hinüber, deren Mundwinkeln plötzlich verächtlich zuckten und ihre Schultern spannten sich leicht an. Ob sie etwas mit dem Ganzen zutun hat?, fragte sich der Drow, doch für Spekulationen blieb noch später Zeit. Erst einmal wollte er seinen Auftrag erledigen. Sabrar drehte sich um und machte sich auf den Weg, den Halbdrow wie befohlen zu holen. Dabei versuchte er sich vorzustellen, warum Tarlyn den ganzen Tag mit einem Sklaven verbracht hatte.
„Ihr verzeiht mir hoffentlich meine Sorglosigkeit, Nhaundar Xarann?“, entschuldigte Tarlyn sich währenddessen und beäugte den Fremden dennoch skeptisch.
Der Sklavenhändler hätte auf diese Frage hin am liebsten verächtlich dem Hohepriester vor die Füße gespuckt, aber wenn er aus dieser Situation mit heiler Haut herauskommen wollte, konnte es nur eine Antwort auf diese Frage geben. Nhaundar schluckte noch einmal seine Wut hinunter und meinte erneut freundlich und höflich. „Wenn ich gewusst hätte, dass ihr es wart, dann wäre ich niemals …“, dann brach er ab. Denn er wusste nicht mehr weiter.
„Kein Problem, ich hoffe nur, dass ihr als bald wieder in gewohnter Umgebung seit“, dabei sprach Tarlyn erneut aus, dass er diesen Dunkelelfen nicht mehr zu Gesicht bekommen wollte und dieser dringlich von seinem Anwesen zu verschwinden hatte.
Nhaundar war zornig über diese Drohung hinter schönen Worten versteckt und hegte plötzlich andere Gedanken. Was wäre, wenn sich dieser Vaterpatron an seinem Eigentum vergriffen hatte ohne zu bezahlen. Immerhin war der junge Halbdrow Gold wert und auf dieses wollte er nicht verzichten. Der Profit stand doch stets an erster Stelle. Seine Überlegungen standen ihm jedoch ins Gesicht geschrieben und augenblicklich wurde er von dem Hohepriester erneut angesprochen.
„Welch ein Gedanke plagt euch, dass ihr so ein missmutiges Gesicht macht? Ich dachte, ihr würdet euch doch gerne von hier entfernen?“, versuchte Tarlyn seine Neugier zu befriedigen.
„Ihr müsst wissen, dieser Sklave ist ein ganz besonders Geschenk und eigentlich bereits jemanden versprochen. Dieser hat im Voraus einen vollen Beutel Gold und Edelsteinen in meine Obhut gegeben. Es wäre ein Verlust an den Freuden des anderen, wenn er nicht das bekommt wofür er bereits bezahlte.“ Damit hoffte Nhaundar den Hohepriester die passende und Antwort gegeben zu haben.
Tarlyn stattdessen durchschaute sehr wohl die Finesse seines Gegenübers und glaubte kein einziges Wort davon. Genauso wie er ahnte, dass dieses schmierige Insekt eines Sklavenhändlers auf dem Glauben war, er hätte den jungen Halbdrow angefasst und dafür nun das Geld verlangte. Doch bevor er weiter handelte, schickte er zu aller erst die Bediensteten weg, beobachtete noch einmal seine Tochter, die weiterhin nur da stand und der Szene schweigsam zusah. Irgendwie wirkte sie auf ihn plötzlich aufmerksamer als zuvor. Mit ihr würde er sich später noch ausreichend unterhalten können. Dann zum Glück für alle Beteiligten kam Sabrar den Gang entlang, im Schlepptau Shar. Der Vaterpatron wand seinen Blick den Schritten zu, die sich ihm näherten und erkannte auf dem Gesicht des Jungen dessen Angst. Er rechnete wahrscheinlich mit einer Strafe und bei dem Verhalten seines Herrn war das wohl auch nicht auszuschließen, sagte sich Tarlyn. Er musste versuchen Nhaundar zu beruhigen und damit gleich sein eigenes Gewissen rein zu waschen.
„Nun ist euer Ärger in Freude verwandelt worden, seht doch nur. Nun könnt ihr euch mit gutem Gewissen euren Aufgaben und Geschäften widmen. Zuvor muss ich wohl aber noch etwas erklären“, kamen die Worte über die Lippen des Hohepriesters und nahm dabei die Kette von Shars Halsband selbst in die Hand. Zum einen wollte Tarlyn gegenüber dem Sklavenhändler klar stellen, wer hier der Herr des Hauses ist und das dieser mit seinem arroganten und selbstgefälligen Verhalten im Moment nicht weit kam. Gleichzeitig wollte Tarlyn Shar beruhigen und er überdachte sorgfältig die nächsten Worte.
Shars Blick richtete sich währenddessen auf den Boden, doch aus den Augenwinkeln musterte er seinen Herrn sehr genau. Diesen Ausdruck von unsäglichem Zorn kannte er nur zu gut und wenn bisher die Reise eine wundervolle Erfahrung in seinem kurzen Leben darstellte, entwickelte sie sich gerade in die größte Katastrophe. Er fühlte bereits die Schläge und Peitschenhiebe, die nur der Anfang der Bestrafung waren.
Auch der Vaterpatron merkte die Anspannung des Jungen und setzte vor seinem Rausschmiss zu seiner Erklärung an. Er wollte nicht, dass der Junge eine Strafe erhielt und redete ein letztes Mal den Sklavenhändler an.
„Den Sklaven trifft keine Schuld, wie ich bereits erwähnte. Ich habe ihn sorglos einfach mitgenommen und dann pflegten wir eine theologische Unterhaltung zu führen und dabei erzählte ich ihm über den Maskierten Fürsten.“
Die Stimme des Hohepriesters klang dabei aufrichtig, immerhin handelte es sich um die Wahrheit.
Sabrar biss sich bei der Aussage auf die Lippen, damit er nicht lachen musste. Als er den jungen Halbdrow abholte, waren die Überreste eines ausgiebigen Mahles nicht zu übersehen gewesen. Des Weiteren sprach alles für einen sehr unterhaltsamen und informationsreichen Nachmittag, in der sich Tarlyn ungewohnter Weise um einen schmächtigen Sklaven gekümmert und ihn mit guten Essen aus dem Haus genährt hatte.
Nhaundar glaubte Tarlyn jedoch kein Wort, aber für seine Frustration blieb späterhin immer noch Zeit. Er verzog das Gesicht und wollte zum Ausdruck bringen, dass er schon für diese Lüge eine Bezahlung wünschte.
Der Vaterpatron, Tarlyn Myt’tarlyl, schürzte die Lippen, griff mit einer Hand nach seinem Heiligen Symbol und die andere legte er auf seine Schläfe, um Konzentration vorzuspielen. Auch er erkannte sehr wohl, dass ihm dieses widerliche Exemplar von einem Dunkelelfen keinen Glauben schenkte. Jetzt blieb ihm noch eine Möglichkeit ohne diese wirklich ausführen zu müssen, aber gleichzeitig den nervigen Sklavenhändler in die Schranken zu verweisen. Denn wenn die Erzählungen von Shar stimmten, dann kannte Nhaundar die Geflogenheiten eines Priesters oder eines Klerikers wie Sorn Dalael, und was diese zu tun pflegten, wenn sie in der Konzentration um göttliche Kraft baten. Genau das wollte Tarlyn tun, aber nicht ausführen, es sollte nur so aussehen als ob. Denn außer Heilung kamen auch weitere Zauber in Betracht, die alles andere als zur körperlichen Unversehrtheit bestimmt waren.
Nhaundar erkannte diese Zeichen sogleich, ganz wie Tarlyn es sich wünschte und auch inständig erhoffte und ließ augenblicklich ein freundliches Gesicht erscheinen und tat so, als ob er mitten im Spruch innehielt.
„Ich bin euch zu Dank verpflichtet, Hohepriester“, versuchte der Sklavenhändler seine Haut zu retten und erntete darauf ein galantes Lächeln des Hohepriester, der aus seiner angeblichen Anspannung augenblicklich in die Wirklichkeit zurückkehrte.
„Euer Sklave ist sehr gelehrig und hört aufmerksam zu. Ihr habt ihn wirklich sehr gut erzogen. Verzeiht mir nochmals, dass ich diesen Halbdrow einfach mitgenommen habe und ihm die Lehren des Glaubens erklärte. Immerhin ist es mein Haus und ihr seid der Gast“, erwiderte Tarlyn autoritär.
Nun wurde Nhaundar zum ersten Mal richtig bewusst, dass er in diesem Haus unerwünscht war. Erneut schwang die deutliche Warnung mit, dass nun der Augenblick gekommen war, wo Nhaundar das Anwesen von Myt’tarlyl zu verlassen hatte und das wollte er jetzt nur um so gerne. Dazu kam nun das gehorsame Verhalten des Jungen, der aussah, als wäre er nie angefasst worden und bestätigend nickte. Auf eine Bezahlung konnte Nhaundar nun auch nicht mehr hoffen.
„So hat alles ein gutes Ende genommen“, meinte Nhaundar etwas ehrfürchtig und zog Shar näher zu sich heran, das er ihn, wie ein Vater seinen Sohn, in die Arme nehmen konnte. „Eine wahre Freude für meinen Schatz, denn er hat heute viele neue Erfahrungen gemacht. Dann werde ich meines Weges ziehen und bitte euch aufrichtig um Verzeihung“, schmunzelte der Sklavenhändler und wollte endlich diesem seltsamen Treffen entfliehen.
„Ihr müsst euch nicht zu einer Entschuldigung herunter lassen, denn hier gibt es nur Tatsachen und keiner der Beteiligten hat Schaden genommen“, antwortete Tarlyn darauf. Dabei bedachte er Shar ein letztes Mal und versuchte jede Gefühlsregung auszuschließen, die ihn überkommen mochten. Da der Junge auf den Boden sah, ein leichtes für den Vaterpatron, dessen Blick auszuweichen. Dann wand sich der Hohepriester im gleichen Atemzug um, drehte Nhaundar den Rücken zu und begann sich zu entfernen.
Sabrar tat es seinem Herrn und Freund gleich und folgte ihm dicht auf den Fersen. Einige Fragen mussten dringend im Stillen geklärt werden.
Jetzt blieben nur noch Iymril, Nhaundar und der junge Halbdrow übrig. Gerade wollte der ältere Drow sich von der hübschen Dunkelelfe und ihrem äußerst attraktiven Äußeren verabschieden, da wurde ihm die Tür vor der Nase zugeworfen. Shar schaute währenddessen in die Richtung in die Tarlyn soeben verschwand und murmelte kaum hörbar, „Du bis genauso nett wie Handir und Sorn“.
Dumme Gans, dachte Nhaundar zur gleichen Zeit und nahm die Kette von dem Jungen in die Hand, marschierte los und zog den Halbdrow hinter sich her. Nur heraus hier, sonst werde ich noch genauso verrückt wie all die anderen, dachte er sich und trieb sich dabei selbst zur Eile an. Ich brauche meine Ruhe und am besten genieße ich diese mit meinem Sklaven alleine und ungestört.

Shar freute sich mehr, als er zugeben würde, dass nichts weiter geschah. Er kam mit Nhaundar zusammen in dem Gasthaus „Schattentänzer“ an, wo sie schon eine Nacht verbracht hatten und keine Bestrafung folgte. Sein Herr verlangte nur nach körperlicher Befriedigung. Ein wenig wehleidig dachte er an den Drow mit Namen Tarlyn zurück und dass beide wirklich sehr viel Freude zusammen gehabt hatten. Doch er tröstete sich damit, dass er Sorn bei seinem nächsten Besuch alles davon berichten konnte und so versuchte er sich innerlich auf seinen Liebsten zu konzentrieren.

Fast zur gleichen Zeit, kaum dass Nhaundar zusammen mit dem jungen Halbdrow aus Tarlyns und Sabrars Sichtsfeld verschwunden war, gaben beide das Getue zwischen Herr und Diener auf und schritten wie zwei Freunde, die sie waren, nebeneinander her und gingen direkt zu Tarlyns Privatgemächern. Erst nachdem der Vaterpatron die Türe geschlossen und beide sich sicher sein konnten, dass niemand sie störte, machten sie es sich gemütlich. Tarlyn setzte sich auf ein bequemes Sofa und Sabrar nahm auf einem der vielen weich gepolsterten Stühle Platz.
„Du schuldest mir eine Erklärung, Tarlyn“, begann Sabrar als erster.
„So wie es scheint, gibt es viele Fragen zu klären“, lächelte der Hohepriester, gab aber Sabrar ein Zeichen, er solle beginnen.
„Wir pflegten eine theologische Unterhaltung zu führen“, wiederholte Sabrar die Worte des Hohepriesters, die eben noch sein Freund zu Nhaundar Xarann gesprochen hatte. Anschließend lachte er und schaute auf das Tablett mit Essen, das immer noch auf dem Tisch stand. „Solch eine Ausrede sollte ich mir für zukünftige Begegnungen im Gedächtnis behalten. Du hast einen unbekannten Sklaven, an dem nicht viel dran ist, zu Essen gegeben. Wie kommt es, dass du so etwas tust, was du noch niemals zuvor getan hast?“
Tarlyn lachte ebenfalls und fand diesen Geniestreich über seine gut gewählten Worte wirklich gut gelungen, obwohl sie ja auch teilweise der Wahrheit entsprachen. „Tu das, merkte dir meine Worte gut, aber frage mich nicht nach dem weichen Herz, das heute in meiner Brust geschlagen hat. Ich habe den Sklaven gesehen und wusste, dass ich mit ihm reden musste. Er hat mich einfach neugierig gemacht“, schmunzelte er. „Ich danke dir jedoch, dass du den Jungen ohne Fragen zu stellen schnell hergebracht hast.“ Dabei ließ Tarlyn erstmal die Tatsache außer Betracht, auch von dem unverhofften Zusammentreffen im Tempel zu erzählen.
„Was ich nicht alles für dich mache, Tarlyn“, meinte Sabrar fröhlich und dann brachen beide erneut in Gelächter aus.
Nach einigen Minuten hatten sie sich wieder im Griff, um auch ihre Unterhaltung weiter zu führen. Erneut war die Reihe an Sabrar, der als erster sprach.
„Jetzt machst du mich allerdings neugierig. Ich möchte alles erfahren“, wollte der Jüngere der beiden jetzt wissen.
Tarlyn lächelte. „Es ist alles so passiert, wie ich gesagt habe. Zuerst war ich in meine Arbeit vertieft, dann überkam mich ein plötzlicher Drang in den Tempel zu gehen. So bin ich in Gedanken versunken und in den Tempel gegangen. Mitten im Gebet vertieft springt mich der Junge an, schlang beide Arme um meinen Hals und wir sind unglücklich umgefallen. Zuerst wollte ich ihn angreifen, bis ich bemerkte, dass es sich um ein Kind handelte, dazu noch um einen Halbdrow.“
Sabrar erwiderte nun das Lächeln, doch der Unglaube stand förmlich in seinem Gesicht geschrieben. „Könnte es vielleicht ein Zeichen von Vhaeraun sein? Doch wie kam der Junge überhaupt in den Tempel? Hast du denn nichts gesehen oder gehört?“, versuchte der Berater seine Neugier zu befriedigen.
„Ein Zeichen des Maskierten Fürsten?“ fragte Tarlyn und überlegte kurze Augenblicke und schüttelte anschließend den Kopf um gleich darauf zu antworten. „Wenn ich es dir sage, nichts von alledem kann ich erklären, noch weiß ich genug. Er ist diesem Nhaundar einfach davon gelaufen und wohl hier im Haus herum geirrt und ist irgendwie in den Tempel gekommen, obwohl ich mich wundere, dass niemand ihn dabei gesehen hat. Um zum Wesentlichen zurück zu kommen, Sabrar“, begann Tarlyn nun mit ruhiger Stimme weiter zu erklären. „Er sprang mir an den Hals und rief nach seinem Vater. Ich habe ihm gesagt, dass ich es nicht bin, dann weinte er und sah selbst seinen Fehler ein. Letztendlich nahm ich ihn hier hin mit, habe ihm etwas zu Essen gegeben und der Junge hat mir eine Menge von den Machenschaften aus der Stadt der Spinnenhure erzählt.“
Daraufhin lachten beide laut auf und anschließend berichtete der Hohepriester weiter und Sabrar beugte sich nun in seinem Stuhl nach vorne, um so seine Neugier zu unterstreichen.
„Sehr interessante Dinge passieren an dem verfluchten Ort der Spinnenhure. Du kannst mir glauben. Der Sklave kennt sogar einen Vhaeraunpriester. Er nennt sich Sorn Dalael und hat einen Zwillingsbruder namens Nalfein. Angeblich ist dieser Sorn in Shar verliebt. Shar ist übrigens der Name des Halbdrow. Beide sind heimlich ein Paar. Den Rest kannst du dir vielleicht denken.“
Den Rest konnte sich der Jüngere der beiden Dunkelelfen tatsächlich bildlich ausmalen und nickte als Bestätigung. Doch die weiteren Informationen klangen viel versprechend. Aber auch er hatte Neuigkeiten zu berichten und begann sogleich seine Erlebnisse zu erzählen.
„Ich habe heute beobachtet, dass dieser schmierige, alte Kerl sich den ganzen Tag bei Iymril aufgehalten hat. Von Imyrils Diener, Lyme, habe ich in Erfahrung gebracht, dass sie zusammen Gegessen und Getrunken haben und sogar das Bett teilten“, dabei verzog Sabrar etwas angewidert sein Gesicht und Tarlyn tat es ihm gleich. Dann sprach er in ruhigem Tonfall weiter. „Nun gibt das ganze auch viel mehr Sinn. Ich weiß sogar, dass es Iymril war, die Nhaundar den Befehl gab, dass er den Halbdrow vor die Tür setzen sollte. Angeblich weil sie ihn nicht ausstehen kann. Doch bedenke, Ilbryn, Mourn und Elenschaer gehören zu den engsten Bediensten deiner Tochter und alle sind Halbdrow. Lyme hat diesen Nhaundar zusammen mit dem Jungen zu Iymril gebracht und von ihm stammen auch meine Informationen. Als er das Essen servierte, hatten beide sich über einen Halbdrow unterhalten, doch ihre Stimmen waren gedämpft, damit niemand sie hörte. Zum Glück für uns, dass Lyme jung und ein gutes Gehör besitz. Er schwört auf den Maskierten Fürsten, dass sich beide um diesen Shar unterhielten, den der ölige Kerl nun seit 50 Jahren in seinen Fängen hat. Leider konnte er mir sonst nichts weiter berichten. Doch bedenke einmal die Situation“, meinte Sabrar zu dem Vaterpatron.
Tarlyn runzelte die Stirn und dachte tatsächlich angestrengt nach. Aus diesem Grund war Iymril auch zugegen, als er den unbeliebten Gast hinausgeworfen hatte. Reine Neugier war dies auf keinen Fall, sagte sich der Hohepriester, sie wollte sicher gehen, dass Nhaundar kein Wort über etwas verlor, was wohl für beide und höchstwahrscheinlich auch für den Jungen fatale Folgen haben könnte. Doch nur welche?
„Antworten werde ich wohl nur bei meiner Tochter finden und ich habe das dumpfe Gefühl, dass diese nicht positiv ausfallen werden“, meinte nun der Hohepriester angespannt und stellte sich dabei das Gesicht des jungen Halbdrow vor. Immer noch beschlich ihn die Ahnung, dass ihm die Gesichtszüge bekannt vorkamen, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen.
„Ich werde dich begleiten und am besten gehen wir gleich, Tarlyn. Denn ich fühle mich plötzlich nicht wohl. Ich erinnere mich, dass Iymril vorhin ihre Mundwinkel auf seltsame Art verzog, als ich mit dem Sklaven zu dir kam. So etwas hat sie niemals getan. Es kam mir so vor, als wollte sie diesen Shar nicht in ihrer Nähe wissen.“
Daraufhin sprangen beide auf und liefen eilig zu Tür. Dort schauten sich die Freunde in die Augen und in ihren Blicken erkannten sie die Furcht des anderen vor dem was vielleicht noch kommen würde.

„Du beschuldigst mich, Vater?“, erklang die etwas leicht nervöse Stimme von Iymril, die nur wenig später unruhig auf einem Diwan saß und ihre Hände in das weiche Polster grub. Von ihrer gelassenen und stets überlegenen Art war in jenem Moment kaum was zu erkennen. Gegenüber hatten Tarlyn und Sabrar Platz genommen und beide musterten die jüngste Tochter äußerst genau. Sie trug immer noch den aufreizenden Stoff, der mehr von ihrem Körper preisgab, als dass er etwas verhüllte.
„Wer hier die Schuld zu tragen hat, meinte ich nicht. Dieser Nhaundar Xarann legte ein schlechtes Benehmen an den Tag, doch das steht nicht zur Debatte, Iymril. Er ist für das ungehobelte Verhalten selbst verantwortlich und das lege ich in keinem Fall dir zur Last. Ich will einfach nur die Wahrheit erfahren. Lyme erzählte, dass dieser widerliche Sklavenhändler den Tag bei dir verbrachte“, erwiderte der Hohepriester seiner Tochter. Dabei spitzte er seine Lippen, um sein Unmut gegenüber seiner Tochter zum Ausdruck zu bringen. Den Umgang mit diesem Dunkelelfen wollte er nicht billigen noch wollte er, dass dies noch einmal geschieht.
„Verraten von dem eigenen Diener“, flüsterte Imyril und schüttelte ungläubig den Kopf. „Ist das ein Gespräch oder ein Verhör Vater?“ entgegnete Iymril anschließend lauter und wirkte plötzlich nervöser. Sie fühlte sich plötzlich in die Enge getrieben und aus einem unerklärlichen Impuls heraus redete sie weiter ohne eine Antwort ihres Vaters abzuwarten. Ein Fehler, denn Tarlyn wollte gerade erwidern, dass er doch einfach nur wissen wollte, was sich zugetragen hatte.
„Die Wahrheit kannst du gar nicht sehen, Vater. Die Maske deines Gottes blendet dich und hat dich blind vor jedem und allem gemacht“, meinte Iymril plötzlich wütend. Denn die Dunkelelfe fühlte sich mehr oder minder in der Falle. Als vor wenigen Minuten ihr Vater und sein treuster Berater vor ihr auftauchten, da wusste sie bereits, dass Ärger ins Haus stand. Doch sie versuchte sich ruhig zu geben, denn ihren Verrat von einst und den, den sie für die Zukunft plante, musste im sicheren Hafen weilen. Nhaundar spielte dabei eine große Rolle. Aber ihre Nervosität stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Erneut gruben sich ihre Hände fester in das Polster des Diwans.
„Iymril!“, rief Tarlyn laut, um seine Tochter zur Vernunft zu bringen und gleichzeitig darüber nachzudenken, was sie eben von sich gegeben hatte.
Doch die Drow dachte nicht daran. Ihr Zorn nahm unvermittelt überhand und schon immer hatte sie ihren Vater gehasst. Eigentlich verachtete sie alle in diesem Haushalt, selbst ihre verstorbene Schwester Chalithra. Denn was keiner wusste, jemals noch ahnte, Iymril Myt’tarlyl war seit vielen Jahrzehnten gläubige Anhängerin Lolths, mitten in einem Haus des Vhaerauns. Schon vor Ewigkeiten entdeckte sie ihre wahre Liebe zu der chaotischen Göttin der Spinnen und pflegte ihren Glauben still und leise in ihren Gemächern auszuführen. Ganz so, wie Lolth es ihr in ihren Gebeten und Visionen lehrte und befahl. Kurz vor der Geburt des jungen Shars erhielt Iymril den Auftrag ihre Schwester zu töten und den Oberflächenelfen samt dem unbeliebten Nachwuchs zu beseitigen. Das hatte die jüngste Schwester soweit auch getan. Alles verlief nach Plan. Dann, nach und nach wurde ihre Aufgabe komplizierter, denn ihre Familie sollte ganz ausgelöscht werden. Das Haus des Vhaerauns sollte eine Hochburg von Lolthanhängern werden. Der erste Versuch vor ungefähr 150 Jahren scheiterte. Damals wurde ebenfalls durch Imryls Verrat der Bruder von Tarlyn und dessen Familie ermordet. Das war alles der Wille ihrer Göttin und somit auch Iymrils Wunsch. Doch der Fall des eigenen Hauses sollte nach der Vision Lolths langsam stattfinden. Der erste Schritt war taugliche Sklaven zu bekommen und die fand man am besten in Menzoberranzan. Das war auch der einfache Grund, wieso Iymril mit Nhaundar ins Geschäft kam. Außerdem konnten Sklaven aus Menzoberranzan keine Details preisgeben, da sie die Verhältnisse in Eryndlyn nicht kannten. Nhaundar bekam viel Geld von Iymril versprochen, wo der gierige Dunkelelf nicht lange überlegen musste. Doch den eigentlichen Plan kannte auch er nicht. Sein Auftrag lautete nur, er sollte diese Sklaven beschaffen und am besten Krieger, die sich im Kampf auskannten. Als Nhaundar dann am heutigen Vormittag vor Iymril stand, hatte sie Shar nicht erkannt, da sie nicht wusste, dass der Junge noch am Leben war. Dass es sich bei diesem Sklaven um einen Halbdrow handelte und sie Halbdrow innerlich verabscheute, wie Vhaeraun persönlich, ließ sie dazu veranlassen, dass sie Shar nicht in ihrer Nähe wünschte. Sie musste schon die Tage hier mit ihren engsten Dienern Ilbryn, Mourn und Elenschaer zubringen und das alleine war bereits schwer für sie zu ertragen. Doch der Wille der Göttin verlangte von ihr dieses unliebsame Opfer. Erst im Laufe des Gespräches mit Nhaundar erfuhr sie, wer der Halbdrow vor der Tür wirklich war. Doch niemand, weder Imyril noch Nhaundar selbst, gingen davon aus, dass der Junge sich von der Tür davon stehlen würde. Der Sklavenhändler überzeugte seine Geschäftspartnerin, dass Shar sehr gehorsam war und die Angst vor einer möglichen Bestrafung bei Missachtung der Befehle, würden Shar bleiben lassen wo er war. Als sie nach dem befriedigten Nachmittag jedoch das Verschwinden bemerkten, war Iymril nervös und malte sich bereits das Schlimmste aus. Als jedoch ihr Vater den jungen Halbdrow einfach wieder in die Obhut von Nhaundar übergab schien sie sich sicher, dass alles wieder beim alten war. Aber nun änderte sich das Gefühl der Sicherheit durch die Anwesenheit von Tarlyn und Sabrar erneut in Unsicherheit. Innerlich betete sie zu Lolth, doch erhielt keine Antwort. Ab da wusste Iymril, es gab so schnell keinen Ausweg aus ihrem Dilemma. Das Vernünftigste schienen Lügen zu sein und genau das tat sich auch. Doch die Fragen des Hohepriesters waren geschickt gewählt und brachten die heimliche Lolthanhängerin zum Schäumen.
„Ich hasse dich, Vater“, spie Iymril plötzlich voller Abscheu heraus. Dann stand sie eilig von dem Sofa auf und funkelte den Vaterpatron mit rot glühenden Augen an. Mit der anderen Hand tastete sie nach hinten, um dort den versteckten Dolch in ihrem Gewand jederzeit angriff- oder auch abwehrbereit ziehen zu können.
Tarlyn erschrak und schien im ersten Moment sich nicht wirklich über die Situation im Klaren zu sein.
Sabrar verstand augenblicklich und erhob sich von dem Sessel. Er griff nach dem Schwertknauf seiner Waffe und schaute zu dem Hohepriester, der immer noch neben ihm saß und nicht in der Lage zu sein schien, etwas zu antworten.
„Nehmt das zurück, Iymril, ihr sprecht hier mit eurem Vater“, knurrte Sabrar und wand sich währenddessen der Dunkelelfen zu.
Ihre Augen verzogen sich in jenem Moment zu engen Schlitzen und dann schrie sie den Jüngeren der beiden Männer an. „Haltet den Mund, Sabrar. Euch fragt hier keiner. Ihr wackelt doch nur eurem Herrn hinter her, ganz so wie ein Hund hinter seinem Herrchen.“
Diese Aussage war nun für Tarlyn, wie auch für Sabrar, zuviel.
Der Hohepriester sprang von seinem Sessel auf, umklammerte mit festem Handgriff den Schwertarm seines Freundes, damit dieser die Waffe nicht ziehen und er sich gleichzeitig abstützten konnte und richtete dann seine volle Aufmerksamkeit auf Iymril, deren Worten ihn wie ein Dolch im Herzen traf.
„Diese Worte sind nicht im Ernst gesprochen, sondern im Zorn. Aber antworte mir meine Tochter, was hat dies alles zu bedeuten? Wieso bist du plötzlich so wütend?“, wollte jetzt der Vaterpatron wissen, wobei seine Stimme etwas brüchig von der eben getätigten Aussage Iymrils klang. Er wollte und konnte es nicht glauben, was er hörte. Dabei spürte er, wie er ganz langsam zu zittern begann.
Eine Welle aus Hass und Eifersucht, Angst und Wut und unsäglicher Hysterie brach über Iymril zusammen und sie schrie aus Leibeskräften alles heraus, was sie in all den Jahren im Verborgenen gehalten hatte. Sie vergaß ihre Lügen und der Schleier des Wahnsinns ergriff von ihr Besitz.
„Ich habe euch alle angelogen. Ich diene Lolth, der Spinnenkönig. Vater, glaube nicht dass du mich aufhalten kannst. Denn ich habe es schon einmal geschafft. Zuerst habe ich Chalithra umgebracht und dann habe ich Handir nach Menzoberranzan verkauft. Damit habe ich dir deinen Traum von der Vermischung der Rassen zunichte gemacht und es hat mir unglaubliche Freude bereitet. Du wirst der Nächste sein. Nein, ihr alle werdet Lolth als Opfer dienen und auf alle Ewigkeiten dazu verdammt sein im Reich meiner Göttin zu winseln und zu jammern.“ Iymril brach anschließend in irres Gelächter aus und ihre Augen glühten dabei brennend auf. Doch in ihrem Gesicht machte sich der Ausdruck des absoluten Wahnsinns breit.
Tarlyn und Sabrar holten beide gleichzeitig tief Luft und dachten, sie hätten ihren Ohren nicht getraut. Sabrar wollte erneut sein Schwert ziehen, doch der Griff von seinem Freund wurde stärker. Dabei spürte er jedoch, wie Tarlyn immer mehr zitterte.
Der Hohepriester war geschockt und wütend zu gleich. Sein Herz raste wild und in seinem Kopf hallten die Worte von Iymril nach. Was hatte sie nur getan? Nicht seine Tochter, das konnte einfach nicht die Wahrheit sein? Doch tief in seinem Herzen wusste er, dass das eben Gesprochene keine Lügen waren. Tarlyn versuchte sich so ruhig wie möglich zu verhalten und dabei half ihm Sabrar, an dem er sich zum einen festklammerte und ihn von einer unüberdachten Handlung abhielt.
„Sag’ … sag’ mir, dass du …“, stammelte der Hohepriester, bis ihm die Stimme versagte.
„Du bist eine elende Lolthhure“, mischte sich jetzt Sabrar ein, machte jedoch nun keinen Versuch mehr, sich auf die jüngste Tochter des Hauses zu stürzen. Er wusste, dass nur Tarlyn alleine ein Urteil darüber fällen konnte und durfte. Aber seinen Mund würde er sich nicht verbieten lassen und so fuhr er ungehindert fort. „Was dein Vater für dich alles getan hat. Welche Wünsche und welche Zukunftspläne er für dich hatte. Doch du prostituierst dich in der Öffentlichkeit und alles wegen einer achtbeinigen Schlampe, die nichts weiter als ihren eigenen Vorteil in allem und jedem sieht. Du bist genauso verblendet wie alle Priesterinnen der Hure aus dem Abgrund. Dort erfährst du niemals Erlösung sondern nur ewiges Leid.“
„Es reicht!“, herrschte plötzlich eine Stimme neben Sabrar ihn mit rauem Tonfall an. Tarlyn hatte sich wieder im Griff, ließ nun auch den Schwertarm von Sabrar los und begann einen Schritt nach dem anderen auf Iymril zu zugehen.
Iymril dagegen stand immer noch überheblich vor dem Diwan, ihre eine Hand sicher an dem Dolch in ihrem Rücken und die andere zu einer Faust geballt, während sie mit irrem Blick zu den beiden Drow hinüber schaute.
„Erzähle mir nun auch den Rest und dann nimm’ deine Strafe für dieses Vergehen an“, forderte Tarlyn seine Tochter auf und hielt plötzlich inne. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er sich ihr nicht weiter näher sollte, denn Iymril hatte womöglich und mit aller Voraussicht eine Waffe genau da, wo ihre eine Hand hinter dem Rücken verschwand.
Erneut lachte die Dunkelelfe auf und schien in ihrer Hysterie die Überlegenere zu sein. „Du wirst heute Derjenige sein, der sterben wird und zwar im Namen Lolths“, schrie Iymril voller Inbrunst. „Aber ich werde dir erzählen, alles was ich weiß und dann wirst du mit diesem Wissen deine Reise zur Göttin antreten und in ewiger Verdammnis im Nebel des Nichts gleiten. Denn ich will dir berichten, dass ich auch Mutter auf diese Reise geschickt habe. Genau wie Chalithra.“
Kurzzeitig herrschte absolute Stille. Diese benötigte Tarlyn auch, um sich über diese Aussage im Klaren zu werden, während er tief Luft holte. Er konnte es einfach nicht glauben. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten nun unglücksträchtig auf, aber er versuchte Herr der Lage zu werden. Für alle weiteren Gedanken gab es später die benötigte Zeit, erst einmal galt es, die Wahrheit zu erfahren.
„Chalithra habe ich mit vergiftetem Wasser zur Göttin gesandt. Dieses Wasser gab ihr Handir, der von alldem nichts ahnte …“, erklärte Iymril weiter und musste erneut laut und schrill auflachen. „… Dann habe ich mit Handir gekämpft und dieser Trampel eines Orks schaffte es mich zu überrumpeln und konnte fliehen, zusammen mit seinem Sohn, deinem Enkelkind. Doch nicht, dass ich das nicht vorher geahnt hätte, denn Nhaundar nahm sich Handir an und brachte diesen nach Menzoberranzan. Heute erfuhr ich glücklicherweise, dass der Elf schon fast seit 30 Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilt.“
Tarlyn schluckte bei den Worten merklich und allmählich gab alles Sinn. Er erinnerte sich an die Informationen und Berichte, die mit dem damaligen Tod seiner ältesten Tochter ihm zugetragen wurden. Es passte wie die Faust aufs Auge und er verstand zum ersten Mal, dass Handir nicht der Schuldige dieses Mordes war. Doch dann musste auch das Kind leben, doch wo war es, fragte er sich gleichzeitig. Als ob Iymril die Gedanken des Vaterpatrons gelesen hatte, folgte die Antwort auf dem Fuße.
„Du, mein verehrter Vater …“, machte die Jüngste des Hauses ihrem Wahnsinn weiter Luft und strafte mit diesen Worten dem Hohepriester lügen. „… Du hast vorhin deinen Enkelsohn aus den Händen gegeben und ihn wieder dem Dunkelelfen überreicht, der ihn schon seit 50 Jahren in seinen Fängen hält.“ Lautes Gelächter ertönte durch die Privatgemächer, die Iymril bewohnte.
Dieser Schlag saß und traf Tarlyn mitten ins Herz. Selbst Sabrar erkannte mit einem Mal die Wahrheit, die in diesen Worten lag. Der Hohepriester fing plötzlich wieder an zu zittern und all die Gedanken und Gefühle, die er dem jungen Halbdrow gegenüber hegte und verspürte, waren wahr. Das konnte, nein, das durfte nicht sein! Verzweiflung und Wut drohten ihn zu übermannen und er konnte die Anwesenheit seiner Tochter nicht mehr ertragen. In diesem Moment hatte er sein Urteil gefällt. Tarlyn verlangte es nach Gerechtigkeit und Vergeltung und wand sich zu Sabrar um und riss unverhofft dessen Schwert aus der Scheide.
Im Bruchteil von Sekunden holte der Hohepriester mit einen kräftigen Schwung aus. Die Klinge zerteilte die Luft von rechts nach links in der Höhe des Kopfes seines Gegenübers. Doch auch Iymril blieb nicht untätig. Zuvor hatte sie den Dolch hervor gezogen, schoss mit dem Arm nach vorne und traf den Vaterpatron am Arm, während dieser die Waffe schwang. Allerdings hielt sie plötzlich in der Bewegung inne, ihre Augen weiteten sich und bereits im nächsten Moment verschwand der Glanz darin, der Mund noch geöffnet vor Lachen und Schrecken zugleich. Eine unheimliche Stille legte sich mit einem Mal über das Zimmer. Weitere Sekunden vergingen und die Sandkörner rieselten in aller Unschuld im Stundenglas hernieder und nicht einmal ein Atmen war zu hören. Dann plötzlich ertönte ein matschiges Geräusch. Der Dolch in Iymrils erschlaffter Hand fiel klirrend zu Boden und schon folgte der Körper. Der Kopf klatschte mit einem dumpfen Knall auf den Teppich. Das Gesicht der körperlosen Frau schaute die beiden Drow mit einer überraschten Fratze an und der Mund würde nie wieder einen Ton von sich geben.
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