Dem Wahnsinn so nah
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Disclaimer:
I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
28. Kap. Der Zorn des Gottes
28. Kapitel
Der Zorn des Gottes
Sabrar riss vor Bestürzung die Augen weit auf. Sein Mund klappte vor Verwirrung nach unten. Doch er gab keinen Ton von sich. Nicht, nachdem sein Freund und Herr soeben die eigene Tochter mit seinem Schwert enthauptet hatte. Genauer gesagt, nicht nachdem Tarlyn das tödliche Urteil über den schmachvollen Verrat seines eigenen Blutes so abrupt in die Tat umsetzte.
Tarlyn Myt’tarlyl ließ währenddessen den Arm samt Schwert kraftlos nach unten sinken und verlor den Halt um dessen Knauf. Mit einem klirrenden Geräusch fiel die Klinge zu Boden. In seinem Gesicht zeichnete sich die unfassbare Erschütterung über die abtrünnige Iymril ab und der eben noch aufsteigende Zorn verrauchte schlagartig und wurde durch eine Miene der Fassungslosigkeit ersetzt. Er wirkte plötzlich leer und blieb regungslos stehen. Wie eine Seele, deren Körper zu Asche verbrannte und lediglich ein Hauch seiner selbst in der Luft übrig ließ. Der Schmerz der blutenden Stichwunde am Arm verspürte Tarlyn nicht einmal, wo ihn Iymril mit dem Dolch einen nicht allzu tiefen Schnitt zugefügt hatte. Es blutete nur leicht, dennoch tropfte das Blut langsam an seinem Ärmel und Arm herunter und vermischte sich dort mit dem Muster auf dem Teppich unter seinen Füßen. Er hatte soeben seine einzig noch lebende Tochter getötet. Nein, nicht nur ermordet, sondern er wollte damit Schlimmeres verhindern, bevor noch mehr Unschuldige ihr Leben verloren.
Kurz bevor er sein Urteil fällte, erkannte er die grausame Wahrheit, die mit den Worten von Iymril einhergingen. Tarlyn begriff die Tatsache über all das, was geschehen war. Alles was er einst so sehr liebte, all das was seinem Leben einen Sinn gab, das war schon vor Jahrzehnten verblasst, um heute noch entsetzlicher von ihm gerissen zu werden und einen Scherbenhaufen übrig zu lassen. Nur eines konnte ihm niemand nehmen, seinen unerschütterlichen Glauben an den Maskierten Fürsten, trotz des Verlustes seiner geliebte Ehefrau Waerva und seine Tochter Chalithra. Die Realität erschien ihm plötzlich verdreht und doch auf grausame Art richtig. Weitere Gefühle und Gedanken bemächtigten sich plötzlich seiner.
Er wurde nach Strich und Faden belogen, tagtäglich und über so viele Jahre hinweg. Iymril, eine Priesterin Lolths und gleichzeitig die Mörderin seiner Familie. Sie hatte die Familie seines Bruders getötet und dem Mondelfen Handir so viel Unrecht angetan. Selbst vor ihrem Neffen, seinem Enkelsohn, schrak sie nicht zurück. Sein Enkel, einer der zwei männlichen Nachfahren des Hauses Myt’tarlyl, dachte sich der Hohepriester. Und während er sich den kopflosen Körper der Toten näher betrachtete, erschien das Bild von Shar vor seinem inneren Auge. Der Blick in die tiefblauen Augen, die ihn mit Respekt und kindlicher Naivität anschauten, das herzliche Lächeln auf dem hübschen Gesicht und die Gesichtszüge, die ihn so sehr an Chalithra erinnerten.
Er selbst hatte den Jungen zu sich genommen, gab ihm Essen und dann … . Diesen Gedanken wollte er nicht weiter ausführen, denn dieser brachte einen nicht wieder gutzumachenden Frevel mit sich und ließ sein Herz bluten. Es konnte nicht wahr sein, aber noch vor einer Stunde hatte er Shar seinem brutalen Häscher wieder zurück in dessen Hände gegeben und sich einfach abgewandt. Der Sklave, der sich als sein Enkel entpuppte und darauf spurlos aus diesem Haus verschwunden war. Oh nein, noch viel schlimmer, der sich jetzt abermals in der Gesellschaft des widerlichsten Dunkelelfen des ganzen Unterreich befand. Was soll ich tun? Wohin führt mich dies alles?
„Tarlyn? Herr, bist du in Ordnung?“, unterbrach Sabrar die Gedanken und Erinnerungen des Vaterpatrons und legte dabei beschwichtigend eine Hand auf dessen Schulter. „Sag doch etwas“, bat er ruhig.
Tarlyn drehte den Kopf und schaute mit leeren Augen in denen des jüngeren Drow. Er sah Sabrar vor sich und doch wieder nicht. Alles schien sich wie ein Gewitter über ihm zusammen zubrauen und prasselte eben mit einem gewaltigen Regenschauer auf ihn hernieder.
„Du hast das Richtige getan …“, versuchte Sabrar auf den Vaterpatron einzureden, „… du brauchst dir keine Schuld geben, denn einzig und allein war es das Wesen der Spinnenhure Lolth, die ihre Finger im Spiel hatte.“
Plötzlich begriff Tarlyn und das Leben kehrte in die bernsteinfarbenen Augen zurück. Er wurde sich bewusst, dass er ein Urteil über Leben und Tod vollstreckt und damit der Gerechtigkeit genüge getan hatte. Doch noch war nicht alles beendet, eine große Aufgabe lag noch vor ihm. Er musste seinen eigenen Fehler aus der Welt schaffen und gleichzeitig der Spinnenkönig im Namen seines eigenen Gottes – der Maskierte Fürst der Nacht - einen Schlag versetzen.
„Ich muss in den Tempel, um mich zu sammeln und ich muss Shar finden, Sabrar“, antwortete der Hohepriester und konnte nun zum ersten Mal wieder normal sprechen.
„Shar?“, kam die etwas ungläubige Frage des Beraters, als ihm plötzlich wieder der Name des Jungen einfiel.
„Shar, meinen Enkel. Sein Name … er heißt Shar und er ist mein … mein Fleisch und Blut“, stammelte Tarlyn und hielt sich das Gesicht des Jungen vor Augen. „Shar, der Halbdrow den ich aus meinen Händen gegeben habe, der Sklave der mit Nhaundar verschwunden ist. Der Junge der mich …“, dann beendete Tarlyn abrupt den Satz und schwieg, weil ihm die Stimme erneut versagte.
Sabrar verstand und er musste schlucken, um die gesprochenen Worte zu ordnen und selbst zu verdauen. Sein Freund hatte den vermissten Enkel in den Händen gehabt, er war bei ihm gewesen und Tarlyn hatte ihn einfach wieder diesem seltsamen Subjekt von Drow aus Menzoberranzan übergeben. Ebenso wurde sich der Jüngere der beiden bewusst, dass Tarlyn auch mit diesem Jungen seine innersten Sehnsüchte nach einer Familie gehen gelassen hatte. Es gab nur noch Tarlyn, Shar und Kalanzar. Doch dafür konnte sich niemand die Schuld geben, am wenigsten sein Freund, denn keiner kannte bis vor wenigen Minuten die ganze Wahrheit. Nur Iymril wusste alles, die ihr Wissen im Wahnsinn und Einfluss von Lolth keinem anvertraute und nun ihrer wahren Bestimmung überantwortet worden war. Iymril würde der Spinnenkönigin in ihrem verfluchten Elysium dienen.
„Ich verstehe“, flüsterte Sabrar leise und hob dann, die mit dem Blut einer Verräterin beschmierten Klinge auf, wischte sie an dem Kleid von Iymril ab und verstaute sie wieder in der Scheide seines Waffengürtels.
In einer geheimnisvollen Finsternis waberte roter Nebel in einer Schwärze der Leere. Er schwebte in Allem und Nichts und bildete eine nicht zu erkennende Form. Darin schmolz soeben das letzte Bild von Tarlyn und Sabrar dahin, wie Eis in der Sonne und zurück kehrte die Dunkelheit der Nacht. Ein undurchdringlicher Nebelschleier schwebte regungslos davor, wo eben noch die Abbilder der beiden Dunkelelfen aus Eryndlyn zu sehen waren. Der Nebelschauer wurde plötzlich zu einem Schatten und wirbelte wie ein Sturm um sich selbst und verdichtete sich langsam zusehends. Anschließend war eine Silhouette eines Dunkelelfen sichtbar. Nach weiteren Atemzügen stand dort ein Drow. Er trug eine schwarze Lederrüstung. Darüber konnte man eine flammendrote Robe erkennen, die mit silbernen Runen an den Säumen abgesetzt war. Darunter lugte ein Waffengürtel hervor. An dem prangten ein Dolch und ein Kurzschwert mit schwarzer Klinge. Das attraktive Gesicht des Dunkelelfen wurde durch eine goldene Halbmaske verdeckt und nur die roten Augen funkelten und leuchteten daraus hervor. Weiße, lange Haare fielen über die Schultern.
„Habt ihr es gesehen?“, erklang die erhabene und gleichzeitig all durchdringende Stimme des Dunkelelfen und schien förmlich überall und nirgendwo zu sein.
Ein weiterer, kleinerer Schatten näherte sich dem Drow. Dieser schwebte über dem Boden, der genauso gut die Decke hätte sein können. „Ja, mein Herr …“, begann der Schatten zu flüstern und wurde von dem Dunkelelfen mit der goldenen Halbmaske abrupt unterbrochen.
„Schweigt! Ich habe großes vor, die Zukunft wird mir zu Füßen liegen und ein neues Faerûn wird sich erheben. Ich werde auf der Welt wandeln und nichts und niemand wird mich aufhalten. Doch wenn ich bedenke, dass ich von Idioten und Wichtigtuern umgeben bin, dann wird mir schlecht.“
Der Dunkelelf mit der flammendroten Robe lief plötzlich nervös und gedankenverloren auf und ab. Er murmelte in einer unverständlichen Sprache vor sich hin und schien niemand mehr um sich herum wahrzunehmen. Dann hielt er jählings an, versank tief in seiner Selbst und er konzentrierte sich auf Worte, die jenseits seines Aufenthaltsortes an ihn gerichtet wurden. Eine seiner vielen Facetten beschäftigte sich mit diesem Gebet und ein hinterhältiges Grinsen entblößte weiße Zähne.
Der Schatten der untergebenen Seele, der eben noch aufmerksam den Ausführungen über die Zukunft des Maskierten Fürsten lauschte, schwebte näher heran und erhaschte in diesem Moment seinen Herrn dabei, wie seine Mundwinkel sich zu einem Lächeln verzogen.
„Bald wird es geschehen“, sprach der Drow in der Robe und blickte den Schatten an. Auf dessen durchscheinenden Gesichtszügen konnte er plötzlich auch den Hauch eines Schmunzelns erkennen.
Zur gleichen Zeit stand Taryln Myt’tarlyl vor dem schwarzen Obsidianaltar im Tempel des Vhaerauns und war vertieft in sein Gebet.
Sabrar, der Berater des Vaterpatrons, hielt sich etwas abseits im vorderen Teil des Gebetortes auf, ganz in der Nähe der Tür, falls jemand versuchen sollte, unangekündigt den Hohepriester zu stören. Er versank ebenfalls in Andacht. Doch ein seltsames Geräusch ließ ihn aufhorchen und er schaute sich um. Automatisch wand er sich zur Eingangstür zu, aber von dort erklang kein Ton. Niemand war zu sehen und keiner des Hauses begehrte Einlass. So versuchte Sabrar seine Aufmerksamkeit nach vorne zu lenken. Er erkannte Tarlyn am Altar stehen, doch auch dieser schien sich nicht gerührt zu haben. Tief ins Gebet versunken, wirkte er mehr einem Schatten gleich, als einem Dunkelelfen, so reglos stand der Hohepriester da.
Sabrar schüttelte kurz irritiert den Kopf. Doch da bewegte sich etwas. Eilig richtete er die roten Augen auf eine dunkle Stelle am Altar, als auch schon im nächsten Moment etwas Schwarzes auf Tarlyn zuraste.
Der Vaterpatron des Hauses Myt’tarlyl erbat gerade ehrfürchtig um eine Antwort des Maskierten Fürsten, da spürte er im Bruchteil einer Sekunde, wie sich Jemand oder Etwas um seinen Hals und Nacken legte. Erschrocken riss er die Augen auf, ähnelte dies doch der Situation von heute Vormittag und erkannte plötzlich alles um sich herum in absolute Finsternis getaucht. Er drohte plötzlich das Gleichgewicht zu verlieren. Mit den Händen fuchtelte er wild in der Luft herum, konnte sich jedoch nicht fangen und fiel schließlich auf den Boden. Er landete auf dem Hinterteil und der Schwung des Schattens zwang ihn dazu, am Ende auf dem Rücken ausgestreckt am Tempelboden zu liegen. Ein Schmerz durchzuckte seinen Körper und wurde von einer unbeschreiblichen Pein erfasst. Dann lag er einfach nur still da und sein Blick traf rot glühende und von Gefahr gezeichnete Augen eines Drow. Dieser Dunkelelf trug eine goldene Halbmaske. Eine schwarze Lederrüstung schütze den schlanken, aber dennoch durchtrainierten Körper und Tarlyn wusste in diesem Moment, wer ihn an diesem langen und nervenaufreibenden Tag in diese unwürdige Position gebracht hatte. Niemand anderer als Vhaeraun ließ soeben den Hals und Nacken los, nur um auf seinem Oberkörper zu sitzen und mit beiden Knien den Brustkorb des Hohepriester einzuklemmen. Die Augen des Gottes richteten sich dabei stur auf den wehrlosen und überrumpelten Tarlyn. Dieser keuchte auf und versuchte zu atmen und die Schmerzen im eigenen Leib zu ignorieren. Er hatte zwar um eine Antwort gebeten, doch wer hätte damit rechnen können, dass ein Avatar des Maskierten Fürsten in seinen Tempel kam. Doch etwas stimmte an der Situation nicht und auch gleich im nächsten Moment konnte dies Tarlyn auch spüren. Der Avatar zog seinen Dolch und setzte ihn an die Kehle des Hohepriesters.
Sabrar, der alles mit Angst und absoluter Neugier verfolgte, fing am ganzen Körper an zu zittern. Noch niemals zuvor in seinem Leben hatte er seinen Gott von Angesicht zu Angesicht angetroffen und bei dem ungewöhnlichen Angriff auf seinen Freund spürte er jetzt absolute Demut. Aus Ehrfurcht über die Ankunft des göttlichen Wesens, wich er einen Schritt nach dem anderen nehmend, ganz langsam nach hinten aus. Er wollte zur Tür gelangen. Entweder die Flucht ergreifen oder versuchen, niemanden hier hinein zu lassen. Die Furcht vor dem unbändigen Zorn Vhaerauns ließ jedoch kaum eine Möglichkeit einer größeren Wahl zu.
„Tarlyn Myt’tarlyl, ihr seit nichts weiter als eine der vielen Marionnetten, ein Spielball der Götter. Was kam euch eigentlich in den Sinn …“, begann der Avatar Vhaerauns mit herrschender Stimme zu sprechen, wobei der Hohepriester das Gefühl verspürte, er würde sie als tausend Stimmen gleichzeitig wahrnehmen. „… Ihr hattet die Zukunft in der Hand und lasst sie so einfach durch eure Finger gleiten. Der Halbdrow war und ist die seltene und äußert rar gesiedelte Spielfigur im Spiel der großen Macht!“ Diese Aussagen unterstrich Vhaeraun mit der kalten, schwarzen Klinge des Dolches – Nachtschatten genannt - und ritzte die Haut des Hohepriesters leicht. Ein kleines Rinnsal Blut floss daraus hervor und Tarlyn konnte den warmen Lebenssaft spüren, wie er an seinem Hals herunter rann.
„Was … was habe ich getan … mein … mein Maskierter Fürst“, stammelte der Vaterpatron ängstlich und erhaben zu gleich. Die Überraschung und Verwirrung stand auf sein Gesicht geschrieben. Genauso wie die Qual von Vhaerauns nicht sanften Behandlungsmethoden und so verzogen sich seine Gesichtszüge zu einer schmerzenden Fratze.
Der Avatar Vhaerauns drückte die Knie nun heftiger in die Seiten von Tarlyns Brustkorb, so dass dieser laut aufkeuchte und verzweifelt nach Atem rang. Die Klinge des Dolches am Hals des Gottesdieners half ihm dabei, der Drohung mehr Nachdruck zu verleihen.
Sabrar war währenddessen an der Tür angelangt und lehnte mit dem Rücken dagegen. Instinktiv ging eine Hand in Richtung Türknauf und er suchte verzweifelt danach. Doch im Bruchteil einer Sekunde sah er etwas auf sich zuschießen. Mit einem plötzlichen Aufprall fühlte er sogleich kalten Stahl, der hauchdünn sein Ohr streifte. Starr vor Schreck verharrte Sabrar auf der Stelle und konnte sich nicht mehr bewegen. Nur seine Augen wanderten zur Seite und in den Augenwinkeln erkannte er einen Dolch mit schwarzer Klinge in der Tür stecken, der bedrohlich hin und her wippte. Nur ein Millimeter weiter und die Waffe Vhaerauns hätte in der Ohrspitze des Dunkelelfen gesteckt. So tat Sabrar das einzige, was ihm seine Vernunft und der absolute Überlebenswille rieten, er blieb einfach still stehen.
„Ihr werdet als Zeuge benötigt, Sabrar“, sprach der Vhaeraunavatar in aller Seelenruhe, während er eben noch den Dolch blind ohne zu zielen nach vorne warf und gleichzeitig die Hände um Tarlyns Kehle legte und drohend den gestürzten Drow anfunkelte.
„Benutzt ausnahmsweise euer Gehirn, anstatt Spiele zu spielen, Tarlyn! Ich könnte euch auf der Stelle erwürgen, doch ich brauche euch noch“, flüsterte nun der Avatar leise und schaute mit rot glühenden Augen in die bernsteinfarbenen des Hohepriesters, der reglos, jedoch nun zitternd auf dem Boden lag und sich nicht wehrte.
„Mein Maskierter Fürst“, wisperte Tarlyn und bedachte den Avatar mit Ehrfurcht. Er fühlte die unglaubliche und kaum fassbare Präsenz göttlicher Macht, die ihn und alles um ihn herum umgab. Ebenso spürte er Vhaeraun, der auf ihm saß und somit die Unfähigkeit einer Reaktion noch verstärkte.
„Der Wunsch, nein, der absolute Befehl an euch lautet: Finde den Halbdrow, euren Enkel mit Namen Shar. Nehmt ihn auf und bildet ihn aus. In der weiteren Zukunft soll mein Triumph völlig ausgereift und einsatzbereit sein!“
Die befehlende Stimme des Vhaeraunavatars hallte durch den Tempel und in Tarlyns Kopf nach. „Des Weiteren werden eure Zauber vorerst verweigert bleiben. Ihr werdet euch auf euren Verstand und Geschick berufen und den Halbdrow mit dem euch zur Verfügung stehenden Mitteln suchen und finden. Wenn ihr dies zu meiner vollsten Zufriedenheit erfüllt habt, dann seien euch eure Kräfte wieder gewiss. Wenn nicht, dann werdet ihr, Tarlyn Myt’tarlyl 100 Jahre als normaler Drow auf der Materiellen Ebene verweilen ohne einen Zauber benutzen zu können. Ich habe stets ein Auge auf euch und natürlich auf eure Diener. Versagen werde ich nicht dulden!“
Diese Aussage traf den Vaterpatron wie ein Dolchstoß in sein Herz. Bevor er nochmals seine Gottheit ansprechen konnte, da war er plötzlich verschwunden. Der Dolch in der Tür war nicht mehr da und der Avatar auf Tarlyns Brust hatte sich förmlich in Luft aufgelöst. Der Druck, der ihm eben noch das Atmen schwer machte, war nicht mehr zu spüren und da wusste Tarlyn, er und Sabrar waren wieder alleine. Doch der Hohepriester blieb einfach auf dem Boden liegen und erinnerte sich lebhaft an das eben Geschehene. Wie konnte ihm nur solch eine Strafe auferlegt werden?
„Tarlyn?“, kam die plötzliche Frage von weiter her. „Tarlyn, lebst du noch?“, wollte Sabrar wissen und stand nur einige Momente später über dem Hohepriester gebeugt und schaute ihn ein verwirrtes Gesicht und in leeren Augen. „Sag’ etwas“, versuchte es der Jüngere der beiden erneut.
Der Vaterpatron schien in einem schlechten Alptraum gefangen zu sein. Rings um ihn herum entwickelten sich die Dinge weder zum Schlechten, noch zum Guten, sondern sie waren ihm einfach völlig entglitten. Sein Leben lang lebte er für sich, den Status des Hauses und für den unangefochtenen Glauben an den Maskierten Fürsten. Doch hier und jetzt war er plötzlich niemand anderer als ein ganz normaler Dunkelelf. Ein gewöhnlicher Elf aus dem Unterreich ohne die Gunst eines Gottes und dessen Segen. Die göttliche Magie, die ihn stets streichelte und seine Adern hindurch strömte, war zusammen mit dem Vhaeraunavatar verschwunden. Sein Kopf fühlte sich leer und dumpf an und all das, was er in den sechshundert Jahren um sich herum aufgebaut hatte, wurde mit einem Schlag von Vhaeraun zerschmettert. Ein Hohepriester ohne die von dem Maskierten Fürsten gewehrten Zauber und bestraft mit der absoluten Demütigung, die einem Priester jemals auferlegt werden konnte. Wie sollte er jetzt und bei seinem Versagen der Befehle nur ein Jahrhundert ohne seine Kräfte leben, all das, was ihn in so vielen Dingen stets hilfreich zur Seite stand. Das Nichts erfasste jede Faser seines Körpers und er begann erneut am ganzen Körper zu zittern.
„Tarlyn, steh’ auf“, erklang wie von einer anderen Ebene eine Stimme und Tarlyn erkannte sie als die von Sabrar. Plötzlich kehrte er in die Wirklichkeit zurück und erkannte seinen Freund, der absolut besorgt aussah.
„Ich lebe noch“, hörte sich der Vaterpatron selbst sarkastisch antworten, aber die Leere ihn ihm war ein seltsames Gefühl und so schwieg er darauf. Ob er sich jemals an das Nichts gewöhnen würde, fragte er sich. Er musste so schnell wie möglich den Auftrag erledigen, außerdem stand das Leben seines Enkels Shar auf dem Spiel. Die Worte des Vhaeraunavatars über „Spielball der Götter“, „Zukunft“, „Halbdrow“ und „Spiel der großen Macht“ vergaß er vorerst völlig ohne sich zu Fragen, was der Herr der Nacht überhaupt damit meinte. Alleine die Erinnerung an den Jungen beherrschte ihn nun und ließ Tarlyn sich aufrichten, wobei er die hilfreiche Hand Sabrars gerne in Anspruch nahm. Der Vaterpatron ordnete seine Kleider, schaute an sich herab und dann blickte er in die Augen seines Freundes.
Mit ausdruckslosem Tonfall begann Tarlyn zu erklären. „Ich habe meine Kräfte verloren. Vhaeraun hat mich bestraft. Ich spüre seine Macht nicht mehr und ich werde sie erst wieder bekommen, wenn ich meinen Enkel gefunden habe. Wir müssen dringend den Sklavenhändler finden. Nhaundar muss sich noch in der Stadt aufhalten. Stelle kleine Gruppen zusammen, lasse die Männer alle Gasthäuser und Schänken durchsuchen und bringe mir die unwürdige Kreatur eines Dunkelelfen und Shar, Sabrar.“ Dann schlug die Stimme in ein Flehen um. „Ich bitte dich, du musst dich beeilen. Ich will meinen Enkel bei mir wissen und erst dann werde ich wieder der Hohepriester des Hauses Myt’tarlyl sein. Bei Versagen ist meine Strafe hoch …“, dann konnte er nicht weiter reden. Der Schock saß tief und er wünschte sich nichts sehnlicher, als Shar im Arm zu halten und gleichzeitig wieder in der Gunst Vhaerauns zu stehen.
Sabrar hörte aufmerksam zu und sein Mienenspiel verriet die Verwirrung über die Worte, die er soeben vernahm. Er wollte es nicht glauben. Wenn er nicht selbst um Haaresbreite den Dolch neben sich gesehen und gefühlt hätte, dann würde er wohl in schallendes Gelächter ausbrechen. Aber er war wahrlich ein Zeuge der Dinge, die sich in der heutigen Nacht hier abspielten. Mit eigenen Augen sah er den Avatar Vhaerauns, wie er in seine Seele geblickt und Tarlyn am Boden gedroht hatte. So blieb selbst dem Berater keine Wahl als eilig Folge zu leisten, denn die Treue zum Haus Myt’tarlyl kam aus dem Herzen. Sabrar nickte Tarlyn zu, wand sich um und verschwand durch die Eingangstür des Tempels.
Zurück blieb der Vaterpatron. Allmählich begriff er, welche Ausmaße die ganze verzwickte Situation mit sich brachte und er hoffte inständig, dass die Soldaten nicht zu lange brauchten, um den Auftrag auszuführen. Mit einem letzten Blick schaute er über die Schulter zur schwebenden, goldenen Halbmaske hinauf, seufzte und drehte sich der Tür zu. Mit eiligen Schritten lief er hinaus und machte erst wieder Halt vor seinen Privatgemächern. Er brauchte Ruhe. Der Tag war lang gewesen und mit unglaublichen Nachrichten gefüllt. Zuerst das Treffen mit Shar, dann der zügellose Sklavenhändler und nicht so zu vergessen die abtrünnige und nun tote Tochter und ihre Geständnisse. Darauf folgte Vhaeraun. Dies alles musste verarbeitet werden und so schloss sich Tarlyn letztendlich ein und niemand sah ihn bis zum Morgen.
Andernorts, in der Stadt der Spinnenkönigin, lief ein recht nervöser Sorn gerade die Straße entlang. Er kam direkt von dem Anwesen Nhaundar Xaranns und erfuhr dort, dass dieser nicht hier verweilte, sondern auf Reisen war. Als er als Vorwand die Heilung des jungen Shars vorschob, um wenigstens ihn sehen zu können, lautete die Antwort nur, dass dieser mit auf Reisen gegangen war. Ob das ein gutes oder schlechtes Omen war, genau darüber grübelte Sorn Dalael jetzt nach. Ihn quälte die Vorstellung, dass Nhaundar den Jungen vielleicht in einer anderen Stadt verkaufen könnte und er dann niemals erfuhr, wo sich Shar aufhielt. Noch schlimmer war aber der Gedanke daran, dass sein Liebster nicht mehr unter den Lebenden weilte. Nein, sagte sich der Priester und schüttelte energisch den Kopf. Das würde ich tief im Herzen spüren. Doch die unvorhergesehene Situation ließ ihn zur Ruhe kommen. Sie nagte an seinen Nerven und so versuchte er eilig zurück ins Gasthaus zu kommen. Er brauchte etwas Hochprozentiges, etwas, dass seine Sorgen wegspülen vermochte. „Von mir aus auch Zwergenschnaps“, flüsterte Sorn leise vor sich hin und merkte nicht einmal, dass er laut sprach. Dabei umklammerte er im Inneren seines Hemdes sein Heiliges Symbol ohne dies jedoch hervor zu holen. Ein wenig Beistand konnte niemals schaden.
Über ihm schwebte ein schwarzer Schatten. Niemand schien ihn zu bemerkten, nicht einmal der Vhaeraunpriester selbst. Aus der dunklen Finsternis zeichnete sich ein Gesicht mit einer goldenen Halbmaske ab. Mit vor Abscheu verzerrtem Gesicht schaute der Schatten sich in Menzoberranzan um und hätte am liebsten auf einen Misthaufen gespuckt, wenn solch einer vorhanden gewesen wäre.
Dann konzentrierte er sich wieder auf den jungen Priester. Du bist mir ein nützlicher und vor allem treuer Diener, Sorn Dalael, grinste das Gesicht aus schwarzem Nebel in sich hinein. Wenn Tarlyn versagt, dann wirst du mein Trumpf im Spiel der Götter sein. Nichts und niemand wird dich und deinen Bruder aufhalten. Ein Versprechen, dass ich mir gebe, gratulierte sich der Schatten selbst und löste sich wabernd wieder auf, schoss auf die Straße hernieder und verschwand spurlos in den Straßen von Menzoberranzan.
Der Vhaeraunpriester hing immer noch den eigenen Gedanken nach und spürte plötzlich einen kalten Schauer hinter sich. Erschrocken drehte er sich herum, die Hand schon am Schwertknauf, doch er sah niemanden. Erleichtert atmete er tief durch und dann begann er seinen Rückweg mit noch schnelleren Schritten zurück zu legen.
Der Schatten bewegte sich stattdessen auf eine, von fluorizierendem Licht überflutete Burg am Rand der Stadt zu. Das Anwesen erhob sich über die übrigen Häuser und umfasste ein riesiges Arsenal. Der Schatten wirbelte um die eigene Achse. Allmählich formte sich daraus eine Silhouette und sichtbar wurde ein Dunkelelf. Die weißen Haare fielen ihm locker über die Schultern und wurden durch mehrere blutroten Strähnen durchzogen. Das Gesicht durch eine goldene Halbmaske verdeckt. Genau jener Drow schwebte mitten in der Luft und blickte über die Stadt der Spinnenkönigin hinab.
Du wirst eines Tages mir gehören. Nicht mehr lange und die Hure, meine Mutter, wird in alle Ewigkeiten im Abgrund zu Grunde gehen und ihre Anhänger gleich mit, grinste der Dunkelelf verschlagen.
Dann wand sich der Maskierte um, schaute zu dem Haus Baenre herab und beschloss, einer gewissen Yvonnel Baenre, Mutter Oberin des gleichnamigen Hauses, einen Besuch abzustatten. Vielleicht würde er auch seinen Sohn Jarlaxle * dort antreffen, denn von ihm und Yvonell könnte er in Zukunft noch Unterstützung benötigen. Ein listiges Schmunzeln begleitete ihn, während er sich von einer Sekunde auf die nächste entmaterialisierte und im Innern der Burg Baenre wieder auftauchte.
* Hinweis: Vorgeschichte geschrieben in der Fanfiction „A Past and Future Secrets“
Inzwischen marschierte Sabrar mit mehreren Drowsoldaten aus dem Haus Myt’tarlyl durch die Straßen von Eryndlyn und durchsuchte jedes der Gasthäuser, die sich hier wie Sand am Meer fanden. Mehrere andere kleine Gruppen eilten durch andere Bezirke. Mit dem ausdrücklichen Befehl, einen Sklavenhändler mit Namen Nhaundar Xarann einzufangen, in dessen Händen sich ein Halbdrow namens Shar befand. Doch kein leichtes Unterfangen. Denn bisher war die Suche nicht von Erfolg gekrönt. Die Nacht neigte sich langsam dem Ende und der Morgen brach an und damit strömten mehr Einwohnern auf die Straßen und engen Gassen, somit auch unliebsame Zuschauer. Diese würden hinter vorgehaltener Hand reden und vermutlich auch erkennen, dass das erste Haus von Eryndlyn einem Sklavenhändler auf der Spur war. Schlechte Nachrichten verbreiteten sich im Unterreich genauso rasend schnell wie in einer Menschenstadt an der Oberfläche. Klatsch und Tratsch, davon lebten die einfachen Bürger und auch die Drow aus Eryndlyn. Gar nicht auszudenken, was mit Tarlyn geschehen würde, wenn jemals jemand erführe, dass der einstige Hohepriester die Gunst Vhaerauns verloren hatte. So war Eile mehr als angebracht und noch zehn weitere Gasthäuser mussten untersucht werden.
In keinem einzigen winkte der Erfolg und Sabrar schien schon der Verzweiflung nahe, besonders wenn er an die Ereignisse zurück dachte, die alles Mögliche hinter sich her zogen. Dann plötzlich hörte er vor sich die Antwort eines gewissen Lesaonar Rrostarr, Besitzer des Gasthauses „Schattentänzer“, der gegen eine Handvoll Gold einem der Soldaten erzählte, dass hier ein Sklavenhändler mit Namen Xarann mit seinen Männern und einem Halbdrow abgestiegen waren. Doch vor ungefähr einer Stunde hatte sich die Gruppe verabschiedet und wäre ihres Weges gegangen.
Verdammt und Zugenäht, schimpfte Sabrar stumm, das konnte einfach nicht sein. So nah waren sie dem Ziel schon und nun begann die Suche von neuem. Eilig kehrte der Berater zurück ins Haus Myt’tarlyl und stand wenig später vor Tarlyn.
„Er ist abgereist. Sie sind bei Lesaonar Rrostarr untergekommen. Was gedenkst du zu tun?“, fragte Sabrar im Tonfall eines Offiziers, kalt und blasiert.
„Nhaundar wird zurück nach Menzoberranzan gereist sein, wohin sollte er auch sonst gehen“, meinte der Vaterpatron müde und versuchte sich die Verzweiflung über die schlechte Nachricht so wenig wie möglich anmerken zu lassen. „Sabrar, suche die fähigsten Männer des Hauses, stelle eine kleine, unauffällige Gruppe zusammen und wir werden dem Sklavenhändler einen Besuch abstatten“, erklang der Befehl von Tarlyn, der sich seiner Sache nun wirklich sicher schien.
„In die Stadt der …“, erwiderte Sabrar, wurde aber jäh von dem älteren Drow unterbrochen. „… Spinnenhure, ganz Recht. Ich will meinen Enkel bei mir wissen und ich werde die Aufgabe Vhaerauns mit bestem Wissen und Gewissen zur seiner vollsten Zufriedenheit erledigen. Für das Seelenheil Shars und unser eigenes.“
Danach wand sich Tarlyn ab, winkte einem Diener zu und befehligte diesem, ihm seine Reisekleidung und auch seine Waffen bringen zu lassen. Nur mit der richtigen Ausrüstung, dem einwandfreien Auftritt und den dazugehörigen Männern könnte es ihnen gelingen den Halbdrow aus Menzoberranzan herauszuholen. Außerdem mussten sie aufpassen, dass sie dort nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregten. Ein Vhaeraunpriester in der dazu gehörigen Aufmachung würde nur bei der Mission hinderlich sein.
Sabrar nickte kurz, verstand den Befehl und verschwand augenblicklich.
Nur eine Stunde später kam der Vaterpatron des Hauses Myt’tarlyl aus der Tür in den Hof geschritten. Er trug eine neue Lederrüstung. Darüber einen schwarzen Samtumhang mit Kapuze. Seine langen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. An der Hüfte prangte der Waffengürtel samt Schwert und Dolch. Unter seinem schwarzen Hemd, das unter der Rüstung hervorlugte, befand sich das Heilige Symbol. Nun war er reisefertig und begierig darauf, diesen Drow namens Nhaundar die Kehle eigenhändig aufzuschlitzen und seinen Enkel zu befreien.
Sabrar, Tarlyns wahrer Freund und Helfer stand neben zehn fähigen Drowsoldaten, die die Rüstungen des Hauses trugen. Das Hausemblem wurde durch ein Stück Stoff verdeckt und sie waren mit Umhängen ausgestattet, dass die Männer nicht auf dem ersten Blick als das erscheinen ließ, was sie eigentlich darstellten. Ihre Waffen wie Schwerter, Dolche, Messer oder auch die berühmten Drowarmbrüste mit Bolzen ließen sich wunderbar unter dem Umhang verstecken und die kleine Privatarmee nicht offensichtlich erkennen. Sabrar trug noch die gleiche Kleidung wie schon in der Nacht zuvor und nach einigen Worten des Vaterpatrons gab es keine Fragen mehr bezüglich der Mission. Proviant benötigten sie nicht, denn sie gedachten, wie so viele vor ihnen, durch das Portal in den äußeren Mantel von Menzoberranzan zu gelangen und von dort aus das Haus des Sklavenhändlers zu finden.
Eigentlich ein leichtes, doch niemand hatte mit der Instabilität oder man konnte auch sagen mit der Unfähigkeit von Zauberlehrlingen mit der arkanen Magie gerechnet. Denn just in diesem Moment gab es eine laute, markerschütternde Explosion, die sich über die ganze Höhle von Eryndlyn erstreckte. Fast ein jeder brach erschrocken auf dem Boden zusammen, hielt sich schmerzlich die Hände über die Ohren oder zitterte am ganzen Körper. Große und kleine Felsenteile lösten sich von der Höhledecke und fielen in die Straßen von Eryndlyn herab. Nach einigen Minuten begann ein wildes Treiben in den Straßen und aus der Ferne konnte man vom Anwesen der Familie Myt’tarlyl Gebäudetrümmer, Feuer und Rauch erkennen. Das Feuer kam aus den Fenstern der Akademie der Magier.
„Verdammt, beim Maskierten Fürsten, was war das?“, fluchte Tarlyn laut und schrie dabei über den ganzen Hof.
Wildes Hin-und-Her-Gerenne setzte ein und eine Viertelstunde später, als immer noch niemand wusste, was sich in der Stadt zugetragen hatte, da kam ein Bote angerannt und rief nervös von einem zum anderen, um die Nachricht über die Ursache des Aufruhrs eilig zu erzählen. Er kam auch zu dem Vaterpatron, der mit säuerlicher Miene immer wieder hinüber zur Akademie schielte und überhaupt nicht über die Störung begeistert war. Eine wichtige Mission lag vor ihm und er musste dringend nach Menzobarranzan. Unliebsame Steine, die ihre Reise jetzt behinderten, das durfte nicht sein.
„Mein Herr…“, begann der Bote zu erklären und musste erst noch nach Luft schnappen, „… die Prüfung von einigen Zauberlehrlingen endete in einer riesigen Explosion.“ Dann holte er nochmals Luft und sprach weiter. „Viele sind bei der Detanation gestorben. Einige Gebäude sind eingestürzt und selbst einige Tunnel ins Unterreich nach Norden wurden durch herabfallende Steine aus der Höhlendecke verschüttet. Jetzt versuchen die Überlebenden das Chaos unter Kontrolle zu bringen. Die überlebenden Magier, Priester und Priesterinnen eilen herbei, um mit ihren Kräften Unterstützung zu leisten, und um zu verhindern, dass das Feuer auf die Stadt übergreift. Die Magie ist instabil und es scheint einen Riss im Gewebe zu geben. Die Meister versuchen das noch herauszufinden.“
„WAS?“, schrieen Tarlyn und Sabrar gleichzeitig. „Das kann nicht sein, wir müssen dringend durch das Portal, eine äußerst wichtige Reise steht uns bevor“, machte der Vaterpatron seiner Überraschung mit einer Mischung aus Zorn und Entsetzen Luft.
„Die Magie ist instabil? Das Gewebe hat einen Riss?“, fragte Sabrar leise, doch bei dem Tumult hörte ihn niemand.
„Wir müssen aus der Stadt verschwinden, wir müssen nach …“, begann Tarlyn erneut zu schreien, brach jedoch ab, denn keiner sollte das Ziel der Reise kennen. Außerdem konnte er sich vor der Bevölkerung von Eryndlyn keine Blöße geben, indem er jedem offenbarte, dass er ein Priester ohne Heilkräfte war.
Der Berater hörte zu und seine Gedanken wirbelten durch den Kopf. Doch da kam ihm eine Idee, eine die nicht das war, was man sich wünschte oder erhoffte, doch so kämen sie wenigstens voran.
„Wir marschieren über die nicht verschütteten Tunnel an die Oberfläche und gelangen so zumindest nach Norden. Auch so werden wir ihn finden, auch wenn es längere Zeit in Anspruch nimmt“, erklärte Sabrar eilig seinen Vorschlag.
Tarlyn runzelte die Stirn, schickte den Boten mit einem unwirschen Wink davon und überlegte sorgfältig, was diese Reise bringen möge. Aber eigentlich sprach nichts dagegen. Schon mehr als einmal waren seine Soldaten auf der Sonnen beschienen Oberfläche gewesen, er und Sabrar ebenfalls. Wenn sie warten würden, bis irgendjemand sich den Trümmern und dem Portal zuwendet, hätten sie in dieser Zeit wohl längst Menzoberranzan erreicht und könnten ihre Mission erledigen. Da Tarlyn auch keine Zauber zur Verfügung standen, der wohl einzig vernünftige Vorschlag in jenem Moment.
„Wir werden auf der Oberfläche unseren Weg beginnen, Sabrar. Lasst Proviant und Schlafsäcke packen. Männer, leider wird es eine längere Reise, als ihr dachtet, doch das Ziel naht.“
Damit versuchte sich Tarlyn, wie Sabrar und den Soldaten Mut zu machen. Denn den würden sie durchaus benötigen, wenn sie sich auf die gefahrvolle und dicht bevölkerte Oberfläche wagten, um bis nach Menzoberranzan zu gelangen. Zum Glück kam kein Widerwort auf, womit auch niemand wirklich rechnete. Die Dunkelelfen waren ihrem Herrn treu ergeben.
Gesagt, getan und es dauert nur eine Stunde und alle waren erneut zum Aufbruch bereit. Einige Echsen wurden bepackt, die kurz vor dem Ausgang ins Reich der Sonne zurückgelassen werden mussten und von dort aus ging es zu Fuß über Gras, Hügel, Berge oder was sonst noch auf ihrer Reise auf sie wartete.
Die ganze Zeit über schwebte ein schwarzer Schatten über dem Hof und schaute neugierig dem geschäftigen Treiben zu. Überall wuselten Drow, Elfen, Orks und andere Rassen durch die Straßen und Gassen von Eryndlyn. Fast alle mit einem Ziel, die Katastrophe in der Akademie weiter einzudämmen. Priester und Priesterinnen zu gleichen Teilen eilten zu den Verletzten, prüften ob noch ein Lebensfunke in den manchmal zur Unkenntlichkeit verbrannten Opfern steckte und heilten oder halfen nach, das Schicksal der Unglücklichen in die eigenen Hände zu nehmen.
Aus dem Schatten, der mehr einem schwarzen Nebel glich, formte sich das Gesicht eines attraktiv aussehenden Dunkelelfen und grinste von einem zum anderen Ohr. Die zwei Löcher in der goldenen Halbmaske gaben rot glühende Augen preis, die glänzend aufleuchteten. Er wirkte amüsiert und verärgert zugleich über die Geschehnisse, die er dennoch mit Neugier verfolgte. Doch noch mehr interessierte ihn das Tun und Handeln eines bestimmten Einwohners dieser Stadt und dieser war niemand anderer als Tarlyn Myt’tarlyl. Aufmerksam beobachtete er von seinem erhöhten Standort und hörte die Worte des Drow und selbst an den Gedanken des Vaterpatrons hatte der Avatar Vhaerauns teil. Er schlug sich trotz des Rückfalls gut und das Spiel wurde dennoch in Position gebracht, es fehlten nur noch der König und die Königin und das Schachspiel würde bald den richtigen Verlauf nehmen.
So ist es Recht, nur dann wirst du wieder einer meiner liebsten Diener auf der Materiellen Ebene sein, lachte der Avatar stumm in sich hinein. Nichts und niemand soll dir und deinen Männern im Land der Sonne in den Weg kommen und du wirst deine Aufgabe hoffentlich zur Zufriedenheit erfüllen. Du hast die Bestimmung angenommen, du führst sie trotz widriger Umstände augenblicklich aus und darauf kommt es an.
Daraufhin verschwand das Gesicht. Der Nebel waberte noch einige Sekunden auf der Stelle, dann löste sich der Vhaeraunavatar in Nichts auf und kehrte somit auf die Schattenebene zurück, zurück zu seinem Herrn und Meister und wurde wieder Eins mit ihm.
Der Zorn des Gottes
Sabrar riss vor Bestürzung die Augen weit auf. Sein Mund klappte vor Verwirrung nach unten. Doch er gab keinen Ton von sich. Nicht, nachdem sein Freund und Herr soeben die eigene Tochter mit seinem Schwert enthauptet hatte. Genauer gesagt, nicht nachdem Tarlyn das tödliche Urteil über den schmachvollen Verrat seines eigenen Blutes so abrupt in die Tat umsetzte.
Tarlyn Myt’tarlyl ließ währenddessen den Arm samt Schwert kraftlos nach unten sinken und verlor den Halt um dessen Knauf. Mit einem klirrenden Geräusch fiel die Klinge zu Boden. In seinem Gesicht zeichnete sich die unfassbare Erschütterung über die abtrünnige Iymril ab und der eben noch aufsteigende Zorn verrauchte schlagartig und wurde durch eine Miene der Fassungslosigkeit ersetzt. Er wirkte plötzlich leer und blieb regungslos stehen. Wie eine Seele, deren Körper zu Asche verbrannte und lediglich ein Hauch seiner selbst in der Luft übrig ließ. Der Schmerz der blutenden Stichwunde am Arm verspürte Tarlyn nicht einmal, wo ihn Iymril mit dem Dolch einen nicht allzu tiefen Schnitt zugefügt hatte. Es blutete nur leicht, dennoch tropfte das Blut langsam an seinem Ärmel und Arm herunter und vermischte sich dort mit dem Muster auf dem Teppich unter seinen Füßen. Er hatte soeben seine einzig noch lebende Tochter getötet. Nein, nicht nur ermordet, sondern er wollte damit Schlimmeres verhindern, bevor noch mehr Unschuldige ihr Leben verloren.
Kurz bevor er sein Urteil fällte, erkannte er die grausame Wahrheit, die mit den Worten von Iymril einhergingen. Tarlyn begriff die Tatsache über all das, was geschehen war. Alles was er einst so sehr liebte, all das was seinem Leben einen Sinn gab, das war schon vor Jahrzehnten verblasst, um heute noch entsetzlicher von ihm gerissen zu werden und einen Scherbenhaufen übrig zu lassen. Nur eines konnte ihm niemand nehmen, seinen unerschütterlichen Glauben an den Maskierten Fürsten, trotz des Verlustes seiner geliebte Ehefrau Waerva und seine Tochter Chalithra. Die Realität erschien ihm plötzlich verdreht und doch auf grausame Art richtig. Weitere Gefühle und Gedanken bemächtigten sich plötzlich seiner.
Er wurde nach Strich und Faden belogen, tagtäglich und über so viele Jahre hinweg. Iymril, eine Priesterin Lolths und gleichzeitig die Mörderin seiner Familie. Sie hatte die Familie seines Bruders getötet und dem Mondelfen Handir so viel Unrecht angetan. Selbst vor ihrem Neffen, seinem Enkelsohn, schrak sie nicht zurück. Sein Enkel, einer der zwei männlichen Nachfahren des Hauses Myt’tarlyl, dachte sich der Hohepriester. Und während er sich den kopflosen Körper der Toten näher betrachtete, erschien das Bild von Shar vor seinem inneren Auge. Der Blick in die tiefblauen Augen, die ihn mit Respekt und kindlicher Naivität anschauten, das herzliche Lächeln auf dem hübschen Gesicht und die Gesichtszüge, die ihn so sehr an Chalithra erinnerten.
Er selbst hatte den Jungen zu sich genommen, gab ihm Essen und dann … . Diesen Gedanken wollte er nicht weiter ausführen, denn dieser brachte einen nicht wieder gutzumachenden Frevel mit sich und ließ sein Herz bluten. Es konnte nicht wahr sein, aber noch vor einer Stunde hatte er Shar seinem brutalen Häscher wieder zurück in dessen Hände gegeben und sich einfach abgewandt. Der Sklave, der sich als sein Enkel entpuppte und darauf spurlos aus diesem Haus verschwunden war. Oh nein, noch viel schlimmer, der sich jetzt abermals in der Gesellschaft des widerlichsten Dunkelelfen des ganzen Unterreich befand. Was soll ich tun? Wohin führt mich dies alles?
„Tarlyn? Herr, bist du in Ordnung?“, unterbrach Sabrar die Gedanken und Erinnerungen des Vaterpatrons und legte dabei beschwichtigend eine Hand auf dessen Schulter. „Sag doch etwas“, bat er ruhig.
Tarlyn drehte den Kopf und schaute mit leeren Augen in denen des jüngeren Drow. Er sah Sabrar vor sich und doch wieder nicht. Alles schien sich wie ein Gewitter über ihm zusammen zubrauen und prasselte eben mit einem gewaltigen Regenschauer auf ihn hernieder.
„Du hast das Richtige getan …“, versuchte Sabrar auf den Vaterpatron einzureden, „… du brauchst dir keine Schuld geben, denn einzig und allein war es das Wesen der Spinnenhure Lolth, die ihre Finger im Spiel hatte.“
Plötzlich begriff Tarlyn und das Leben kehrte in die bernsteinfarbenen Augen zurück. Er wurde sich bewusst, dass er ein Urteil über Leben und Tod vollstreckt und damit der Gerechtigkeit genüge getan hatte. Doch noch war nicht alles beendet, eine große Aufgabe lag noch vor ihm. Er musste seinen eigenen Fehler aus der Welt schaffen und gleichzeitig der Spinnenkönig im Namen seines eigenen Gottes – der Maskierte Fürst der Nacht - einen Schlag versetzen.
„Ich muss in den Tempel, um mich zu sammeln und ich muss Shar finden, Sabrar“, antwortete der Hohepriester und konnte nun zum ersten Mal wieder normal sprechen.
„Shar?“, kam die etwas ungläubige Frage des Beraters, als ihm plötzlich wieder der Name des Jungen einfiel.
„Shar, meinen Enkel. Sein Name … er heißt Shar und er ist mein … mein Fleisch und Blut“, stammelte Tarlyn und hielt sich das Gesicht des Jungen vor Augen. „Shar, der Halbdrow den ich aus meinen Händen gegeben habe, der Sklave der mit Nhaundar verschwunden ist. Der Junge der mich …“, dann beendete Tarlyn abrupt den Satz und schwieg, weil ihm die Stimme erneut versagte.
Sabrar verstand und er musste schlucken, um die gesprochenen Worte zu ordnen und selbst zu verdauen. Sein Freund hatte den vermissten Enkel in den Händen gehabt, er war bei ihm gewesen und Tarlyn hatte ihn einfach wieder diesem seltsamen Subjekt von Drow aus Menzoberranzan übergeben. Ebenso wurde sich der Jüngere der beiden bewusst, dass Tarlyn auch mit diesem Jungen seine innersten Sehnsüchte nach einer Familie gehen gelassen hatte. Es gab nur noch Tarlyn, Shar und Kalanzar. Doch dafür konnte sich niemand die Schuld geben, am wenigsten sein Freund, denn keiner kannte bis vor wenigen Minuten die ganze Wahrheit. Nur Iymril wusste alles, die ihr Wissen im Wahnsinn und Einfluss von Lolth keinem anvertraute und nun ihrer wahren Bestimmung überantwortet worden war. Iymril würde der Spinnenkönigin in ihrem verfluchten Elysium dienen.
„Ich verstehe“, flüsterte Sabrar leise und hob dann, die mit dem Blut einer Verräterin beschmierten Klinge auf, wischte sie an dem Kleid von Iymril ab und verstaute sie wieder in der Scheide seines Waffengürtels.
In einer geheimnisvollen Finsternis waberte roter Nebel in einer Schwärze der Leere. Er schwebte in Allem und Nichts und bildete eine nicht zu erkennende Form. Darin schmolz soeben das letzte Bild von Tarlyn und Sabrar dahin, wie Eis in der Sonne und zurück kehrte die Dunkelheit der Nacht. Ein undurchdringlicher Nebelschleier schwebte regungslos davor, wo eben noch die Abbilder der beiden Dunkelelfen aus Eryndlyn zu sehen waren. Der Nebelschauer wurde plötzlich zu einem Schatten und wirbelte wie ein Sturm um sich selbst und verdichtete sich langsam zusehends. Anschließend war eine Silhouette eines Dunkelelfen sichtbar. Nach weiteren Atemzügen stand dort ein Drow. Er trug eine schwarze Lederrüstung. Darüber konnte man eine flammendrote Robe erkennen, die mit silbernen Runen an den Säumen abgesetzt war. Darunter lugte ein Waffengürtel hervor. An dem prangten ein Dolch und ein Kurzschwert mit schwarzer Klinge. Das attraktive Gesicht des Dunkelelfen wurde durch eine goldene Halbmaske verdeckt und nur die roten Augen funkelten und leuchteten daraus hervor. Weiße, lange Haare fielen über die Schultern.
„Habt ihr es gesehen?“, erklang die erhabene und gleichzeitig all durchdringende Stimme des Dunkelelfen und schien förmlich überall und nirgendwo zu sein.
Ein weiterer, kleinerer Schatten näherte sich dem Drow. Dieser schwebte über dem Boden, der genauso gut die Decke hätte sein können. „Ja, mein Herr …“, begann der Schatten zu flüstern und wurde von dem Dunkelelfen mit der goldenen Halbmaske abrupt unterbrochen.
„Schweigt! Ich habe großes vor, die Zukunft wird mir zu Füßen liegen und ein neues Faerûn wird sich erheben. Ich werde auf der Welt wandeln und nichts und niemand wird mich aufhalten. Doch wenn ich bedenke, dass ich von Idioten und Wichtigtuern umgeben bin, dann wird mir schlecht.“
Der Dunkelelf mit der flammendroten Robe lief plötzlich nervös und gedankenverloren auf und ab. Er murmelte in einer unverständlichen Sprache vor sich hin und schien niemand mehr um sich herum wahrzunehmen. Dann hielt er jählings an, versank tief in seiner Selbst und er konzentrierte sich auf Worte, die jenseits seines Aufenthaltsortes an ihn gerichtet wurden. Eine seiner vielen Facetten beschäftigte sich mit diesem Gebet und ein hinterhältiges Grinsen entblößte weiße Zähne.
Der Schatten der untergebenen Seele, der eben noch aufmerksam den Ausführungen über die Zukunft des Maskierten Fürsten lauschte, schwebte näher heran und erhaschte in diesem Moment seinen Herrn dabei, wie seine Mundwinkel sich zu einem Lächeln verzogen.
„Bald wird es geschehen“, sprach der Drow in der Robe und blickte den Schatten an. Auf dessen durchscheinenden Gesichtszügen konnte er plötzlich auch den Hauch eines Schmunzelns erkennen.
Zur gleichen Zeit stand Taryln Myt’tarlyl vor dem schwarzen Obsidianaltar im Tempel des Vhaerauns und war vertieft in sein Gebet.
Sabrar, der Berater des Vaterpatrons, hielt sich etwas abseits im vorderen Teil des Gebetortes auf, ganz in der Nähe der Tür, falls jemand versuchen sollte, unangekündigt den Hohepriester zu stören. Er versank ebenfalls in Andacht. Doch ein seltsames Geräusch ließ ihn aufhorchen und er schaute sich um. Automatisch wand er sich zur Eingangstür zu, aber von dort erklang kein Ton. Niemand war zu sehen und keiner des Hauses begehrte Einlass. So versuchte Sabrar seine Aufmerksamkeit nach vorne zu lenken. Er erkannte Tarlyn am Altar stehen, doch auch dieser schien sich nicht gerührt zu haben. Tief ins Gebet versunken, wirkte er mehr einem Schatten gleich, als einem Dunkelelfen, so reglos stand der Hohepriester da.
Sabrar schüttelte kurz irritiert den Kopf. Doch da bewegte sich etwas. Eilig richtete er die roten Augen auf eine dunkle Stelle am Altar, als auch schon im nächsten Moment etwas Schwarzes auf Tarlyn zuraste.
Der Vaterpatron des Hauses Myt’tarlyl erbat gerade ehrfürchtig um eine Antwort des Maskierten Fürsten, da spürte er im Bruchteil einer Sekunde, wie sich Jemand oder Etwas um seinen Hals und Nacken legte. Erschrocken riss er die Augen auf, ähnelte dies doch der Situation von heute Vormittag und erkannte plötzlich alles um sich herum in absolute Finsternis getaucht. Er drohte plötzlich das Gleichgewicht zu verlieren. Mit den Händen fuchtelte er wild in der Luft herum, konnte sich jedoch nicht fangen und fiel schließlich auf den Boden. Er landete auf dem Hinterteil und der Schwung des Schattens zwang ihn dazu, am Ende auf dem Rücken ausgestreckt am Tempelboden zu liegen. Ein Schmerz durchzuckte seinen Körper und wurde von einer unbeschreiblichen Pein erfasst. Dann lag er einfach nur still da und sein Blick traf rot glühende und von Gefahr gezeichnete Augen eines Drow. Dieser Dunkelelf trug eine goldene Halbmaske. Eine schwarze Lederrüstung schütze den schlanken, aber dennoch durchtrainierten Körper und Tarlyn wusste in diesem Moment, wer ihn an diesem langen und nervenaufreibenden Tag in diese unwürdige Position gebracht hatte. Niemand anderer als Vhaeraun ließ soeben den Hals und Nacken los, nur um auf seinem Oberkörper zu sitzen und mit beiden Knien den Brustkorb des Hohepriester einzuklemmen. Die Augen des Gottes richteten sich dabei stur auf den wehrlosen und überrumpelten Tarlyn. Dieser keuchte auf und versuchte zu atmen und die Schmerzen im eigenen Leib zu ignorieren. Er hatte zwar um eine Antwort gebeten, doch wer hätte damit rechnen können, dass ein Avatar des Maskierten Fürsten in seinen Tempel kam. Doch etwas stimmte an der Situation nicht und auch gleich im nächsten Moment konnte dies Tarlyn auch spüren. Der Avatar zog seinen Dolch und setzte ihn an die Kehle des Hohepriesters.
Sabrar, der alles mit Angst und absoluter Neugier verfolgte, fing am ganzen Körper an zu zittern. Noch niemals zuvor in seinem Leben hatte er seinen Gott von Angesicht zu Angesicht angetroffen und bei dem ungewöhnlichen Angriff auf seinen Freund spürte er jetzt absolute Demut. Aus Ehrfurcht über die Ankunft des göttlichen Wesens, wich er einen Schritt nach dem anderen nehmend, ganz langsam nach hinten aus. Er wollte zur Tür gelangen. Entweder die Flucht ergreifen oder versuchen, niemanden hier hinein zu lassen. Die Furcht vor dem unbändigen Zorn Vhaerauns ließ jedoch kaum eine Möglichkeit einer größeren Wahl zu.
„Tarlyn Myt’tarlyl, ihr seit nichts weiter als eine der vielen Marionnetten, ein Spielball der Götter. Was kam euch eigentlich in den Sinn …“, begann der Avatar Vhaerauns mit herrschender Stimme zu sprechen, wobei der Hohepriester das Gefühl verspürte, er würde sie als tausend Stimmen gleichzeitig wahrnehmen. „… Ihr hattet die Zukunft in der Hand und lasst sie so einfach durch eure Finger gleiten. Der Halbdrow war und ist die seltene und äußert rar gesiedelte Spielfigur im Spiel der großen Macht!“ Diese Aussagen unterstrich Vhaeraun mit der kalten, schwarzen Klinge des Dolches – Nachtschatten genannt - und ritzte die Haut des Hohepriesters leicht. Ein kleines Rinnsal Blut floss daraus hervor und Tarlyn konnte den warmen Lebenssaft spüren, wie er an seinem Hals herunter rann.
„Was … was habe ich getan … mein … mein Maskierter Fürst“, stammelte der Vaterpatron ängstlich und erhaben zu gleich. Die Überraschung und Verwirrung stand auf sein Gesicht geschrieben. Genauso wie die Qual von Vhaerauns nicht sanften Behandlungsmethoden und so verzogen sich seine Gesichtszüge zu einer schmerzenden Fratze.
Der Avatar Vhaerauns drückte die Knie nun heftiger in die Seiten von Tarlyns Brustkorb, so dass dieser laut aufkeuchte und verzweifelt nach Atem rang. Die Klinge des Dolches am Hals des Gottesdieners half ihm dabei, der Drohung mehr Nachdruck zu verleihen.
Sabrar war währenddessen an der Tür angelangt und lehnte mit dem Rücken dagegen. Instinktiv ging eine Hand in Richtung Türknauf und er suchte verzweifelt danach. Doch im Bruchteil einer Sekunde sah er etwas auf sich zuschießen. Mit einem plötzlichen Aufprall fühlte er sogleich kalten Stahl, der hauchdünn sein Ohr streifte. Starr vor Schreck verharrte Sabrar auf der Stelle und konnte sich nicht mehr bewegen. Nur seine Augen wanderten zur Seite und in den Augenwinkeln erkannte er einen Dolch mit schwarzer Klinge in der Tür stecken, der bedrohlich hin und her wippte. Nur ein Millimeter weiter und die Waffe Vhaerauns hätte in der Ohrspitze des Dunkelelfen gesteckt. So tat Sabrar das einzige, was ihm seine Vernunft und der absolute Überlebenswille rieten, er blieb einfach still stehen.
„Ihr werdet als Zeuge benötigt, Sabrar“, sprach der Vhaeraunavatar in aller Seelenruhe, während er eben noch den Dolch blind ohne zu zielen nach vorne warf und gleichzeitig die Hände um Tarlyns Kehle legte und drohend den gestürzten Drow anfunkelte.
„Benutzt ausnahmsweise euer Gehirn, anstatt Spiele zu spielen, Tarlyn! Ich könnte euch auf der Stelle erwürgen, doch ich brauche euch noch“, flüsterte nun der Avatar leise und schaute mit rot glühenden Augen in die bernsteinfarbenen des Hohepriesters, der reglos, jedoch nun zitternd auf dem Boden lag und sich nicht wehrte.
„Mein Maskierter Fürst“, wisperte Tarlyn und bedachte den Avatar mit Ehrfurcht. Er fühlte die unglaubliche und kaum fassbare Präsenz göttlicher Macht, die ihn und alles um ihn herum umgab. Ebenso spürte er Vhaeraun, der auf ihm saß und somit die Unfähigkeit einer Reaktion noch verstärkte.
„Der Wunsch, nein, der absolute Befehl an euch lautet: Finde den Halbdrow, euren Enkel mit Namen Shar. Nehmt ihn auf und bildet ihn aus. In der weiteren Zukunft soll mein Triumph völlig ausgereift und einsatzbereit sein!“
Die befehlende Stimme des Vhaeraunavatars hallte durch den Tempel und in Tarlyns Kopf nach. „Des Weiteren werden eure Zauber vorerst verweigert bleiben. Ihr werdet euch auf euren Verstand und Geschick berufen und den Halbdrow mit dem euch zur Verfügung stehenden Mitteln suchen und finden. Wenn ihr dies zu meiner vollsten Zufriedenheit erfüllt habt, dann seien euch eure Kräfte wieder gewiss. Wenn nicht, dann werdet ihr, Tarlyn Myt’tarlyl 100 Jahre als normaler Drow auf der Materiellen Ebene verweilen ohne einen Zauber benutzen zu können. Ich habe stets ein Auge auf euch und natürlich auf eure Diener. Versagen werde ich nicht dulden!“
Diese Aussage traf den Vaterpatron wie ein Dolchstoß in sein Herz. Bevor er nochmals seine Gottheit ansprechen konnte, da war er plötzlich verschwunden. Der Dolch in der Tür war nicht mehr da und der Avatar auf Tarlyns Brust hatte sich förmlich in Luft aufgelöst. Der Druck, der ihm eben noch das Atmen schwer machte, war nicht mehr zu spüren und da wusste Tarlyn, er und Sabrar waren wieder alleine. Doch der Hohepriester blieb einfach auf dem Boden liegen und erinnerte sich lebhaft an das eben Geschehene. Wie konnte ihm nur solch eine Strafe auferlegt werden?
„Tarlyn?“, kam die plötzliche Frage von weiter her. „Tarlyn, lebst du noch?“, wollte Sabrar wissen und stand nur einige Momente später über dem Hohepriester gebeugt und schaute ihn ein verwirrtes Gesicht und in leeren Augen. „Sag’ etwas“, versuchte es der Jüngere der beiden erneut.
Der Vaterpatron schien in einem schlechten Alptraum gefangen zu sein. Rings um ihn herum entwickelten sich die Dinge weder zum Schlechten, noch zum Guten, sondern sie waren ihm einfach völlig entglitten. Sein Leben lang lebte er für sich, den Status des Hauses und für den unangefochtenen Glauben an den Maskierten Fürsten. Doch hier und jetzt war er plötzlich niemand anderer als ein ganz normaler Dunkelelf. Ein gewöhnlicher Elf aus dem Unterreich ohne die Gunst eines Gottes und dessen Segen. Die göttliche Magie, die ihn stets streichelte und seine Adern hindurch strömte, war zusammen mit dem Vhaeraunavatar verschwunden. Sein Kopf fühlte sich leer und dumpf an und all das, was er in den sechshundert Jahren um sich herum aufgebaut hatte, wurde mit einem Schlag von Vhaeraun zerschmettert. Ein Hohepriester ohne die von dem Maskierten Fürsten gewehrten Zauber und bestraft mit der absoluten Demütigung, die einem Priester jemals auferlegt werden konnte. Wie sollte er jetzt und bei seinem Versagen der Befehle nur ein Jahrhundert ohne seine Kräfte leben, all das, was ihn in so vielen Dingen stets hilfreich zur Seite stand. Das Nichts erfasste jede Faser seines Körpers und er begann erneut am ganzen Körper zu zittern.
„Tarlyn, steh’ auf“, erklang wie von einer anderen Ebene eine Stimme und Tarlyn erkannte sie als die von Sabrar. Plötzlich kehrte er in die Wirklichkeit zurück und erkannte seinen Freund, der absolut besorgt aussah.
„Ich lebe noch“, hörte sich der Vaterpatron selbst sarkastisch antworten, aber die Leere ihn ihm war ein seltsames Gefühl und so schwieg er darauf. Ob er sich jemals an das Nichts gewöhnen würde, fragte er sich. Er musste so schnell wie möglich den Auftrag erledigen, außerdem stand das Leben seines Enkels Shar auf dem Spiel. Die Worte des Vhaeraunavatars über „Spielball der Götter“, „Zukunft“, „Halbdrow“ und „Spiel der großen Macht“ vergaß er vorerst völlig ohne sich zu Fragen, was der Herr der Nacht überhaupt damit meinte. Alleine die Erinnerung an den Jungen beherrschte ihn nun und ließ Tarlyn sich aufrichten, wobei er die hilfreiche Hand Sabrars gerne in Anspruch nahm. Der Vaterpatron ordnete seine Kleider, schaute an sich herab und dann blickte er in die Augen seines Freundes.
Mit ausdruckslosem Tonfall begann Tarlyn zu erklären. „Ich habe meine Kräfte verloren. Vhaeraun hat mich bestraft. Ich spüre seine Macht nicht mehr und ich werde sie erst wieder bekommen, wenn ich meinen Enkel gefunden habe. Wir müssen dringend den Sklavenhändler finden. Nhaundar muss sich noch in der Stadt aufhalten. Stelle kleine Gruppen zusammen, lasse die Männer alle Gasthäuser und Schänken durchsuchen und bringe mir die unwürdige Kreatur eines Dunkelelfen und Shar, Sabrar.“ Dann schlug die Stimme in ein Flehen um. „Ich bitte dich, du musst dich beeilen. Ich will meinen Enkel bei mir wissen und erst dann werde ich wieder der Hohepriester des Hauses Myt’tarlyl sein. Bei Versagen ist meine Strafe hoch …“, dann konnte er nicht weiter reden. Der Schock saß tief und er wünschte sich nichts sehnlicher, als Shar im Arm zu halten und gleichzeitig wieder in der Gunst Vhaerauns zu stehen.
Sabrar hörte aufmerksam zu und sein Mienenspiel verriet die Verwirrung über die Worte, die er soeben vernahm. Er wollte es nicht glauben. Wenn er nicht selbst um Haaresbreite den Dolch neben sich gesehen und gefühlt hätte, dann würde er wohl in schallendes Gelächter ausbrechen. Aber er war wahrlich ein Zeuge der Dinge, die sich in der heutigen Nacht hier abspielten. Mit eigenen Augen sah er den Avatar Vhaerauns, wie er in seine Seele geblickt und Tarlyn am Boden gedroht hatte. So blieb selbst dem Berater keine Wahl als eilig Folge zu leisten, denn die Treue zum Haus Myt’tarlyl kam aus dem Herzen. Sabrar nickte Tarlyn zu, wand sich um und verschwand durch die Eingangstür des Tempels.
Zurück blieb der Vaterpatron. Allmählich begriff er, welche Ausmaße die ganze verzwickte Situation mit sich brachte und er hoffte inständig, dass die Soldaten nicht zu lange brauchten, um den Auftrag auszuführen. Mit einem letzten Blick schaute er über die Schulter zur schwebenden, goldenen Halbmaske hinauf, seufzte und drehte sich der Tür zu. Mit eiligen Schritten lief er hinaus und machte erst wieder Halt vor seinen Privatgemächern. Er brauchte Ruhe. Der Tag war lang gewesen und mit unglaublichen Nachrichten gefüllt. Zuerst das Treffen mit Shar, dann der zügellose Sklavenhändler und nicht so zu vergessen die abtrünnige und nun tote Tochter und ihre Geständnisse. Darauf folgte Vhaeraun. Dies alles musste verarbeitet werden und so schloss sich Tarlyn letztendlich ein und niemand sah ihn bis zum Morgen.
Andernorts, in der Stadt der Spinnenkönigin, lief ein recht nervöser Sorn gerade die Straße entlang. Er kam direkt von dem Anwesen Nhaundar Xaranns und erfuhr dort, dass dieser nicht hier verweilte, sondern auf Reisen war. Als er als Vorwand die Heilung des jungen Shars vorschob, um wenigstens ihn sehen zu können, lautete die Antwort nur, dass dieser mit auf Reisen gegangen war. Ob das ein gutes oder schlechtes Omen war, genau darüber grübelte Sorn Dalael jetzt nach. Ihn quälte die Vorstellung, dass Nhaundar den Jungen vielleicht in einer anderen Stadt verkaufen könnte und er dann niemals erfuhr, wo sich Shar aufhielt. Noch schlimmer war aber der Gedanke daran, dass sein Liebster nicht mehr unter den Lebenden weilte. Nein, sagte sich der Priester und schüttelte energisch den Kopf. Das würde ich tief im Herzen spüren. Doch die unvorhergesehene Situation ließ ihn zur Ruhe kommen. Sie nagte an seinen Nerven und so versuchte er eilig zurück ins Gasthaus zu kommen. Er brauchte etwas Hochprozentiges, etwas, dass seine Sorgen wegspülen vermochte. „Von mir aus auch Zwergenschnaps“, flüsterte Sorn leise vor sich hin und merkte nicht einmal, dass er laut sprach. Dabei umklammerte er im Inneren seines Hemdes sein Heiliges Symbol ohne dies jedoch hervor zu holen. Ein wenig Beistand konnte niemals schaden.
Über ihm schwebte ein schwarzer Schatten. Niemand schien ihn zu bemerkten, nicht einmal der Vhaeraunpriester selbst. Aus der dunklen Finsternis zeichnete sich ein Gesicht mit einer goldenen Halbmaske ab. Mit vor Abscheu verzerrtem Gesicht schaute der Schatten sich in Menzoberranzan um und hätte am liebsten auf einen Misthaufen gespuckt, wenn solch einer vorhanden gewesen wäre.
Dann konzentrierte er sich wieder auf den jungen Priester. Du bist mir ein nützlicher und vor allem treuer Diener, Sorn Dalael, grinste das Gesicht aus schwarzem Nebel in sich hinein. Wenn Tarlyn versagt, dann wirst du mein Trumpf im Spiel der Götter sein. Nichts und niemand wird dich und deinen Bruder aufhalten. Ein Versprechen, dass ich mir gebe, gratulierte sich der Schatten selbst und löste sich wabernd wieder auf, schoss auf die Straße hernieder und verschwand spurlos in den Straßen von Menzoberranzan.
Der Vhaeraunpriester hing immer noch den eigenen Gedanken nach und spürte plötzlich einen kalten Schauer hinter sich. Erschrocken drehte er sich herum, die Hand schon am Schwertknauf, doch er sah niemanden. Erleichtert atmete er tief durch und dann begann er seinen Rückweg mit noch schnelleren Schritten zurück zu legen.
Der Schatten bewegte sich stattdessen auf eine, von fluorizierendem Licht überflutete Burg am Rand der Stadt zu. Das Anwesen erhob sich über die übrigen Häuser und umfasste ein riesiges Arsenal. Der Schatten wirbelte um die eigene Achse. Allmählich formte sich daraus eine Silhouette und sichtbar wurde ein Dunkelelf. Die weißen Haare fielen ihm locker über die Schultern und wurden durch mehrere blutroten Strähnen durchzogen. Das Gesicht durch eine goldene Halbmaske verdeckt. Genau jener Drow schwebte mitten in der Luft und blickte über die Stadt der Spinnenkönigin hinab.
Du wirst eines Tages mir gehören. Nicht mehr lange und die Hure, meine Mutter, wird in alle Ewigkeiten im Abgrund zu Grunde gehen und ihre Anhänger gleich mit, grinste der Dunkelelf verschlagen.
Dann wand sich der Maskierte um, schaute zu dem Haus Baenre herab und beschloss, einer gewissen Yvonnel Baenre, Mutter Oberin des gleichnamigen Hauses, einen Besuch abzustatten. Vielleicht würde er auch seinen Sohn Jarlaxle * dort antreffen, denn von ihm und Yvonell könnte er in Zukunft noch Unterstützung benötigen. Ein listiges Schmunzeln begleitete ihn, während er sich von einer Sekunde auf die nächste entmaterialisierte und im Innern der Burg Baenre wieder auftauchte.
* Hinweis: Vorgeschichte geschrieben in der Fanfiction „A Past and Future Secrets“
Inzwischen marschierte Sabrar mit mehreren Drowsoldaten aus dem Haus Myt’tarlyl durch die Straßen von Eryndlyn und durchsuchte jedes der Gasthäuser, die sich hier wie Sand am Meer fanden. Mehrere andere kleine Gruppen eilten durch andere Bezirke. Mit dem ausdrücklichen Befehl, einen Sklavenhändler mit Namen Nhaundar Xarann einzufangen, in dessen Händen sich ein Halbdrow namens Shar befand. Doch kein leichtes Unterfangen. Denn bisher war die Suche nicht von Erfolg gekrönt. Die Nacht neigte sich langsam dem Ende und der Morgen brach an und damit strömten mehr Einwohnern auf die Straßen und engen Gassen, somit auch unliebsame Zuschauer. Diese würden hinter vorgehaltener Hand reden und vermutlich auch erkennen, dass das erste Haus von Eryndlyn einem Sklavenhändler auf der Spur war. Schlechte Nachrichten verbreiteten sich im Unterreich genauso rasend schnell wie in einer Menschenstadt an der Oberfläche. Klatsch und Tratsch, davon lebten die einfachen Bürger und auch die Drow aus Eryndlyn. Gar nicht auszudenken, was mit Tarlyn geschehen würde, wenn jemals jemand erführe, dass der einstige Hohepriester die Gunst Vhaerauns verloren hatte. So war Eile mehr als angebracht und noch zehn weitere Gasthäuser mussten untersucht werden.
In keinem einzigen winkte der Erfolg und Sabrar schien schon der Verzweiflung nahe, besonders wenn er an die Ereignisse zurück dachte, die alles Mögliche hinter sich her zogen. Dann plötzlich hörte er vor sich die Antwort eines gewissen Lesaonar Rrostarr, Besitzer des Gasthauses „Schattentänzer“, der gegen eine Handvoll Gold einem der Soldaten erzählte, dass hier ein Sklavenhändler mit Namen Xarann mit seinen Männern und einem Halbdrow abgestiegen waren. Doch vor ungefähr einer Stunde hatte sich die Gruppe verabschiedet und wäre ihres Weges gegangen.
Verdammt und Zugenäht, schimpfte Sabrar stumm, das konnte einfach nicht sein. So nah waren sie dem Ziel schon und nun begann die Suche von neuem. Eilig kehrte der Berater zurück ins Haus Myt’tarlyl und stand wenig später vor Tarlyn.
„Er ist abgereist. Sie sind bei Lesaonar Rrostarr untergekommen. Was gedenkst du zu tun?“, fragte Sabrar im Tonfall eines Offiziers, kalt und blasiert.
„Nhaundar wird zurück nach Menzoberranzan gereist sein, wohin sollte er auch sonst gehen“, meinte der Vaterpatron müde und versuchte sich die Verzweiflung über die schlechte Nachricht so wenig wie möglich anmerken zu lassen. „Sabrar, suche die fähigsten Männer des Hauses, stelle eine kleine, unauffällige Gruppe zusammen und wir werden dem Sklavenhändler einen Besuch abstatten“, erklang der Befehl von Tarlyn, der sich seiner Sache nun wirklich sicher schien.
„In die Stadt der …“, erwiderte Sabrar, wurde aber jäh von dem älteren Drow unterbrochen. „… Spinnenhure, ganz Recht. Ich will meinen Enkel bei mir wissen und ich werde die Aufgabe Vhaerauns mit bestem Wissen und Gewissen zur seiner vollsten Zufriedenheit erledigen. Für das Seelenheil Shars und unser eigenes.“
Danach wand sich Tarlyn ab, winkte einem Diener zu und befehligte diesem, ihm seine Reisekleidung und auch seine Waffen bringen zu lassen. Nur mit der richtigen Ausrüstung, dem einwandfreien Auftritt und den dazugehörigen Männern könnte es ihnen gelingen den Halbdrow aus Menzoberranzan herauszuholen. Außerdem mussten sie aufpassen, dass sie dort nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregten. Ein Vhaeraunpriester in der dazu gehörigen Aufmachung würde nur bei der Mission hinderlich sein.
Sabrar nickte kurz, verstand den Befehl und verschwand augenblicklich.
Nur eine Stunde später kam der Vaterpatron des Hauses Myt’tarlyl aus der Tür in den Hof geschritten. Er trug eine neue Lederrüstung. Darüber einen schwarzen Samtumhang mit Kapuze. Seine langen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. An der Hüfte prangte der Waffengürtel samt Schwert und Dolch. Unter seinem schwarzen Hemd, das unter der Rüstung hervorlugte, befand sich das Heilige Symbol. Nun war er reisefertig und begierig darauf, diesen Drow namens Nhaundar die Kehle eigenhändig aufzuschlitzen und seinen Enkel zu befreien.
Sabrar, Tarlyns wahrer Freund und Helfer stand neben zehn fähigen Drowsoldaten, die die Rüstungen des Hauses trugen. Das Hausemblem wurde durch ein Stück Stoff verdeckt und sie waren mit Umhängen ausgestattet, dass die Männer nicht auf dem ersten Blick als das erscheinen ließ, was sie eigentlich darstellten. Ihre Waffen wie Schwerter, Dolche, Messer oder auch die berühmten Drowarmbrüste mit Bolzen ließen sich wunderbar unter dem Umhang verstecken und die kleine Privatarmee nicht offensichtlich erkennen. Sabrar trug noch die gleiche Kleidung wie schon in der Nacht zuvor und nach einigen Worten des Vaterpatrons gab es keine Fragen mehr bezüglich der Mission. Proviant benötigten sie nicht, denn sie gedachten, wie so viele vor ihnen, durch das Portal in den äußeren Mantel von Menzoberranzan zu gelangen und von dort aus das Haus des Sklavenhändlers zu finden.
Eigentlich ein leichtes, doch niemand hatte mit der Instabilität oder man konnte auch sagen mit der Unfähigkeit von Zauberlehrlingen mit der arkanen Magie gerechnet. Denn just in diesem Moment gab es eine laute, markerschütternde Explosion, die sich über die ganze Höhle von Eryndlyn erstreckte. Fast ein jeder brach erschrocken auf dem Boden zusammen, hielt sich schmerzlich die Hände über die Ohren oder zitterte am ganzen Körper. Große und kleine Felsenteile lösten sich von der Höhledecke und fielen in die Straßen von Eryndlyn herab. Nach einigen Minuten begann ein wildes Treiben in den Straßen und aus der Ferne konnte man vom Anwesen der Familie Myt’tarlyl Gebäudetrümmer, Feuer und Rauch erkennen. Das Feuer kam aus den Fenstern der Akademie der Magier.
„Verdammt, beim Maskierten Fürsten, was war das?“, fluchte Tarlyn laut und schrie dabei über den ganzen Hof.
Wildes Hin-und-Her-Gerenne setzte ein und eine Viertelstunde später, als immer noch niemand wusste, was sich in der Stadt zugetragen hatte, da kam ein Bote angerannt und rief nervös von einem zum anderen, um die Nachricht über die Ursache des Aufruhrs eilig zu erzählen. Er kam auch zu dem Vaterpatron, der mit säuerlicher Miene immer wieder hinüber zur Akademie schielte und überhaupt nicht über die Störung begeistert war. Eine wichtige Mission lag vor ihm und er musste dringend nach Menzobarranzan. Unliebsame Steine, die ihre Reise jetzt behinderten, das durfte nicht sein.
„Mein Herr…“, begann der Bote zu erklären und musste erst noch nach Luft schnappen, „… die Prüfung von einigen Zauberlehrlingen endete in einer riesigen Explosion.“ Dann holte er nochmals Luft und sprach weiter. „Viele sind bei der Detanation gestorben. Einige Gebäude sind eingestürzt und selbst einige Tunnel ins Unterreich nach Norden wurden durch herabfallende Steine aus der Höhlendecke verschüttet. Jetzt versuchen die Überlebenden das Chaos unter Kontrolle zu bringen. Die überlebenden Magier, Priester und Priesterinnen eilen herbei, um mit ihren Kräften Unterstützung zu leisten, und um zu verhindern, dass das Feuer auf die Stadt übergreift. Die Magie ist instabil und es scheint einen Riss im Gewebe zu geben. Die Meister versuchen das noch herauszufinden.“
„WAS?“, schrieen Tarlyn und Sabrar gleichzeitig. „Das kann nicht sein, wir müssen dringend durch das Portal, eine äußerst wichtige Reise steht uns bevor“, machte der Vaterpatron seiner Überraschung mit einer Mischung aus Zorn und Entsetzen Luft.
„Die Magie ist instabil? Das Gewebe hat einen Riss?“, fragte Sabrar leise, doch bei dem Tumult hörte ihn niemand.
„Wir müssen aus der Stadt verschwinden, wir müssen nach …“, begann Tarlyn erneut zu schreien, brach jedoch ab, denn keiner sollte das Ziel der Reise kennen. Außerdem konnte er sich vor der Bevölkerung von Eryndlyn keine Blöße geben, indem er jedem offenbarte, dass er ein Priester ohne Heilkräfte war.
Der Berater hörte zu und seine Gedanken wirbelten durch den Kopf. Doch da kam ihm eine Idee, eine die nicht das war, was man sich wünschte oder erhoffte, doch so kämen sie wenigstens voran.
„Wir marschieren über die nicht verschütteten Tunnel an die Oberfläche und gelangen so zumindest nach Norden. Auch so werden wir ihn finden, auch wenn es längere Zeit in Anspruch nimmt“, erklärte Sabrar eilig seinen Vorschlag.
Tarlyn runzelte die Stirn, schickte den Boten mit einem unwirschen Wink davon und überlegte sorgfältig, was diese Reise bringen möge. Aber eigentlich sprach nichts dagegen. Schon mehr als einmal waren seine Soldaten auf der Sonnen beschienen Oberfläche gewesen, er und Sabrar ebenfalls. Wenn sie warten würden, bis irgendjemand sich den Trümmern und dem Portal zuwendet, hätten sie in dieser Zeit wohl längst Menzoberranzan erreicht und könnten ihre Mission erledigen. Da Tarlyn auch keine Zauber zur Verfügung standen, der wohl einzig vernünftige Vorschlag in jenem Moment.
„Wir werden auf der Oberfläche unseren Weg beginnen, Sabrar. Lasst Proviant und Schlafsäcke packen. Männer, leider wird es eine längere Reise, als ihr dachtet, doch das Ziel naht.“
Damit versuchte sich Tarlyn, wie Sabrar und den Soldaten Mut zu machen. Denn den würden sie durchaus benötigen, wenn sie sich auf die gefahrvolle und dicht bevölkerte Oberfläche wagten, um bis nach Menzoberranzan zu gelangen. Zum Glück kam kein Widerwort auf, womit auch niemand wirklich rechnete. Die Dunkelelfen waren ihrem Herrn treu ergeben.
Gesagt, getan und es dauert nur eine Stunde und alle waren erneut zum Aufbruch bereit. Einige Echsen wurden bepackt, die kurz vor dem Ausgang ins Reich der Sonne zurückgelassen werden mussten und von dort aus ging es zu Fuß über Gras, Hügel, Berge oder was sonst noch auf ihrer Reise auf sie wartete.
Die ganze Zeit über schwebte ein schwarzer Schatten über dem Hof und schaute neugierig dem geschäftigen Treiben zu. Überall wuselten Drow, Elfen, Orks und andere Rassen durch die Straßen und Gassen von Eryndlyn. Fast alle mit einem Ziel, die Katastrophe in der Akademie weiter einzudämmen. Priester und Priesterinnen zu gleichen Teilen eilten zu den Verletzten, prüften ob noch ein Lebensfunke in den manchmal zur Unkenntlichkeit verbrannten Opfern steckte und heilten oder halfen nach, das Schicksal der Unglücklichen in die eigenen Hände zu nehmen.
Aus dem Schatten, der mehr einem schwarzen Nebel glich, formte sich das Gesicht eines attraktiv aussehenden Dunkelelfen und grinste von einem zum anderen Ohr. Die zwei Löcher in der goldenen Halbmaske gaben rot glühende Augen preis, die glänzend aufleuchteten. Er wirkte amüsiert und verärgert zugleich über die Geschehnisse, die er dennoch mit Neugier verfolgte. Doch noch mehr interessierte ihn das Tun und Handeln eines bestimmten Einwohners dieser Stadt und dieser war niemand anderer als Tarlyn Myt’tarlyl. Aufmerksam beobachtete er von seinem erhöhten Standort und hörte die Worte des Drow und selbst an den Gedanken des Vaterpatrons hatte der Avatar Vhaerauns teil. Er schlug sich trotz des Rückfalls gut und das Spiel wurde dennoch in Position gebracht, es fehlten nur noch der König und die Königin und das Schachspiel würde bald den richtigen Verlauf nehmen.
So ist es Recht, nur dann wirst du wieder einer meiner liebsten Diener auf der Materiellen Ebene sein, lachte der Avatar stumm in sich hinein. Nichts und niemand soll dir und deinen Männern im Land der Sonne in den Weg kommen und du wirst deine Aufgabe hoffentlich zur Zufriedenheit erfüllen. Du hast die Bestimmung angenommen, du führst sie trotz widriger Umstände augenblicklich aus und darauf kommt es an.
Daraufhin verschwand das Gesicht. Der Nebel waberte noch einige Sekunden auf der Stelle, dann löste sich der Vhaeraunavatar in Nichts auf und kehrte somit auf die Schattenebene zurück, zurück zu seinem Herrn und Meister und wurde wieder Eins mit ihm.