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Dem Wahnsinn so nah

By: Elbenstein
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Rating: Adult ++
Chapters: 47
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Disclaimer: I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
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29. Kap. Hexentanz mit List und T?cke

29. Kapitel
Hexentanz mit List und Tücke

Von allem, was sich in Eryndlyn und im Haus Myt’tarlyl ereignete, war Nhaundar einer der Drow, die weder etwas wussten oder ahnten, dass Ärger und womöglich auch der Tod auf ihn warteten. Der Sklavenhändler suhlte sich auf seiner Rückreise am frühen Morgen in seiner eigenen Schläue und Gerissenheit. Er hatte eines der besten Geschäfte seines bisherigen Lebens abgeschlossen und dieses würde ihn auch für die Zukunft noch mehr viel bringen. Gold, Edelsteine, aber auch neue, hochbetuchte Kundschaft warteten auf ihm und allem voran ein höherer Status als Sklavenhändler mit Stärke und Einfluss und das alles in der Stadt Menzoberranzan. Er könnte alle anderen Händler für immer von ihrem hohen Thron stoßen, Geschäfte mit den mächtigen Adelshäusern abschließen und Nhaundar wäre reich. Hohepriesterinnen würden ihn besuchen und die besten Sklaven im ganzen Untereich bei ihm kaufen. Iymril war seine Rückversicherung, denn auch sie war, wie er wusste, eine Priesterin Lolths und sie hatte ihn auserkoren, dass er für sie arbeiten durfte. Einen besseren Status würde er nie wieder bekommen. Für alles was sie auch plante, es wären seine Sklaven und sein Name, der für ihren Erfolg sorgte.
Nach kurzer Reise kamen Nhaundar, Shar, Yazston und seine Männer unbeschadet Zuhause an und augenblicklich ging der Sklavenhändler an seine Arbeit. In den nächsten zwei Zehntagen verbrachte er mit Verhandlungen, Bestechungsversuchen, Drohungen und pflegte seine alten Geschäftsbeziehungen, um an das zu kommen, was Iymril ihm aufgetragen hatte. Er fand gute Sklaven, doch sie waren immer noch nicht genug. Doch er wusste er hatte Zeit. Im Hammer des Jahres 1325 TZ war ein erneutes Treffen mit der Tochter aus dem Haus Myt’tarlyl anberaumt und bis dahin lagen noch Monate dazwischen, um für seinen versprochenen Lohn den Auftrag zu erfüllen. Nhaundar scheute keine Kosten und Mühen, denn er hielt sich stets seinen größten Traum vor Augen und wie er anschließend in Gold baden würde. Wenn es einen Gott für nie enden wollenden Geldgier und von sich selbst eingenommen Sklavenhändler gegeben hätte, dann wäre Nhaundar höchstwahrscheinlich sehr gläubig geworden. Da dies nicht der Fall war und er noch nie in seinen 650 Jahren einem Glauben verfallen war, genoss er einfach seine Überlegenheit und die Aussicht auf Reichtum, zusammen mit seinem allerliebsten Schatz, Shar.
Er beschloss sogar einen Boten zu Iymril Myt’tarlyl zu schicken, um ihr im Vorfeld von dem guten Voranschreiten ihrer kleinen Privatarmee zu berichten. Denn Nhaundar war und blieb guter Dinge und von ihrem vorzeitigen Ableben wusste der Sklavenhändler nichts. Durch den Unfall in Eryndlyn und dem Riss im Gewebe war auch das Portal von Menzoberranzan nicht zu gebrauchen. So musste Nhaundars Bote wie alle anderen nun über die üblichen Wege, in Begleitung einer großen Karawane, nach Süden durch das Unterreich reisen. Der Sklavenhändler Xarann schien der Letzte gewesen zu sein, der auf magische Weise schnell zwischen beiden Städten reisen konnte. Die Magier arbeiteten fieberhaft an diesem Problem, aber Nhaundar interessierte es wenig bis gar nicht, es war nicht sein Problem. Außerdem warteten andere Dinge auf ihn. Er musste nicht nur für gute Sklaven sorgen, sondern allem voran gute Sklaven mit Kampferfahrung finden.
Der junge Halbdrow hatte ebenfalls keine Ahnung was sich alles seit dem Verlassen des Anwesens des Hauses Myt’tarlyl in Eryndlyn und innerhalb der Familie zugetragen hatte. Alles blieb beim Alten. Der einzige Unterschied bestand lediglich darin, dass nun fast jeden Tag mehr Besuch und Geschäftsleute kamen, doch weniger wegen ihm, sondern zu seinem Herrn und die Gespräche zogen sich dann stundenlang dahin. Wenn Nhaundar nicht auf die Anwesenheit des Jungen gepocht hätte, so wäre Shar in den nun folgenden Wochen niemals Zeuge solcher Treffen gewesen. Und der junge Halbdrow war schlau. Er wusste, er konnte Zaknafein wieder neue Dinge erzählen, die er doch so gerne mochte. Vielleicht sogar Sorn, der hin und wieder auch nach den Besuchern und deren Unterhaltungen mit seinem Herrn nachfragte. Für Zaknafein und Sorn war Shar die geeignete Quelle an Informationen, die unbezahlbar war. Zum Glück fehlte Nhaundar in dieser Hinsicht die Weitsicht ohne dass er sich seinem Fehler bewusst war.
Manchmal nachts, wenn Nhaundar sich an Shar erfreute und meistens betrunken neben dem jungen Halbdrow einschlief, da tauchte der Junge in seine eigene Welt ab. Er träumte von der Reise und den vielen neuen und auch unbekannten Schönheiten, die er sehen durfte. Er schwelgte in Erinnerungen an das Haus Myt’tarlyl. Shar erinnerte sich lebhaft an die Erscheinung von Handir, an den Tempel und alles was sich um den Glauben an Vhaeraun drehte. Denn diese Dinge wollte er seinem Liebsten berichten und dann würde Sorn mit aller Wahrscheinlichkeit sehr stolz auf ihn sein. Bald, das wusste der junge Halbdrow, wäre die Zeit gekommen, wo der Priester Nhaundar besuchte, sie sich endlich wieder in die Armen schließen konnten und beide wieder eines ihrer Spiele spielten. Manchmal, doch nicht immer, konnte es passieren, dass Sorn Shar mitnehmen und am nächsten Morgen zurückbrachte. Oder aber sie blieben auf dem Anwesen Xarann und bekamen eines der vielen Zimmer zur Verfügung gestellt. Nhaundar ahnte nichts von der heimlichen Zweisamkeit ihrer beider Herzen und ging wie stets von der reinen Befriedigung seines besten und wertvollsten Geschäftspartners aus. Der Priester war und blieb für Nhaundar ein Glücksgriff, den er so schnell nie wieder hergeben wollte.
Doch dann kam alles ganz anders. Nach drei Zehntagen, nach der Abmachung mit Iymril Myt’tarlyl, stand Nhaundar zusammen mit Shar im Hof seines Anwesens und wartete ungeduldig auf die Begutachtung der neuen Ware, die soeben eingetroffen war. Laut Yazstons Bericht zur Folge, alles recht junge und kampftaugliche Dunkelelfen und auch Oberflächenelfen von überall her. Keiner sollte über 300 Jahre alt sein und vielleicht, so dachte sich Nhaundar, könnte er auch neues Frischfleisch für seine eigene Kundschaft herausfischen.
Der junge Halbdrow stand etwas verloren hinter seinem Herrn, schielte ab und zu aus den Augenwinkeln hinüber und erkannte vor sich Wagen, auf denen Sklaven eingepfercht herein gebracht wurden. Nhaundar hielt dabei die Kette von Shars Halsband in der Hand und achtete immer sorgfältig darauf, dass sein Schatz allzeit in seiner Nähe weilte. Seit der Reise nach Eryndlyn wollte er nicht noch einmal riskieren, dass der Junge wie aus heiterem Himmel verschwunden war.
„Endlich sind alle eingetroffen!“, ertönte jäh die Stimme des Sklavenhändlers über den Hof und dabei machte er einige Schritte nach vorne.
Shar, der überrascht nach oben blickte, wurde an der Kette mitgezogen und wäre beinahe gefallen, als Nhaundar so unvermittelt losmarschierte. Er war so in Gedanken vertieft gewesen, dass er im letzten Augenblick sein Gleichgewicht zurück gewann und tappte eilig hinterher und erkannte vor sich Sorn, seinen Liebsten.
„Meint ihr, ich würde mir euer Geld so einfach durch die Hände gleiten lassen“, begrüßte der Priester sein Gegenüber und lächelte dabei hinterlistig. Endlich war der Tag gekommen an dem Sorn Shar wieder sah und so war er eilig der Aufforderung des Sklavenhändlers gefolgt. Außerdem ergab sich dadurch eine weitere Chance ein Teil des Kaufpreises für Shar zu erwerben und die Ironie bestand darin, dass Nhaundar selbst dazu beisteuerte. Sorn musste an sich halten, dass er sich in der Nähe seines Liebsten nicht verriet und starrte unablässig den schmierigen, alten Dunkelelfen ins Gesicht. Selbst die Angst um eventuelle Verletzungen des Jungen, die er auf den ersten Blick erkennen könnte, schluckte er nach unten und sprach weiter.
„Ich habe mir sagen lassen, dass ihr auf Reisen wart.“
„Neuigkeiten verbreiten sich schnell, Priester“, antwortete Nhaundar überaus freundlich und lächelte sein Gegenüber an. „Wer hat schon wieder geredet?“
„Eigentlich habe ich es durch Zufall erfahren, denn ich wollte schauen, ob vielleicht Arbeit auf mich wartet“, versuchte Sorn zu erklären. „Ihr habt doch keinen Unsinn angestellt?“, wollte der Kleriker wissen und schaute endlich über die Schultern des Dunkelelfen und erkannte dort einen schmunzelnden Shar. Sein Herz raste plötzlich wild und voller Leidenschaft in seiner Brust und auf den ersten Anschein schien der Junge keine Verletzungen davon getragen zu haben. Auch wenn er gerne das Lächeln erwidert hätte, so musste er wie stets die Fassade aufrecht erhalten und sah bar jeden Gefühles zurück. Doch wer in die bernsteinfarbenen Augen von Sorn gesehen hätte, dem wäre das Glänzen von unglaublicher Freude und Erleichterung aufgefallen. So sehr liebte Sorn Dalael den jungen Halbdrow.
„Falls ihr auf die Unversehrtheit des Halbelfen ansprecht, dem geht es nach wie vor gut, aber lasst uns lieber über wichtigere Dinge sprechen. Etwas Großes steht mir und vielleicht auch euch bevor. Geld, wenn ihr versteht“, säuselte Nhaundar schleimig und legte bei seinen Worten sogar einen Arm auf die Schulter des jungen Priester, drehte so den Kleriker in die gegenüberliegende Richtung der Sklaven und nahm Sorn jede Möglichkeit, mit Shar noch einmal Blickkontakt zu halten.
„Ihr müsst mir die neue Ware begutachten und notfalls auch von Verwundungen heilen, denn ich brauche kampffähige und starke Sklaven. Ein weiterer Beutel Gold gehört euch, wenn ihr sogleich anfangen könnt. Ich werde die erste Auswahl treffen und ihr könnt euren Glauben aufs Neue ausüben. Gefällt euch der Vorschlag, Sorn Dalael?“ Die Stimme des Sklavenhändlers kündete von Begeisterung aber ließ auch gleichzeitig keinen Widerspruch gelten.
Der Vhaeraunpriester verstand augenblicklich. Denn Freude verband Nhaundar stets mit Profit und damit wuchs auch der Geldvorrat von ihm und seinem Bruder. Für Shar blieb später auch noch Zeit und vermutlich auch eine ganze Nacht. Sorn lächelte den Sklavenhändler verschlangen an, legte nun seinerseits einen Arm auf die Schulter von Nhaundar und man hätte meinen können, zwei Freunde schritten davon. Doch für den Kleriker schien diese Geste äußerst wichtig, denn man wusste ja nie, was der Sklavenhändler in seinem Kopf ausheckte und ob er Verdacht von Sorn und Shars gemeinsame Liebe hegte.
Für Shar blieb nur das etwas langweilige hinter her Trotteln, wobei er jedoch seine Neugier weiter befriedigte und sich all die neuen Sklaven in den Wagen hinter den Gitterstäben anschaute. Er beobachte sie aus den Augenwinkeln, damit sein Herr ihn nicht wegen ungebührendem Verhalten bestrafen konnte, denn Nhaundar schlug nach der Reise aus Eryndlyn gerne und äußerst kräftig zu, mit der Peitsche oder auch mit der Faust. Doch die Freude über Sorns Besuch spielte bei Shars braven Verhalten eine viel größere Rolle und es war viel zu lange her, seit er seinen Liebsten in die Arme schließen durfte. Die Ungeduld vertrieb sich Shar, als er sich in den Gedanken vorstellte, er wäre hier und jetzt der Herr des Hauses und würde all die Ware beurteilen und entscheiden, was andere zu tun hatten. Derweilen wurden die neuen Sklaven in mehreren Reihen aufgestellt und auch hin und wieder mit kräftigen Peitschenhieben oder Faustschlägen auf ihren Platz getrieben.
Wenige Minuten verstrichen und Nhaundars prüfender Blick brachte die ersten, lohnenswerten Sklaven zum Vorschein, während der Vhaeraunpriester sich etwas abseits bereits an die Arbeit machte. Der Sklavenhändler ging weiter eine Reihe nach der anderen entlang und noch weitere Sklaven entsprachen den Vorstellungen Nhaundars. Dabei zog er Shar wie ein Hund hinter sich her. Dieser merkte davon recht wenig, war er doch viel zu beschäftigt sich all die Worte und Gesten seines Herrn genau einzuprägen und in Gedanken der Herr des Hauses zu spielen. Ein interessantes Spiel für den jungen Halbdrow.
Nach über einer halben Stunde war endlich ein Ende in Sicht und der Sklavenhändler kam zu den letzten fünf Sklaven. Alle wirkten recht jung, fast im gleichen Alter wie Shar und alle waren Dunkelelfen. Wie Nhaundar von Yazston erfuhr, alles Drow aus Ched Nasad und aufgelesen auf der Straße. Perfekt, dachte sich der schmierige Händler und beäugte nun die Ware genauer.
Shar spielte unablässig weiter und war ein wenig traurig, dass er mit sich alleine spielen musste, aber vielleicht könnte er ja später mit Sorn weiter machen und ein verstohlenes Schmunzeln zeigte sich auf dem hübschen Gesicht.
Nhaundar stand da, musterte einen Drowsklaven vor sich, wobei sein Blick von oben nach unten über dessen Körper glitt. Verfilzte weiße Haare, ein markantes Gesicht, aber ein dürrer, fast schon zu ausgemergelter Körperbau offenbarten sich ihm. Wenn dieses Ding vor seinen Augen nicht aus Haut und Knochen bestanden hätte, wäre er eine Bereicherung seiner eigenen Liebessklaven geworden, doch Nhaundar erkannte den Zeitaufwand und das herausgeschmissene Geld, denn man musste ihm zu Essen geben, viel mehr als üblich. So etwas begehrte der Sklavenhändler nicht. Er blickte zu Yazston, der neben dem Sklaven stand, hob die Hand und fuhr mit dem Zeigefinger von links nach rechts über seinen Hals. Der Kommandant der Soldaten nickte wissend, zog einen Dolch aus der Scheide und im nächsten Augenblick glitt die scharfe Klinge durch das dünne Fleisch über die Kehle des unschuldigen Sklaven. Dieser starrte überrascht zu dem älteren Dunkelelfen hinüber, ließ ein Gurgeln hören, zitterte kurz und heftig am ganzen Körper und fiel schlaff auf den Boden. Aus dem Kehlenschnitt rann Blut und floss auf Nhaundar zu, der das Spektakel mit Neugier verfolgte. Doch als der Lebenssaft die Stiefel des Sklavenhändlers fast berührte, trat dieser einen Schritt zurück. Dann kam der nächste Sklave an die Reihe.
Shar, der immer noch hinter Nhaundar herlief und seinen Herrn in Gedanken mimte, berührte diese Aktion viel weniger, als man hätte meinen können. Er hatte ehrlich gesagt schon grausamere Szenen bei der Jagd beobachtet, die jedes halbe Jahr in Nhaundars Kellergewölbe stattfand und Dantrag vollführte dort durchaus brutalere Tötungsmethoden. Schon lange musste sich Shar nicht mehr beim Anblick der gefolterten Lolthpriesterinnen übergeben. Wobei sein Herr ihn immer gern dazu zwang, alles genau anzuschauen, in dem er den Kopf von Shar festhielt und erst wieder losließ, wenn die Priesterin tot war. Der junge Halbdrow tat ebenfalls einen Schritt nach hinten und achtete darauf, dass das Blut nicht seine nackten Füße berührte.
Beim nächsten Sklaven geschah das Gleiche. Dieser eignete sich ebenfalls nicht für Iymril Myt’tarlyl, geschweige denn für ihn selbst. Auch ihm wurde die Kehle durchgeschnitten und nun blieben noch drei weitere junge Drowsklaven übrig, die allesamt nervös und ängstlich wirkten. Nhaundar wollte die Musterung nun endlich hinter sich bringen. Noch andere Dinge mussten erledigt werden und Vorbereitungen zu einem ganz besonderen Ereignis planten sich nicht von alleine. Dann blieb der schmierige Sklavenhändler plötzlich stehen, riss die Augen weit auf und dachte, er würde träumen. Vor sich erkannte er einen jungen Dunkelelfen. Geschätzt, höchsten dreißig Jahre alt, langes Haar und ein überaus attraktives Gesicht. Der Körper schlank, jedoch nicht ausgezehrt wie bei den beiden vorhergehenden. Die roten Augen strahlten Zorn und Unschuld zu gleichen Teilen aus. Nhaundar erkannte im ersten Moment noch nicht einmal, dass ihn der Sklaven unverblümt und direkt ins Gesicht schaute. Fesseln an den Handgelenken, die auf den Rücken gebunden waren, verhinderten, dass sich dieser Dunkelelfenjunge sofort auf den Sklavenhändler stürzte. Nhaundar konnte einfach nicht den Blick abwenden und beäugte mit einer Mischung aus Verwirrtheit und einem unbekannte Verlangen den Körper vor sich. Das Gesicht wirkte hübsch, wenn auch hier und da ein paar Narben von dem Leben auf der Straße zeugten. Genau das, was ich mir wünsche, dachte Nhaundar und musste lächeln. Doch er wurde sich plötzlich bewusst, dass er etwas in der Hand hielt und als er hinsah, da erkannte er die Kette von Shars Halsband, wie er diese festhielt. Nhaundar wandte sich dem jungen Halbdrow zu, der augenblicklich den Blick senkte und den Boden anstarrte. Der Sklavenhändler hob die andere Hand, schob sie unter das Kinn von Shar und zwang ihn so, direkt in das Gesicht seines Herrn zu blicken. Da waren sie wieder, die tiefblauen Augen des Halbdrow. Sie leuchteten hell und klar, doch etwas fehlte. Was war es, grübelte Nhaundar. Dann schaute er wieder in die roten Augen des Drowsklaven und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. Die Unschuld. Er sah in beiden ein Kind, das man nach Belieben formen und für sich gewinnen konnte, doch während der eine durch Zorn und der noch nicht genommen Unschuld ihn anfunkelte, war in Shar nichts von alldem übrig. Das einstige Feuer in seinen Augen war mit der Zeit gewichen und hatte der Resignation Platz gemacht. Wie alt ist der Halbdrow eigentlich schon, erwischte sich Nhaundar bei dem Gedanken. Er wusste es nicht. Erneut schaute der ältere Drow in die tiefblauen Augen von Shar und plötzlich spürte Nhaundar, dass er nicht mehr den begehrenswerten Jungen vor sich hatte, der schon so lange ein attraktiver Ersatz für den Mondelfenkrieger war. Er konnte sich an die damaligen Pläne erinnern, als er den Vater des Halbdrow mit der Vergewaltigung die größte Schmach antat. Doch Shar war für ihn lediglich ein Sklave, wie Handir und viele andere zuvor, der von den vielen Männern verbraucht wurde. Irgendwann, wenn nicht sogar bereits hier und heute war er nichts weiter, als all die anderen Lustsklaven, die sich um das Wohl der weniger betuchten Gäste von Nhaundar kümmerten. Dann musste der Sklavenhändler wieder zu dem Drowjungen schauen. Er war jung und alles andere als verbraucht. Lediglich das Leben auf der Straße hatte sein Wesen gezeichnet, doch dieses unliebsame Detail ließ sich mit der richten Behandlung herausprügeln und willig machen.
Ein gefährliches Grinsen huschte über das Gesicht des Herrn des Hauses und die Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Hatte Dantrag nicht immer schon hohe Summen für den Halbdrow geboten und fragte dieser nicht öfters nach dem derzeitigen Kaufpreis des Sklaven. Vielleicht könnte er nun endlich ein vernünftiges Geschäft aushandeln, wobei Nhaundar vermutlich gutes Geld machen würde. Ferner traf es sich gut, dass der Priester wohl auch noch morgen mit seiner Arbeit beschäftigt sein würde, bei so vielen geeigneten Sklaven, dass dieser sich auch um diesen Straßenjungen aus Ched Nasad kümmern konnte. Denn das Gefährliche an dem neuen Drowsklaven schien der ungezügelte Charakter zu sein. Doch wenn man sich seiner annahm, dann würde er genauso ein weiches Kätzchen, wie der Halbdrow werden, der ihn immer noch verwirrt anblickte. Nhaundar ließ das Kinn los, wand sich Yazston zu und meinte streng. „Bringt diesem Drowsklaven Gehorsam bei, ihr braucht keine Zurückhaltung üben, der Priester ist ja da“, dann lachte der Sklavenhändler laut und überaus erfreut.
Der Kommandant der Soldaten fiel in das Gelächter mit ein und nickte seinem Herrn wissentlich zu und zog den jungen Sklaven aus der Reihe und in die Arme einer seiner Männer. „Du hast Nhaundar gehört, bring’ ihn zur Säuberung und sperre ihn anschließend ein. Er braucht ein wenig Fügsamkeit.“ Der Krieger nickte ebenfalls und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Sorn hörte von weiter weg den alten Dunkelelfen lachen und dieser Ton gefiel ihm ganz und gar nicht. Doch er wollte sein Gebet jetzt nicht unterbrechen und musste sich Nhaundar später widmen, wenn der Sklave vor ihm die nötige Behandlung bekommen hatte.
Shar ahnte von alledem nichts, denn es war nicht das erste Mal, dass ihn sein Herr so genau in Augenschein nahm. Er hielt dem Blick von Nhaundar stand und schaute in seiner gewohnt kindlichen Naivität hinauf und wollte einfach nur weiter spielen. Denn die Musterung der neuen Sklaven war auch für Shar ein ungewohntes Erlebnis und eine Abwechslung vom Alltag, wo er doch die meiste Zeit in den Privatgemächern seines Herrn verbrachte und langweiligen Dingen zuhören musste. Als dann auch schon kurz darauf Nhaundar wieder wie gewohnt sprach und handelte, schien für den jungen Halbdrow alles wieder interessant. Und während der Sklavenhändler noch die übrig gebliebenen Sklaven beäugte und eine Entscheidung traf, konnte Shar mit dem Gedankenspiel weiter machen. Dabei schaute er zu, wie einer der Dunkelelfenjungen ebenfalls zu den Quartieren der Soldaten gebracht wurde und sich auch heftig im Griff des Kriegers wehrte, aber für Shar durchaus etwas normales. Der andere bekam die Kehle durchgeschnitten.
Kaum, dass Nhaundar mit der Prüfung der Ware geendet hatte, ertönte von der Eisentür am Hofeingang eine, für viele wohl vertraute Stimme herüber. „Nhaundar Xarann.“
Der Sklavenhändler wirbelte auf der Stelle herum. Dabei riss er so heftig an der Kette von Shars Halsband, dass der Junge diesmal nicht mehr das Gleichgewicht halten konnte und fiel auf die Knie. Ein plötzliches Jammern entwich dem jungen Halbdrow, als die Schmerzen kurz, aber heftig durch seinen Körper fuhren. Aus den Augenwinkeln erkannte er nun Dantrag Baenre. Der Schreck saß tief und Shars Herz klopfte wild vor Angst und sein Körper zitterte leicht. Ob er sich alleine durch die Anwesenheit von Dantrag so fühlte oder es gleichzeitig an dem unverhofften Sturz lag, das wusste Shar nicht, aber er traute sich nicht zu bewegen und so verharrte er regungslos und kniend auf dem Boden.
Glück oder auch Unglück lagen dicht beieinander. Denn Dipree stand ebenfalls im Hof und hatte sich um die Aufenthaltsorte für die Sklaven gekümmert. Er musste versuchen die neuen Sklaven für Eryndlyn von den restlichen irgendwo getrennt unterkommen zu lassen. Doch nun hatte Dipree auch seine Arbeit beendet und stand nur wenige Meter entfernt, als er Shar fallen sah. Mit einem Seitenblick erkannte er den Waffenmeister des Hauses Baenre und er spürte den Ärger bereits in der Luft liegen. Innerlich wollte er nicht, dass Dantrag den jungen Halbdrow sah und vermutlich seinen Spaß forderte, so tat er das, was er für richtig hielt. Er eilte mit schnellen Schritten zu dem immer noch knienden Jungen, nahm ihn am Arm und zog ihn auf die Beine. Da Nhaundar zwischenzeitlich auch die Kette losgelassen hatte und sich ganz auf den Besuch konzentrierte, nahm Dipree die Chance wahr. Schnell sprach er einige Worte zu seinem Herrn, dass er den Sklaven in die Privatgemächern bringen würde und bekam ein beiläufiges Nicken geschenkt. So lief Dipree zusammen mit Shar davon.
All dies bekam nun auch eine weitere Person mit und dabei handelte sich um niemand anderen als Sorn Dalael. Gerade hatte er einen der Sklaven von einer Schnittwunde am Arm geheilt, die sich bereits entzündet hatte. Lediglich ein Stück Stoff war um die Wunde gewickelt gewesen und die Entzündung hätte sich wohl in einigen Tagen auf den ganzen Arm auswirken können. Doch die kurzen Momente, in denen auch der Kleriker sich erholen musste, blickte er nun mit den bernsteinfarbenen Augen zu Nhaundar hinüber. In seinem Blick konnte man Zorn und Hass ablesen, der von der Behandlung des Jungen her rührte. Auch Sorn hörte den Besucher den Namen des Sklavenhändlers rufen, sah augenblicklich Dantrag und seine Brust schien sich zusammen ziehen zu wollen. Dann musste der Priester mit ansehen, wie Shar das Gleichgewicht verlor und hinfiel. Zuerst wollte der Kleriker aufspringen und hinüber rennen, doch wie hätte das in den Augen von Nhaundar und Dantrag Baenre ausgesehen? So verharrte er stillschweigend, aber voller Furcht um Shar auf der Stelle und beobachtete alles genau, vor allem aber den Waffenmeister. Als er dann erkannte, wie Dipree, der alte Drowsklave, sich um den jungen Halbdrow kümmerte und ihn von Dantrag wegbrachte, huschte ein kleines „Danke“ über seine Lippen und die Erleichterung machte sich in ihm breit.
Doch plötzlich fühlte Sorn etwas, etwas dass er nicht in Worte fassen konnte. Es kam dem Gefühl der Angst um Shar sehr nahe und er wusste nicht wieso, doch irgendwie ahnte er, dass es mit dem unerwarteten Auftauchen des Waffenmeisters zusammen lag. Sorn spürte, dass hier etwas absolut nicht Richtig zu sein schien und das es vielleicht auch mit seinem Liebsten zu tun haben könnte. Aber was war es nur, fragte sich der Priester nervös.
Er schaute sich um, konnte aber bis auf Nhaundar, Dantrag und hier und da noch einige Soldaten nichts weiter erkennen. Die Empfindung wurde stärker und er bekam das Gefühl, er würde von irgendjemanden oder irgendetwas beobachtete werden. Es ließ sich nicht in Worte kleiden, sondern hatte seinen Ursprung mitten im Herzen. Was ist nur los mit mir?, dachte Sorn ruhelos. Ob es an diesen zwei äußerst brutalen und verschlagenen Drow lag, die wie zwei alte Verbündete wirkten? Er wusste es nicht, stattdessen beobachtete er erneut Dantrag und den Sklavenhändler. Auf beiden Gesichtern erschien ein gefährliches Lächeln, das alleine kündete keine frohe Botschaft an. Ob es mit Shar zu tun hat, wollte der Priester jetzt doch zu gerne wissen. Dann wurde Sorn Dalael abrupt aus seinen Gedanken gerissen und Nhaundar rief ihn zu sich herüber, er solle sich den beiden anschließen. Der Kleriker starrte wie gebannt zu den zwei Dunkelelfen und nickte. Er schüttelte sich kurz, um die unliebsamen Gefühle von sich zu werfen und lief hinüber.
„Ich grüße euch, Waffenmeister“, begann Sorn im höflichsten Tonfall, doch dieser klang eher nach einer Grabeskälte.
Dantrags Augen funkelten bedrohlich und er blickte den Kleriker etwas abstoßend an. Dann schien er sich wieder gefangen zu haben und fragte. „Ihr seid wohl erschöpft, Priester?“
Sorn nickte als Antwort und bedachte danach Nhaundar mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. „Was wünscht ihr von mir, Nhaundar?“
„Eigentlich nicht viel, denn ich wollte euch zu einem kleinen und ganz privaten Fest einladen. Der Waffenmeister und ich …“, dabei deutete der Sklavenhändler nacheinander einmal zu Dantrag hinüber und letztendlich auf sich, „… haben dieses Ereignis schon länger geplant und er ist der große Geldgeber. Für eure hervorragenden und äußerst nützlichen Dienste …“
„… Wollte ich euch und natürlich auch euren Bruder herzlich einladen“, beendete der Waffenmeister des Hauses Baenre den Satz und starrte verheißungsvoll den Vhaeraunpriester an.
Doch dieser behielt seine ausdruckslose Miene bei und so versuchte Dantrag noch ein Lob hinter her zu schicken, was ihm nicht wirklich leicht fiel. „Ich bin jedes Mal aufs Neue begeistert über eure guten Heilungskünste …“, hierbei hielt sich der Waffenmeister offen, ob er damit die Verwundungen von Shar oder die Verletzungen der Priesterinnen meinte und sprach ungehindert weiter. „… Auch ihr verdient einmal eine Pause oder man könnte es auch Anerkennung für eure Dienste nennen. Überlegt es euch, eingeladen seid ihr, es liegt nun an euch, ob ihr dem Fest beiwohnen wollt.“
„Welch ein Grund gibt denn Anlass zum feiern?“, wollte Sorn eilig wissen, bevor er sich entschied.
„Aber mein Junge …“, mischte sich nun Nhaundar wieder ein und Dantrag ließ ihn gewähren, „… man braucht kein Grund um ein wenig Spaß zu haben, nicht wahr? Kommt zusammen mit Nalfein und die Freude wird auf eurer Seite sein. Ich zähle auf euch Zwillinge“, säuselte der Sklavenhändler.
Sorn nickte lediglich als Antwort und fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Eine Einladung auf ein Fest hatte er noch niemals erhalten. Die Jagd zählte er nicht mit, wobei seine Heilkünste dort stets auf geschäftlicher Basis basierten. Doch das diese zwei niederträchtigen Dunkelelfen ihn und sein Bruder einfach so auf ein Fest einluden passte nicht zu ihnen. Doch das ungute Gefühl, wenn er an Shar dachte, kehrte zurück. Die beiden heckten etwas aus, nur was, fragte sich der Priester erneut. In ihren Augen konnte man die Gefahr bereits erkennen, doch mehr ließ sich nicht entschlüsseln. Er musste das Spiel mitspielen, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Sie sollten keinen Verdacht schöpfen. So versuchte Sorn sich am Riemen zu reißen, setzte das tückischste Grinsen auf, das er zustande brachte und antwortete begeistert, was seinen Empfindungen Lügen strafte. „Ich danke für die Einladung. Ich werde wohl anwesend sein, doch Nalfein muss dies selbst für sich entscheiden, somit spreche ich erst einmal für mich.“
Dantrag und Nhaundar nickten und wandten sich augenblicklich dem Hauseingang zu. Doch der Sklavenhändler wandte sich noch einmal um und meinte dann fröhlich grinsend zu Sorn. „Kommt morgen wieder. Für heute ist eure Arbeit getan. Yazston soll euch das Geld für die heutige Arbeit geben und ruht euch aus. Morgen sehen wir uns um die gleiche Zeit wieder.“
Diese Worte trafen den Kleriker wirklich hart. Eigentlich hatte er heute mit einem privaten Treffen mit Shar gerechnet, doch Nhaundar ließ keine Möglichkeit zu, dass er jetzt noch etwas erwidern konnte. Vielleicht gab es morgen die Chance, endlich seinen Liebsten liebevoll in die Arme zu schließen. Doch nur zu gerne wäre Sorn dem Sklavenhändler soeben an die Kehle gesprungen und hätte ihm diese mit seinem Dolch aufgeschlitzt. Der Vhaeraunpriester hielt sich jedoch zurück, lächelte zufrieden, obwohl innerlich ein loderndes Feuer brannte und nickte lediglich. Dann war Nhaundar auch schon gleich darauf verschwunden und mit ihm Dantrag. Zurück blieb ein von Furcht und Sorge nervöser junger Dunkelelf, der plötzlich die Welt aus den Fugen gleiten sah. Nichts passte mehr zusammen, wie es sooft der Fall gewesen war und alles schien sich plötzlich auf das Fest, die unverhoffte Einladung und das Gefühl der Angst um Shar zu konzentrieren und seine Gedanken wirbelten wild herum. Er musste ganz dringend mit Nalfein sprechen, er brauchte jetzt die Stütze seines Bruders, der ihm helfen würde. So eilte Sorn zu Yazston, der übergab ihm wie von Nhaundar versprochen das Geld und dann machte auch der Priester sich auf den Weg nach Hause ins Gasthaus.

„Ich habe jetzt 480 Goldmünzen zusammengespart, Nalfein. Ich muss es einfach versuchen“, redete Sorn einige Stunden später auf seinen Bruder ein, der ruhig auf seinem Bett lag, beide Arme hinter dem Kopf verschränkte und den Neuigkeiten über Nhaundar lauschte. Dabei starrte er stur zur Decke, als ob sie die ungeklärten Fragen und die Gefühle seines Bruders beantworten könnte.
„Du bist dir ganz sicher, dass Nhaundar vorhat den Kleinen zu verkaufen, Sorn?“, wollte der junge Krieger wissen.
„Es war nur ein Gefühl, beide haben nichts von verkaufen oder sonstigem erwähnt. Aber ich habe so eine Ahnung, die ich nicht erklären kann, doch möglich wäre es. Ich habe auf dem Weg hierher alles genau überdacht und je früher Shar aus den Händen der schleimigen Orkfratze kommt, desto besser. Die Verschlagenheit liegt im Wesen unserer Rasse, das solltest du doch am besten wissen“, erwiderte Sorn darauf.
„Das Töten auch“, meinte der Zwillingsbruder des Vhaeraunpriesters trocken. „Du hast mir gesagt, dass wir auf dieses Fest eingeladen sind, Bruder“, und mit diesen Worten sprach er die sehr seltsam wirkende Einladung erneut an. Doch alleine bei dem Gedanken verzog Nalfein leicht angewidert das Gesicht, wenn er sich vorstellte, was bei diesem angeblichen Fest den Hauptgrund darstellte. Viele Männer würden anwesend sein, ihrem Verlangen nach Lust und Laune frönen und Frauen wären mit hundertprozentiger Sicherheit nicht erwünscht. Für den Krieger nicht einladend genug.
„Ich habe dir doch alles bereits erzählt, was ich weiß. Nhaundar hat die Sklaven begutachtet, ich habe sie geheilt und dann kam Dantrag hinzu. Wenn beide nicht so widerlich gelacht und mir nicht eine innere Eingebung weiß gemacht hätte, dass Shar in Gefahr ist, wäre ich jetzt sonst dabei mein Geld immer und immer wieder zu zählen?“ Die Stimme von Sorn klang brüchig und am liebsten hätte sich der junge Priester in eine dunkele Ecke verkrochen und seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Alles schien so irrational und unwirklich und so hatte ihn sein Gedankespiel auf dem Nachhauseweg nur eines geraten, er musste versuchen mit dem bereits vorhanden Geld seinen Liebsten in nächster Zeit frei kaufen. Denn wenn der Waffenmeister aus dem Haus Baenre seine Finger im Spiel hatte, dann konnte es nicht gut ausgehen. Immer und immer wieder grübelte er über die Szenen im Hof nach und letztendlich war Sorn überzeugt davon, dass der junge Halbdrow mehr in Gefahr schwebte, als man glauben sollte, auch wenn jedweder Beweis fehlte. Ein Gefühl, wie durch eine höhere Macht verliehen, nagte an seinen Nerven und stahl sich in sein Herz und beruhigen könnte er sich erst wieder, wenn er Shar in Sicherheit wusste.
„Ja, du hast mir von deinen Ängsten bereits zum zweiten Mal erzählt. Ich komme mit, Brüderchen, ich lasse dich nicht alleine in die Hölle spazieren“, beruhigte Nalfein seinen Bruder. Die Worte waren ernst gemeint und um diese zu unterstreichen, wand der Krieger seinen Kopf in Richtung Sorn, der auf einem Stuhl am Tisch im Zimmer saß und gerade von neuem zu zählen begonnen hatte. Das Klirren von Geldmünzen hallte durch den Raum.
Der Priester spürte die Bewegung seines Zwillings und schaute im gleichen Moment hinüber und ihrer beider Blicke trafen sich.
Nalfein erkannte in den Augen seines Bruders die Angst und auch wenn der junge Krieger nach außen hin kalt und abgebrüht wirkte, so konnte er Sorns Gefühle sehr gut verstehen. Die Erinnerungen an ihre eigene Kindheit waren wahrscheinlich noch schlimmer als diese verzwickte Situation. So erhob sich Nalfein, ging dann hinüber zu dem zweiten Stuhl und setzte sich.
„Wie viele Münzen hast du?“, wollte der Kämpfer wissen.
„480 und wenn ich die heutigen Münzen dazurechne, dann bin ich bei 500 Goldstücke“, erwiderte Sorn nervös. „Doch mir fehlen mindestens 100 Stück um wenigstens einen normalen Drowsklaven kaufen zu können. Nhaundar verlangt wahrscheinlich mehr. Du kennst ihn doch.“
Nalfein nickte bejahend, denn er kannte den Sklavenhändler durchaus, der wie all die anderen nur dem Profit seinen Glauben schenkte. Sein Bruder schien mit seiner Aussage durchaus Recht zu haben und so entschied sich der Ältere der beiden für etwas, dass alle Nerven beruhigte. Er griff in sein Hemd und fischte dort seine eigene Geldbörse hervor. Ein letztes Mal wog er das Gewicht ab und nickte zufrieden. Dann nahm er den Beutel aus Leder, setzte ihn auf den Tisch und schob diesen seinem Bruder zu.
„Hier, nimm’ diese noch und du dürftest ein bisschen mehr haben“, sagte Nalfein wohl gesonnen und lächelte den Jüngeren an.
Sorn riss vor Überraschung die bernsteinfarbenen Augen weit auf. Der Mund öffnete sich leicht, doch sagen konnte er nichts. Er war sprachlos und schaute wie gebannt auf den Geldbeutel seines Bruders, ganz so, als würde er eine Illusion betrachten. Nachdem der Priester sich nach wenigen Atemzügen wieder gefangen hatte, schaute er zu Nalfein hinüber und sah dort das freudige Gesicht seines Bruders.
„Aber … aber … das …“, stammelte der junge Vhaeraunpriester.
„Das ist mein Geld und ich schenke es dir. Keine Widerrede Brüderchen. Ich habe den Kleinen auch auf eine gewisse Art und Weise lieb gewonnen, auch wenn er ein wenig verrückt ist“, antwortete Nalfein keck. „Aber mit ihm steht man durchaus auf der Gewinnerseite.“ Dann lachte der Krieger laut auf und konnte sehen, wie der Unglaube aus Sorns Gesicht wich und er freudig strahlte. Gleich darauf musste auch der Priester herzlich lachen.
Als beide sich wieder beruhigt hatten, stand Sorn auf, ging einmal um den Tisch herum und schlang beide Arme brüderlich über Nalfeins Schultern. Von hinten umarmte er ihn und dankte ihm von ganzem Herzen.
Wenige Minuten später beugten sich beide Brüder über den Tisch und schauten sich die, zu kleinen Häufchen, aufgetürmten Goldmünzen an und seufzten.
„Um mindest die 600 voll zubekommen fehlen noch 20 Goldmünzen. Von der Bezahlung morgen haben wir aber noch nicht das Zimmer und Essen bezahlt. Ganz zu schweigen von den Zutaten, die ich benötige, um neue Tränke gegen Schmerzen zuzubereiten“, klagte Sorn und die eben noch empfundene Freude war völlig von ihm gewichen.
„Ich werde heute Abend spielen gehen und …“, begann Nalfein, wurde aber von seinem Bruder jäh unterbrochen. „Nein, das darfst du nicht, das hier wäre dein Wetteinsatz.“ Die Worte unterstrich er, wobei er mit ausladender Geste auf die Münzen zeigte.
Der Krieger seufzte und musste Sorn Recht geben. Schon begannen die Sorgen von neuem.
„Zak“, flüsterte der Vhaeraunpriester und ein Lächeln umspielte plötzlich sein von Trauer gezeichnetes Gesicht. „Ich werde Zaknafein fragen, das ist es!“
„Brüderchen, wie willst du zu dem Waffenmeister gelangen? Ich denke wohl kaum, dass einer einen Fremden und dazu einen Kleriker so einfach ins Haus Do’Urden einlassen wird. Zaknafein hat damals gesagt, er muss auf der Hut sein, besonders wegen der Mutter Oberin“, gab Nalfein zu bedenken. Dann verfiel er wieder ins Grübeln.
Viele weitere Minuten verstrichen, aber der geeignete Plan wollte nicht reifen. Doch dann kam dem Krieger einen Einfall in den Sinn. „Was würdest du von Bregan D’aerthe halten? Sie kommen bestimmt an den Waffenmeister heran. Immerhin kannst du dir bei keinem Mann in der Stadt sicher sein, dass es sich nicht um ein Spion von der Söldnertruppe handelt.“
Sorn seufzte herzzerreißend, aber konnte die Aussage seines Bruders nicht bestreiten. „Doch auch das wird etwas kosten“, meinte der Priester mit aussichtsloser Miene.
„Ja, aber mein Plan würde lediglich beinhalten, dass ein Mann von Bregan D’aerthe eine Nachricht an Zaknafein übergeben soll. Einfach eine kurze Botschaft und vielleicht ein verschlüsselter Treffpunkt mit Uhrzeit und das dürfte nicht allzu viel kosten.“ Nalfein schien sich ziemlich sicher, dass diese Idee von Erfolg gekrönt sein könnte.
Sorn überlegte fieberhaft, aber dieser Vorschlag klang vernünftig und könnte durchaus weiter helfen. Sogar ein weiterer Einfall steuerte der Vhaeraunpriester bei. „Ich werde morgen versuchen einen der Soldaten bei Nhaundar über Bregan D’aerthe auszufragen. Der dürfte mehr wissen als wir und den Rest überlasse ich gerne den Kriegern mit dem Schwert. Doch die Botschaft schreibe ich.“ Sorn lächelte und nun schien er erneut guter Dinge zu sein.
Nalfein schloss sich seinem Zwilling an und nickte bejahend.
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