Dem Wahnsinn so nah
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German › Books
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Adult ++
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Disclaimer:
I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
30. Kap. Segen und Fluch
Segen und Fluch liegen nah beieinander. Schwarz und Weiß sind so unterschiedlich, wie der Himmel und die Hölle, aber dennoch gehören sie zusammen. Beide Seiten einer Münze ergeben ein Ganzes. Andere würden vielleicht sagen ohne Licht gibt es keinen Schatten und viele weitere Beispiele könnte man hier erwähnen. Nichtsdestoweniger, egal wie man es betrachtet oder darstellt, das eine existiert ohne das andere nicht. Nur schwer kann man beides voneinander trennen und vielleicht sollte man das auch nie.
Segen kann die Unwissenheit vor der Zukunft sein. Wagnisse, die die Zukunft mit sich bringt, könnten sich als Fluch herausstellen. Beides bedrückte Sorn Dalael und lastete schwer auf seiner Seele. Aber niemand wusste was der Vhaeraunpriester wirklich empfand. Sein Geist war im Aufruhr. Seit gestern wagten die Zwillingsbrüder ein gefährliches Spiel.
Am heutigen Morgen entwickelte sich alles zur vollsten Zufriedenheit. Sorn kam eilig seiner Arbeit bei Nhaundar nach und erhielt die Gelegenheit mit einem der wachhabenden Soldaten zu sprechen. Durch geschicktes Fragen, gemischt mit purer Neugier, die der junge Kleriker nicht spielen musste, erfuhr er vielerlei über Bregan D’aerthe, ihre Methoden und ihren Einfluss in der Stadt der Spinnenkönigin und doch war es fast noch zu wenig. Keiner kannte oder würde jemals die Macht und Reichweite der Söldner im Unterreich verstehen, außer vielleicht ein Mann und dieser war ein größeres Geheimnis als der Anfang der Welt selbst, Jarlaxle - Anführer von Bregan D’aerthe. Am Ende des Gespräches wurde Sorn sogar Hoffnung gemacht, dass sich in einem gewissen Etablissement mit Namen „Schmückkästchen“ wahrscheinlich höchstpersönlich der Anführer Jarlaxle antreffen lassen könnte. Der Soldat hegte keinen Verdacht gegenüber der Fragerei des Klerikers in Bezug auf die Söldnertruppe und schob es der natürlichen Wissbegier des jungen Dunkelelfen zu. Viele ausgestoßene Drow schlossen sich den Söldnern gerne an und insgeheim war er auf dem Glauben, dass der Priester und dessen Zwilling vielleicht genau diesen Plan verfolgten. Wer wollte nicht wissen, was die Zukunft ihm bringen mag, wenn man so einen Schritt wagt. Innerlich sann er darüber nach ohne Fragen zu stellen und er sagte sich, dass die Brüder sich gut in den Reihen von Bregan D’aerthe machen würden. Aus diesem Grund ging der Soldat des Sklavenhändlers einen Schritt weiter, indem er Sorn erzählte, dass er selbst Bregan D’aerthe noch etwas schulde ohne näher darauf einzugehen. Falls es zu einem Gespräch zwischen Sorn und der Söldnertruppe kommen sollte, dann sollte der Kleriker den Namen „Ellaniath“ erwähnen. Das Gleiche galt für den Besitzer des Schmuckkästchens, der eine Nachricht durchaus weiterleiten würde, natürlich gegen entsprechende Bezahlung verstand sich von alleine. Doch dem Soldaten konnte es im wahrsten Sinne des Wortes egal sein, denn ihn beschäftigten die eigenen Probleme und Wünsche mehr, wie so viele andere vor und nach ihm war er doch nur auf den eigenen Vorteil bedacht.
Sorn seufzte mehrmals bei diesen Auskünften, teils aus Erleichterung und teils wegen dem eh schon wenigem Geld, das ihm zur Verfügung stand, aber er tat es einzig und allein für Shar. Selbst zwei Goldmünzen aus seinem soeben wohl verdienten Geld wanderten in die Hand des Drowsoldaten und jetzt beherrschte ihn nur noch ein Gedanke, er wollte seinen Liebsten unverzüglich sehen. Mit schnellen Schritten eilte der Priester zu dem Sklavenhändler und dem jungen Halbdrow hinauf. Sorns Glück blieb ihm hold und seine Angst um den Jungen vom Vortag stellte sich als unbegründet heraus, denn Shar saß fröhlich grinsend neben dem Diwan seines Herrn, strahlte über das ganze Gesicht, als er den jungen Drow erblickte und nichts deutete auf eine Verletzung hin. Selbst Nhaundar wirkte wie eh und je. Schleimig freundlich und Nhaundar redete kurz über seinen zukünftigen Profit aus den von Sorn geheilten Sklaven und das seine Geschäfte seit seiner Rückkehr bestens vorangingen. Der Priester hörte höflich zu und wechselte schnell und geschickt das Thema. Denn einen Vorwand für Sorns Erscheinen gab es auch und so konnte der Kleriker mit ruhigem Gewissen erzählen, dass Nalfein mit ihm gemeinsam auf das Fest kommen würde.
Nhaundar schmunzelte über diese positive Antwort und versprach Sorn auch aus dem Grund für die gute Arbeit den Halbdrow für den restlichen Tag. Der Sklavenhändler erklärte sich bereit, dem jungen Priester Shar dessen Obhut zu überlassen, um nach Belieben mit ihm zu verfahren. Mit den Worten, er hätte eh noch viele Vorbereitungen zu treffen, entließ der alte Drow den Priester mit dem Lustsklaven. Er verriet gerade mal soviel, dass das Kellergewölbe ein wenig verändert werden müsste und übergab danach die Kette von Shars Halsband in Sorns Hände. Der Vhaeraunpriester bedankte sich mit einem listigen Lächeln und einem Nicken und nur wenige Augenblicke später waren die beiden Liebsten endlich in einem der vielen Zimmer des Hauses alleine.
Shar fiel über Sorn her, hüpfte an ihm auf und ab und überschüttete den jungen Drow mit Küssen. Dabei verspürte der Kleriker die gleiche Freude. Beide umarmten sich anschließend lange und liebevoll und späterhin lagen sie zusammen auf dem Bett, eng umschlungen und erzählten. Man sollte eher sagen, Shar redete die ganze Zeit und Sorn hörte aufmerksam zu. Der junge Halbdrow berichtete von der Reise, wie er auf einer Echse geritten war, wie er in die Stadt Eryndlyn kam und wie schön doch dort alles war. Da gab ihm Sorn innerlich Recht, denn nicht nur Shar wurde dort geboren, sondern auch er und sein Zwillingsbruder. Dann plapperte der Junge von dem großen Haus Myt’tarlyl, dem Hohepriester und dem Tempel. Alles was er sich gemerkt hatte wurde von Shar ausgeschmückt und Sorn hörte immer aufmerksamer zu. Doch etwas erwähnte Shar nicht, er ließ die Tatsache aus, dass er Tarlyn Myt’tarlyl den Namen des jungen Priesters verraten hatte. Zum einen, weil er nicht den Zorn des Klerikers auf sich ziehen wollte, der ihm immer und immer öfters einbläute, dass Shar es einfach nicht durfte, sonst wären beide Zwillinge in großen Schwierigkeiten und zum anderen, weil er sowieso nicht mehr genau wusste, was er dem freundlichen Hohepriester über seinen Liebsten überhaupt erzählt hatte. Dafür war der jungen Halbdrow klüger und nannte im Gegenzug seinem Liebsten den Namen Tarlyn. Der Vhaeraunpriester dachte einige Zeit über alles nach und dann wurde ihm auch bewusst, dass Nhaundar mit dem Jungen in einem der hohen Adelshäuser der Stadt gewesen war. Was der alte Sklavenhändler nur dort wollte, fragte sich Sorn und dachte sorgfältig über diesen Vornamen nach. Er kam ihm durchaus bekannt vor, aber ihm wollte nicht einfallen, wie er alles in Einklang bringen konnte. Sorns Gedanken kreisten anschließend wieder um Nhaundar und er überlegte, dass er wegen dieser Reise nach Eryndlyn vielleicht auch die vielen Sklaven brauchte. Der Sklavenhändler hatte ihm selbst einige eher unwichtigen Details erzählt. Aber einen Reim konnte er sich beim besten Willen nicht machen, doch diese Informationen wollte er sich gut im Hinterkopf behalten. Man wusste ja nie, wann er sie gebrauchen könnte.
Am Abend kehrte ein überglücklich wirkender Priester Vhaerauns zurück ins Gasthaus „Zur Henkersmahlzeit“ und fand dort auch sogleich Nalfein vor. Eilig erzählte Sorn alles, was er in Erfahrungen bringen konnte, selbst das, was er von Shar erfahren hatte. Der Krieger überdachte alle Informationen und der Kleriker gab sich erst einmal seinem Gebet an den Maskierten Fürsten hin. Ruhe und Nachdenken waren nun angebracht, dann folgte der etwas schwierigere Teil des wohl noch langen Abends.
Man sollte es kaum glauben, aber der Soldat von Nhaundar hatte Recht behalten. Gegen eine Bezahlung von 20 Goldstücken, gegen die sich Sorn am Anfang vehement geweigert hatte zu zahlen, konnten die Zwilling mit einem der Männer von Bregan D’aerthe im „Schmuckkästchen“ Kontakt aufnehmen. Der Namen „Ellaniath“ öffnete ihnen sprichwörtlich Tür und Tor. Einen Abend später fand ein weiteres Treffen statt und der endgültige Preis für das Vorhaben wurde festgelegt und erneut waren die Zwillinge weitere 30 Goldstücke los und die verschlüsselte Nachricht an den Waffenmeister des Hauses Do’Urden in den Händen des Kontaktmannes, der für sich selbst auch noch 10 Gold forderte. Sorn, der am liebsten auf der Stelle zu seinem Dolch gegriffen und seinem unverschämten Gegenüber für seine Impertinenz und die hohe Geldsumme, wie der Priester fand, die Klinge ins Herz gestoßen hätte, blieb Nalfein ruhig und gelassen. Er erinnerte seinen Bruder daran, dass sie durch die unliebsame Bezahlung an die Söldner Zaknafein treffen würden und dieser sich wohl durchaus in der Lage sah, zu helfen. Wenn es sich nicht um Shar gehandelt hätte, dann wäre aus dem Geschäft von Seiten Sorns nichts geworden.
Der Plan funktionierte und niemand schöpfte Verdacht, doch seither fühlten sich die Brüder beobachtet, auch wenn sie nie jemanden sahen. Einen Zehntag später wartete ein ungeduldiger Sorn im Schankraum ihres Gasthauses und rutschte nervös auf seinem Stuhl in einer geschützten Ecke hin und her. Nalfein lehnte sich stattdessen gemütlich zurück und genoss einen Becher Wein, während er die Gäste musterte. Zusammen hofften sie darauf, dass die Nachricht ihren Empfänger erreicht, dieser die Verschlüsselung verstanden hatte und nun mussten sie auf die Ankunft von Zaknafein Do’Urden ausharren.
„Wen sehen meine Augen denn da?“, erklang eine Stunde später plötzlich eine vertraute Stimme durch die Schankstube und die Zwillinge wanden sich dieser freudig zu.
Sorn strahlte über das ganze Gesicht. Er sah nicht nur Zaknafein - dessen muskulöser Körper in einer schwarzen Rüstung steckte, beide Langschwerter im Waffengürtel an der Hüfte prangten und dazu das markante Gesicht, das eine ungewöhnliche Autorität versprühte – sondern auch, dass der Plan seines Bruders wirklich Erfolg hatte und endlich jemand gekommen war, der ihnen weiter helfen konnte. Sorns Glaube schien in jenem Moment unerschütterlich.
Nalfein lächelte galant und zollte dem hochrangigen Waffenmeister auf seine ganz private Art und Weise seine Anerkennung. Er stand auf, verbeugte sich vor Zaknafein, der noch am Eingang stand, und dann setzte er sich wie gewohnt auf seinen Stuhl und wartete.
Der ältere Krieger schmunzelte, als er die beiden jüngeren Drow sah, kam zu ihnen eilig hinüber gelaufen und erwiderte augenblicklich die ehrenwerte Geste vor Nalfein. Innerlich hatte er niemals damit gerechnet, den gerissenen Brüdern jemals wieder Aug in Aug gegenüber zu stehen, aber es ließ sich nicht leugnen, dass dies im Moment der Fall war und er freute sich herzlich. Zaknafein erinnerte sich an ihre letzte Begegnung, die schon einige Jahre zurücklag und auch den damaligen Anlass, der sie überhaupt erst zusammen führte. Shar war der Hauptangelpunkt und von dort zweigte sich ihr Tun und Handeln gewollt und ungewollt ab. Aus diesem Grund war er ein wenig verwundert den jungen Halbdrow nicht bei ihnen vorzufinden. Aus der Botschaft, die ihm von Bregan D’aerthe überbracht wurde, entnahm er lediglich die Namen von Sorn und Nalfein, den Treffpunkt und die Uhrzeit, alles verschlüsselt natürlich. Eigentlich hatte er sich sogar auf den kleinen Jungen gefreut, der hin und wieder ruhig, aber sehr quirlig durch die Gegend lief. Schon lange konnte er ihn nicht mehr zu sich holen. Drizzt, sein Sohn war aus der Akademie zurückgekehrt und die allgemeine Lage des Hauses Do’Urden stand auch nicht zum Besten. In diesem Wirrwarr konnte Zaknafein sich nicht um Shar kümmern, auch wenn er es sich gerne wünschte. Doch diesem unverhofften Treffen mit den Zwillingen, die keine Kosten und Mühen gescheut hatten mit ihm in Kontakt zu treten, konnte und wollte er nicht fernbleiben.
Als er sich nun Sorn anschaute, der von seinem Platz aufgestanden war, da wusste der Krieger, was er damals so an dem jungen Drow fand. Seine Augen wanderten von oben nach unten und wieder zurück. Ein Lächeln umspielte dabei die attraktiven Züge von Zaks Gesicht. Die bersteinfarbenen Augen des jungen Sorn leuchteten. Er trug wie beim letzten Mal eine schwarze Lederhose, dazu schwarze Lederstiefel. Ein schwarzes Hemd war oben leicht aufgeknüpft und am Halsansatz sah er den Ansatz einer Kette, wo am Ende unter dem Hemd versteckt, das Heilige Symbol baumelte. Eine dunkelrote Robe hatte er sich über geworfen, doch auch sie war vorne nicht geschlossen. Der Waffengürtel mit Schwert und Dolch lugten leicht hervor. Dann erkannte der Waffenmeister die Brustmuskeln, die er einmal in voller Pracht bewundern durfte, aber die durch den Stoff nur leicht sichtbar wurden. Er hatte das Gefühl, als würde der Priester heute noch hübscher sein, als damals.
„Zaknafein!“, lächelte Sorn und öffnete die Arme, um den älteren Krieger zu umarmen und holte ihn gleichzeitig aus seinen Erinnerungen heraus.
„Ich freue mich sehr dich und auch deinen Bruder wieder zusehen“, erwiderte Zak und drückte den Priester herzlich. Dann ließ er ihn los und schaute sich etwas irritiert in der kleinen Runde um.
Sorn setzte sich derweilen und bestellte bei einer herbeigeeilten Bedienung einen weiteren Becher Wein.
Nun setzte sich auch der Waffenmeister und blickte nochmals verunsichert von einem zum anderen.
„Falls du auf Shar wartest, der ist bei seinem charakterlosen Herrn, Nhaundar“, beantwortete Nalfein den fragenden Blick des Kriegers.
Zaknafein wirkte überrascht, denn er konnte sich einfach nicht den Grund für dieses ungewohnte und vor allem übereilte Treffen vorstellen, oder doch? Wenn Shar nicht hier war, dann könnte der junge Halbdrow der Grund dazu sein und vielleicht in Gefahr schweben und das war niemals gut. Aber etwas anders musste noch dringend geklärt werden, bevor sie sich dem eigentlichen Thema zuwenden konnten.
„Bevor ich den Anlass unserer Zusammenkunft erfahre, möchte ich darauf hinweisen, dass wir einen Zuhörer haben. Aber stört euch nicht daran, Tebryn ist zwar einer der Spione von Bregan D’aerthe und zufällig Agent im Haus Do’Urden, doch ich habe ein Auge auf ihn, wie er auf mich“, erklärte der Waffenmeister ruhig und in den Augenwinkeln erkannte er, wie Tebryn am Nebentisch platz nahm und eingeschüchtert wirkte.
„Was?“, fragten beide Brüder überrascht und ärgerlich zu gleich, schielten nun aber wie Zak hinüber zu dem jungen Soldat am Nachbartisch, der ihren Blicken jedoch auswich.
„Jarlaxle wäre nicht Jarlaxle, wenn er nicht wüsste, wie er an Informationen kommen würde, die kleine hinterlistige Wanze“, setzte Zaknafein von neuem an und sprach gelassen weiter. „Profit und Informationen sind sein Geschäft und er bleibt stets auf dem Laufenden. Da er hörte, dass ihr mit mir Kontakt aufnehmen wolltet und er euch beide nicht kennt und ihr noch nicht einmal aus Menzoberranzan stammt, hat er sich jedoch zurückgehalten und nicht seine Männer auf euch gehetzt, doch sie waren stets in eure Nähe und haben euch beobachtet“, lachte Zaknafein laut und konnte sich den überraschten Ausdruck auf Tebryns Gesicht gut vorstellen, dem er nun den Rücken zuwandte, weil der Waffenmeister so unverblümt in der Öffentlichkeit die Wahrheit aussprach.
Sorn und Nalfein schauten verunsichert drein, versuchten jedoch ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern und versuchten dem Waffenmeister zu trauen. Jedoch Nalfeins Hand ging instinktiv zum Knauf seines Dolches, während er den weiteren Worten lauschte.
Dass sie sich jedoch in Gefahr befanden, das gefiel beiden überhaupt nicht. Außerdem hatten sie noch nie jemanden über den Anführer von Bregan D’aerthe so reden hören. Dann war es Sorn, der als erster wieder seine Sprache fand. „Ist das aber nicht gefährlich, so in der Öffentlichkeit den Söldnerführer zu beleidigen? Ganz zu Schweigen von einem Spion der dir so offen folgt und uns jetzt zuhört? Und wieso wollte er seine Männer auf uns hetzen? So hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt.“
„Du hast Recht, Sorn, aber ich will es dir erklären“, erwiderte Zak. „Für mich ist es nicht gefährlich und für euch nun auch nicht mehr. Unser kahlköpfiger und extravaganter Söldner und ich sind alte Freunde und unsere gemeinsame Zeit in der Akademie hat uns gewissermaßen zusammen geschweißt. Ich könnte euch Geschichten erzählen, die diesen Abend sprengen würden. Aber lasst euch eins gesagt sein, ihr beiden, Jarlaxle ist zwar im wahrsten Sinne eine Ausgeburt der Hölle …“, dann musste Zaknafein erneut lachen und als er sich beruhigt hatte, versuchte er Tebryn noch weiter in Verlegenheit zu bringen und seine jungen Freunden zu beruhigen. „Aber Jarlaxle ist gläubig und genauso verschwiegen, wie er gefährlich ist. Ja, er ist ein gerissener und äußerst schlauer Drow, der die Intrigen der Stadt besser beherrscht wie kein anderer. Sein einziger Fehler ist, er denkt einfach zu viel mit seinen männlichen Hormonen und er spielt gefährliche Spiele mit den Mutter Oberinnen der Stadt. Dies könnte ihm eines Tages noch zum Verhängnis werden. Aber um zum Thema zurück zukommen, ich verspreche euch mit meinem Ehrenwort, ihr braucht keine Angst zu haben. Die Informationen des heutigen Abends sind sicher und Tebryn ist eher eine Begleitung als ein Spion.“
Sorn riss erstaunt die Augen auf, runzelte kurz die Stirn und bedachte Nalfein mit einem ängstlichen Blick. Nalfein jedoch verstand augenblicklich, dass Zaknafein etwas getan haben musste, was der Waffenmeister jetzt verschwieg, um dieses Treffen heimlich stattfinden zu lassen und tatsächlich nur dieser Tebryn hier im Auftrag von Bregan D’aerthe anwesend war. Genauso wusste der jüngere Krieger, dass Zaknafein diesen kleinen Spion im Griff hatte und ihre Angst unbegründet war. Seine Hand ließ den Dolchgriff los und entspannte sich. Daraufhin lächelte Nalfein seinen Bruder an und sofort beruhigte sich auch Sorn, der absolutes Vertrauen in seinem Zwilling hatte und beide lachten munter darauf los.
Nach einigen Minuten hatten sich alle wieder beruhigt und Sorn ergriff als erster die Initiative und erzählte Zaknafein alles, was sie zu diesem Treffen geführt hatte. Als er endete, waren die Wut über die dreiste Bezahlung und der Verlust des kostbaren Geldes wieder ganz frisch in seinem Gedächtnis und er ballte die Fäuste auf dem Tisch.
„Ich möchte meinen Betrag zu diesem Treffen beisteuern“, meinte Zak mit einem hinterlistigen Grinsen, denn er verstand Sorns Wut genau und holte wie einst Nalfein einen Lederbeutel hervor und platzierte diesen Mitten auf dem Tisch, so dass beide Zwillinge ihn sehen konnten. „Das hier ist für euch, nehmt es an, sonst besudelt ihr noch meine Ehre“, versuchte Zaknafein Sorn dazu zu bringen, die in der Geldbörse steckenden 60 Goldstücke anzunehmen.
Was die beide nicht wussten, dass ihr eigenes Geld darin lag. Denn als der Waffenmeister die Botschaft und die dazugehörige Methode der Kontaktaufnahme erfuhr, war es niemand anderer als er selbst, der Jarlaxle um die Rückgabe des Geldes bat. Schon immer hatte ein gut gezielter Wurf mit einem der vielen kleinen Wurfmesser Wunder vollbracht, besonders bei der einstig hitzigen Freundschaft, die der Waffenmeister und der Söldner in der Akademie teilten. Jarlaxle war sehr kooperativ und Zak verstand sich schon immer auf gute Überredungskünste. Bei diesem Gedanken konnte der Krieger nicht anders und musste innerlich schmunzeln.
Anschließend legte Zaknafein noch einen drauf. Er zog einen weiteren Beutel hervor und legte auch diesen in die Mitte. „Ich möchte auch, dass ihr dieses Geld nehmt. Weitere 150 Goldmünzen und ihr dürftet den Kleinen kaufen können“, griente der Waffenmeister glücklich.
Sorn und Nalfein schauten sich an. Der Priester entspannte sich und konnte das Glück kaum fassen. Eilig griff er nach den beiden Beuteln und öffnete diese. Mit prüfendem Blick kam der Kleriker auf 630 Münzen und strahlte plötzlich über das ganze Gesicht.
„Wir haben das Geld, ich danke dir Zaknafein“, entfuhr es Sorn und am liebsten hätte er den Waffenmeister herzlich in seinem überschwänglichen Glück umarmt und gleichzeitig geküsst. Shar schien schon fast in Freiheit zu sein. Doch dies hier war nicht der Ort seiner Freunde in großem Ausmaß Ausdruck zu verleihen, so begnügte er sich, Zak mit leuchtenden Augen und einer vor Begeisterung überschäumender Miene anzulächeln.
Auch Nalfein konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mittlerweile war selbst Tebryn am Nachbartisch vergessen, der gemütlich an einem Becher Wein nippte und so gut wie gar nichts von dem Gespräch verstand. Auch Sorn hatte endgültig den unliebsamen Zuhörer vergessen und war froh, dass der Plan seines Bruders den gewünschten Effekt erzielt hatte. Jetzt konnte das Fest stattfinden und der Kleriker würde endlich seinen Liebsten zu sich holen können.
Aber Nalfeins Gedanken kreisten trotz des informationsreichen und freudigen Treffens weiter und nagten an ihm. Er wollte nur ungern die Freude ruinieren. Doch man sollte jeden Aspekt betrachten und dann zur Ausführung übergehen. So räusperte sich Nalfein und gewann dadurch die volle Aufmerksamkeit der beiden Drow.
„Was ist denn?“, wollte Sorn nervös wissen.
„Euch ist wohl klar, wir reden hier über Nhaundar, der Raffinierteste unter den Sklavenhändlern und ein wirklich geldgieriger Ork, oder?“ gab Nalfein zu bedenken.
„Dann sag’ uns, was dir durch den Kopf geht“, forderte nun der Waffenmeister den jüngeren Krieger unverzüglich auf.
„Was tun wir, wenn er mehr Geld verlangt. Ein normaler Drowsklave kostet schon 600 Goldstücke. Es könnte sein, dass er gut und gerne mehr verlangt, meint ihr nicht auch?“, und Nalfein runzelte die Stirn.
„Da hat dein Bruder recht“, warf Zaknafein ein und legte nun ebenfalls seine Stirn in Falten und dachte nach.
„Ich weiß aber eine Lösung“, meinte Sorn nach kurzer Pause glücklich. „Wenn er mehr verlangt, dann wirst du Zak …“, und dabei zeigte der Vhaeraunpriester mit dem Finger auf den Kämpfer und redete fröhlich weiter, „… ihn kaufen und zwar zum verlangten Preis. Er wird keinen Verdacht hegen und vor allem dann nicht, weil er dir eindeutig unterlegen ist und das weiß er sehr genau. Wir müssen nur versuchen, dass uns Dantrag nicht zuvor kommt, wenn meine Vorahnung nur annährend der Wahrheit entspricht.“
Der ältere Haudegen überlegte kurz, fand diese Idee jedoch vernünftig und wusste augenblicklich auch, woher er das restliche Geld bekam. Er konnte kurzfristig das Geld von Jarlaxle ausleihen und bei diesem Gedanken wanderten seine Augen hinüber zu Tebryn, der immer gelangweilter an einem Becher nippte und man auf dem Gesicht ablesen konnte, dass er sich auf ein viel interessanteres Gespräch gefreut hatte. Allerdings nicht auf eine Unterhaltung, wo es darum ging, wie man einen Sklaven zu günstigem Preis erstand und innerlich freute es ihn mehr, als er zugeben wollte. Jarlaxle hätte nichts in der Hand und konnte keine Verbindungen herstellen, aber helfen würde er ihm trotzdem. Dann bedachte er wieder die Zwillinge mit einem Blick und stimmte mit einem Nicken den Worten Sorns zu. Einzig und alleine das Wohl des Jungen zählte nun und er selbst wäre frohen Mutes, wenn er Shar in sicheren Händen wusste. Alles kam schnell und übereilt, doch eine andere Möglichkeit sahen die drei Dunkelelfen im Moment nicht. Zum Abschluss besiegelten sie ihren Plan mit einem kräftigen Handschlag.
Ein wenig später genossen Zaknafein, Sorn und Nalfein einen weiteren Becher Wein, besiegelten ihren cleveren Plan zusätzlich mit dem besten Tropfen und unterhielten sich über andere, weit unwichtigere Dinge. Jedoch das Thema Halbdrow und die eigene Situation des Hauses Do’Urden wurde geschickt ausgelassen. Jetzt stand einfach die Freude über dieses unverhoffte Treffen im Vordergrund und hin und wieder warfen sich der Vhaeraunpriester und der Waffenmeister verstohlene Blicke zu und erinnerten sich noch gut an ihre Zweisamkeit. Dann huschte bei beiden ein wissendes Lächeln über die Lippen und Nalfein musste über die unausgesprochenen Worte ebenfalls schmunzeln.
Der Abend wurde spät und man sollte immer aufhören, wenn es am schönsten ist. Dieses Motto nahmen sich die drei Drow zu Herzen und verabschiedeten sich nach insgesamt drei Bechern Wein von einander. Vorher wurde jedoch ein weiteres Treffen mit Datum und Uhrzeit vereinbart. Wenn etwas aus der Bahn geraten sollte, dann wäre Zaknafein am Zug. Es sollte der Morgen nach dem besagten Fest sein, so dass der Waffenmeister schnell und vor allem geschickt Nhaundar um den Finger wickeln konnte, um Shar vordergründig für sich zu beanspruchen. Gesagt, getan und dann konnte sich zum Abschluss Sorn doch nicht mehr zurückhalten und küsste Zak berauscht. Der Krieger schien im ersten Moment überrascht, doch die Verwirrung verflog so schnell, wie sie ihn übermannte und er erwidere nur zu gerne die Leidenschaft. Nalfein verzog leicht das Gesicht, denn alleine schon der Gedanke, dass auf dieser Feier nur Männer anwesend sein würden, die sich gerne mit dem eigenen Geschlecht vergnügten, da wurde ihm bereits schlecht.
Nachdem Zaknafein durch die Eingangstür verschwunden war, beeilte sich auch Tebryn dem Waffenmeister zu folgen. Sorn konnte sich bei dem Anblick des jungen und recht nervös aussehenden Soldaten, der angeblich ein Spion von Bregan D’aerthe darstellte, nicht zurückhalten und rief laut hinterher. „Auch euch einen angenehme Nacht. Passt mir auf ihn auf, nicht dass ihr mit einem blauen Augen zurückkehrt. Ärger wollen wir in jedem Fall vermeiden.“
Nalfein grölte laut auf und auch Sorn fiel danach in das Gelächter mit ein. Tebryn dagegen wurde rot, auch wenn man es auf seiner ebenholzfarbenen Haut kaum bis überhaupt nicht erkennen konnte, aber sein Gesichtsausdruck verriet ihn. Dann wand er sich eilig der Tür zu und verschwand.
Zurück blieben die beiden Zwillingsbrüder. Sie wollten auf ihr Glück noch etwas trinken und dann begann die lange Zeit des Wartens. Noch einige Zehntage und dann würde Sorn endlich und für immer seinen Liebsten in die Arme schließen können, frei und ungezwungen. Shar wäre frei und er malte sich gedanklich längst aus, wie er dem Jungen Lesen und Schreiben beibrachte. Selbst Nalfein erklärte sich bereit, dem Kleinen den Umgang mit Waffen zu lehren.
Zur gleichen Zeit waren ebenfalls zwei Dunkelelfen mit ihren Gedanken und Wünschen beschäftigt. Es waren Tarlyn My’tarlyl und Sabrar aus Eryndlyn. Ihre, mit Anfangsschwierigkeiten gepflasterter Reise, verlief etwas anders als geplant. Auch wenn Tarlyn Sabrar und die zehn Soldaten aus dem Haus auf die Oberfläche schickte, um den Gefahren des Unterreiches zu entgehen, lauerten hier ganz andere Wagnisse. Denn was niemand zuvor bedachte, war nur eine kleine Winzigkeit, das Wetter. Im Eleint brachen sie von Eryndlyn auf, jetzt war es fast schon Ende Marpenot und sie befanden sich im Norden von Faerûn. Der kurze Herbst begann bereits in den Winter umzuschlagen und in dieser Nacht sah sich die kleine Gruppe von Dunkelelfen gezwungen einen windgeschützten Unterschlupf zu finden. Das Glück war ihnen Hold und in der späten Abenddämmerung fanden sie eine verlassene Höhle, irgendwo in der Nähe des Hochwaldes. Es war eiskalt und mitten in der Nacht fiel der erste Schnee für dieses Jahr. Obwohl Drow sehr resistent gegenüber den kalten Temperaturen waren, spürte die Gruppe um Tarlyn dennoch den schnellen Wetterwechsel und die Kälte. Die anfängliche Überschwänglichkeit, dass sie über die Oberfläche schneller die Stadt der Spinnenkönigin erreichen würden, anstatt eine Ewigkeit warten zu müssen, bis die Magie des Portals wieder hergestellt wäre, schlug in Depressionen seitens Tarlyn um. Sabrar hatte seine liebe Müh und Not seinen Freund vom Gegenteil zu überzeugen, wobei der Jüngere der beiden sich selbst noch dazu überreden musste. Nun saßen beide um ein kleines Feuer herum, während die restlichen Männer entweder schliefen, sich unterhielten oder Wache hielten.
„Du wirst sehen, Tarlyn, noch zwei Monate und du kannst deine Rache an dem Sklavenhändler ausüben“, meinte Sabrar in aller Seelenruhe, wobei er an einer Tasse mit heißem Wasser schlürfte, um der von draußen herein strömenden Kälte etwas zu trotzen.
Der Vaterpatron seufzte tief, starrte dabei unentwegt ins Feuer, ganz so, als wolle er die Flamme dazu benutzen, ihre Wärme über den kargen Ort auszubreiten, die auch sein Herz erhitzen könnte.
„Wenn ich dich nicht hätte, Sabrar …“, antworte Tarlyn und sein Freund beendete für ihn den Satz, „… dann würdest du es dennoch schaffen.“
Das ließ den Älteren aufblicken und Sabrar wurde mit einem ehrlich gemeinten Lächeln belohnt. Aber etwas anders nagte immerfort an den Nerven des Hohepriesters.
„Aber sag’ mir, was wird geschehen, wenn der Maskierte Fürst seine Drohung wahr macht und ich meine Kräfte für ein Jahrhundert verliere? Was für ein Vaterpatron gebe ich ab, wenn ich meinem Enkel sagen muss, dass ich ein Priester ohne Macht und Segen bin, geschweige denn der ganzen Stadt“, seufzte Tarlyn.
„Wenn du weiter so redest, dann nehme ich dir wirklich noch jedes gesprochene Wort ab.“ Sabrar wurde wütend, denn nicht zum ersten Mal schien sein Freund der Verzweiflung nahe und lag ihm damit in den Ohren. Doch diesmal hatte der Berater einen Vorschlag, der ihn schon den ganzen Tag über beschäftigt hatte. „Wie wäre es, wenn du ein paar Magier oder niedriger Priester anheuerst? Sie könnten auch wo anders angesetzt werden und schaden würden sie in keinem Fall. Sie müssen beim Maskierten Fürsten schwören niemanden Auskunft über die Lage des Hauses zu geben und niemand würde Verdacht schöpfen“, meinte Sabrar frohen Mutes, endlich seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. „Außerdem bedenke, niemand, außer die Haushaltsmitglieder würden das Geheimnis kennen. Sie glauben an dich. Die jüngeren Priester in deinem Haus gibt es da auch noch und haben bereits viel von dir gelernt.“
Tarlyn blickte ihn erstaunt an. Über solch eine Möglichkeit hatte er bisher nicht nachgedacht, denn immer schon hatten seine Kräfte ausgereicht. Doch der Vorschlag klang vernünftig und änderte auch nichts an seinem Glauben. Für größere Dinge könnten Magier durchaus hilfreich sein und er blieb weiterhin der Hohepriester des Hauses Myt’tarlyl. Vaterpatron und Herr war er trotz seiner klerikalen Kräfte und würde dies bis zu seinem Tod auch bleiben. Daraufhin huschte ein Lächeln über seins, in letzter Zeit von Sorgenfalten durchfurchtes Gesicht, und er dankte Sabrar, indem er ihm die Hand lobend auf die Schulter legte.
„Shar wird der nächste Hohepriester, dafür werde ich Sorge tragen“, schmunzelte nun Tarlyn und schaute jetzt wieder ins Feuer.
Sabrar hustete kurz, denn er hatte sich an dem Wasser verschluckt und blickte seinen Freund verwundert an. „Dein Enkel soll der nächste Hohepriester werden?“, fragte der Berater etwas skeptisch. „Du warst doch die ganze Zeit der jenige, der mir erzählte, dass Shar ein wenige zurückgeblieben und verrückt wirkte.“
Tarlyn sah weiterhin ins Feuer und bekam von dem Mienenspiel des Jüngeren nichts mit, höchsten der etwas überraschte Tonfall ließ die Verwirrung erahnen. „Sabrar, du hast richtig gehört. Was soll schon heißen, dass der Kleine verrückt ist. Wenn ich bei solch einem ekelerregenden Drow mit Orkfratze aufgewachsen wäre und er mich als seinen Schatz bezeichnen würde, dann würde ich wohl auch dem Wahnsinn nahe sein. Shar hat mir zu verstehen gegeben, dass er ein wenig über den Maskierten Fürsten versteht. Dieser junge Priester, wie hieß er gleich noch mal?“, grübelte Tarlyn nach und dabei konnte ihm Sabrar zur Hilfe eilen, denn den Namen hatte er sich für alle Fälle sehr gut eingeprägt und antwortete pflichtbewusst. „Sorn Dalael, ist sein Name.“
„Ich danke dir, ich habe so viel in meinen Kopf, dass ich mir den Namen einfach nicht merken kann“, erwiderte der Vaterpatron und erzählte weiter.
„Dieser junge Kleriker, Sorn Dalael, vermag zu Heilen und steht somit in der Gunst unseres Gottes. Ein gutes Vorzeichen und ich möchte gerne mein Erbe in guten Händen wissen. Niemand verbietet mir, dass nicht Shar mein Nachfolger werden kann. Er wird von mir persönlich unterrichtet und vielleicht von diesem Sorn Dalael.“
Als Tarlyn geendet hatte, lächelte er zufrieden und versank in Gedanken und Erinnerungen über das Damals, Hier-und-Jetzt und was die Zukunft bringen konnte. Sabrar saß währenddessen am Feuer und versuchte sich so gut es ging zu wärmen und über das eben gesagte nachzudenken.
Tarlyn malte sich alles genau aus. Sobald er wusste, dass Shar in Sicherheit war, würde er sich auf die Suche nach diesem Sorn machen. Er wollte mehr über den Kleriker erfahren und wer einst sein Lehrmeister gewesen war. Dann versuchte er sich den jungen Halbdrow in Kleidung vorzustellen, die ein Priester trug. Schwarze Lederrüstung oder auch nur eine einfache schwarze Lederhose mit den passenden Stiefeln, ein dunkles Hemd und eine extra nur für Shar angefertigte rote oder schwarze Robe aus Samt. Dazu das Heilige Symbol. Ein Schüler der es wert sein würde, dass Tarlyn ihn höchst persönlich unter seine Fittiche nahm. Dann könnte der Vaterpatron ihm auch Lesen und Schreiben beibringen und wenn dies wirklich die Zukunft war, die er sich vorstellte, dann würde er selbst seinem Enkel die Feinheiten der von Vhaeraun gewährten Zauber zeigen. Die heiligen Riten und Feiertage und alles was mit dem Glauben anheim fiel. Glücklich strahlte Tarlyn und konnte es kaum erwarten, dass er endlich mit einer Klinge in der Hand die Kehle von Nhaundar Xarann aufschlitzte.
Noch jemand anderer ließ sich zu einem Lächeln hinreißen. Derjenige entblößte dabei seine weißen Zähne in einem ebenholzfarbenem Gesicht, dass von einer goldenen Halbmaske verdeckt wurde. Die Haarfarbe wechselte dabei zwischen Gold, Blau und einem normalen Weiß immer hin und her und der Triumph mischte sich mit Vergnügen. Der Avatar Vhaerauns zeigte somit seine Stimmung an und saß im hinteren Teil dieser Höhle und niemand schien von seiner Anwesendheit etwas zu spüren. In schwarzen Nebel gehüllt beobachtete er den Hohepriester und hatte selbst an seinem Gedankenspiel teil. Ja, die Vorstellung des immer so treuen Dieners des Maskierten Fürsten könnte die Zukunft sein. Aber er versuchte sich bildlich vor Augen zu halten, was nicht nur das Unterreich, sondern auch die Oberfläche zu bieten hatte. Licht und Sonne, Wolken und ein nicht enden wollender Himmel. Berge, Hügel, Täler und auch Schluchten. Saftige Wiesen und Wälder. Große Waldflächen mit Bäumen, die hoch in den blauen, unendlichen Himmel wuchsen. Häuser, ganz aus Natur und Magie erschaffen. Schattenspendende Baumkronen, Brücken über Flüsse und Seen, die zum Verweilen einluden, wie es in der Vergangenheit einst war. Romantisch, grinste der Avatar Vhaerauns und teilte diese Gedanken mit seinem Gott.
Ich werde das Machtspiel der Götter gewinnen und diesmal hält mich nichts und niemand davon ab. Keiner wird mir in die Quere kommen, nicht einmal die Hure meiner Mutter. Soll sie in ihrem ewigen Abgrund verrotten, doch ich werde nicht mehr verbannt sein. Ich werde die Spinne eigenhändig zwischen meine Finger zerquetschen und ihr Kadaver den Dämonen zum Fressen geben. Die Möglichkeiten sind unendlich und doch einzigartig.
Er waberte noch einige Atemzüge auf der Stelle und dann wirbelte der schwarze Nebel schnell und immer schneller um die eigene Achse und verschwand völlig im Schatten.
Einige Wochen später bekamen Sorn und Nalfein Dalael ein Schreiben von Nhaundar per Kurier überbracht. Etwas überrascht über diese seltsame Form mit den beiden in Kontakt zu treten, wurde ihre Verblüffung noch gestärkt, nachdem sie den Inhalt der Botschaft lasen. Nhaundar lud hochoffiziell zu dem Fest ein, das in einem Zehntag um die Zeit, wenn Narbondel seinen Tiefstand erreichte, beginnen sollte. Jeder Gast hatte sich entsprechend des Anlasses zu kleiden und eine Menge Spaß mit zu bringen. Doch diese Nachricht verbreitete bei den Zwillingen eher Unwohlsein anstatt Freude. Solange bekam Sorn nicht einmal die Gelegenheit Shar wieder zusehen, denn es gab keinen Anlass, dass der Priester sich in das Haus des Sklavenhändlers begeben konnte. Außerdem würde ein unverhoffter Besuch Nhaundar unter Umständen auch misstrauisch machen. So entschieden die beiden Brüder die Zeit mit kleinen Aufträgen zu überbrücken und nervös auf den Tag zu warten, an dem der junge Kleriker endlich seinen Liebsten frei und ungezwungen in die Arme nehmen konnte.
In all dieser Zeit bekam so Sorn auch nicht die Wandlung auf dem Anwesen Nhaundar Xaranns mit. Nach dem besagten Tag, als Nhaundar diesen jungen Drow aus Ched Nasad zu sich holte, entpuppte sich dieser zum großen Erstaunen des Sklavenhändlers als äußerst attraktiver Junge. Unter all dem Dreck und Schmutz, der sein Körper überzogen hatte, kam darunter ein hübscher Sklave zum Vorschein. Doch an das wunderschöne Aussehen Shars reichte er noch lange nicht heran. Aber Nhaundar hatte sich selbst so entschieden und genoss diese Wahl in vollen Zügen.
Der einzige, der von alldem keine Ahnung hatte, war der junge Halbdrow, der einfach nicht verstand, was vor sich ging. So viele Jahre war er es immer gewöhnt bei seinem Herrn zu sein, mit ihm die Nächte zu verbringen und auch mit Nhaundar zu baden, zu essen oder bei Besuchern anwesend zu sein, da es ihm sprichwörtlich ins Blut überging. All dies brach nach Sorns letztem Besuch von einem Tag auf den anderen ab. Stattdessen verbrachte Shar nun seine Tage meist alleine in den Gemächern der anderen Lustsklaven, wo auch Dipree lebte, der sich wie immer um ihr Wohl kümmerte. Sie teilten sich einen großen, mit Kissen und Matratzen ausgestatteten Raum. Hierhin wurde Shar einfach abgeschoben, weil alle ihren Aufgaben nachgingen, nur er nicht. Der junge Halbdrow wusste nicht, was dies alles bedeutete. In all seiner Verzweiflung hatte er auch schon Dipree gefragt, aber niemals eine Antwort erhalten. Nur eines hatte sich nicht verändert. Noch immer kam Stammkundschaft und verlangte nach Befriedigung von Shar.
Je mehr Tage in dem Leben des jungen Halbdrow verstrichen, desto öfter flüchtete er in sich in sein Inneres ohne es zu merken. Er redete mit Handir und erhielt Antworten, die ihn wieder von neuem beruhigten. Außerdem dachte er an Sorn und wie sehr er ihn vermisste und er sich schon freute, wenn sein Liebster wieder vorbei kommen würde. Doch zu Shars großer Enttäuschung geschah auch dies nicht und er weinte manchmal heimlich und leise. Zum Glück für den Jungen, dass nie jemand etwas mitbekam und Fragen bezüglich dieses Verhalten stellen konnte, dass ungewöhnlich war.
Der Tag des Festes rückte immer näher. Schon einen Zehntag zuvor begannen alle Sklaven und Bediensten des Hauses herum zu eilen, hier und dort Dinge zu erledigen und dabei ignorierten ihn fast alle, bis auf Dipree. Der ältere Drow hielt meist kurz inne, beäugte den jungen Halbdrow dann etwas seltsam, seufzte und machte sich sogleich wieder an seine Arbeit.
Am heutigen Morgen – der Tag des Festes - waren schon alle viel früher als sonst auf den Beinen. Shar verbrachte wieder eine der Nächte, wo er bei Dipree und den anderen schlafen musste. Doch er konnte kaum ein Auge zumachen. Irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein, er spürte es tief in seinem Herzen. Noch schlimmer war für ihn, wenn er Handir fragte, kam keine Antwort. Der Abend brach schnell an und niemand ließ sich blicken, bis plötzlich Dipree hereinkam. Er hatte etwas fremdartig Aussehendes über dem Arm hängen und schaute nicht wirklich froh drein. Er sah auch sonst nie wirklich glücklich aus, aber heute machte der ältere Drow eine Miene, als hätte er etwas Schreckliches erfahren.
„Komm’ Shar, du musst baden“, erklang der Befehl an den jungen Halbdrow, der von seinem Sitzplatz in der hintersten, dunklen Ecke des Raumes aufstand und hinüber trottete.
Nur Momente später verschwanden beide im Badezimmer. Shar wurde wie jeden Tag gebadet, danach abgetrocknet und frisiert. Seine langen weißen Haare, die mittlerweile weit bis zu den Kniekehlen reichten, brauchten ihre Zeit und heute sollten sie besonders zu Recht gemacht werden. Denn der Junge bekam kleine Zöpfe links und rechts geflochten, während des restliche Haar über den Rücken fiel, dabei schaute er sogar noch verführerischer aus als sonst. Als Dipree letztendlich an der Kleidung ankam, da wurde Shar misstrauisch.
„Was ist das, Dipree?“, wollte er wissen und schaute mit tiefblauen Augen auf etwas Weißes mit schwarzen Streifen. „Das ist aber nicht meine Hose.“
Der ältere Drow seufzte und blickte zum ersten Mal am heutigen Tag dem jungen Halbdrow direkt in die Augen. Doch er war nicht böse über die Frage. „Ganz genau, mein Junge. Das ist nicht deine Hose, sondern ein Lendenschurz“, erklang die kurze Antwort von Dipree.
Der treuste Sklave von Nhaundar stöhnte und innerlich hatte er das Gefühl, dass er die Fragen des Kleinen vermissen könnte. Denn die jetzige Kleidung hatte Dipree kurz zuvor vom Sklavenhändler in die Hand gedrückt bekommen, mit dem Befehl den Halbdrow damit einzukleiden. Was der Junge nicht wusste, heute morgen musste der ältere Drowsklave den neuen Liebling von Nhaundar die Kleidung von Shar anlegen. Dipree wusste, was dies bedeutete und das Shar wohl bald nicht mehr unter diesem Dach leben würde. Wahrscheinlich hatte der Waffenmeister aus dem Haus Baenre endlich seinen sehnlichsten Wunsch von Nhaundar erfüllt bekommen und für eine viel zu hohe Summe den Halbdrow gekauft. Nichts anders ließ sich aus dem Verhalten seines Herrn und auch aus Dantrags Baenres Miene schließen, der seit Wochen fast täglich Besucher des Anwesens Xarann war und ständig gefährlich grinste. Doch Dipree versuchte nichts über seine Gedanken preiszugeben und sprach stattdessen ruhig und so gelassen wie möglich.
„Diesen Lendenschurz tragen Barbaren auf der Oberfläche, musst du wissen.“
„Dipree, was sind Barbaren?“, klang die naive Frage des Jungen.
„Das sind Krieger auf der Oberfläche“, meinte Dipree etwas gelangweilt und hoffte, dass er damit die Neugier von Shar befriedigen konnte.
Tatsächlich, der junge Halbdrow strahlte plötzlich über das ganze Gesicht und alles nur wegen einem Wort, „Krieger“. Das erinnerte ihn an Handir, der ebenfalls ein Krieger gewesen war und sein Sohn ihn schon immer nacheifern wollte. So einfach war Shar zufrieden zu stellen.
Doch Dipree machte einfach weiter ohne noch etwas sagen zu wollen und der Junge beäugte alles aufmerksam. Der Dunkelelf hatte plötzlich zwei braune Lederbänder in der Hand und jeweils eins schlang sich nur wenige Minuten später ganz in der Art von Barbaren über die Waden Shars bis hinauf zu den Knien. Allerdings nur zur Zierde.
„Was ist das?“, wollte Shar erneut wissen.
„Das sind Bänder, wie sie Barbaren tragen“, antwortete Dipree lapidar und achtete nicht auf seine Antwort und wollte sie auch nicht weiter ausbauen, da er selbst keine richtige Ahnung besaß.
Der junge Halbdrow schaute aufgeregt auf die beiden Lederbänder an seinen Unterschenkeln und freute sich. Er fühlte sich mehr und mehr als Krieger und er überlegte sich fieberhaft, dass Nhaundar dies alles nur tat, weil er seinen Liebling endlich zu einem wahren Kämpfer ausbilden lassen würde. Ein wenig Ahnung in Waffenkunde besaß er bereits durch Zaknafein. Die Freude über solche Kleidung und was diese mit sich brachte, auch wenn sie jedem anderen seltsam vorgekommen wäre, nahm von ihm Besitz. Shar war der Meinung, er würde jetzt ein großer Krieger werden und die Erinnerungen an seinen Vater nahmen immer mehr Gestalt in seinem Kopf an und er vergaß alles um sich herum. Obwohl der Junge nun nichts weiter am Leib trug, als einen kurzen Lendenschurz aus weißem Tigerfell und die Zierbänder an den Unterschenkeln. Nachdem der ältere Drow sein Werk genausten musterte und zufrieden nickte, ließ sich Shar letztendlich ohne Murren von Dipree hinausbringen.
Ihr Weg brachte sie in das Kellergewölbe, wo schon sooft in Shars kurzem Leben, die Jagd stattfand und erfreute sich an dem Gedanken, dass er dort das Kämpfen gelernt bekam. Doch der Junge wurde von einem Anblick überrascht, dem sein kleines Herz einen Schock versetzte.
Segen kann die Unwissenheit vor der Zukunft sein. Wagnisse, die die Zukunft mit sich bringt, könnten sich als Fluch herausstellen. Beides bedrückte Sorn Dalael und lastete schwer auf seiner Seele. Aber niemand wusste was der Vhaeraunpriester wirklich empfand. Sein Geist war im Aufruhr. Seit gestern wagten die Zwillingsbrüder ein gefährliches Spiel.
Am heutigen Morgen entwickelte sich alles zur vollsten Zufriedenheit. Sorn kam eilig seiner Arbeit bei Nhaundar nach und erhielt die Gelegenheit mit einem der wachhabenden Soldaten zu sprechen. Durch geschicktes Fragen, gemischt mit purer Neugier, die der junge Kleriker nicht spielen musste, erfuhr er vielerlei über Bregan D’aerthe, ihre Methoden und ihren Einfluss in der Stadt der Spinnenkönigin und doch war es fast noch zu wenig. Keiner kannte oder würde jemals die Macht und Reichweite der Söldner im Unterreich verstehen, außer vielleicht ein Mann und dieser war ein größeres Geheimnis als der Anfang der Welt selbst, Jarlaxle - Anführer von Bregan D’aerthe. Am Ende des Gespräches wurde Sorn sogar Hoffnung gemacht, dass sich in einem gewissen Etablissement mit Namen „Schmückkästchen“ wahrscheinlich höchstpersönlich der Anführer Jarlaxle antreffen lassen könnte. Der Soldat hegte keinen Verdacht gegenüber der Fragerei des Klerikers in Bezug auf die Söldnertruppe und schob es der natürlichen Wissbegier des jungen Dunkelelfen zu. Viele ausgestoßene Drow schlossen sich den Söldnern gerne an und insgeheim war er auf dem Glauben, dass der Priester und dessen Zwilling vielleicht genau diesen Plan verfolgten. Wer wollte nicht wissen, was die Zukunft ihm bringen mag, wenn man so einen Schritt wagt. Innerlich sann er darüber nach ohne Fragen zu stellen und er sagte sich, dass die Brüder sich gut in den Reihen von Bregan D’aerthe machen würden. Aus diesem Grund ging der Soldat des Sklavenhändlers einen Schritt weiter, indem er Sorn erzählte, dass er selbst Bregan D’aerthe noch etwas schulde ohne näher darauf einzugehen. Falls es zu einem Gespräch zwischen Sorn und der Söldnertruppe kommen sollte, dann sollte der Kleriker den Namen „Ellaniath“ erwähnen. Das Gleiche galt für den Besitzer des Schmuckkästchens, der eine Nachricht durchaus weiterleiten würde, natürlich gegen entsprechende Bezahlung verstand sich von alleine. Doch dem Soldaten konnte es im wahrsten Sinne des Wortes egal sein, denn ihn beschäftigten die eigenen Probleme und Wünsche mehr, wie so viele andere vor und nach ihm war er doch nur auf den eigenen Vorteil bedacht.
Sorn seufzte mehrmals bei diesen Auskünften, teils aus Erleichterung und teils wegen dem eh schon wenigem Geld, das ihm zur Verfügung stand, aber er tat es einzig und allein für Shar. Selbst zwei Goldmünzen aus seinem soeben wohl verdienten Geld wanderten in die Hand des Drowsoldaten und jetzt beherrschte ihn nur noch ein Gedanke, er wollte seinen Liebsten unverzüglich sehen. Mit schnellen Schritten eilte der Priester zu dem Sklavenhändler und dem jungen Halbdrow hinauf. Sorns Glück blieb ihm hold und seine Angst um den Jungen vom Vortag stellte sich als unbegründet heraus, denn Shar saß fröhlich grinsend neben dem Diwan seines Herrn, strahlte über das ganze Gesicht, als er den jungen Drow erblickte und nichts deutete auf eine Verletzung hin. Selbst Nhaundar wirkte wie eh und je. Schleimig freundlich und Nhaundar redete kurz über seinen zukünftigen Profit aus den von Sorn geheilten Sklaven und das seine Geschäfte seit seiner Rückkehr bestens vorangingen. Der Priester hörte höflich zu und wechselte schnell und geschickt das Thema. Denn einen Vorwand für Sorns Erscheinen gab es auch und so konnte der Kleriker mit ruhigem Gewissen erzählen, dass Nalfein mit ihm gemeinsam auf das Fest kommen würde.
Nhaundar schmunzelte über diese positive Antwort und versprach Sorn auch aus dem Grund für die gute Arbeit den Halbdrow für den restlichen Tag. Der Sklavenhändler erklärte sich bereit, dem jungen Priester Shar dessen Obhut zu überlassen, um nach Belieben mit ihm zu verfahren. Mit den Worten, er hätte eh noch viele Vorbereitungen zu treffen, entließ der alte Drow den Priester mit dem Lustsklaven. Er verriet gerade mal soviel, dass das Kellergewölbe ein wenig verändert werden müsste und übergab danach die Kette von Shars Halsband in Sorns Hände. Der Vhaeraunpriester bedankte sich mit einem listigen Lächeln und einem Nicken und nur wenige Augenblicke später waren die beiden Liebsten endlich in einem der vielen Zimmer des Hauses alleine.
Shar fiel über Sorn her, hüpfte an ihm auf und ab und überschüttete den jungen Drow mit Küssen. Dabei verspürte der Kleriker die gleiche Freude. Beide umarmten sich anschließend lange und liebevoll und späterhin lagen sie zusammen auf dem Bett, eng umschlungen und erzählten. Man sollte eher sagen, Shar redete die ganze Zeit und Sorn hörte aufmerksam zu. Der junge Halbdrow berichtete von der Reise, wie er auf einer Echse geritten war, wie er in die Stadt Eryndlyn kam und wie schön doch dort alles war. Da gab ihm Sorn innerlich Recht, denn nicht nur Shar wurde dort geboren, sondern auch er und sein Zwillingsbruder. Dann plapperte der Junge von dem großen Haus Myt’tarlyl, dem Hohepriester und dem Tempel. Alles was er sich gemerkt hatte wurde von Shar ausgeschmückt und Sorn hörte immer aufmerksamer zu. Doch etwas erwähnte Shar nicht, er ließ die Tatsache aus, dass er Tarlyn Myt’tarlyl den Namen des jungen Priesters verraten hatte. Zum einen, weil er nicht den Zorn des Klerikers auf sich ziehen wollte, der ihm immer und immer öfters einbläute, dass Shar es einfach nicht durfte, sonst wären beide Zwillinge in großen Schwierigkeiten und zum anderen, weil er sowieso nicht mehr genau wusste, was er dem freundlichen Hohepriester über seinen Liebsten überhaupt erzählt hatte. Dafür war der jungen Halbdrow klüger und nannte im Gegenzug seinem Liebsten den Namen Tarlyn. Der Vhaeraunpriester dachte einige Zeit über alles nach und dann wurde ihm auch bewusst, dass Nhaundar mit dem Jungen in einem der hohen Adelshäuser der Stadt gewesen war. Was der alte Sklavenhändler nur dort wollte, fragte sich Sorn und dachte sorgfältig über diesen Vornamen nach. Er kam ihm durchaus bekannt vor, aber ihm wollte nicht einfallen, wie er alles in Einklang bringen konnte. Sorns Gedanken kreisten anschließend wieder um Nhaundar und er überlegte, dass er wegen dieser Reise nach Eryndlyn vielleicht auch die vielen Sklaven brauchte. Der Sklavenhändler hatte ihm selbst einige eher unwichtigen Details erzählt. Aber einen Reim konnte er sich beim besten Willen nicht machen, doch diese Informationen wollte er sich gut im Hinterkopf behalten. Man wusste ja nie, wann er sie gebrauchen könnte.
Am Abend kehrte ein überglücklich wirkender Priester Vhaerauns zurück ins Gasthaus „Zur Henkersmahlzeit“ und fand dort auch sogleich Nalfein vor. Eilig erzählte Sorn alles, was er in Erfahrungen bringen konnte, selbst das, was er von Shar erfahren hatte. Der Krieger überdachte alle Informationen und der Kleriker gab sich erst einmal seinem Gebet an den Maskierten Fürsten hin. Ruhe und Nachdenken waren nun angebracht, dann folgte der etwas schwierigere Teil des wohl noch langen Abends.
Man sollte es kaum glauben, aber der Soldat von Nhaundar hatte Recht behalten. Gegen eine Bezahlung von 20 Goldstücken, gegen die sich Sorn am Anfang vehement geweigert hatte zu zahlen, konnten die Zwilling mit einem der Männer von Bregan D’aerthe im „Schmuckkästchen“ Kontakt aufnehmen. Der Namen „Ellaniath“ öffnete ihnen sprichwörtlich Tür und Tor. Einen Abend später fand ein weiteres Treffen statt und der endgültige Preis für das Vorhaben wurde festgelegt und erneut waren die Zwillinge weitere 30 Goldstücke los und die verschlüsselte Nachricht an den Waffenmeister des Hauses Do’Urden in den Händen des Kontaktmannes, der für sich selbst auch noch 10 Gold forderte. Sorn, der am liebsten auf der Stelle zu seinem Dolch gegriffen und seinem unverschämten Gegenüber für seine Impertinenz und die hohe Geldsumme, wie der Priester fand, die Klinge ins Herz gestoßen hätte, blieb Nalfein ruhig und gelassen. Er erinnerte seinen Bruder daran, dass sie durch die unliebsame Bezahlung an die Söldner Zaknafein treffen würden und dieser sich wohl durchaus in der Lage sah, zu helfen. Wenn es sich nicht um Shar gehandelt hätte, dann wäre aus dem Geschäft von Seiten Sorns nichts geworden.
Der Plan funktionierte und niemand schöpfte Verdacht, doch seither fühlten sich die Brüder beobachtet, auch wenn sie nie jemanden sahen. Einen Zehntag später wartete ein ungeduldiger Sorn im Schankraum ihres Gasthauses und rutschte nervös auf seinem Stuhl in einer geschützten Ecke hin und her. Nalfein lehnte sich stattdessen gemütlich zurück und genoss einen Becher Wein, während er die Gäste musterte. Zusammen hofften sie darauf, dass die Nachricht ihren Empfänger erreicht, dieser die Verschlüsselung verstanden hatte und nun mussten sie auf die Ankunft von Zaknafein Do’Urden ausharren.
„Wen sehen meine Augen denn da?“, erklang eine Stunde später plötzlich eine vertraute Stimme durch die Schankstube und die Zwillinge wanden sich dieser freudig zu.
Sorn strahlte über das ganze Gesicht. Er sah nicht nur Zaknafein - dessen muskulöser Körper in einer schwarzen Rüstung steckte, beide Langschwerter im Waffengürtel an der Hüfte prangten und dazu das markante Gesicht, das eine ungewöhnliche Autorität versprühte – sondern auch, dass der Plan seines Bruders wirklich Erfolg hatte und endlich jemand gekommen war, der ihnen weiter helfen konnte. Sorns Glaube schien in jenem Moment unerschütterlich.
Nalfein lächelte galant und zollte dem hochrangigen Waffenmeister auf seine ganz private Art und Weise seine Anerkennung. Er stand auf, verbeugte sich vor Zaknafein, der noch am Eingang stand, und dann setzte er sich wie gewohnt auf seinen Stuhl und wartete.
Der ältere Krieger schmunzelte, als er die beiden jüngeren Drow sah, kam zu ihnen eilig hinüber gelaufen und erwiderte augenblicklich die ehrenwerte Geste vor Nalfein. Innerlich hatte er niemals damit gerechnet, den gerissenen Brüdern jemals wieder Aug in Aug gegenüber zu stehen, aber es ließ sich nicht leugnen, dass dies im Moment der Fall war und er freute sich herzlich. Zaknafein erinnerte sich an ihre letzte Begegnung, die schon einige Jahre zurücklag und auch den damaligen Anlass, der sie überhaupt erst zusammen führte. Shar war der Hauptangelpunkt und von dort zweigte sich ihr Tun und Handeln gewollt und ungewollt ab. Aus diesem Grund war er ein wenig verwundert den jungen Halbdrow nicht bei ihnen vorzufinden. Aus der Botschaft, die ihm von Bregan D’aerthe überbracht wurde, entnahm er lediglich die Namen von Sorn und Nalfein, den Treffpunkt und die Uhrzeit, alles verschlüsselt natürlich. Eigentlich hatte er sich sogar auf den kleinen Jungen gefreut, der hin und wieder ruhig, aber sehr quirlig durch die Gegend lief. Schon lange konnte er ihn nicht mehr zu sich holen. Drizzt, sein Sohn war aus der Akademie zurückgekehrt und die allgemeine Lage des Hauses Do’Urden stand auch nicht zum Besten. In diesem Wirrwarr konnte Zaknafein sich nicht um Shar kümmern, auch wenn er es sich gerne wünschte. Doch diesem unverhofften Treffen mit den Zwillingen, die keine Kosten und Mühen gescheut hatten mit ihm in Kontakt zu treten, konnte und wollte er nicht fernbleiben.
Als er sich nun Sorn anschaute, der von seinem Platz aufgestanden war, da wusste der Krieger, was er damals so an dem jungen Drow fand. Seine Augen wanderten von oben nach unten und wieder zurück. Ein Lächeln umspielte dabei die attraktiven Züge von Zaks Gesicht. Die bersteinfarbenen Augen des jungen Sorn leuchteten. Er trug wie beim letzten Mal eine schwarze Lederhose, dazu schwarze Lederstiefel. Ein schwarzes Hemd war oben leicht aufgeknüpft und am Halsansatz sah er den Ansatz einer Kette, wo am Ende unter dem Hemd versteckt, das Heilige Symbol baumelte. Eine dunkelrote Robe hatte er sich über geworfen, doch auch sie war vorne nicht geschlossen. Der Waffengürtel mit Schwert und Dolch lugten leicht hervor. Dann erkannte der Waffenmeister die Brustmuskeln, die er einmal in voller Pracht bewundern durfte, aber die durch den Stoff nur leicht sichtbar wurden. Er hatte das Gefühl, als würde der Priester heute noch hübscher sein, als damals.
„Zaknafein!“, lächelte Sorn und öffnete die Arme, um den älteren Krieger zu umarmen und holte ihn gleichzeitig aus seinen Erinnerungen heraus.
„Ich freue mich sehr dich und auch deinen Bruder wieder zusehen“, erwiderte Zak und drückte den Priester herzlich. Dann ließ er ihn los und schaute sich etwas irritiert in der kleinen Runde um.
Sorn setzte sich derweilen und bestellte bei einer herbeigeeilten Bedienung einen weiteren Becher Wein.
Nun setzte sich auch der Waffenmeister und blickte nochmals verunsichert von einem zum anderen.
„Falls du auf Shar wartest, der ist bei seinem charakterlosen Herrn, Nhaundar“, beantwortete Nalfein den fragenden Blick des Kriegers.
Zaknafein wirkte überrascht, denn er konnte sich einfach nicht den Grund für dieses ungewohnte und vor allem übereilte Treffen vorstellen, oder doch? Wenn Shar nicht hier war, dann könnte der junge Halbdrow der Grund dazu sein und vielleicht in Gefahr schweben und das war niemals gut. Aber etwas anders musste noch dringend geklärt werden, bevor sie sich dem eigentlichen Thema zuwenden konnten.
„Bevor ich den Anlass unserer Zusammenkunft erfahre, möchte ich darauf hinweisen, dass wir einen Zuhörer haben. Aber stört euch nicht daran, Tebryn ist zwar einer der Spione von Bregan D’aerthe und zufällig Agent im Haus Do’Urden, doch ich habe ein Auge auf ihn, wie er auf mich“, erklärte der Waffenmeister ruhig und in den Augenwinkeln erkannte er, wie Tebryn am Nebentisch platz nahm und eingeschüchtert wirkte.
„Was?“, fragten beide Brüder überrascht und ärgerlich zu gleich, schielten nun aber wie Zak hinüber zu dem jungen Soldat am Nachbartisch, der ihren Blicken jedoch auswich.
„Jarlaxle wäre nicht Jarlaxle, wenn er nicht wüsste, wie er an Informationen kommen würde, die kleine hinterlistige Wanze“, setzte Zaknafein von neuem an und sprach gelassen weiter. „Profit und Informationen sind sein Geschäft und er bleibt stets auf dem Laufenden. Da er hörte, dass ihr mit mir Kontakt aufnehmen wolltet und er euch beide nicht kennt und ihr noch nicht einmal aus Menzoberranzan stammt, hat er sich jedoch zurückgehalten und nicht seine Männer auf euch gehetzt, doch sie waren stets in eure Nähe und haben euch beobachtet“, lachte Zaknafein laut und konnte sich den überraschten Ausdruck auf Tebryns Gesicht gut vorstellen, dem er nun den Rücken zuwandte, weil der Waffenmeister so unverblümt in der Öffentlichkeit die Wahrheit aussprach.
Sorn und Nalfein schauten verunsichert drein, versuchten jedoch ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern und versuchten dem Waffenmeister zu trauen. Jedoch Nalfeins Hand ging instinktiv zum Knauf seines Dolches, während er den weiteren Worten lauschte.
Dass sie sich jedoch in Gefahr befanden, das gefiel beiden überhaupt nicht. Außerdem hatten sie noch nie jemanden über den Anführer von Bregan D’aerthe so reden hören. Dann war es Sorn, der als erster wieder seine Sprache fand. „Ist das aber nicht gefährlich, so in der Öffentlichkeit den Söldnerführer zu beleidigen? Ganz zu Schweigen von einem Spion der dir so offen folgt und uns jetzt zuhört? Und wieso wollte er seine Männer auf uns hetzen? So hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt.“
„Du hast Recht, Sorn, aber ich will es dir erklären“, erwiderte Zak. „Für mich ist es nicht gefährlich und für euch nun auch nicht mehr. Unser kahlköpfiger und extravaganter Söldner und ich sind alte Freunde und unsere gemeinsame Zeit in der Akademie hat uns gewissermaßen zusammen geschweißt. Ich könnte euch Geschichten erzählen, die diesen Abend sprengen würden. Aber lasst euch eins gesagt sein, ihr beiden, Jarlaxle ist zwar im wahrsten Sinne eine Ausgeburt der Hölle …“, dann musste Zaknafein erneut lachen und als er sich beruhigt hatte, versuchte er Tebryn noch weiter in Verlegenheit zu bringen und seine jungen Freunden zu beruhigen. „Aber Jarlaxle ist gläubig und genauso verschwiegen, wie er gefährlich ist. Ja, er ist ein gerissener und äußerst schlauer Drow, der die Intrigen der Stadt besser beherrscht wie kein anderer. Sein einziger Fehler ist, er denkt einfach zu viel mit seinen männlichen Hormonen und er spielt gefährliche Spiele mit den Mutter Oberinnen der Stadt. Dies könnte ihm eines Tages noch zum Verhängnis werden. Aber um zum Thema zurück zukommen, ich verspreche euch mit meinem Ehrenwort, ihr braucht keine Angst zu haben. Die Informationen des heutigen Abends sind sicher und Tebryn ist eher eine Begleitung als ein Spion.“
Sorn riss erstaunt die Augen auf, runzelte kurz die Stirn und bedachte Nalfein mit einem ängstlichen Blick. Nalfein jedoch verstand augenblicklich, dass Zaknafein etwas getan haben musste, was der Waffenmeister jetzt verschwieg, um dieses Treffen heimlich stattfinden zu lassen und tatsächlich nur dieser Tebryn hier im Auftrag von Bregan D’aerthe anwesend war. Genauso wusste der jüngere Krieger, dass Zaknafein diesen kleinen Spion im Griff hatte und ihre Angst unbegründet war. Seine Hand ließ den Dolchgriff los und entspannte sich. Daraufhin lächelte Nalfein seinen Bruder an und sofort beruhigte sich auch Sorn, der absolutes Vertrauen in seinem Zwilling hatte und beide lachten munter darauf los.
Nach einigen Minuten hatten sich alle wieder beruhigt und Sorn ergriff als erster die Initiative und erzählte Zaknafein alles, was sie zu diesem Treffen geführt hatte. Als er endete, waren die Wut über die dreiste Bezahlung und der Verlust des kostbaren Geldes wieder ganz frisch in seinem Gedächtnis und er ballte die Fäuste auf dem Tisch.
„Ich möchte meinen Betrag zu diesem Treffen beisteuern“, meinte Zak mit einem hinterlistigen Grinsen, denn er verstand Sorns Wut genau und holte wie einst Nalfein einen Lederbeutel hervor und platzierte diesen Mitten auf dem Tisch, so dass beide Zwillinge ihn sehen konnten. „Das hier ist für euch, nehmt es an, sonst besudelt ihr noch meine Ehre“, versuchte Zaknafein Sorn dazu zu bringen, die in der Geldbörse steckenden 60 Goldstücke anzunehmen.
Was die beide nicht wussten, dass ihr eigenes Geld darin lag. Denn als der Waffenmeister die Botschaft und die dazugehörige Methode der Kontaktaufnahme erfuhr, war es niemand anderer als er selbst, der Jarlaxle um die Rückgabe des Geldes bat. Schon immer hatte ein gut gezielter Wurf mit einem der vielen kleinen Wurfmesser Wunder vollbracht, besonders bei der einstig hitzigen Freundschaft, die der Waffenmeister und der Söldner in der Akademie teilten. Jarlaxle war sehr kooperativ und Zak verstand sich schon immer auf gute Überredungskünste. Bei diesem Gedanken konnte der Krieger nicht anders und musste innerlich schmunzeln.
Anschließend legte Zaknafein noch einen drauf. Er zog einen weiteren Beutel hervor und legte auch diesen in die Mitte. „Ich möchte auch, dass ihr dieses Geld nehmt. Weitere 150 Goldmünzen und ihr dürftet den Kleinen kaufen können“, griente der Waffenmeister glücklich.
Sorn und Nalfein schauten sich an. Der Priester entspannte sich und konnte das Glück kaum fassen. Eilig griff er nach den beiden Beuteln und öffnete diese. Mit prüfendem Blick kam der Kleriker auf 630 Münzen und strahlte plötzlich über das ganze Gesicht.
„Wir haben das Geld, ich danke dir Zaknafein“, entfuhr es Sorn und am liebsten hätte er den Waffenmeister herzlich in seinem überschwänglichen Glück umarmt und gleichzeitig geküsst. Shar schien schon fast in Freiheit zu sein. Doch dies hier war nicht der Ort seiner Freunde in großem Ausmaß Ausdruck zu verleihen, so begnügte er sich, Zak mit leuchtenden Augen und einer vor Begeisterung überschäumender Miene anzulächeln.
Auch Nalfein konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mittlerweile war selbst Tebryn am Nachbartisch vergessen, der gemütlich an einem Becher Wein nippte und so gut wie gar nichts von dem Gespräch verstand. Auch Sorn hatte endgültig den unliebsamen Zuhörer vergessen und war froh, dass der Plan seines Bruders den gewünschten Effekt erzielt hatte. Jetzt konnte das Fest stattfinden und der Kleriker würde endlich seinen Liebsten zu sich holen können.
Aber Nalfeins Gedanken kreisten trotz des informationsreichen und freudigen Treffens weiter und nagten an ihm. Er wollte nur ungern die Freude ruinieren. Doch man sollte jeden Aspekt betrachten und dann zur Ausführung übergehen. So räusperte sich Nalfein und gewann dadurch die volle Aufmerksamkeit der beiden Drow.
„Was ist denn?“, wollte Sorn nervös wissen.
„Euch ist wohl klar, wir reden hier über Nhaundar, der Raffinierteste unter den Sklavenhändlern und ein wirklich geldgieriger Ork, oder?“ gab Nalfein zu bedenken.
„Dann sag’ uns, was dir durch den Kopf geht“, forderte nun der Waffenmeister den jüngeren Krieger unverzüglich auf.
„Was tun wir, wenn er mehr Geld verlangt. Ein normaler Drowsklave kostet schon 600 Goldstücke. Es könnte sein, dass er gut und gerne mehr verlangt, meint ihr nicht auch?“, und Nalfein runzelte die Stirn.
„Da hat dein Bruder recht“, warf Zaknafein ein und legte nun ebenfalls seine Stirn in Falten und dachte nach.
„Ich weiß aber eine Lösung“, meinte Sorn nach kurzer Pause glücklich. „Wenn er mehr verlangt, dann wirst du Zak …“, und dabei zeigte der Vhaeraunpriester mit dem Finger auf den Kämpfer und redete fröhlich weiter, „… ihn kaufen und zwar zum verlangten Preis. Er wird keinen Verdacht hegen und vor allem dann nicht, weil er dir eindeutig unterlegen ist und das weiß er sehr genau. Wir müssen nur versuchen, dass uns Dantrag nicht zuvor kommt, wenn meine Vorahnung nur annährend der Wahrheit entspricht.“
Der ältere Haudegen überlegte kurz, fand diese Idee jedoch vernünftig und wusste augenblicklich auch, woher er das restliche Geld bekam. Er konnte kurzfristig das Geld von Jarlaxle ausleihen und bei diesem Gedanken wanderten seine Augen hinüber zu Tebryn, der immer gelangweilter an einem Becher nippte und man auf dem Gesicht ablesen konnte, dass er sich auf ein viel interessanteres Gespräch gefreut hatte. Allerdings nicht auf eine Unterhaltung, wo es darum ging, wie man einen Sklaven zu günstigem Preis erstand und innerlich freute es ihn mehr, als er zugeben wollte. Jarlaxle hätte nichts in der Hand und konnte keine Verbindungen herstellen, aber helfen würde er ihm trotzdem. Dann bedachte er wieder die Zwillinge mit einem Blick und stimmte mit einem Nicken den Worten Sorns zu. Einzig und alleine das Wohl des Jungen zählte nun und er selbst wäre frohen Mutes, wenn er Shar in sicheren Händen wusste. Alles kam schnell und übereilt, doch eine andere Möglichkeit sahen die drei Dunkelelfen im Moment nicht. Zum Abschluss besiegelten sie ihren Plan mit einem kräftigen Handschlag.
Ein wenig später genossen Zaknafein, Sorn und Nalfein einen weiteren Becher Wein, besiegelten ihren cleveren Plan zusätzlich mit dem besten Tropfen und unterhielten sich über andere, weit unwichtigere Dinge. Jedoch das Thema Halbdrow und die eigene Situation des Hauses Do’Urden wurde geschickt ausgelassen. Jetzt stand einfach die Freude über dieses unverhoffte Treffen im Vordergrund und hin und wieder warfen sich der Vhaeraunpriester und der Waffenmeister verstohlene Blicke zu und erinnerten sich noch gut an ihre Zweisamkeit. Dann huschte bei beiden ein wissendes Lächeln über die Lippen und Nalfein musste über die unausgesprochenen Worte ebenfalls schmunzeln.
Der Abend wurde spät und man sollte immer aufhören, wenn es am schönsten ist. Dieses Motto nahmen sich die drei Drow zu Herzen und verabschiedeten sich nach insgesamt drei Bechern Wein von einander. Vorher wurde jedoch ein weiteres Treffen mit Datum und Uhrzeit vereinbart. Wenn etwas aus der Bahn geraten sollte, dann wäre Zaknafein am Zug. Es sollte der Morgen nach dem besagten Fest sein, so dass der Waffenmeister schnell und vor allem geschickt Nhaundar um den Finger wickeln konnte, um Shar vordergründig für sich zu beanspruchen. Gesagt, getan und dann konnte sich zum Abschluss Sorn doch nicht mehr zurückhalten und küsste Zak berauscht. Der Krieger schien im ersten Moment überrascht, doch die Verwirrung verflog so schnell, wie sie ihn übermannte und er erwidere nur zu gerne die Leidenschaft. Nalfein verzog leicht das Gesicht, denn alleine schon der Gedanke, dass auf dieser Feier nur Männer anwesend sein würden, die sich gerne mit dem eigenen Geschlecht vergnügten, da wurde ihm bereits schlecht.
Nachdem Zaknafein durch die Eingangstür verschwunden war, beeilte sich auch Tebryn dem Waffenmeister zu folgen. Sorn konnte sich bei dem Anblick des jungen und recht nervös aussehenden Soldaten, der angeblich ein Spion von Bregan D’aerthe darstellte, nicht zurückhalten und rief laut hinterher. „Auch euch einen angenehme Nacht. Passt mir auf ihn auf, nicht dass ihr mit einem blauen Augen zurückkehrt. Ärger wollen wir in jedem Fall vermeiden.“
Nalfein grölte laut auf und auch Sorn fiel danach in das Gelächter mit ein. Tebryn dagegen wurde rot, auch wenn man es auf seiner ebenholzfarbenen Haut kaum bis überhaupt nicht erkennen konnte, aber sein Gesichtsausdruck verriet ihn. Dann wand er sich eilig der Tür zu und verschwand.
Zurück blieben die beiden Zwillingsbrüder. Sie wollten auf ihr Glück noch etwas trinken und dann begann die lange Zeit des Wartens. Noch einige Zehntage und dann würde Sorn endlich und für immer seinen Liebsten in die Arme schließen können, frei und ungezwungen. Shar wäre frei und er malte sich gedanklich längst aus, wie er dem Jungen Lesen und Schreiben beibrachte. Selbst Nalfein erklärte sich bereit, dem Kleinen den Umgang mit Waffen zu lehren.
Zur gleichen Zeit waren ebenfalls zwei Dunkelelfen mit ihren Gedanken und Wünschen beschäftigt. Es waren Tarlyn My’tarlyl und Sabrar aus Eryndlyn. Ihre, mit Anfangsschwierigkeiten gepflasterter Reise, verlief etwas anders als geplant. Auch wenn Tarlyn Sabrar und die zehn Soldaten aus dem Haus auf die Oberfläche schickte, um den Gefahren des Unterreiches zu entgehen, lauerten hier ganz andere Wagnisse. Denn was niemand zuvor bedachte, war nur eine kleine Winzigkeit, das Wetter. Im Eleint brachen sie von Eryndlyn auf, jetzt war es fast schon Ende Marpenot und sie befanden sich im Norden von Faerûn. Der kurze Herbst begann bereits in den Winter umzuschlagen und in dieser Nacht sah sich die kleine Gruppe von Dunkelelfen gezwungen einen windgeschützten Unterschlupf zu finden. Das Glück war ihnen Hold und in der späten Abenddämmerung fanden sie eine verlassene Höhle, irgendwo in der Nähe des Hochwaldes. Es war eiskalt und mitten in der Nacht fiel der erste Schnee für dieses Jahr. Obwohl Drow sehr resistent gegenüber den kalten Temperaturen waren, spürte die Gruppe um Tarlyn dennoch den schnellen Wetterwechsel und die Kälte. Die anfängliche Überschwänglichkeit, dass sie über die Oberfläche schneller die Stadt der Spinnenkönigin erreichen würden, anstatt eine Ewigkeit warten zu müssen, bis die Magie des Portals wieder hergestellt wäre, schlug in Depressionen seitens Tarlyn um. Sabrar hatte seine liebe Müh und Not seinen Freund vom Gegenteil zu überzeugen, wobei der Jüngere der beiden sich selbst noch dazu überreden musste. Nun saßen beide um ein kleines Feuer herum, während die restlichen Männer entweder schliefen, sich unterhielten oder Wache hielten.
„Du wirst sehen, Tarlyn, noch zwei Monate und du kannst deine Rache an dem Sklavenhändler ausüben“, meinte Sabrar in aller Seelenruhe, wobei er an einer Tasse mit heißem Wasser schlürfte, um der von draußen herein strömenden Kälte etwas zu trotzen.
Der Vaterpatron seufzte tief, starrte dabei unentwegt ins Feuer, ganz so, als wolle er die Flamme dazu benutzen, ihre Wärme über den kargen Ort auszubreiten, die auch sein Herz erhitzen könnte.
„Wenn ich dich nicht hätte, Sabrar …“, antworte Tarlyn und sein Freund beendete für ihn den Satz, „… dann würdest du es dennoch schaffen.“
Das ließ den Älteren aufblicken und Sabrar wurde mit einem ehrlich gemeinten Lächeln belohnt. Aber etwas anders nagte immerfort an den Nerven des Hohepriesters.
„Aber sag’ mir, was wird geschehen, wenn der Maskierte Fürst seine Drohung wahr macht und ich meine Kräfte für ein Jahrhundert verliere? Was für ein Vaterpatron gebe ich ab, wenn ich meinem Enkel sagen muss, dass ich ein Priester ohne Macht und Segen bin, geschweige denn der ganzen Stadt“, seufzte Tarlyn.
„Wenn du weiter so redest, dann nehme ich dir wirklich noch jedes gesprochene Wort ab.“ Sabrar wurde wütend, denn nicht zum ersten Mal schien sein Freund der Verzweiflung nahe und lag ihm damit in den Ohren. Doch diesmal hatte der Berater einen Vorschlag, der ihn schon den ganzen Tag über beschäftigt hatte. „Wie wäre es, wenn du ein paar Magier oder niedriger Priester anheuerst? Sie könnten auch wo anders angesetzt werden und schaden würden sie in keinem Fall. Sie müssen beim Maskierten Fürsten schwören niemanden Auskunft über die Lage des Hauses zu geben und niemand würde Verdacht schöpfen“, meinte Sabrar frohen Mutes, endlich seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. „Außerdem bedenke, niemand, außer die Haushaltsmitglieder würden das Geheimnis kennen. Sie glauben an dich. Die jüngeren Priester in deinem Haus gibt es da auch noch und haben bereits viel von dir gelernt.“
Tarlyn blickte ihn erstaunt an. Über solch eine Möglichkeit hatte er bisher nicht nachgedacht, denn immer schon hatten seine Kräfte ausgereicht. Doch der Vorschlag klang vernünftig und änderte auch nichts an seinem Glauben. Für größere Dinge könnten Magier durchaus hilfreich sein und er blieb weiterhin der Hohepriester des Hauses Myt’tarlyl. Vaterpatron und Herr war er trotz seiner klerikalen Kräfte und würde dies bis zu seinem Tod auch bleiben. Daraufhin huschte ein Lächeln über seins, in letzter Zeit von Sorgenfalten durchfurchtes Gesicht, und er dankte Sabrar, indem er ihm die Hand lobend auf die Schulter legte.
„Shar wird der nächste Hohepriester, dafür werde ich Sorge tragen“, schmunzelte nun Tarlyn und schaute jetzt wieder ins Feuer.
Sabrar hustete kurz, denn er hatte sich an dem Wasser verschluckt und blickte seinen Freund verwundert an. „Dein Enkel soll der nächste Hohepriester werden?“, fragte der Berater etwas skeptisch. „Du warst doch die ganze Zeit der jenige, der mir erzählte, dass Shar ein wenige zurückgeblieben und verrückt wirkte.“
Tarlyn sah weiterhin ins Feuer und bekam von dem Mienenspiel des Jüngeren nichts mit, höchsten der etwas überraschte Tonfall ließ die Verwirrung erahnen. „Sabrar, du hast richtig gehört. Was soll schon heißen, dass der Kleine verrückt ist. Wenn ich bei solch einem ekelerregenden Drow mit Orkfratze aufgewachsen wäre und er mich als seinen Schatz bezeichnen würde, dann würde ich wohl auch dem Wahnsinn nahe sein. Shar hat mir zu verstehen gegeben, dass er ein wenig über den Maskierten Fürsten versteht. Dieser junge Priester, wie hieß er gleich noch mal?“, grübelte Tarlyn nach und dabei konnte ihm Sabrar zur Hilfe eilen, denn den Namen hatte er sich für alle Fälle sehr gut eingeprägt und antwortete pflichtbewusst. „Sorn Dalael, ist sein Name.“
„Ich danke dir, ich habe so viel in meinen Kopf, dass ich mir den Namen einfach nicht merken kann“, erwiderte der Vaterpatron und erzählte weiter.
„Dieser junge Kleriker, Sorn Dalael, vermag zu Heilen und steht somit in der Gunst unseres Gottes. Ein gutes Vorzeichen und ich möchte gerne mein Erbe in guten Händen wissen. Niemand verbietet mir, dass nicht Shar mein Nachfolger werden kann. Er wird von mir persönlich unterrichtet und vielleicht von diesem Sorn Dalael.“
Als Tarlyn geendet hatte, lächelte er zufrieden und versank in Gedanken und Erinnerungen über das Damals, Hier-und-Jetzt und was die Zukunft bringen konnte. Sabrar saß währenddessen am Feuer und versuchte sich so gut es ging zu wärmen und über das eben gesagte nachzudenken.
Tarlyn malte sich alles genau aus. Sobald er wusste, dass Shar in Sicherheit war, würde er sich auf die Suche nach diesem Sorn machen. Er wollte mehr über den Kleriker erfahren und wer einst sein Lehrmeister gewesen war. Dann versuchte er sich den jungen Halbdrow in Kleidung vorzustellen, die ein Priester trug. Schwarze Lederrüstung oder auch nur eine einfache schwarze Lederhose mit den passenden Stiefeln, ein dunkles Hemd und eine extra nur für Shar angefertigte rote oder schwarze Robe aus Samt. Dazu das Heilige Symbol. Ein Schüler der es wert sein würde, dass Tarlyn ihn höchst persönlich unter seine Fittiche nahm. Dann könnte der Vaterpatron ihm auch Lesen und Schreiben beibringen und wenn dies wirklich die Zukunft war, die er sich vorstellte, dann würde er selbst seinem Enkel die Feinheiten der von Vhaeraun gewährten Zauber zeigen. Die heiligen Riten und Feiertage und alles was mit dem Glauben anheim fiel. Glücklich strahlte Tarlyn und konnte es kaum erwarten, dass er endlich mit einer Klinge in der Hand die Kehle von Nhaundar Xarann aufschlitzte.
Noch jemand anderer ließ sich zu einem Lächeln hinreißen. Derjenige entblößte dabei seine weißen Zähne in einem ebenholzfarbenem Gesicht, dass von einer goldenen Halbmaske verdeckt wurde. Die Haarfarbe wechselte dabei zwischen Gold, Blau und einem normalen Weiß immer hin und her und der Triumph mischte sich mit Vergnügen. Der Avatar Vhaerauns zeigte somit seine Stimmung an und saß im hinteren Teil dieser Höhle und niemand schien von seiner Anwesendheit etwas zu spüren. In schwarzen Nebel gehüllt beobachtete er den Hohepriester und hatte selbst an seinem Gedankenspiel teil. Ja, die Vorstellung des immer so treuen Dieners des Maskierten Fürsten könnte die Zukunft sein. Aber er versuchte sich bildlich vor Augen zu halten, was nicht nur das Unterreich, sondern auch die Oberfläche zu bieten hatte. Licht und Sonne, Wolken und ein nicht enden wollender Himmel. Berge, Hügel, Täler und auch Schluchten. Saftige Wiesen und Wälder. Große Waldflächen mit Bäumen, die hoch in den blauen, unendlichen Himmel wuchsen. Häuser, ganz aus Natur und Magie erschaffen. Schattenspendende Baumkronen, Brücken über Flüsse und Seen, die zum Verweilen einluden, wie es in der Vergangenheit einst war. Romantisch, grinste der Avatar Vhaerauns und teilte diese Gedanken mit seinem Gott.
Ich werde das Machtspiel der Götter gewinnen und diesmal hält mich nichts und niemand davon ab. Keiner wird mir in die Quere kommen, nicht einmal die Hure meiner Mutter. Soll sie in ihrem ewigen Abgrund verrotten, doch ich werde nicht mehr verbannt sein. Ich werde die Spinne eigenhändig zwischen meine Finger zerquetschen und ihr Kadaver den Dämonen zum Fressen geben. Die Möglichkeiten sind unendlich und doch einzigartig.
Er waberte noch einige Atemzüge auf der Stelle und dann wirbelte der schwarze Nebel schnell und immer schneller um die eigene Achse und verschwand völlig im Schatten.
Einige Wochen später bekamen Sorn und Nalfein Dalael ein Schreiben von Nhaundar per Kurier überbracht. Etwas überrascht über diese seltsame Form mit den beiden in Kontakt zu treten, wurde ihre Verblüffung noch gestärkt, nachdem sie den Inhalt der Botschaft lasen. Nhaundar lud hochoffiziell zu dem Fest ein, das in einem Zehntag um die Zeit, wenn Narbondel seinen Tiefstand erreichte, beginnen sollte. Jeder Gast hatte sich entsprechend des Anlasses zu kleiden und eine Menge Spaß mit zu bringen. Doch diese Nachricht verbreitete bei den Zwillingen eher Unwohlsein anstatt Freude. Solange bekam Sorn nicht einmal die Gelegenheit Shar wieder zusehen, denn es gab keinen Anlass, dass der Priester sich in das Haus des Sklavenhändlers begeben konnte. Außerdem würde ein unverhoffter Besuch Nhaundar unter Umständen auch misstrauisch machen. So entschieden die beiden Brüder die Zeit mit kleinen Aufträgen zu überbrücken und nervös auf den Tag zu warten, an dem der junge Kleriker endlich seinen Liebsten frei und ungezwungen in die Arme nehmen konnte.
In all dieser Zeit bekam so Sorn auch nicht die Wandlung auf dem Anwesen Nhaundar Xaranns mit. Nach dem besagten Tag, als Nhaundar diesen jungen Drow aus Ched Nasad zu sich holte, entpuppte sich dieser zum großen Erstaunen des Sklavenhändlers als äußerst attraktiver Junge. Unter all dem Dreck und Schmutz, der sein Körper überzogen hatte, kam darunter ein hübscher Sklave zum Vorschein. Doch an das wunderschöne Aussehen Shars reichte er noch lange nicht heran. Aber Nhaundar hatte sich selbst so entschieden und genoss diese Wahl in vollen Zügen.
Der einzige, der von alldem keine Ahnung hatte, war der junge Halbdrow, der einfach nicht verstand, was vor sich ging. So viele Jahre war er es immer gewöhnt bei seinem Herrn zu sein, mit ihm die Nächte zu verbringen und auch mit Nhaundar zu baden, zu essen oder bei Besuchern anwesend zu sein, da es ihm sprichwörtlich ins Blut überging. All dies brach nach Sorns letztem Besuch von einem Tag auf den anderen ab. Stattdessen verbrachte Shar nun seine Tage meist alleine in den Gemächern der anderen Lustsklaven, wo auch Dipree lebte, der sich wie immer um ihr Wohl kümmerte. Sie teilten sich einen großen, mit Kissen und Matratzen ausgestatteten Raum. Hierhin wurde Shar einfach abgeschoben, weil alle ihren Aufgaben nachgingen, nur er nicht. Der junge Halbdrow wusste nicht, was dies alles bedeutete. In all seiner Verzweiflung hatte er auch schon Dipree gefragt, aber niemals eine Antwort erhalten. Nur eines hatte sich nicht verändert. Noch immer kam Stammkundschaft und verlangte nach Befriedigung von Shar.
Je mehr Tage in dem Leben des jungen Halbdrow verstrichen, desto öfter flüchtete er in sich in sein Inneres ohne es zu merken. Er redete mit Handir und erhielt Antworten, die ihn wieder von neuem beruhigten. Außerdem dachte er an Sorn und wie sehr er ihn vermisste und er sich schon freute, wenn sein Liebster wieder vorbei kommen würde. Doch zu Shars großer Enttäuschung geschah auch dies nicht und er weinte manchmal heimlich und leise. Zum Glück für den Jungen, dass nie jemand etwas mitbekam und Fragen bezüglich dieses Verhalten stellen konnte, dass ungewöhnlich war.
Der Tag des Festes rückte immer näher. Schon einen Zehntag zuvor begannen alle Sklaven und Bediensten des Hauses herum zu eilen, hier und dort Dinge zu erledigen und dabei ignorierten ihn fast alle, bis auf Dipree. Der ältere Drow hielt meist kurz inne, beäugte den jungen Halbdrow dann etwas seltsam, seufzte und machte sich sogleich wieder an seine Arbeit.
Am heutigen Morgen – der Tag des Festes - waren schon alle viel früher als sonst auf den Beinen. Shar verbrachte wieder eine der Nächte, wo er bei Dipree und den anderen schlafen musste. Doch er konnte kaum ein Auge zumachen. Irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein, er spürte es tief in seinem Herzen. Noch schlimmer war für ihn, wenn er Handir fragte, kam keine Antwort. Der Abend brach schnell an und niemand ließ sich blicken, bis plötzlich Dipree hereinkam. Er hatte etwas fremdartig Aussehendes über dem Arm hängen und schaute nicht wirklich froh drein. Er sah auch sonst nie wirklich glücklich aus, aber heute machte der ältere Drow eine Miene, als hätte er etwas Schreckliches erfahren.
„Komm’ Shar, du musst baden“, erklang der Befehl an den jungen Halbdrow, der von seinem Sitzplatz in der hintersten, dunklen Ecke des Raumes aufstand und hinüber trottete.
Nur Momente später verschwanden beide im Badezimmer. Shar wurde wie jeden Tag gebadet, danach abgetrocknet und frisiert. Seine langen weißen Haare, die mittlerweile weit bis zu den Kniekehlen reichten, brauchten ihre Zeit und heute sollten sie besonders zu Recht gemacht werden. Denn der Junge bekam kleine Zöpfe links und rechts geflochten, während des restliche Haar über den Rücken fiel, dabei schaute er sogar noch verführerischer aus als sonst. Als Dipree letztendlich an der Kleidung ankam, da wurde Shar misstrauisch.
„Was ist das, Dipree?“, wollte er wissen und schaute mit tiefblauen Augen auf etwas Weißes mit schwarzen Streifen. „Das ist aber nicht meine Hose.“
Der ältere Drow seufzte und blickte zum ersten Mal am heutigen Tag dem jungen Halbdrow direkt in die Augen. Doch er war nicht böse über die Frage. „Ganz genau, mein Junge. Das ist nicht deine Hose, sondern ein Lendenschurz“, erklang die kurze Antwort von Dipree.
Der treuste Sklave von Nhaundar stöhnte und innerlich hatte er das Gefühl, dass er die Fragen des Kleinen vermissen könnte. Denn die jetzige Kleidung hatte Dipree kurz zuvor vom Sklavenhändler in die Hand gedrückt bekommen, mit dem Befehl den Halbdrow damit einzukleiden. Was der Junge nicht wusste, heute morgen musste der ältere Drowsklave den neuen Liebling von Nhaundar die Kleidung von Shar anlegen. Dipree wusste, was dies bedeutete und das Shar wohl bald nicht mehr unter diesem Dach leben würde. Wahrscheinlich hatte der Waffenmeister aus dem Haus Baenre endlich seinen sehnlichsten Wunsch von Nhaundar erfüllt bekommen und für eine viel zu hohe Summe den Halbdrow gekauft. Nichts anders ließ sich aus dem Verhalten seines Herrn und auch aus Dantrags Baenres Miene schließen, der seit Wochen fast täglich Besucher des Anwesens Xarann war und ständig gefährlich grinste. Doch Dipree versuchte nichts über seine Gedanken preiszugeben und sprach stattdessen ruhig und so gelassen wie möglich.
„Diesen Lendenschurz tragen Barbaren auf der Oberfläche, musst du wissen.“
„Dipree, was sind Barbaren?“, klang die naive Frage des Jungen.
„Das sind Krieger auf der Oberfläche“, meinte Dipree etwas gelangweilt und hoffte, dass er damit die Neugier von Shar befriedigen konnte.
Tatsächlich, der junge Halbdrow strahlte plötzlich über das ganze Gesicht und alles nur wegen einem Wort, „Krieger“. Das erinnerte ihn an Handir, der ebenfalls ein Krieger gewesen war und sein Sohn ihn schon immer nacheifern wollte. So einfach war Shar zufrieden zu stellen.
Doch Dipree machte einfach weiter ohne noch etwas sagen zu wollen und der Junge beäugte alles aufmerksam. Der Dunkelelf hatte plötzlich zwei braune Lederbänder in der Hand und jeweils eins schlang sich nur wenige Minuten später ganz in der Art von Barbaren über die Waden Shars bis hinauf zu den Knien. Allerdings nur zur Zierde.
„Was ist das?“, wollte Shar erneut wissen.
„Das sind Bänder, wie sie Barbaren tragen“, antwortete Dipree lapidar und achtete nicht auf seine Antwort und wollte sie auch nicht weiter ausbauen, da er selbst keine richtige Ahnung besaß.
Der junge Halbdrow schaute aufgeregt auf die beiden Lederbänder an seinen Unterschenkeln und freute sich. Er fühlte sich mehr und mehr als Krieger und er überlegte sich fieberhaft, dass Nhaundar dies alles nur tat, weil er seinen Liebling endlich zu einem wahren Kämpfer ausbilden lassen würde. Ein wenig Ahnung in Waffenkunde besaß er bereits durch Zaknafein. Die Freude über solche Kleidung und was diese mit sich brachte, auch wenn sie jedem anderen seltsam vorgekommen wäre, nahm von ihm Besitz. Shar war der Meinung, er würde jetzt ein großer Krieger werden und die Erinnerungen an seinen Vater nahmen immer mehr Gestalt in seinem Kopf an und er vergaß alles um sich herum. Obwohl der Junge nun nichts weiter am Leib trug, als einen kurzen Lendenschurz aus weißem Tigerfell und die Zierbänder an den Unterschenkeln. Nachdem der ältere Drow sein Werk genausten musterte und zufrieden nickte, ließ sich Shar letztendlich ohne Murren von Dipree hinausbringen.
Ihr Weg brachte sie in das Kellergewölbe, wo schon sooft in Shars kurzem Leben, die Jagd stattfand und erfreute sich an dem Gedanken, dass er dort das Kämpfen gelernt bekam. Doch der Junge wurde von einem Anblick überrascht, dem sein kleines Herz einen Schock versetzte.