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Dem Wahnsinn so nah

By: Elbenstein
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Rating: Adult ++
Chapters: 47
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Disclaimer: I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
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33. Kap. Grauenhafte Morgenstunden

33. Kapitel
Grauenhafte Morgenstunden

In den frühen Stunden des neuen Tages saßen zwei Dunkelelfen an einem kleinen Tisch im Gasthaus „Zur Henkersmahlzeit“. Es waren Sorn und Nalfein Dalael. Beide kehrten nach dem übereilten Abschied bei Nhaundar in ihre bescheidene Unterkunft zurück, doch seitdem waren die Brüder völlig rastlos, nervös und ängstlich. Daher beschlossen sie gemeinsam die Zeit des Wartens im Schankraum zu verbringen, um sich wenigstens abzulenken. Gegenseitig sprachen sie sich Mut zu, aber die Schrecken der letzten Nacht nahmen die Zwillinge ziemlich mit.
Seit drei Stunden nun kämpfte der junge Vhaeraunpriester gegen ein felsenfestes Gefühl an, dass etwas Schreckliches passiert war. Genau zu jener Zeit spürte er einen tiefen Stich im Herzen und ähnelte seither einem Nervenbündel, das keine Sekunde still sitzen bleiben konnte. Er rutsche hin und her, blickte jede Minute zur Tür und hoffte, dass dort ein Wunder geschah. Nalfein wollte ihn wenigstens zu einem Glas Wein zwingen, aber der Kleriker lehnte jedes Angebot von Essen und Trinken ab. Er fand einfach keine Ruhe. Erst mit dem Eintreffen des Waffenmeisters Zaknafein Do’Urden wirkte er plötzlich ein wenig ruhiger.
„Wie ich sehe, seit ihr alleine“, erklang die leicht bedrückte Stimme Zaks, der bis eben die Hoffnung gehegt hatte, der Junge sei bei den Zwillingen.
„Ganz recht“, antwortete Nalfein enttäuscht, während der junge Priester mit flehendem Blick den muskulösen Waffenmeister beobachtete, der sich zu ihnen an den Tisch gesellte.
„Setz’ dich und wir …“, wies der Ältere der Brüder den Drow an und blickte trübselig zu seinem nervösen Bruder hinüber, der nicht in der Fassung war, zu Reden und meinte, „… oder sagen wir mal besser ich werde dir alles erzählen, was du wissen musst.“
Zaknafein setzte sich ohne eine Wort zu sagen, legte Sorn besänftigend eine Hand auf die Schulter und richtete seine volle Aufmerksamkeit auf Nalfeins Schilderung.
Bei jeder Einzelheit der vergangenen Nacht, verspürte der ältere Krieger nun ebenfalls ein seltsames Gefühl, dass sich in seine Eingeweide fraß.
„Nhaundar ist schlauer, als ich ihm zugetraut hätte“, flüsterte Zak und sein Blick ging von einem Zwilling zum anderen. „Aber ich werde all meine Überredungskünste zum Besten geben. Im schlimmsten Fall kann ich nur auf Dantrag treffen und mit dem werde ich fertig werden.“ Dann lachte Zaknafein, doch es klang eindeutig nach einem erzwungenen Lachen.
Sorn und Nalfein versuchten zu schmunzeln, aber es gelang ihnen nicht recht.
„Du … du wirst aufpassen, oder?“, wollte sich der Vhaeraunpriester noch einmal vergewissern, bevor sich der stolze Kämpfer in die wahrhafte Hölle wagte.
Zaknafein zog eine Augenbraue hoch und schaute mit einem ehrlichen Gesichtsausdruck seinem einstigen Liebhaber in die bernsteinfarbenen Augen. „Ich passe immer auf, sonst wäre ich womöglich schon lange nicht mehr am Leben. Wir überleben hier in der Stadt der Spinnenkönigin. Unsere Kunst besteht darin, sein eigenes, unwürdiges Dasein vor dem Schlimmsten zu bewahren“, erwiderte der Waffenmeister und wusste, wie recht er mit den Worten der Wahrheit kam.
Die beiden Zwillinge nickten zustimmend. Zak überprüfte den Geldbeutel mit den Goldmünzen und stand auf. „Ich komme auf dem schnellsten Weg zurück. Und Sorn …“, erklang die ruhige Stimme des Kämpfers und dabei bedachte er den Priester mit warnendem Blick, den dieser nur viel zu genau wahrnahm. „Ich bitte dich, gehe auf dein Zimmer, lege dich hin und ruh’ dich aus. Wie ein Tiger im Käfig hier zu warten bringt uns nicht weiter und was soll Shar nur denken, wenn er dich so sieht?“
Der junge Vhaeraunanhänger erschrak über die Worte, aber konnte ihnen nicht widersprechen.
„Wenn du der Meinung bist“, antwortete Sorn ein wenig trotzig.
„Ich schließe mich dem großen Waffenmeister an“, stimmte Nalfein Zaknafein zu und erntete daraufhin nur ein Schmollmund seines Jüngeren Bruders.
Dann brachen alle drei in ein schwaches Gelächter aus und sie fühlten sich der bevorstehenden Aufgabe gewachsen. Das Lachen stimmte sie wenigstens ein bisschen fröhlicher und nur mit positivem Denken sollte man sich an gut ausgeheckte Pläne wagen.
„So, dann spreche ich als der Ältere und als jemand, der mehr Erfahrung hat, als ihr beide. Ihr wartet hier auf mich und ich werde bald mit Shar zurück sein. Sorn, du geht’s aufs Zimmer und Nalfein kann auch von mir aus im Schankraum warten“, befahl Zaknafein herrisch, was er sonst nur bei den Soldaten des Hauses Do’Urden zutun pflegte.
Die Zwillinge nickten erneut und anschließend verschwand der Waffenmeister aus dem Gasthaus. Er trat hinaus auf die Straßen von Menzoberranzan und lief eilig den Weg zu Nhaundar Xaranns Anwesen entlang. Die Gedanken und ein beklemmendes Gefühl begleiteten ihn, dass etwas nicht stimmte. Aber genauso wusste er, dass er diese Empfindungen so schnell nicht von sich abwerfen konnte. So beschleunigte Zak seine Schritte und kam nach einiger Zeit am Ziel an.

Nhaundar spürte plötzlich pochende Schmerzen an den Schläfen. Er wurde sich bewusst, dass er wach war. Langsam öffnete er die Augen und im ersten Moment sah er alles seltsam verschwommen. Schleppend, um keine falsche Bewegung zu machen, hob er beide Hände an seinen schmerzenden Kopf und versuchte sich zu erinnern. Schlagartig wurde ihm klar, er hatte eindeutig zu viel getrunken. Am liebsten wünschte er sich zurück in tiefen, erholsamen Schlaf. Aber die Pein in seinem Schädel wollte das verhindern und wie aufs Stichwort fing nun auch sein Magen an zu rebellieren. Oh nein, sagte sich Nhaundar und wusste, dass er dringend ein Schmerzmittel benötigte. Sein letzter ausschweifender Alkoholgenuss lag schon ein wenig zurück und er konnte sich durchaus an den unglücklichen Tag erinnern. In diese Erinnerung mischte sich plötzlich ein junges Gesicht, das ihm bekannt vorkam. Noch während er nachgrübelte, fing sein Herz an zu rasen und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Shar! Er drehte den Kopf langsam zur Seite, doch dort lag nur der junge Dunkelelfenjunge. Wo hatte er denn den Halbdrow das letzte Mal gesehen? Ein Bild des großen, umgebauten Saals im Kellergewölbe huschte ihm durch seinen leicht vernebelten Verstand und er sah den Jungen unmittelbar vor der Tribüne am Boden angekettet. Stimmt, sagte sich Nhaundar, da hatte er ihn das letzte Mal gesehen und dort würde er wahrscheinlich auch noch sitzen und auf ihn warten. Zum Glück für den Halbdrow, dass Dantrag am Abend zuvor bereit war, soviel für ihn zu bezahlen, mehr als der Priester, lachte der Sklavenhändler in sich hinein, hielt aber augenblicklich inne, als die pochenden Schmerzen zurückkehrten. Der eigentliche Kauf würde in den nächsten Tagen abgewickelt werden, jetzt benötigte Nhaundar erst einmal Linderung für die Nachwehen seines Rausches.
„Dipree! Komm hier her!“, rief er laut, bereute doch sogleich seinen Tonfall, als sich der Kopf mit quälendem Hämmern zurück meldete. Hatte er einen Zwergenschmied verschluckt?
Der ältere Drowsklave eilte in seiner gewohnt schnellen Art herbei und stand augenblicklich vor seinem Herrn. In den Augenwinkeln erhaschte er einen Blick auf den unglückseligen jungen Dunkelelfen, der durch das Geschrei nun ebenfalls wach wurde. Aber dieser interessierte ihn nicht, auf Dipree wartete zurzeit eine wirklich wichtige Aufgabe. Dabei nagte das seltsame Gefühl des Verlustes an seinen Nerven. Er musste seine Entdeckung über den jungen Halbdrow Nhaundar erklären, alles andere war belanglos, er wusste nur noch nicht wie.
„Dipree, du musst mir Ranaghar holen. Er soll ein Schmerzmittel mitbringen“, flüstere Nhaundar leise und rieb sich dabei die schmerzenden Schläfen. „Und bring mir ein Glas Wasser oder besser noch einen ganzen Krug. Ich könnte den See mit einem Zug leeren.“
Der Sklave verbeugte sich und führte die Anweisungen sofort aus. Dipree huschte davon und kam nur wenige Minuten später in Begleitung des Magiers und einem Tablett samt Becher und Krug mit kaltem Wasser zurück. Er stellte alles auf den nahen Tisch, füllte für seinen Herrn das kühle Nass in einen Becher und reichte es ihm.
Ranaghar kam nun ebenfalls näher und drückte Nhaundar eine kleine Phiole mit Schmerzmittel in die Hand. „Trinkt das und wartete ab“, meinte der Magier und als er sich umwand, stahl sich ein verächtliches Lächeln über seine Lippen. Der Grund war einfach. Ranaghar hatte dem älteren Dunkelelfen sehr wohl einen schmerzlindernden Trunk überreicht, doch diesen hatte der Magier so entwickelt, dass die Wirkung langsam und sehr schleichend ihren Weg nahm. Die ganze Zeit hatte er schon ein Opfer gesucht und nun musste der Sklavenhändler für die Experimente des etwas verrückten Zaubererwirkers herhalten.
Nhaundar verzog angewidert das Gesicht, spülte den widerlichen Geschmack des Mittels mit Wasser hinunter und richtete sich in dem großen Bett auf. Dann bedachte er die beiden vor ihm stehenden Drow mit fragendem Blick und als niemand Anstalten machte, etwas zu sagen, ergriff er seufzend das Wort.
„Habt ihr die Aufgaben schon erledigt, die ich euch gestern erteilt habe?“, fragte der schmierige, alte Sklavenhändler und nahm daraufhin erneut einen Schluck kaltes Wasser.
Dipree räusperte sich und begann als erster der beiden zu sprechen. „Mein Herr, wir haben alles zu eurer vollsten Zufriedenheit erledigt“, meinte der Drowsklave ruhig und musste eine Pause machen, um nach den richten Worten zu suchen.
Nhaundar sah ihn interessiert an und wartete ungeduldig, was da noch kommen sollte. Dann hörte er Dipree etwas nervöser weiter berichten.
„Dantrag ist übrigens in einem der unteren Zimmer untergebracht, mein Herr. Er sah aus, als hätte er dem Alkohol zu viel gefrönt. Doch ich muss euch noch etwas weit aus Wichtigeres melden …“, dann brach der Drow abrupt ab und schluckte merklich.
Nhaundar nickte anerkennend den beiden zu, obwohl niemand ahnte, dass Dantrag Baenre eher dem gut gezielten Schlag von Sorn zum Opfer gefallen war.
„Spann’ mich nicht so auf die Folter, sag’ was du noch zu sagen hast und dann will ich meine Ruhe“, machte Nhaundar daraufhin seinem Ärger Luft und wartete gespannt auf die Wirkung des Schmerzmittels. Das Hämmern schien nicht aufhören zu wollen, stattdessen überkam ihn der Gedanke, dass der Zwergenschmied in seinem Kopf nur noch stürmischer zu schlug.
„Mein Herr, ich muss euch sagen, dass … nun … der … der …“, stammelte Dipree und hielt einen kurzen Moment inne und holte einmal tief Luft. Aber noch bevor Nhaundar ihn erneut auffordern musste weiter zu sprechen, fasste er sich ein Herz und beendete seinen Satz. „Der Halbdrow wurde von den Soldaten zur Beseitigung mit den anderen Leichen fortgebracht.“ Dipree biss sich anschließend nervös auf die Unterlippe.
Nhaundar riss seine Augen weit auf, sein Unterkiefer klappte nach unten und ihm entglitt bei dieser Aussage der Becher mit dem kalten Wasser aus der Hand. Er goss den restlichen Inhalt über sich und die Bettdecke. Erschrocken schrie er auf, riss sich die Decke vom Leib und kullerte dabei unsanft auf die Bettkante und letztendlich aus dem Bett. Mit einem dumpfen Knall schlug er auf dem harten Boden auf.
Dipree und Ranaghar sahen sich augenblicklich an, schmunzelten und dann eilte Dippre zu dem Sklavenhändler hinüber und versuchte ihm zu Hilfe zu kommen. Selbst der junge Liebessklave im Bett musste lächeln. Nhaundar fuchtelte wild mit den Armen um sich und nach einigem Durcheinander saß er auf der Bettkante, die Decke über seine Hüften geschlungen und sein Gesicht war vor Überraschung, Ärger und unendlichem Zorn zu einer grotesken Fratze verzogen.
„Geht es euch gut?“, erkundigte sich Dipree, erntete daraufhin nur eine schallende Ohrfeige und gellende Worte von Nhaundar. „Sehe ich so aus, als ob es mir gut geht?“, schrie er.
„Verzeiht“, brachte Dipree mit zusammen gebissenen Zähnen heraus und wäre am liebsten versucht gewesen, diesmal dem Dunkelelfen einen Schlag zu versetzen.
„Berichtet mir beide in Ruhe von dem Halbdrow. Dantrag hatte ihn doch die Nacht über bei sich, das kann doch gar nicht sein“, meinte Nhaundar zornig. Alle anderen Gedanken versuchte er hierbei aus seinem schmerzenden Kopf zu verbannen und erkannte nicht die Ironie in seinen Worten. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Waffenmeister seinem ungezügelten Wesen freien Lauf gelassen und Shar schlimme Verletzungen zugefügt hätte, die selbst zum Tod führen konnten.
Ranaghar, wie auch Dipree, erzählten rasch alles was sie wussten. Darüber hinaus gab es keine Anzeichen, dass Alak, Vorn und Ghaundan die Schuldigen waren.
Alle drei schliefen zur gleichen Zeit nichts ahnend ihren Rausch aus.

Viele Minuten verstrichen und die Sandkörner in der Sanduhr rieselten herunter, als wäre nichts geschehen. Das Gleiche wünschte sich auch Nhaundar Xarann, der einfach nicht verstand, wie der unglückliche Unfall mit dem Halbdrow passieren konnte. Eigentlich lautete doch die Abmachung, dass Dantrag Baenre den Jungen bis zum Ende der vergangenen Nacht ohne jedwede Bezahlung benutzen durfte. Davon war auch Nhaundar die ganze Zeit über ausgegangen, seit der Waffenmeister ihn schon ziemlich früh verlassen hatte. Stattdessen erfuhr der Sklavenhändler, dass Dantrag seinen Rausch in einem der Gästegemächern ausschlief und er, laut Aussage von Dipree, nicht aussah, als hätte er von der Nacht viel mitbekommen. Nhaundar konnte sich einen Reim darauf bilden, wer für diese schreckliche Tat, außer Dantrag natürlich, begangen haben könnte. Der Waffenmeister wollte Shar für sich selbst und zwar äußerst lebendig und stets bereit dem Sohn aus dem Haus Baenre Befriedigung zu verschaffen. Der eigentliche Kauf von Shar sollte in den nächsten Tagen abgewickelt werden. Das Geld spielte bei ihrer Abmachung nur eine untergeordnete Rolle. Der Preis war eh viel zu hoch angesetzt, obwohl der Vhaeraunpriester ebenso tief in den Geldbeutel gegriffen hatte. Also, was konnte der Grund für diesen Unglücksfall gewesen sein und wieso störte Nhaundar die plötzliche Abwesenheit des Halbdrow?
Trotz dröhnendem Schädel ließen ihm seine Gedanken keine Ruhe, während er kurze Zeit später nervös in seinem Arbeits- und Empfangszimmer hin und her lief. Er trug seine gewohnte Kleidung, eine dunkelrote Robe und dazu seine schwarzen Lederstiefel. Aber irgendwie störte ihn der Stoff an seiner Haut und er hätte sich die Robe am liebsten gleich wieder vom Leib gerissen. Nhaundar schwitze und der Schweiß rann ihm regelrecht von der Stirn ins Gesicht und er schimpfte laut über die bisher nicht eingetretene Wirkung des Schmerzmittels vor sich hin. Kurz hielt er inne, griff zu einem weiteren Becher mit kaltem Wasser, trank diesen in einem Zug völlig leer und fing augenblicklich wieder mit dem fahrigen Hin-und-Herr-Gerenne an.
Der Sklavenhändler dachte an den einstigen Mondelfenkrieger Handir, wie er ihn von Iymril Myt’tarlyl durch ihre gut ausgeheckten Plänen in die Finger bekam. Selbst an den schreienden Säugling erinnerte sich der Drow mit einem Mal zurück. Er sah einen verängstigten jungen Halbdrow, der für ihn Botschaften auslieferte und selbst den Jungen, wie er mit ihm zusammen das Bett teilte. Wieso hatte er Shar überhaupt erst vernachlässigt, tadelte sich Nhaundar, doch ein leises Klirren ließ ihn aufhorchen und sofort erkannte er den Grund. Der neue Liebessklave saß, wie einst Shar, in der Ecke, mit eisernem Halsband und Kette und wirkte bei dem aufgeregten Umherlaufen seines Herrn unruhig. Er veränderte kurzzeitig seine Sitzposition, blickte Nhaundar dabei jedoch nicht an. Stimmt ja, sagte sich der Dunkelelf und wirkte plötzlich leicht niedergedrückt. Nie wieder würde er die tiefblauen Augen sehen können, die piepsende Stimme des jungen Halbdrow vernehmen und ihn in den Armen halten. Der Sklavenhändler verstand sich selbst nicht und konnte es nur als Empfindung des Verlustes verbuchen. Was würde erst Dantrag Baenre beim Erwachen denken? Vermutlich wäre er noch weniger erfreut über diese Neuigkeiten als er und dass wusste er nur zu gut, doch das versuchte er geflissentlich zu ignorieren.
Plötzlich unterbrach Diprees Stimme Nhaundars Gedankengänge und verkündete, dass der Waffenmeister Zaknafein Do’Urden ihn zu sprechen verlangte. Ein wenig ärgerlich über die Störung gab der Sklavenhändler jedoch die Erlaubnis zum Eintritt und fragte sich, was der unerwartete Besuch zu bedeuten hatte.
„Seid gegrüßt“, hallten Zaks Worte sogleich in Nhaundars Ohren und er spürte, wie die Kopfschmerzen mit heftigen Pochen zurückkehrten.
„Setzt euch“, machte es der Drow kurz und tat es der eigenen Aufforderung nach und nahm auf dem bequemen Sofa Platz. Ihm gegenüber setzte sich der Waffenmeister in einen Sessel.
„Entschuldigt mich, es war eine lange Nacht für mich. Was ist eurer Begehren?“, äußerte Nhaundar und versuchte dabei seine allseits bekannte hinterlistige Miene aufs Gesicht zu zaubern.
Zaknafeins Mundwinkel zuckten gefährlich und eine Augenbraue hob sich verächtlich, während er dem Dunkelelfen zuschaute, wie dieser im gleichen Atemzug zum Geschäftlichen überging. Dann konnte der Krieger nicht anders und suchte Shar, der ihn stets mit einem herzlichen Lächeln begrüßte und ihm das nun Folgende deutlich leichter machen würde. Zaknafains Augen blickten ungläubig zu dem am Boden sitzenden Drowjungen, der ganz wie der junge Halbdrow, an dessen Stelle saß, von Nhaundar geistesabwesend gegrault wurde und aus den Augenwinkeln den Neuankömmling anstarrte. Was sollte das alles nur, fragte sich der Waffenmeister und das ungute Gefühl, das etwas gewaltig nicht mit rechten Dingen vorging, beschlich ihn immer mehr. Er konnte sich den überraschenden Schrecken der Zwillinge aus den vorangegangenen Erzählungen jetzt viel besser vorstellen, denn ihm ging es genauso.
„Nhaundar, eigentlich interessiert mich nur eines …“, begann Zak mit mehr Selbstbeherrschung zu antworten, als er sich im Stande sah. „Mein Begehren ist das Geschäft und dieses lautet ohne große Worte zu verlieren, ich möchte den Halbdrow hier und auf der Stelle für gutes Gold mein Eigen Wissen.“ Noch während er sprach, holte er die prall gefüllte Geldbörse hervor und ließ sie in die offene Handfläche fallen. „Mit 750 Goldstücken müsste ich doch einen teueren, aber doch guten Kauf erzielen, nicht wahr?“
Wenn Nhaundar in diesem Moment ein Oberflächenelf gewesen wäre, dann hätte ein jeder beobachten können, wie er erbleichte. Da der Sklavenhändler jedoch ein Dunkelelf war und somit ebenholzfarbene Haut besaß, wirkte er mit einem Mal gräulich.
Im ersten Moment dachte er, er hätte sich verhört, aber das konnte nicht sein, oder vielleicht doch? Gestern erst der Priester und heute bot der Waffenmeister des Hauses Do’Urden sogar noch einiges mehr, als nötig waren, an. Dagegen waren die 650 Goldstück von Dantrag absolut lächerlich. Schön und gut, sagte sich Nhaundar und versuchte die Fassung zu wahren. Aber was sollte er nur tun? Der Halbdrow war laut Dipree und Ranaghar nicht mehr am Leben. Das konnte, oh nein, das durfte alles nicht wahr sein. Er schien in einem schlechten Alptraum gefangen zu sein und würde hoffentlich gleich aufwachen, oder nicht? Das musste einfach die Antwort sein, er schlief friedlich im Bett und träumte einen der verrücktesten Träume, die er jemals hatte, redete sich der tückische Drow ein und schluckte mehrmals über den zweiten verpatzten Kauf des Jungen. Seine Stimmung schien gestern noch guter Hoffnung gewesen zu sein, jetzt war er zornig und fühlte sich äußerst unwohl in seiner Haut, was er gleichzeitig dem Kater zuschrieb, und er ärgerte sich maßlos und zwar über niemand anderen, als über sich selbst.
„Was ist?“, unterbrach Zaknafein den etwas seltsam wirkenden und noch dazu plötzlich krank aussehenden Nhaundar mit funkelnden Augen. Etwas musste passiert sein, sonst wäre der der Sklavenhändler augenblicklich drauf angesprungen, dass wusste der Krieger und innerlich nagte eine plötzlich aufkommende Furcht an ihm.
„Nun … ähm, ja, nun …“, begann Nhaundar zu stottern und schluckte einen Kloß im Hals herunter. „Ein … ein wirklich … sehr anständiger Preis“, stammelte er leise weiter und holte anschließend tief Luft. Er überlegte, ob er lügen sollte, aber sah darin absolut keinen Sinn. Unbeholfen und mit schwacher Stimme beendete er die Erklärung. „Es ist so … nun … wie erkläre ich es … der Halbdrow … der Halbdrow ist tot.“
Zaknafein hörte immer wieder das Wort „tot“ in seinem Kopf nachhallen und war völlig der Meinung er hätte sich verhört. Obwohl die Worte und der etwas niederschlagende Gesichtsausdruck von Nhaundar in jenem Moment die Wahrheit sprachen. Als dieser auch noch ungewöhnlich beschämt den Kopf hängen ließ wusste Zak, er hatte alles richtig verstanden. Er riss die Augen vor Bestürzung weit auf und fühlte, wie sein Herz rasend schnell in der Brust schlug. Der Puls pochte aufgewühlt und seine Eingeweide verkrampften sich im gleichen Atemzug. Zaknafein öffnete leicht den Mund und sein Atem kam heftig und stoßweise. Wie konnte dies nur passieren? Shar, der unschuldige Junge durfte nicht sein Leben ausgehaucht haben, das war einfach nicht möglich. Auch wenn Zak sich selbst manchmal bei dem Gedanken erwischt hatte, dass es für Shar vielleicht einige Male besser gewesen wäre, wenn er nicht mehr lebte, so sah es der Krieger nun aus einer völlig anderen Sicht. Er hörte die Wahrheit und doch schien er sich sicher, dass es einfach nicht die Wirklichkeit sein konnte.
„Shar tot?“, fragte Zaknafein leise mit leicht brüchiger Stimme in den Raum hinein.
„Ja“, erwiderte Nhaundar noch tonloser und hielt den Blick weiterhin auf den Boden gerichtet.
Der Waffenmeister des Hauses Do’Urden seufzte einige Male, holte dann tief Luft und sagte zu sich selbst, dass dies nicht das Letzte war, was zu diesem Thema gesagt oder getan wurde. Im Sekundenbruchteil schnellte er aus dem Sessel hoch, zog eines seiner Langschwerter und eines der Messer, das in seinem Stiefel steckte und raste zu dem sitzenden Nhaundar hinüber. Genug der Maskerade, meinte Zak und schnappte sich den überraschten Nhaundar. Er hielt ihn Fest im Griff seiner muskulösen Oberarme. Das Messer an der Kehle und das Schwert gefährlich in Richtung männliche Weichteile gedrückt. Ein undeutlich ängstliches Jammern erklang von dem Sklavenhändler.
„Nhaundar, ihr seit eine widerlich, stinkende Wanze eines ausgeschissenen Orkhaufens! Der einzige Wert den ihr Besitz und noch euer Eigen nennen könnt, ist euer erbärmliches Leben. Und in euch steckt nicht mehr Gehirn, wie in einem Stück Brot, das seit Jahren im Abgrund verschimmelt. Ihr schafft es gerade noch mit eurem Gewinsel Kreaturen des Unterreichs anzulocken, um gefressen zu werden“, machte Zaknafein seiner unbändigen Wut über diese unfassbare Nachricht Luft und ergänzte mit zittriger Stimme. „Ihr pisst euch in die Hose wie ein kleines Kind. Aber lasst euch eines gesagt sein. Kinder haben mehr Mut und Tapferkeit, als was ihr in eurem ganzen langen und sehr erbärmlichen Dasein jemals besessen habt.“
Anschließend fuhr er mit der kalten Klinge des Messers über Nhaundars Hals und ritzte nur leicht dessen Haut an. Die Wunde ließ ein dünnes Rinnsal Blut erkennen.
Nhaundar keuchte auf, anschließend jammerte er in schrillen Tönen wie ein Säugling, der die Windel voll hatte. Bewegen konnte er sich auch nicht, denn die Angst saß tief in seinen Gliedern.
Zaknafein ließ den Sklavenhändler los, spuckte angewidert auf den Boden und steckte das Messer wieder ein, aber das Schwert hielt er fest umklammert in der Hand. Er schaute sich im Raum um. An der Tür stand plötzlich ein sehr verwirrter und nervöser Drowsoldat, der ungläubig die Augen weit aufriss. Es war Yazston, wie der Waffenmeister wusste. Der wiederum kam selbst auf Geheiß von Nhaundar, der vor der Ankunft des großen Kämpfers nach ihm suchen gelassen hatte. Ein weiterer Dunkelelf tauchte unvermittelt hinter Yazstons Rücken auf. Es war Dipree. Doch Zaknafein wusste, von beiden drohte keine Gefahr und in den Augen des Leibdieners bemerkte Zak sogar eine unendliche Erleichterung und den Hauch von Zustimmung über sein derzeitiges Verhalten. Beide rührten sich aber nicht.
Yazston nicht, weil er vor dem Können des Waffenmeisters Respekt hatte und Dipree nicht, weil er es nicht wollte. Außerdem kündeten die rot glühenden Augen des Waffenmeisters von keinem Scherz, sondern von Gefahr.
In Sekundenbruchteilen hatte Zaknafein eine Entscheidung gefällt. Er steckte nun auch das Langschwert zurück in die Scheide und stieß den immer noch winselnden Nhaundar von sich. Dieser taumelte zurück und noch während dieser versuchte sein Gleichgewicht zu finden, traf ihn die rechte Faust des Waffenmeisters mit Schwung und Kraft am Unterkiefer. Ein hässliches Knacken hallte durch den Raum. Danach folgte ein schriller Schrei, ein dumpfes Knallen und der hinterliste Dunkelelf namens Nhaundar Xarann fiel mit gebrochenem Unterkiefer zu Boden und heulte vor Schmerzen auf, während er sich hin und her wälzte.
Zaknafein blickte hinunter und erkannte lediglich ein jammerndes Stück alten Fleisches und sammelte ein wenig Speichel im Mund. Dann spie er Nhaundar direkt ins Gesicht, um sein Werk zu vollenden und wand sich von ihm ab. Jedes weitere Wort war reine Vergeudung und das war bei solch einer widerlichen Kreatur auch nicht erforderlich. Mit eiligen Schritten eilte er zu dem Soldaten und dem Drowsklaven hinüber, die ihn jetzt mit offenen Mündern anstarrten, doch auch sie würdigte er keines weiteren Blickes mehr. Nie wieder in seinem Leben würde er dieses Haus betreten, es sei denn, er wollte Nhaundar doch noch töten. Aber in erster Linie brauchte er Luft und wenn es nur der stinkende Atem der Straßen von Menzoberranzan war. Einfach hier raus und dann zu den beiden Zwillingen.
Kurze Augenblicke später stand Zaknafein tatsächlich vor dem großen Eisentor vor Nhaundars Anwesen und starrte hinaus in die dunklen Gassen, auf denen bereits geschäftiges Treiben herrschte. Er wollte niemanden sehen und auch nicht von irgendjemand erkannt werden. Die aufkommende, tiefe Trauer über den kleinen Jungen namens Shar zerriss ihm fast das Herz in zwei Stücke. Diese Gefühlsregung und sein Zorn war nichts für die widerlichen Dunkelelfen dieser Stadt. Er zog sich die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht und tat anschließend wie betäubt einen Schritt nach dem anderen.
Zak wusste, dass er die Brüder unterrichten sollte, aber erstmal brauchte er Zeit für sich und seine Gedanken. So wählte er einen kleinen Umweg und verschwand unmittelbar in der Dunkelheit. Zaknafein lief langsam, aber dennoch wachsam davon und erinnerte sich an die Tage mit Shar zurück. Egal wo er hinschaute sah er vor sich das lächelnde Gesicht des jungen Halbdrow. Auch ein weinender Shar konnte er nicht aus seinen Erinnerungen vertreiben. Der Halbelf war noch jung, viel zu jung und ein so unschuldiges Wesen, sagte sich der Waffenmeister. Drizzt, sein Sohn war nur ein paar Jahre jünger als Shar. Shar hatte all dies niemals verdient. Je mehr der Krieger daran dachte, desto schneller überkam ihn das Gefühl der Trauer. Seine Augen wurden feucht, aber er kämpfte nicht dagegen an. Der Verlust musste verarbeitet werden, sonst könnte er den Zwillingen niemals die Wahrheit sagen, besonders nicht Sorn. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie es der junge Drow aufnehmen würde und allein dieser Gedanke ließ ihn langsamer werden. Er brauchte noch ein wenig mehr seine Ruhe und vor allem Zeit, um die richtigen Worte für das schreckliche Unglück zu finden. Die Nachricht war schon schlimm genug, doch vielleicht konnte sie durch sorgfältiges Überlegen wenigstens ein bisschen abgemildert werden, was die Tatsache dadurch auch nicht besser machte.
Nach einigen Minuten rannen Zaknafein die Tränen ungehemmt über die Wangen und er gab seinen Gefühlen freien Lauf. Nie wieder in seinem Leben könnte er sich an der kindlichen Art des Jungen erfreuen. Nie wieder sein Lächeln sehen. Nie wieder seinen unbedarften Worten lauschen. Nie wieder ihn über den Krieger reden hören, der er so gerne werden wollte. Nie wieder würde er ihm die Feinheiten des Kämpfens erklären können. Und was ihm am meisten schmerzte, er konnte Shar nicht mehr ein Freund und Vater sein. Die Empfindungen wurden immer stärker und der Drang nach Rache wurde stärker. Eines Tages würde für Nhaundar Xarann der Tag kommen, an dem er seinen Platz im Abgrund der Dämonennetze einnahm und vor der Spinnengöttin um seine jämmerliche, kleine Seele flehte. Aber Lolth würde ihm diesen Gefallen niemals tun. Sie würde ihn wie einen stinkenden Wurm zerquetschen und ihn dem Nichts überantworten. Ja, Zaknafein tröstete dieser Gedanke und vielleicht war er auch zum ersten Mal wirklich froh, die Hure einer Spinne im Abgrund zu wissen. Der Zeitpunkt würde kommen, früher oder später.
Der Waffenmeister ballte plötzlich eine Hand zu einer Faust und reckte sie in die Luft. Mit den Augen sah er an seinem Arm nach oben und dann sagte er laut, so dass ihn durchaus auch andere Drow hätten hören können: „Ich schwöre, bei den Göttern dieser Welt, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten der Gerechtigkeit genüge tun werde. Nhaundar, dein Leben ist verwirkt und wenn du nicht damit rechnest werde ich dein erbärmliches Leben im Rachen eines Dämons enden lassen!“
Daraufhin ließ Zak seine Faust sinken und sackte wie ein Häuflein Elend in sich zusammen. Er kniete auf dem Boden und weinte bitterlich. Es gab nur eine Hölle und die war Menzobarranzan, sagte er sich und er brauchte einige Minuten bis sich der stolze Krieger wieder einigermaßen erholt hatte. Das Glück lag auf seiner Seite und er wurde von keiner Seele gestört bis er sich von neuem erheben konnte. Das Schrecklichste, was ihm jetzt noch widerfahren könnte und er hoffte dabei inständig, dass dies niemals eintrat, war, dass man ihm Drizzt wegnehmen würde oder er sich in größter Gefahr befand. Doch soweit würde er es nicht kommen lassen. Lieber würde er sein Leben für das seines Sohnes geben und diesen Schwur gab er sich stillschweigend. Anschließend holte er tief Luft, ließ sie in einem langen Zischen aus den Lungen weichen und fühlte sich endlich so stark, den Rückweg ins Gasthaus anzutreten. Die beiden Brüder mussten endlich die Wahrheit erfahren.

Während Zaknafein Do’Urden sich seiner Trauer hingab, lag ein winselnder und jammervoller Nhaundar Xarann auf seinem Diwan und wurde von Dipree gepflegt und bewacht. Yazston hatte Ranaghar geholt, der für seinen Herrn nicht viel mehr tun konnte, als schon am heutigen morgen. Der Magier verabreichte Nhaundar zwei seiner Phiolen mit dem neuen Schmerzmittel und hatte erklärt, dass ein Priester von Nöten war. Er alleine hatte nicht die Macht, einen Kieferbruch heilen zu lassen. Nicht einmal der stärkste Heiltrank, der sich sowieso nicht in Ranaghars Besitz befand, würde ausreichen, den Sklavenhändler von den Schmerzen zu befreien.
Nhaundar befand sich nicht unbedingt in der Lage, sich wortgewaltig zu äußern und mit Handzeichen gab er gerade zu verstehen, dass Ranaghar so bald wie möglich mit dem jungen Vhaeraunpriester in Kontakt treten sollte. Zu all dem Unglück gesellte sich sogleich ein weiterer Drow, zu diesem bunt zusammen gewürfelten Haufen eines gepeinigten Sklavenhändlers, dessen Soldatenhauptmanns, Leibdieners und Hausmagiers, hinzu. Es war niemand anderen als Dantrag Baenre.
Der Waffenmeister des ersten Hauses war erst vor kurzem erwacht und durch einen Sklaven von Nhaundar unterrichtete worden, wo er sich befand und dass er die Nacht und auch fast den ganzen Vormittag hier verschlafen hatte. Leicht irritiert und mit Kopfschmerzen kämpfte sich der zweite Sohn von Yvonnel Baenre aus dem Bett und staunte noch mehr, als er sein liebstes Lustobjekt Shar nirgendwo antraf. Als sich Dantrag dann so einigermaßen erholt hatte - so gut es unter dem wohl schicklichen Schlag von Sorn Dalael eben ging – und angezogen war, und sich in der Lage sah, auf eigenen Beinen zu stehen, brachte ihn der erste Weg zu Nhaundar Xarann. Der Waffenmeister konnte gar nicht verstehen, wieso er durch den noch recht wenigen Alkoholgenuss für so lange Zeit das Bewusstsein verloren hatte. Doch er staunte nicht schlecht, als er das Bild eines klagenden Sklavenhändlers erblickte.
„Was ist mit euch geschehen? Ihr seht einer zertreten Kröte nicht unähnlich“, wollte Dantrag neugierig wissen und unterdrückte dabei ein Lächeln.
„Mein Herr…“, mischte sich Dipree ein und erntete dabei ein zustimmendes Nicken von Nhaundar und fuhr fort, „… das ist das Werk von Zaknafein Do’Urden.“
Der Waffenmeister des Hauses Baenre riss im gleichen Moment die Augen vor Unglauben weit auf und kaum dass er sich gefasst hatte, brach er in schallendes Gelächter aus. Yazston, Dipree und selbst Ranaghar konnten sich dabei ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Was … gibt es … hier … zu lachen“, nuschelte der Sklavenhändler unter Schmerzen und hielt sich den Unterkiefer.
„Man sollte sich nicht mit Zaknafein anlegen, außer man heißt Dantrag Baenre“, schleimte der Waffenmeister und seine bernsteinfarbenen Augen funkelten bedrohlich. „Doch abgesehen von eurem Leid, was mich nicht wirklich interessiert, wo ist der Halbdrow?“
Kaum das Nhaundar die Worte vernommen hatte, ergraute er schon zum zweiten Mal an diesem Tag. Das konnte alles nicht wahr sein, sagte er zu sich selbst und verdrehte herzhaft die Augen. Wenn ihm der Waffenmeister des Hauses Do’Urden schon den Unterkiefer gebrochen hatte, was würde dann erst geschehen, wenn nun Dantrag die Wahrheit erfuhr. Nhaundar begann augenblicklich am ganzen Körper zu zittern und krallte sich mit einer Hand instinktiv in das weiche Polster des Diwans. Er versuchte von irgendwoher einen Halt zu haben, doch es brachte ihm nicht im geringsten Trost ein.
„Ich habe euch eine Frage gestellt. Wo ist der Halbdrow?“, knurrte Dantrag nun ein wenig ungehaltener und verlagerte dabei sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Geduld war noch niemals eine Tugend des gefährlichen Waffenmeisters, der bereits bewusst oder auch unbewusst seine Hände an die Schwertknäufe seiner beiden magischen Waffen legte.
Yazston, Dipree und Ranaghar beobachteten die Situation genau und sie entschieden sich augenblicklich dafür, das Feld zu räumen. Immerhin betraf diese Angelegenheit nur die beiden Dunkelelfen und man konnte sich sicher sein, dass die Strafe von Zaknafein Do’Urden lediglich der Anfang war.
Der Soldat, der Leibdiener und selbst der Magier machten vorsichtig einen Schritt nach dem anderen und wichen so immer weiter nach hinten aus und kamen der Tür immer näher. Stattdessen lief Dantrag zum Diwan hinüber und zu dem ängstlich aussehenden Sklavenhändler.
„Ich wiederhole mich nur ungern und das ist jetzt das dritte Mal, Nhaundar. Wo ist der Halbdrow?“, zischte der Waffenmeister wütend und seine Augen glühten vor Zorn.
Der Drowhändler schluckte merklich und sah sein Ende schon unmittelbar vor sich. Doch er wollte wenigstens noch ein wenig Anstand wahren, denn immerhin schien er der Ansicht, dass er nicht alleine die Schuld an dem unglücklichen Vorfall trug. Er war sich seiner Sache plötzlich völlig sicher. Doch wie erzählte man einem, in allen Maßen wirklich nachtragenden Sohn des Hauses Baenre, den Verlust seines zukünftigen Liebessklaven?
„Wird es bald?“, rief nun Dantrag laut und wurde nur noch aggressiver. Mit schnellen Schritten überbrückte er den restlichen Abstand zu Nhaundar, schnellte mit einer Hand nach vorne und packte den nun wieder winselnden Sklavenhändler am Kragen. „Raus mit der Sprache!“, klang die Drohung gefährlich durch den Raum.
„Nun … nun ja …“, fing Nhaundar an zu erklären, musste jedoch innehalten, weil ihn eine erneute Schmerzenswelle übermannte und er die Zeit nutzte, die richtigen Worten zu finden. Doch augenblicklich wurde der Griff kräftiger und er beeilte sich lieber hastig seine Erklärung zu beenden. Er schluckte und dann berichtete er alles, was er selbst erst am heutigen Morgen erfahren hatte und was er bereits Zaknafein berichtete.
Kaum hatte der Sklavenhändler seine Ausführungen beendet, blickten ihn zwei, vor Zorn überschäumende Augen an und der Griff am Kragen wurde intensiver.
„Habe ich das richtig verstanden?“, fragte Dantrag mit knurrender Stimme und sein Gesicht schien sich im gleichen Moment zu einer unheilsschwangeren Fratze zu verziehen.
„So wurde es mir berichtet“, versuchte Nhaundar sich zu verteidigen und versuchte dabei die Schmerzen seiner aufgeritzten Haut und im Unterkiefer zu unterdrücken, die ihm gleichzeitig die Tränen in die Augen trieben.
„Ihr habt absolut den Verstand verloren“, gellte der Waffenmeister laut durch den Raum und ließ dabei die Ohren seiner Zuhörer klingeln. „Ihr habt nicht einmal den Verstand eines Scheißhaufens. Ich will die Leiche des Jungen sehen, habt ihr gehört! Am besten noch heute“, brüllte Dantrag und ließ von dem Sklavenhändler ab.
Nhaundar nickte ängstlich und versuchte seine drei Männer auszumachen, die sich jedoch ganz hinten an der Tür aufhielten, bereit, jederzeit die Flucht zu ergreifen. Feiglinge, schimpfte er stumm, wurde jedoch in seinem Gedankengang unterbrochen. Von einem Atemzug zum nächsten sah er plötzlich Dantrags Faust bedrohlich in die Luft über ihm kreisen und im nächsten Moment sauste sie mit Schwung auf ihn herab und auf sein Gesicht zu. Es folgte ein knackendes Geräusch, Blut troff aus Nhaundars Mund und es ertönte ein lauter, markerschütternder Schrei.
Dantrags Faust hatte soeben den Oberkiefer des Sklavenhändlers gebrochen und ließ den fast ohnmächtig werdenden Dunkelelfen unachtsam in das Polster des Sofas sinken.
„Ich komme wieder, Nhaundar. Ich will die Leiche sehen oder ihr seit des Todes!“, schrie der Waffenmeister erzürnt. Dann wand er sich um und sah mit wutentbranntem, verzerrtem Gesicht die drei staunenden Diener des Sklavenhändlers an und tat es Zaknafein gleich. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen schritt er an ihnen vorbei und eilte hinaus in den Gang. Er wollte nur noch in sein eigenes Haus zurück und in seine Gemächer. Sobald er sich von den Kopfschmerzen erholt hatte, dann würde er Nhaundar einen erneuten Besuch abstatten. Dann Gnade ihm die Götter, wenn sich denn ein Gott auf Toril die Mühe machen sollte, die flehenden Worte eines Sklavenhändlers hören zu wollen oder er würde seine Drohung Wahrheit werden lassen.
Zurück blieb ein wirklich erbärmliches Bild eines jammernden Nhaundars, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Diwan lag und die Tränen ungehemmt über dessen Gesicht lief. Wie kann mir nur so etwas passieren, fragte er sich selbst, badete in Selbstmitleid und gab sich ganz und gar der Pein hin.
Dipree verdrehte aus Verzückung über das eben Geschehene die Augen und schmunzelte in sich hinein. Ich danke dir Vhaeraun, bettete er stumm und hätte am liebsten laut aufgelacht. Doch das konnte er sich nicht leisten, so blieb ihm erst einmal nur eines zu tun. Er lief zu seinem Herrn hinüber, wobei er sich nicht wirklich beeilte und versuchte diesen ein wenig zu beruhigen. Endlich hast auch du das verdient, was dir schon viel zu lange erspart geblieben war, dachte sich Dipree und weidete sich heimlich an den Schmerzen von Nhaundar.
Yazston fühlte sich auch nicht unbedingt gewillt, seinem Herrn helfend zur Seite zu stehen. Er erinnerte sich an die drei betrunkenen Dunkelelfen von letzter Nacht und das er ihnen seine Dornenpeitsche überlassen hatte. Nun, er wusste sehr wohl, woran der Halbdrow wahrscheinlich gestorben war. Aber er gab sich keine Schuld, denn er hatte es ja so gewollt. Außerdem würde ihn sowieso niemand verraten und insgeheim schwelgte er in seiner Freude. Zum einen wegen seiner Idee mit der Peitsche und zum anderen, weil er Nhaundar leiden sah. So wand er sich einfach von dem jämmerlichen Bild eines vor Qualen leidenden Sklavenhändlers ab und tat es dem Waffenmeister Baenre gleich. Er trat in den dunklen Gang hinaus, grinste von einem Ohr zum anderen und dann führte ihn sein Weg geradewegs in die Quartiere der Soldaten. Vielleicht könnte er ja seine neuesten Informationen mit den Männern teilen und diese würde ihm wohl aufmerksam zuhören.
Ranaghar war der Letzte in der kleinen Runde, der mit sich kämpfen musste, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Er genoss es, dass er zumindest den zweiten Kieferbruch an diesem Tag miterleben durfte, wenn er schon den gut gekonnten Treffer eines Zaknafein Do’Urden verpasst hatte. Doch er wollte ja nicht unendlich schadenfroh sein, aber ein wenig Schmerzen konnten oft Wunder bewirken. Wieso sollte es bei Nhaundar anders sein. So verabschiedete sich der Magier mit den Worten, er wolle sich um weitere Schmerzmittel kümmern und auch in dieser Zeit den Priester ausfindig machen, aber er hatte keinen genauen Zeitpunkt genannt. Ein wenig Ausruhen könnte Ranaghar nur gut tun, um sich dann frisch und fröhlich von neuem an die Arbeit zu machen. Auch er trat in den dunklen Flur hinaus, ließ somit den Sklavenhändler und Dipree alleine und konnte sich danach nicht mehr in Zurückhaltung üben. Ranaghar fing lauthals an zu lachen und lief dann gemächlich zu seinen eigenen Gemächern entgegen.
Zurück blieben ein winselnder Nhaundar mit zwei Kiefernbrüchen und ein in sich fröhlich wirkender Dipree.
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