Dem Wahnsinn so nah
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Disclaimer:
I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
2. Kap. Tr?nen in der Finsternis
2. Kapitel
Tränen in der Finsternis
„Wach’ auf“, erklang wie von weitem der scharfe Befehl in der Dunkelheit von Handirs Kopf.
Ranaghar, Drowmagier und Gefolgsmann Nhaundar Xaranns beugte sich in jenem Moment über den noch leicht benommen Elfen, der auf dem kalten Felsenboden lag und sich von dem schweren Schlag von Yazstons Schwertknauf erholte. Der Magier, ein kleingewachsener Dunkelelf von recht zierlichem Körperbau, raffte seine dunkelblaue Robe zusammen, kniete sich auf dem Boden nieder und hielt eine Phiole unter die Nase des Mondelfen. Auf seiner Stirn prangte ein silbernes Diadem, welches ihm ein charismatisches Aussehen verlieh. Seine langen, weißen Haare waren streng zu einem Zopf zusammengebunden und dieser fiel ihm über den Rücken.
Ranaghar war ein Zauberkundiger, doch auch gleichzeitig nur ein weiterer Sklave im Haushalt des skrupellosen Nhaundar, ein Sklavenhändler, der sich bereits vor Jahrhunderten die Stadt der Spinnenkönigin Menzoberranzan als Domizil erwählte. Zu Nhaundars Besitz zählten vor allem exotische Waren. Drow, Elf, Mensch oder sogar einige andere Rassen von überwiegend männlichem Geschlechts. Aber auch Gegenstände wie magisches Geschmeide und Waffen, die das Leben erleichterten sowie auch der Dunkelelf Ranaghar. Der Magier stammte aus der Stadt Llurth Dreir, eine verfluchte Stadt im mittleren Unterreich des großen Bhaerynden im Süden Faerûns und er war vor vielen Jahren ein Glücksgriff für Nhaundar gewesen. Der Zauberer befand sich damals auf der Flucht, wie Handir in dieser Nacht. Der Unterschied zwischen Ranaghar und dem Mondelfen bestand darin, der Magier wurde von den Meistern der Akademie aus Llurth Dreir gesucht und fand in den Armen des Sklavenhändlers Unterschlupf. Seit mehr als einem Jahrhundert war Ranaghar eine Bereicherung für Nhaundar. Der Zauberkundige liebte es zu experimentieren und noch mehr wertschätzte er Versuche an lebenden Kreaturen. Er schreckte auch nicht von dem eigenen Volk zurück. Ein leichter Anflug von Wahnsinn könnte es besser beschreiben. Das hatte ihn seine Stelle als Lehrmeister in der Akademie gekostet und ohne die gelungene Flucht höchstwahrscheinlich auch das Leben. Würdiger Ersatz bot ihm der Sklavenhändler aus der Stadt der Spinnekönigin an. Einer Gemeinschaftsarbeit stand seither nichts mehr im Wege. Doch nicht als freier Dunkelelf, sondern er fristete sein Dasein als Sklave im Haushalt von Nhaundar, wie so manch anderer. Ihm standen auf Grund seines Wissens und Status einige Freiheiten zu, die auch die Soldaten des Händlers genossen, aber mit der deutlichen Auszeichnung eines Halsbandes. Genau dieses eiserne Halsband wurde Ranaghar in jenem Moment zum Verhängnis, als der Sklavenhändler nervös daran zog.
„Beeil’ dich endlich, ich will zurück in die Stadt. Die Stadtwachen werden bald abgelöst und ich will nicht, dass man uns sieht“, zischte Nhaundar hastig.
„Ja, mein Herr“, antwortete ihm Ranaghar leise und versuchte dabei ein Husten zu unterdrücken, das die grobe Geste von Nhaundar in seiner Kehle ausgelöst hatte. So oft schon hatte der Zauberkundige überlegt wie er auf dem besten Weg fliehen konnte, aber nichts schien seinem Zweck zu dienen. Wenn er die Flucht antrat, dann unter der Voraussetzung er müsse sich weit entfernen - am besten auf die Oberfläche, eine Welt in der er nicht leben wollte - um den Klauen Nhaundars und dessen Verbündeten zu entgehen. Auf der anderen Seite hatte er im Haushalt des Sklavenhändlers ein recht angenehmes Dasein, wenn auch manchmal die Behandlungsmethoden grob wirkten. Er genoss große Handlungsfreiheit, solange er das tat, was von ihm verlangt wurde. Ansonsten konnte er sich zurückziehen und hier und da für Nhaundar einen Auftrag erledigen.
„Er wird wach, mein Herr“, antwortete nun Ranaghar und seufzte erleichtert auf, dass er sich bald wieder ausruhen und er seine Pause für Meditation und Studien widmen konnte.
Handir hörte die Worte, doch ihm war noch nicht bewusst, was sie zu bedeuten hatten. Durch seine Ohnmacht, die der Knauf des Schwertes seines Gegners bei ihm auslöste und ihn letztendlich damit niederstreckte, war er in dem Glauben, er wäre tot. Aber Tote hören nicht diese ekelhafte Stimme dieses Dunkelelfen und seiner Kumpanen, dachte der Elf. Genauso wenig schnuppern sie den grauenhaften Gestank von Riechsalz und bei diesem Gedanken kehrten augenblicklich seine Sinne zurück. Handir öffnete die Augenlider und sah über sich gebeugt den Drowmagier, der ihn neugierig mit seinen rotfunkelenden Augen betrachtete.
„Los, steh auf“, gab der Dunkelelf Handir den Befehl und erhob sich vom harten Boden. Die Phiole mit dem Riechsalz ließ er in seiner dunkelblauen Robe elegant verschwinden. Ranaghar wollte sich zurückziehen und brachte mit einem Schmunzeln seine Vorfreude zum Ausdruck, dass er bald seine Ruhe genießen konnte. Wahnsinnig eben.
Durch einen nebelhaften Schleier versuchte sich Handir in jenem Augenblick an das zu erinnern, was zuvor geschehen war. Sein Kopf dröhnte und er fühlte sich wie zertreten. Noch etwas mitgenommen raffte er sich langsam vom Boden auf und dann erschrak Handir. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken, doch nur einer nahm plötzlich vollkommen von ihm Besitz, Shar. Wo war sein Sohn? Verwirrt und aufgeregt blickte er sich um, erkannte aber im gleichen Moment, dass sie sich an einem anderen Ort befanden. Doch nur wo? Ängstlich sah er sich weiter um, konnte aber das kleine Bündel mit dem Säugling nicht ausmachen. Die Panik wollte sich schon seiner bemächtigen, da durchdrang ein Weinen die Dunkelheit, die sich um die Gruppe gelegt hatte. Handir wand sich dem Jammern zu und erspähte nur zwei Meter entfernt einen Drowsoldaten, der ein kleines Knäuel Stoff lässig unter dem Arm festhielt. Da war sein Sohn. Eilig versuchte der Mondelf hinüber zu gelangen, doch ein dumpfer Schlag einer Hand auf die linke Schulter ließ ihn stocken, er blieb stehen und blickte sich um.
„Lasst mich in Ruhe“, rief Handir Nhaundar zornig zu und versuchte erneut zu seinem Sohn zu gelangen, doch die Hand blieb liegen.
„Nicht so voreilig. Wir sind noch nicht Zuhause“, meinte Nhaundar ruhig und grinste breit von einem Ohr zum anderen, so dass dessen Zähne weiß aufleuchteten.
„Gebt mir meinen Sohn“, flehte der Elf jäh und realisierte die Antwort und dessen Bedeutung des Dunkelelfen vor ihm nicht. Handir wollte in jenem Moment einzig und allein zu seinem Kind. Für ihn zählte nur noch Shar.
„Er ist nicht mehr eurer Sohn, Elf. Ihr habt verloren, doch nicht euer Leben, höchstens die Freiheit und das Kind. Mein Hübscher, ihr beide gehört nun mir“, lachte Nhaundar hämisch und gab flüchtig einem der umherstehenden Dunkelelfen ein Handzeichen.
Handir konnte nicht rechtzeitig handeln und sah sich im nächsten Atemzug in Fesseln. Von hinten wurde ihm ein Knebel in den Mund, sowie ein eisernes Halsband um die Kehle gelegt, während ihm jemand anderer die Hände auf den Rücken band. Der ehemalige Elfenkrieger versuchte sich zu wehren, doch aussichtslos.
Als Handir weder sprechen, noch sich großartig bewegen konnte um eine Flucht anzutreten, wand sich der schmierige Drow namens Nhaundar erneut an ihn. „Willkommen im Haushalt des Sklavenhändlers Nhaundar Xarann“, fing der Dunkelelf lässig an zu erklären und zeigte bei dem eigenen Namen mit einem Finger auf sich selbst. „Iymril hat mir einen guten Kämpfer versprochen, den scheine ich auch tatsächlich bekommen zu haben. Großartig, findet Ihr nicht auch, Elf von der Oberfläche?“
Handir schaute Nhaundar mit hasserfüllten blauen Augen entgegen und versuchte laut zu schreien. Doch der Knebel im Mund erstickte jeden Laut und durch die Handfesseln im Rücken, die von einem Soldaten festgehalten wurden, konnte er sich nicht auf den hinterhältigen Dunkelelfen stürzen. Shar darf nichts geschehen. Das wird Iymril bereuen, sie wird dafür sterben, schoss es Handir im gleichen Moment durch den Kopf. Er tobte weiter, aber nichts half um sich zu befreien.
„Wenn wir beide uns erst einmal aneinander gewöhnt haben werden wir eine Menge Spaß zusammen verbringen. Iymril hat mir, wie immer, nicht zu wenig versprochen. Deine Flausen werde ich dir auch noch austreiben. Das zusätzliche Geschenk wäre aber nicht nötig gewesen.“ Die Stimme des Sklavenhändlers troff dabei vor Spott und er schmunzelte bei jedem Wort fröhlich vor sich hin.
„Niemals!“, schrie Handir innerlich vor Wut und versuchte sich erneut zu befreien. Doch es war hoffnungslos. Der Dunkelelf hielt ihn von hinten fest in seinem Griff. Dann wanderte Handirs Blick hinüber zu dem Soldaten, der Shar immer noch unter dem Arm trug. Der Säugling weinte leise, doch niemand schenkte ihm Beachtung. Nhaundar folgte dem Blick und ein listiges Grinsen huschte über die Züge des Sklavenhändlers.
„Ich betrachte dieses Ding hier …“, säuselte der Drow in Handirs Ohr, als er sich zu ihm hinüberbeugte und mit dem Finger auf Shar zeigte, „… als kleine Zugabe. Meine Soldaten brauchen hin und wieder ein neues Spielzeug“. Danach lachte Nhaundar markerschütternd und wandte sich zum Gehen ab.
Handir schossen im gleichen Atemzug Tränen in die Augen. Er war gefangen, hilflos und zurzeit bestand keine Möglichkeit aus dieser verzwickten Lage zu entkommen. Was ihn jedoch am meisten traf, war die Tatsache, was Nhaundar soeben über seinen paar Stunden alten Sohn sagte und es höchstwahrscheinlich auch so meinte. Chalithra, es tut mir so leid, betete er für sich selbst, ich hoffe, du kannst mein Versagen irgendwann verzeihen. Niemals wollte ich es soweit kommen lassen, ich liebe dich über alles. Mitten in seiner aufkommenden Verzweiflung wurde plötzlich kräftig an seinen Armfesseln gezogen und ein Schubs nach vorne brachte den Elfen in Schwung. Sie machten sich auf den Weg, wohin dieser ihn und seinen Sohn auch bringen sollte.
Die Gruppe von Soldaten, dem Magier, Handir und dem Sklavenhändler wanderte auf kleinen Pfaden und Umwegen durch das nahe gelegene und wilde Unterreich rund um die Stadt der Spinnenkönigin - Menzoberranzan. Eine kleine, hell erleuchtete magische Fackel, die Ranaghar bereits in Eryndlyn in Händen hielt, zeigte kurzzeitig den Pfad, der direkt in die Stadt führte, was Handir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Die Fackel diente nur zu einem Zweck, als Erkennungszeichen für die bestochenen Stadtwachen, die den Sklavenhändler und sein Gefolge unbehelligt durchlassen sollten ohne Fragen zu stellen. Als sie die Wachen von Westen her passierten, beäugten diese neugierig die kleine Gruppe, wandten aber sofort ihren Blick ab um nicht mehr zu erfahren, was ihrem Leben hätte schaden können. Dann führte der Weg weiter nach unten, in eine große Höhle, die die Stadt der Spinnenkönigin in all seiner Herrlichkeit beherbergte.
Von weitem thronte das riesige Anwesen des Hauses Baenre über der Stadt, das auf dem Hochplateau Qu’ellarz’orl im südlichen Ende der Kaverne lag. Weitere, großartig angelegte Gebäude erstreckten sich von dieser Anhöhe nach unten. In der Mitte der Höhle, fast zentral gelegen, konnte Handir eine gewaltige Säule erkennen, die senkrecht nach oben in Richtung Höhlendecke reichte. Es handelte sich hierbei um Narbondel, eine sehr kräftige Steinsäule. Ein sanftes Glühen stieg bedächtig nach oben und der Elf nahm an, dass es sich bereits wie in Eryndlyn um eine Art Uhr handelte. Da die Sonne niemals diesen Flecken Fels bescheinen würde, eine sinnvolle Einrichtung sich an einen gewissen Tag- und Nachtrhythmus zu erinnern. Mit Schrecken musste aber Handir feststellen, dass sich beide Städte in der Helligkeit der Feenfeuer ein wenig ähnelten. Vielleicht lag es aber auch nur am Schein der fluorizierenden Häuser und Burgen, die ganz anders wie in Eryndlyn nur Boshaftigkeit und Argwohn ausstrahlten. Alles wirkte auf ihn düsterer und abweisend. Je weiter der Mondelf beim rastlosen Hetzen vom Westwall herunter seinen Blick schweifen ließ, desto mehr konnte er erkennen. Die Nacht des Unterreiches stellte schon seit Jahren kein Problem mehr für ihn da. Im Norden erkannte er in den Augenwinkeln eine kleine, etwas abseits gelegene Seitenkaverne. Eine riesige Treppe führte nach oben und dort thronten drei Gebäude. Hierbei handelte es sich um Tier Breche, das stolze Akademiegelände von Menzoberranzan, wo der Turm Sorcere für arkane Magie, Arach-Tinilith die Schule für göttliche Magie und Melee-Magthere für die Krieger untergebracht waren. Wenn er sich weiter umschaute, erkannte er im Osten, im hintersten Teil der Stadt einen großen See mit einer kleinen Insel in der Mitte. Rundherum wuchsen riesige Pilzwälder aus dem Boden und ähnelten ein wenig den Bäumen von Eryndlyn, nur das diese nicht von alleine fluorzierten. Von seiner geliebten Frau Chalithra wusste er von den Eigenschaften der Magie, die jedem Drow eigen war und wie sie es anstellten, ein Feenfeuer zu erschaffen und somit Dinge zum Leuchten brachten. Das ist in Eryndlyn nicht anders, wie hier, wo immer ich mich auch befinde, sagte sich Handir niedergedrückt und seufzte unter seinem Knebel. Doch seine tiefblauen Augen musterten beim Gehen weiter die Umgebung. Sie liefen einige breite Straßen entlang und je tiefer sie ins Innere von Menzoberranzan vordrangen, desto prächtiger wurden die Gebäude. Die Häuser der niedrigen Adligen strahlten eine ruhige, aber auch gefährliche Bedrohung aus. Auch hier glühte der Stein im Schein des Feenfeuers und erhellte die Dunkelheit.
Doch Handir hatte keine Zeit groß darüber nachzudenken welche Unterschiede beide Unterreichstädte besaßen, denn der Soldat in seinem Rücken drängte ihn beständig zur Eile an. Ab und zu konnte der Mondelf wenigsten einen kurzen Blick auf seinen Sohn erhaschen, der achtlos von dem Krieger getragen wurde. Handir seufzte abermals und konnte sich doch nicht äußern. Alles schien so fremd und unwirklich, aber genauso war er hier und jetzt in der Realität gefangen und sein Leben änderte sich zum zweiten Mal innerhalb der letzten Jahre. Ihr Weg führte sie weiter durch die Stadt und über einen großen Basar. Nachts schien er wie ausgestorben, doch hier und da huschten Gestalten durch die Finsternis und sie achteten sorgsam darauf, im Schatten zu bleiben. Es wirkte alles so elend und heruntergekommenen. Der Gestank der Straße stieg Handir in die Nase. Denn wie der Elf erkannte, handelte sich bei diesem Viertel um einen Teil für die Armen und vor allem für die Sklaven und Bürgerliche, fast so wie in Eryndlyn und jeder anderen Stadt in Toril, ob Unterreich oder Oberfläche. Als sie den Basar passiert hatten, wurden die Häuser wieder größer und prachtvoller. Es waren keine Adelshäuser, dafür aber Gebäude von reicheren Drow, das konnte der Mondelfenkrieger erkennen. Sie wirkten kleiner, aber nicht weniger ansehnlich und sendeten ihr sanftes Glimmen hinaus in die Finsternis der großen Höhle. Nhaundar und sein Gefolge kamen zusammen mit seinem neusten Sklaven im Stadtteil Duthcloim an, sein Wirkungsbereich. Ein Distrikt von Menzoberranzan, wo neben wichtigen Händler aller Völker auch gewöhnliche Dunkelelfen mit einer Menge Geld oder einflussreichen Bekanntschaften ihr zu Hause nannten. Dann hielt die Gruppe abrupt an und vor sich erkannte Handir ein Anwesen, das wie viele andere hell erleuchtet vor ihm aufragte. Ein großes Tor aus Eisen hielt den Trubel der Straße ab, während links und rechts steinerne Mauern den Rest des Hauses umgaben, ganz anders wie viele andere Gebäude, die durch einen spinnenartigen Zaun abgegrenzt wurden. Das Tor wurde geöffnet und Nhaundar Xarann und seine Männer betraten einen großen Innenhof. Direkt vor dem Mondelfen erstreckte sich ein großes Gebäude, das aus zwei Etagen bestand und das, wie bereits das Anwesen selbst, von einem Eisentor verschlossen schien. Links und Rechts von sich erkannte er mehrere kleinere Gebäude. Einen Stall, Pferche für Sklaven und Soldatenquartiere, welche die Kämpfer auf den ersten Blick verrieten, die sich lässig draußen vor den Gebäuden aufhielten. Ein separates Haus mit Schornstein und einem offnen Eingang gab einen Einblick in die Küche. Große, gusseiserne Kochtöpfe, mit einem Umfang, den nur zwei Dunkelelfen gemeinsam schaffen konnten, standen bereits teils dampfend oder auch leer und schmutzig davor. Handir konnte sich nicht weiter umschauen, schon wurde er bereits erneut von hinten gedrängt weiter zu gehen. Der restliche Weg über den Hof führte ihn letztendlich ins Innere des größten Gebäudes, das den Hauptteil des Anwesens von Nhaundar Xarann darstellte. In den Fluren waren hier und dort Fackeln an den Wänden angebracht und schienen hell in der Dunkelheit. Eine große Treppe aus Stein führte in die erste Etage und gleichzeitig hinauf zu Nhaundars Privatgemächern.
Was Handir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste waren ganz einfache Gegebenheiten. Der Sklavenhändler verdiente sich seinen Unterhalt nicht nur durch den Handel mit Sklaven aller Art, sondern auch mit dem Geschäft der Liebe. In der unteren Etage waren Zimmer untergebracht, die zum größten Teil nur zu einem Zweck dienten, Kunden, die ihre Bettgefährten nicht mit nach Hause nehmen wollten oder konnten, die Möglichkeit zu bieten ihrem Vergnügen im Bett nachzukommen. Hauptsächlich männliche Kundschaft, die sich für das gleiche Geschlecht interessierte. Im hinteren Teil lagen karge Kammern für die restlichen Sklaven, die als Lustsklaven, Bedienstete und sonstigen Zwecken im Haupthaus lebten. Im oberen Stockwerk gab es ebenfalls viele Zimmer, hauptsächlich die Privatgemächer des Sklavenhändlers selbst. Genauso wie Badezimmer für die Liebessklaven und Räume für wichtige Gäste.
Handir folgte immer noch niedergedrückt Nhaundar in das oberste Stockwerk und verschwand zusammen mit ihm, dem Magier Ranaghar, Yazston und dem Bündel mit dem kleinen Säugling in den Gemächern des Sklavenhändlers.
„Wirst du wohl stehen bleiben“, halten die strengen Worte eines Drow nur fünf Jahre später über den Innenhof von Nhaundar Xaranns Anwesen. „Wir wollen doch nur mit dir spielen.“
Yazston und sein Kumpan Welvrin folgten einem kleinen Wesen, das zickzackartig über den Hof huschte und dabei flink wie ein Wiesel, zwanzig Meter zu überbrücken versuchte die nötig waren, um vom Hauptgebäude bis zur Küche zu gelangen.
Dieses kleine Geschöpf, mit leicht gräulich-heller Haut, schulterlangen weißen Haaren und tiefblauen Augen, das bei seiner übereilten Flucht auf den Boden starrte, war niemand anderer als Shar, der fünfjährige Halbdrow und Sohn von Handir und Chalithra.
Wieder war es einmal so weit, der Spiesrutenlauf durch den Innenhof begann, wenn der kleine Junge wie jeden Tag aufs Neue dazu eingespannt wurde, frisches Wasser von der Küche ins Hauptgebäude zu schleppen. Keine leichte Aufgabe für einen Fünfjähren, der kaum sich selbst auf den Beinen halten konnte. Stets hatten es die Soldaten auf den Kleinen abgesehen, einfach aus reinem Vergnügen um ihn zu Ärgern und zu Schikanieren. Besonders der Hauptmann Yazston genoss es jedes Mal den Halbdrow zu foppen. Die Schmach im Kampf gegen Handir in Eryndlyn hatte der Dunkelelf niemals vergessen, laut seiner Ansicht eine infame Niederlage, war er doch einst ein Meister der Akademie. Er wollte sich revanchieren und wenn es nur in seinen Augen an dem wertlosen Sohn war. Für Yazston zählte bei diesem Zeitvertreib die Tatsache, dass der Halbdrow es sich gefallen lassen musste und niemand ihn aufhielt. Shar war für viele der Männer hier lediglich das Ergebnis einer geschmacklosen Zusammenkunft eines Elfen und einer Dunkelelfe. In Menzoberranzan eine Abstammung, die nicht akzeptiert wurde.
Von Yazston erklang soeben ein amüsiertes Lachen im Rücken von Shar und trieb ihn gleich noch schneller an. Für den Soldaten Welvrin, ein Freund des Kommandanten, ebenfalls eine kleine Zerstreuung und dieser folgte dem Hauptkommandant auf dem Fuß.
Shar hatte schreckliche Angst. Jedes Mal wenn sie ihn zu fassen bekamen schubsten ihn die Krieger hin und her und lachten ihn aus. Ein Lachen, dass sich fest in seine noch so kleine und unschuldige Seele fraß, doch wogegen niemand etwas unternahm, warum auch, der junge Halbdrow war ein Unfreier. Selbst die anderen hier lebenden Sklaven, meist selbst Dunkelelfen, hin und wieder auch Oberflächenelfen oder Menschen hatten mit dem eigenen Schicksal zu kämpfen. Einzig und alleine sein Vater Handir hatte seinem Jungen erklärt, dass er nicht darauf hören sollte was andere zu ihm sagten. Aber wie erklärte man einem Fünfjährigen, der nichts bis auf das Anwesen, die Sklaven, die Soldaten und Spott kannte, es sich nicht zu Herzen zu nehmen. Shars Welt war klein und würde wohl wahrscheinlich auch niemals größer werden bis auf das Haus eines Nhaundar Xaranns. Erschwerend kam Handirs Situation hinzu. Als teuerstes Lustobjekt gehörte er zu den Schätzen des Sklavenhändlers, der in jeder freien Minute ein wachsames Auge auf den Mondelfen hatte. Meist mit einem eisernen Sklavenhalsband an einem Wandhacken in Nhaundars Privatgemächern angekettet, gab es für Handir kein Entkommen, nur die Enge der Gemächer. Er diente auch anderen Drow als Lustsklave und der Sklavenhändler verdiente zusätzlich Geld, wenn er Handir einigen hochbetuchten Adeligen Männern mitgab. Manchmal liebte es Nhaundar aber auch, wenn er Schaukämpfe im Innenhof organisierte und den Mondelfenkrieger gegen einen Dunkelelfen kämpfen ließ. Gelegenheiten, bei denen auch Shar seinen Vater sah und bewunderte. Der kleine Halbdrow wusste ja nicht, dass die Waffen stumpf oder die Kämpfe zuvor abgesprochen wurden, um für den Sklavenhändler das meiste Gold herauszuschlagen. Für Shar zählte in jenen Momenten nur Handir, der als Sieger hervor ging und selbst vor seinem Sohn die Wahrheit nicht aussprach.
Gelegenheiten, wo sich Vater und Sohn alleine sehen konnten und sich heimlich in den Armen lagen, bestanden aus kurzen Momenten, manchmal mit Glück auch einer Stunde. Dann gab es Zeiten, da lagen Tage und Wochen dazwischen und der junge Halbdrow war alleine mit sich und seinen Problemen. Für Handir eine Erleichterung und Qual zu gleichen Teilen, wenn er nicht wusste, wie es Shar erging. Es gab nur eine Person im Haushalt des Sklavenhändlers, die so etwas wie Herz bewies. Dabei handelte es sich um Dipree. Ein bereits älterer Dunkelelf mit einer breiten Narbe über dem ganzen Gesicht. Niemand kannte sein genaues Alter. Er diente Nhaundar bereits seit Jahrhunderten als Leibdiener, Verwalter und kümmerte sich um die Belange im gesamten Haushalt. Natürlich trug er ebenfalls wie fast alle der hier Lebenden ein eisernes Sklavenhalsband und die Freiheit schien für immer verloren, doch er hatte sich verdient gemacht und konnte ein recht ansehnliches Leben führen. Dipree fand sich mit seinem Schicksal ab, aber nicht mit der Ungerechtigkeit, wie Vater und Sohn so grausam entzwei gerissen wurden. Er war es, der Handir und Shar die Möglichkeiten verschaffte sich zu sehen, wenn der Herr nicht im Haus weilte oder mit Dingen beschäftigt schien, die ihn ganz und gar einnahmen. Jedoch heimlich und ohne das Wissen eines Dritten. Dann kam Dipree und verlangte, dass Shar in den Privatgemächern nach leeren Wasserkrügen schauen sollte und die Möglichkeit bekam seinen Vater zu sehen, der meist angekettet in einer Ecke saß und vor sich hin grübelte. Ein Bild, das der junge Halbdrow so und nicht anders kannte, es schien normal zu sein. Nicht immer, dafür immer öfters. Seine Gründe für diese Tat ließ der Leibdiener jedoch ungewiss und erzählte selbst nicht einmal dem Mondelfen davon. Des Weiteren war es auch Dipree, der dem Jungen seine Aufgaben zuwies und von denen er wusste, dass der Kleine sie bewerkstelligen konnte. Shar erledigte Kleinigkeiten wie Wassereimer schleppen und Wasserkrüge auffüllen, dreckiges Essgeschirr einzusammeln und abzuspülen, den Müll zu entsorgen oder den Boden im Haupthaus zu putzen. Einfachere Aufgaben für einen Halbdrow, der selbst unter den Sklaven kein großes Ansehen genoss. Er war ein Kind und damit nicht genug, sondern in den Augen aller, wertlos. Der Sklavenhändler Nhaundar ahnte von alledem nichts, er hatte schlichtweg den Jungen nach der Ankunft und Weitergabe an Dipree vergessen.
„Bleib endlich stehen“, ertönte der laute Ruf Yazstons hinter Shars Rücken, der ihn augenblicklich schneller werden ließ. Er musste versuchen sich in Sicherheit zu bringen, sonst würden die beiden Soldaten ihn wieder einfangen und wie eine Marionette über den Hof werfen. Da tauchte vor ihm plötzlich ein Versteck auf, ein gusseiserner Kochkopf, mindestens drei Köpfe größer als Shar und riesenhaft in den Augen des Jungen. Er wollte einfach nur aus der Reichweite von Yazston, der ihn nicht in Ruhe lassen konnte. So rannte Shar auf nackten Füßchen weiter auf den leeren Kochtopf zu, schielte kurz über seine Schultern und beobachtete, dass die beiden Krieger langsamer geworden waren und nun gingen.
Jetzt war ich schneller als sie, dachte Shar und atmete erleichtert aus. Doch die Gefahr war noch nicht gebannt, er brauchte ein Versteck. Der junge Halbdrow beäugte neugierig den großen Kessel auf dem Boden und entdeckte daneben einige kleinere Töpfe, die von der Köchin Taszika zum Trocken vor die Küche in den Innenhof gestellt wurden. Er überlegte nicht lange, nahm sich den ersten, der ihm in die kleinen Finger kam und drehte ihn mit etwas Anstrengung so, dass er sich mit einem seiner nackten Füße darauf stellen konnte. Da merkte Shar, dass er dadurch größer wurde und der Rand des Topfes näher rückte. Ein Lächeln huschte ihm über das von Dreck verschmierte Gesicht und er stieg ab. Eilig suchte er den Boden ab und nahm zwei weitere kleine Töpfe und stapelte sie gefährlich übereinander. Aber durch sein leichtes Körpergewicht schien es jedoch kein Problem, dass die Konstruktion, die Shar aufgestellt hatte, stehen blieb. Er kletterte ungestüm hinauf und blickte aufgeregt in ein dunkles Loch, ins Innere eines leeren, großen Kochtopfs. Doch plötzlich hörte er erneut das hämische Lachen der beiden Dunkelelfen und erschrocken fuhr er herum und erspähte die Soldaten, die hinter ihm standen. Sein Herz klopfte wild und die Angst kroch in seine Glieder. Im gleichen Moment verlor Shar den Halt und stürzte Hals über Kopf in den Kessel hinein. Mit einem dumpfen Schlag landete er im Inneren und blieb für wenige Sekunden regungslos liegen. Der Schreck saß tief.
Der junge Halbdrow kniff die Augen zusammen, einmal wegen des Schmerzes, der soeben durch seinen Kopf raste und auf der anderen Seite, weil er schrecklich erschauderte. Shar hatte sich am Hinterkopf eine Beule zugezogen. Sein Herz klopfte vor Aufregung nun heftiger in der kleinen Brust. Als der Junge sich einigermaßen wieder beruhigte, öffnete er die tiefblauen Augen und schaute nach oben, vom Inneren nach Außen. Zwei rot glühende Augenpaare beäugten ihn interessiert und starrten auf ihn herab.
„Schau dir mal an, was wir hier haben“, erzählte Yazston in einem selbstgefälligen Plauderton zu Welvrin, der dabei ein Grinsen nicht unterdrücken konnte.
„Es scheint ganz so, als hätten wir Halbdrow im Kochtopf.“
Bei den letzten Worten brachen die beiden Soldaten in schallendes Gelächter aus.
„Ich glaube aber kaum, dass man Halbdrow am Stück genießen kann. Vielleicht ist er zäh oder giftig“, erwiderte nun Yazston, wobei er Shar mit funkelten Augen angrinste.
„Hier nimm’ diese Pilze dazu, dass gibt dem Ganzen mehr Würze“, meinte Welvrin tückisch schmunzelnd hinterher, klaubte einige Pilzabfälle vom Boden auf und warf diese unachtsam in den Kessel.
Diese landeten auf dem Kopf von Shar, der erschrocken zusammenfuhr. Doch er war geistesgegenwärtig genug, sammelte die kleinen Stückchen sofort auf und warf sie zurück aus dem Topf, wo sie wieder auf dem Boden lagen.
„Mich kann man nicht essen“, kam die piepsige Antwort von Shar aus dem Kochtopf, der es gewagt hatte, den beiden Männern zu antworten, obwohl ihm das Sprechen nur dann erlaubt war, wenn man es ihm ausdrücklich auftrug.
„Habe ich eben etwas gehört?“, fragte Yazston in einer hinterhältigen Unschuldsmine.
„Mir war ganz so, als hörte ich ebenfalls etwas“, antwortete Welvrin und musste über den Mut des Jungen lachen, der es wagte die Abfälle wieder heraus zuwerfen und eine Antwort zu geben.
Bei ihrem Gespräch, dass sie mit dem Mund führten, gaben sich beide jedoch heimlich Anweisungen in der Zeichensprache der Drow, dass der Kleine für den heutigen Tag zu frech gewesen war und eine Lektion brauchte. Während sie munter darauf los plauderten, nahm ein Plan Form an.
Shar, der von dem Ganzen im tiefen Inneren des großes Kessels nichts mitbekommen hatte, nicht einmal die komplizierten Gesten der Zeichensprache kannte, fühlte sich dafür um so stärker, dass sie ihm hier nichts antun konnten, er hatte ein Versteck gefunden. Ich werde es euch schon zeigen, dass auch ich so groß und stark wie mein Vater bin, sagte sich der Kleine und sein Mut stieg.
„Ihr könnt mich hier nicht holen, das ist mein Versteck“, wehrte sich nun Shar erneut in seinem kindlichen Verhalten. Musterte dabei doch etwas ängstlich seine zwei Verfolger, die immer noch bedrohlich über ihn thronten und unheilsvoll anstarrten. Mein Vater ist ein Kämpfer und ich werde auch ein großer Krieger, ihr könnt mir nichts tun, dachte sich der Junge stolz.
„Ein Versteck also“, flüsterte Yazston mit einem gemeinen Grinsen im Gesicht, „dann wird es dir bestimmt auch nichts ausmachen, wenn du dein Versteck genießt, du kleine Ratte.“
Im gleichen Moment als der Hauptkommandant der Drowsoldaten seine Worte ausgesprochen hatte, hielt Welvrin einen großen gusseisernen Deckel in der Hand und stülpte diesen über die Öffnung.
Um Shar herum wurde es augenblicklich stockfinster und jeder Hall wurde durch eine undurchdringliche Stille abgehalten. Der Jungen war gefangen.
„Nein!“, rief der junge Halbdrow plötzlich aufgeregt und verstand nicht, wieso es düster wurde.
Im Inneren hörte er, wie der Deckel laut aufschlug und der Ton drang in seine empfindliche Ohren, sowie seine eigene Stimme, die als Echo zurückprallte. Shar bedeckte eilig seine schmerzenden Ohren und krümmte sich zusammen. Was ist nur passiert, fragte sich der Junge ängstlich. Sie sollten mich doch hier in Ruhe lassen, dass ist mein Versteck.
Im Hof standen die beiden Krieger Yazston und Welvrin vorne übergebeugt über dem Kessel und versuchten, den Deckel sicher mit einem Seil fest zu zurren. Ein wohlgefälliges Schmunzeln huschte über ihre Gesichter und dann nahmen sie den relativ schweren Kochtopf und legte ihn zur Seite. Sie holten Schwung und fingen an, den Kessel, samt Shar langsam zu rollen.
Ein erstickter Schrei erklang, als der Junge im Inneren merkte, dass etwas nicht stimmte. Er versuchte sich aufzuraffen, was ihm mit wackeligen Beinen auch gelang, danach fiel er wieder auf den tiefen Boden und verlor ganz und gar seinen Gleichgewichtssinn. Sein Schlupfwinkel bewegte sich nun schneller und plötzlich schlug er mit Kopf und Körper beständig gegen die eisernen Wände des Topfes.
„Hilfe“, rief Shar aus Leibeskräften, doch sein Ruf schmerzte nur erneut in seinen Ohren. Von Außen drang ein Donnern herein, das von dem Rollen auf dem Boden stammte und ängstigte ihn gleich zusätzlich. Der junge Halbdrow hörte hastig auf zu schreien und musste mit der aufkommenden Furcht, völlig orientierungslos und in einer undurchdringlichen Finsternis zu Recht zu kommen. Ich will hier wieder heraus, flehte der Junge stumm, blieb aber wehrlos im Inneren gefangen. Nun flossen Tränen der Hilflosigkeit über seine Wangen, während sein dünner Körper immer wieder hart gegen die gusseisernen Innenwände prallte.
„Habt ihr Männer den Verstand verloren“, drang eine barsche Stimme über den Hof und meinte damit die beiden Kämpfer, die wie zwei kleine Kinder mit dem geschlossenen Kessel spielten. Abrupt hielten sie inne und schauten über ihre Schultern. Eine hässliche, untersetzte Orkfrau stürmte aus der Küche und rannte hinüber zu dem verschwunden Kochtopf. „Dieser Topf wird zum Kochen gebraucht damit ihr etwas zu essen bekommt“, wehrte sich die Köchin Taszika.
„Pass’ auf was du sagst, sonst warst du einmal für das Essen zuständig“, schnaubte Yazston gefährlich.
Augenblicklich ließ die Ork in angemessenem Respekt ihren Kopf nach unten sinken und blieb stehen. Mit den Dunkelelfen wollte sie sich nicht anlegen, aber auch nicht tatenlos mit anschauen, wie sie ihre Kochutensilien für einen seltsamen Scherz ausliehen.
„Verzeiht“, stammelte Taszika kurz angebunden und verharrte nun abwartend was kommen würde.
Der Kessel lag ruhig zur Seite gekippt neben den Füßen der beiden Krieger. Das Seil, welches den Deckel festgehalten hatte, war durch das heftige herumrollen leicht gelockert worden und würde sich jeden Moment von alleine lösen. Durch die unliebsame Störung der Köchin ließen die Soldaten von ihrem neuen Zeitvertreib ab. Die nächste Gelegenheit den wertlosen Halbdrow zu schikanieren würde kommen, heute, morgen oder immer dann, wenn sie und die anderen Soldaten es wollten.
„Bis zum nächsten Mal, du kleine Ratte“, rief der Kommandant Richtung Kessel und verschwand zusammen mit seinem Kumpanen.
Zurück blieb jetzt Taszika, die ärgerlich das Geschehen beobachtete und nichts verstand. Dann löste sich das Seil von alleine und der Deckel fiel mit einem ohrenbetäubenden Lärm zu Boden. Das hat mir jetzt gerade noch gefehlt, dachte die Ork wütend, als sie jäh den Schopf weißen Haares im Inneren auftauchen sah.
„Was ist das denn?“, flüsterte sie leise und ging nun neugierig hinüber um besser sehen zu können.
Shar lag zusammengekrümmt auf der Seite, seine Hände über die Ohren gestülpt und zitterte am ganzen Körper, während die Tränen flossen.
„Wie kommst du denn hier her“, fragte Taszika nun aufgeregt und böse zugleich, als sie erkannte, dass es sich um Shar handelte. „Solltest du nicht das Wasser auffüllen? Los raus da.“
Doch Shar blieb regungslos liegen. Sein kleiner Körper wurde durch die Angst vor der Dunkelheit und den unbekannten Schmerzen, die er sich soeben zugezogen hatte, gebeutelt. Erst als die Geduld der Köchin ein Ende gefunden hatte, packte Taszika ihn an beiden Armen und zog mit Gewalt daran. Sie schleifte Shar aus dem Kochtopf heraus.
Der Junge brauchte einige Momente, bis er sich bewusst wurde, dass er nicht mehr im Inneren festsaß. Abermals liefen die Tränen ungehemmt über seine Wangen. Erst nach wenigen Minuten fiel der Schock von ihm ab und er schaute sich um. Er blickte in die dunklen Augen von Taszika, die sich ungeduldig über den jungen Halbdrow beugte und wartete.
„Sag’ mir, was du hier machst?“, fragte sie ungehalten, dann hielt sie inne und meinte unerfreulich hinter her. „Sag’ es mir besser nicht was sich in deinem hirnlosen Kopf abspielt. Komm jetzt und erledige deine Arbeit, sonst gibt es heute Abend nichts für dich zum Essen.“ Bei diesen Worten wandte sie sich ab und fluchte einige Worte in ihrer eigenen Sprache, die Shar nicht verstand und ging in Richtung Küche davon.
Der Fünfjährige lag immer noch auf der Seite, beruhigte sich jedoch langsam wieder. Er betastete seinen Kopf, Arme und Beine und konnte feststellen, dass es zwar noch wehtat, aber die Schmerzen allmählich nachließen. Er hatte sich einige blaue Flecken und eine Beule am Hinterkopf zugezogen. Beim nächsten Mal muss ich mir ein anderes Versteck suchen, seufzte er in sich hinein und wischte sich mit den beiden Händerücken über die nassen Wangen. Dann raffte er sich langsam auf die Knie und blickte mit seinen tiefblauen Augen der Köchin hinter her, die gerade im Begriff war in der Küche zu verschwinden.
„Ja“, murmelte Shar plötzlich vor sich hin, auch wenn niemand in seiner Nähe war, der ihn hätte hören können und beantwortete die Aufforderung der Köchin für sich selbst.
Augenblicklich erinnerte sich der Junge jedoch an seinen Vater. Er sollte von Dipree aus die Wasserkrüge im Hauptgebäude auffüllen und wenn er Glück hatte, dann würde er Handir sehen. Diese Erinnerung ließ ihn das Schreckliche vergessen und der Kleine stürmte eilig über den Innenhof hinüber zum Haupthaus.
Leise schlichen tapsende, nackte Füße in dem Gang über die steinerne Treppe in das erste Stockwerk des Hauses Xarann nach oben. Hier, wo die Privatgemächern seines Herrn Nhaundar lagen, da wohnte auch sein Vater Handir, dass wusste Shar. Er lebte sogar in dem großen, hübsch dekorierten Raum, wo sich hin und wieder abends viele Drowmänner versammelten und am nächsten Morgen wieder nach Hause gingen. Manchmal wünschte sich Shar, er könnte auch dort wohnen, anstatt bei den anderen Sklaven in einem großen, kargen Saal schlafen zu müssen. Was der junge Halbdrow nicht wusste, Handir war mittlerweile die wichtigste Einnahmequelle für Nhaundar. Ein exotischer Liebessklave mit muskulösem Körperbau und eisernem Willen und für Nhaundars Geschmack ein sehr lohnenswerter dazu. Er hielt den Elfen fest unter seinen Fittichen und brach somit auch nicht das Abkommen mit Iymril, seiner Geschäftspartnerin aus Eryndlyn. Handir wiederum tat alles, um seinen Sohn schützen zu können und wenn es nur daran lag, dass der widerliche Sklavenhändler nicht auf ihn aufmerksam wurde. Nhaundar hatte den Säugling von damals schlicht vergessen. Niemand, nicht einmal Handir sprach die Wahrheit aus und sein Sohn würde noch früh genug erfahren, welche grausame Fassade sein Vater heimlich aufrechterhielt, um der unliebsamen Schmach zu entgehen, dass dieses Schicksal niemals für Shar vorgesehen war. Handir hätte sich auf der Stelle selbst getötet, wenn er damit dem Jungen die Freiheit hätte schenken können. Aber selbst dafür konnte sich der Elf nicht durchringen, war er doch die einzige Person, die Shar noch hatte und Handir an seine verstorbene Frau erinnerte. Jedes Mal wenn der Elf in das Gesicht des Jungen blickte, dann sah er dort die sanften Gesichtszüge von Chalithra und es wurde ihm warm ums Herz. Eines Tages jedoch, dass schwor sich Handir, wird der Moment kommen an dem sich das Blatt wenden wird.
Shar blieb stehen und schaute sich verschwörerisch in dem dunklen Gang um. Er konnte niemanden entdecken und das war auch gut so. Er stand vor der Eingangstür zu Nhaundars Privatgemächern und dem Wohnort seines Vaters. Vorsichtig legte er ein Ohr an und lauschte, ob geredet wurde, so wie es Handir ihm vor einige Zeit erklärt hatte, doch alles schien ruhig. Er seufzte kurz und hoffte inständig, dass Handir da sein würde. Dann hob er einen seiner kleinen, dünnen Arme und öffnete behutsam die Tür. Ein heller Lichtschein blendete ihn im ersten Moment und bildete einen harten Kontrast zu dem finsteren Flur, auf den er sich her geschlichen hatte. Er schaute hinein und erkannte augenblicklich Handir, der im hinteren Teil des Zimmers aus dem Fenster blickte. Er ist da, freute sich Shar, sein Herz klopfte vor Freude und er achtete jetzt nicht mehr auf die Heimlichkeit. Eilig huschte er hinein, schloss die Tür lauter, als beabsichtigt und rannte seinem Vater entgegen. Aus einer kleinen Ecke im Gang schauten zwei roten Augen zu Shar hinüber und ein leises Seufzen erklang.
Handir hörte die Geräusche, die ihm so bekannt vorkamen und drehte sich auf der Stelle herum. Er schaute in das freudestrahlende Gesicht seines Jungen und nun huschte ebenso ein fröhliches Lächeln über seine Lippen.
„Vater“, piepste Shar vor Aufregung und wurde von den starken Armen Handirs in Empfang genommen.
„Shar, was machst du denn hier? Du sollst doch gar nicht hier sein …“, die restlichen Worte gingen unter, als er den hageren Körper seines Sohnes festhielt, der lediglich von einer abgeschnittenen und durchlöcherten Wollhose bedeckt wurde und eher froh war, ihn zu sehen, anstatt zu schimpfen. Besonders wenn er an die gefährliche Situation im Hof zurückdachte, die er heimlich aus dem Fenster mit ansehen musste.
„Vater, ich muss dir was erzählen. Ich hatte ein Versteck und …“, mit diesen Worten fing Shar unbeirrt an zu erzählen was er im Innenhof mit Yazston und Welvrin erlebt hatte. Dann begann Shar von seiner Angst zu erzählen und das er eines Tages so ein großer Kämpfer sein wollte, wie sein Vater.
Handir hörte den Worten zu, doch seine Gedanken kreisten um die Zukunft des Jungen. Niemals würde er zu dem werden, was er sich wünschte. Seine Herkunft, sein äußeres Wesen und der Stand, den er hier im Haus des Sklavenhändlers innehatte, würden alles zunichte machen. Vielleicht kann ich nur eines tun, sagte der Elf zu sich selbst, dir deine Freude bewahren.
Beide unterhielten sich noch einige Zeit und Handir fühlte sich in der Anwesenheit seines Jungen wieder etwas wohler. Auch wenn die Augenblicke sich recht kurz gestalteten, sie und seine Erinnerungen waren alles, was dem Mondelfen noch von früher geblieben waren. Immer und immer wieder musste der Vater seinem kleinen Jungen von Kriegern und Kämpfern erzählen und versank dabei in den Gedanken an den Mondwald und seinem einstigen Clan. Shar liebte die Geschichten seines Vaters und mit jeder neuen Erzählung glänzten seine tiefblauen Augen voller Freude.
Nach fast einer halben Stunde mussten sich Vater und Sohn voneinander verabschieden, gerade rechtzeitig, als Nhaundar mit einigen seiner Geschäftspartner zurückkam und Shar darüber seine eigentliche Aufgabe vergaß. Eilig huschte der junge Halbdrow in den Flur und entging so den Blicken des Sklavenhändlers. Allerdings musste sich der Kleine von Dipree eine Standpauke anhören, der bei den Gästen Nhaundar nur selbst bediente. Heute Abend würde die Jagd stattfinden, ein Ereignis, worauf jeder der Anwesenden sich bereits ausgiebig freute und Wetten abgeschlossen wurden. Shar musste seinen Dienst in der Küche antreten und bekam von alldem nichts mit.
Handir wirkte nach dem Besuch seines Sohnes etwas geistesabwesend, als er alleine in einer Ecke vor sich hinkauerte und so tat, als würde er niemanden in diesem Raum wahrnehmen. Der eigentliche Grund war einfach, keiner sollte jemals ahnen, dass Shar da gewesen war. Das hinderte die Gäste und ihren Gastgeber aber nicht, sich um ihr eigenes Vergnügen zu kümmern.
Der Fünfjährige tätigte zur gleichen Zeit seine Aufgaben und am Abend kam er erschöpft, aber glücklich, dass er wieder eine neue Geschichte seines Vaters zu hören bekommen hatte, in den Schlafsaal der niederen Sklaven zurück. In diesem großen Raum, der sich im unteren Stockwerk des Hauses Xarann befand, waren all die Sklaven untergebracht, die im Haushalt dienten, so auch Shar. In einer kleinen Ecke im hintersten Teil lag eine durchlöcherte Wolldecke, Shars Schlafsplatz. Hungrig eilte der Junge jedoch erst zu einem großen Kessel mit dampfender Suppe hinüber und erhielt wie fast jeden Abend einen halbvollen Teller. Oft die erste und letzte Mahlzeit des Tages, aber so kannte Shar es nicht anderes. Er schlürfte sie schnell hinunter und wurde dann von einigen der älteren Sklaven – darunter auch der Köchin – zum Schlafen auf seine Decke geschickt, während die anderen ihren Aufgaben für den Abend nachkamen. Kinder hatten nachts nichts mehr auf den Fluren zu suchen, wenn die Kundschaft und Gäste sich hier herumtrieben. Wie immer seit fast fünf Jahren dasselbe, seit sich die Erwachsenen um einen Jungen kümmern mussten, der sie eigentlich nichts anging. Dipree hatte hier ebenfalls seine Finger mit ihm Spiel. Sie waren immer noch alle Sklaven und trugen dasselbe Schicksal. Die Tatsache, dass Shar ein Halbdrow und der Sohn des Lieblingsspielzeugs von Nhaundar war, wussten sie ebenfalls. So verhielten auch sie sich ab und zu dem Jungen gegenüber abweisend, aber immer innerhalb ihrer eigenen Grenzen. Wenn der Leibdiener nicht gewesen wäre, dann hätte sich von Anfang an niemand um den Säugling gekümmert. Alles andere ging sie nichts an, weder in der Gegenwart, noch in der Zukunft. So interessierte es sie auch nicht, wie Shar sich hinlegte und von einem großen und stolzen Mondelfenkrieger träumte, der alle Dunkelelfen im Kampf besiegte und dafür von allen bewundert wurde. Des Weiteren schmiedete er Pläne, welches Versteck er sich suchen könnte, um Yazston zu entgehen. Mit diesen Gedanken schlief der junge Halbdrow ein.
Tränen in der Finsternis
„Wach’ auf“, erklang wie von weitem der scharfe Befehl in der Dunkelheit von Handirs Kopf.
Ranaghar, Drowmagier und Gefolgsmann Nhaundar Xaranns beugte sich in jenem Moment über den noch leicht benommen Elfen, der auf dem kalten Felsenboden lag und sich von dem schweren Schlag von Yazstons Schwertknauf erholte. Der Magier, ein kleingewachsener Dunkelelf von recht zierlichem Körperbau, raffte seine dunkelblaue Robe zusammen, kniete sich auf dem Boden nieder und hielt eine Phiole unter die Nase des Mondelfen. Auf seiner Stirn prangte ein silbernes Diadem, welches ihm ein charismatisches Aussehen verlieh. Seine langen, weißen Haare waren streng zu einem Zopf zusammengebunden und dieser fiel ihm über den Rücken.
Ranaghar war ein Zauberkundiger, doch auch gleichzeitig nur ein weiterer Sklave im Haushalt des skrupellosen Nhaundar, ein Sklavenhändler, der sich bereits vor Jahrhunderten die Stadt der Spinnenkönigin Menzoberranzan als Domizil erwählte. Zu Nhaundars Besitz zählten vor allem exotische Waren. Drow, Elf, Mensch oder sogar einige andere Rassen von überwiegend männlichem Geschlechts. Aber auch Gegenstände wie magisches Geschmeide und Waffen, die das Leben erleichterten sowie auch der Dunkelelf Ranaghar. Der Magier stammte aus der Stadt Llurth Dreir, eine verfluchte Stadt im mittleren Unterreich des großen Bhaerynden im Süden Faerûns und er war vor vielen Jahren ein Glücksgriff für Nhaundar gewesen. Der Zauberer befand sich damals auf der Flucht, wie Handir in dieser Nacht. Der Unterschied zwischen Ranaghar und dem Mondelfen bestand darin, der Magier wurde von den Meistern der Akademie aus Llurth Dreir gesucht und fand in den Armen des Sklavenhändlers Unterschlupf. Seit mehr als einem Jahrhundert war Ranaghar eine Bereicherung für Nhaundar. Der Zauberkundige liebte es zu experimentieren und noch mehr wertschätzte er Versuche an lebenden Kreaturen. Er schreckte auch nicht von dem eigenen Volk zurück. Ein leichter Anflug von Wahnsinn könnte es besser beschreiben. Das hatte ihn seine Stelle als Lehrmeister in der Akademie gekostet und ohne die gelungene Flucht höchstwahrscheinlich auch das Leben. Würdiger Ersatz bot ihm der Sklavenhändler aus der Stadt der Spinnekönigin an. Einer Gemeinschaftsarbeit stand seither nichts mehr im Wege. Doch nicht als freier Dunkelelf, sondern er fristete sein Dasein als Sklave im Haushalt von Nhaundar, wie so manch anderer. Ihm standen auf Grund seines Wissens und Status einige Freiheiten zu, die auch die Soldaten des Händlers genossen, aber mit der deutlichen Auszeichnung eines Halsbandes. Genau dieses eiserne Halsband wurde Ranaghar in jenem Moment zum Verhängnis, als der Sklavenhändler nervös daran zog.
„Beeil’ dich endlich, ich will zurück in die Stadt. Die Stadtwachen werden bald abgelöst und ich will nicht, dass man uns sieht“, zischte Nhaundar hastig.
„Ja, mein Herr“, antwortete ihm Ranaghar leise und versuchte dabei ein Husten zu unterdrücken, das die grobe Geste von Nhaundar in seiner Kehle ausgelöst hatte. So oft schon hatte der Zauberkundige überlegt wie er auf dem besten Weg fliehen konnte, aber nichts schien seinem Zweck zu dienen. Wenn er die Flucht antrat, dann unter der Voraussetzung er müsse sich weit entfernen - am besten auf die Oberfläche, eine Welt in der er nicht leben wollte - um den Klauen Nhaundars und dessen Verbündeten zu entgehen. Auf der anderen Seite hatte er im Haushalt des Sklavenhändlers ein recht angenehmes Dasein, wenn auch manchmal die Behandlungsmethoden grob wirkten. Er genoss große Handlungsfreiheit, solange er das tat, was von ihm verlangt wurde. Ansonsten konnte er sich zurückziehen und hier und da für Nhaundar einen Auftrag erledigen.
„Er wird wach, mein Herr“, antwortete nun Ranaghar und seufzte erleichtert auf, dass er sich bald wieder ausruhen und er seine Pause für Meditation und Studien widmen konnte.
Handir hörte die Worte, doch ihm war noch nicht bewusst, was sie zu bedeuten hatten. Durch seine Ohnmacht, die der Knauf des Schwertes seines Gegners bei ihm auslöste und ihn letztendlich damit niederstreckte, war er in dem Glauben, er wäre tot. Aber Tote hören nicht diese ekelhafte Stimme dieses Dunkelelfen und seiner Kumpanen, dachte der Elf. Genauso wenig schnuppern sie den grauenhaften Gestank von Riechsalz und bei diesem Gedanken kehrten augenblicklich seine Sinne zurück. Handir öffnete die Augenlider und sah über sich gebeugt den Drowmagier, der ihn neugierig mit seinen rotfunkelenden Augen betrachtete.
„Los, steh auf“, gab der Dunkelelf Handir den Befehl und erhob sich vom harten Boden. Die Phiole mit dem Riechsalz ließ er in seiner dunkelblauen Robe elegant verschwinden. Ranaghar wollte sich zurückziehen und brachte mit einem Schmunzeln seine Vorfreude zum Ausdruck, dass er bald seine Ruhe genießen konnte. Wahnsinnig eben.
Durch einen nebelhaften Schleier versuchte sich Handir in jenem Augenblick an das zu erinnern, was zuvor geschehen war. Sein Kopf dröhnte und er fühlte sich wie zertreten. Noch etwas mitgenommen raffte er sich langsam vom Boden auf und dann erschrak Handir. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken, doch nur einer nahm plötzlich vollkommen von ihm Besitz, Shar. Wo war sein Sohn? Verwirrt und aufgeregt blickte er sich um, erkannte aber im gleichen Moment, dass sie sich an einem anderen Ort befanden. Doch nur wo? Ängstlich sah er sich weiter um, konnte aber das kleine Bündel mit dem Säugling nicht ausmachen. Die Panik wollte sich schon seiner bemächtigen, da durchdrang ein Weinen die Dunkelheit, die sich um die Gruppe gelegt hatte. Handir wand sich dem Jammern zu und erspähte nur zwei Meter entfernt einen Drowsoldaten, der ein kleines Knäuel Stoff lässig unter dem Arm festhielt. Da war sein Sohn. Eilig versuchte der Mondelf hinüber zu gelangen, doch ein dumpfer Schlag einer Hand auf die linke Schulter ließ ihn stocken, er blieb stehen und blickte sich um.
„Lasst mich in Ruhe“, rief Handir Nhaundar zornig zu und versuchte erneut zu seinem Sohn zu gelangen, doch die Hand blieb liegen.
„Nicht so voreilig. Wir sind noch nicht Zuhause“, meinte Nhaundar ruhig und grinste breit von einem Ohr zum anderen, so dass dessen Zähne weiß aufleuchteten.
„Gebt mir meinen Sohn“, flehte der Elf jäh und realisierte die Antwort und dessen Bedeutung des Dunkelelfen vor ihm nicht. Handir wollte in jenem Moment einzig und allein zu seinem Kind. Für ihn zählte nur noch Shar.
„Er ist nicht mehr eurer Sohn, Elf. Ihr habt verloren, doch nicht euer Leben, höchstens die Freiheit und das Kind. Mein Hübscher, ihr beide gehört nun mir“, lachte Nhaundar hämisch und gab flüchtig einem der umherstehenden Dunkelelfen ein Handzeichen.
Handir konnte nicht rechtzeitig handeln und sah sich im nächsten Atemzug in Fesseln. Von hinten wurde ihm ein Knebel in den Mund, sowie ein eisernes Halsband um die Kehle gelegt, während ihm jemand anderer die Hände auf den Rücken band. Der ehemalige Elfenkrieger versuchte sich zu wehren, doch aussichtslos.
Als Handir weder sprechen, noch sich großartig bewegen konnte um eine Flucht anzutreten, wand sich der schmierige Drow namens Nhaundar erneut an ihn. „Willkommen im Haushalt des Sklavenhändlers Nhaundar Xarann“, fing der Dunkelelf lässig an zu erklären und zeigte bei dem eigenen Namen mit einem Finger auf sich selbst. „Iymril hat mir einen guten Kämpfer versprochen, den scheine ich auch tatsächlich bekommen zu haben. Großartig, findet Ihr nicht auch, Elf von der Oberfläche?“
Handir schaute Nhaundar mit hasserfüllten blauen Augen entgegen und versuchte laut zu schreien. Doch der Knebel im Mund erstickte jeden Laut und durch die Handfesseln im Rücken, die von einem Soldaten festgehalten wurden, konnte er sich nicht auf den hinterhältigen Dunkelelfen stürzen. Shar darf nichts geschehen. Das wird Iymril bereuen, sie wird dafür sterben, schoss es Handir im gleichen Moment durch den Kopf. Er tobte weiter, aber nichts half um sich zu befreien.
„Wenn wir beide uns erst einmal aneinander gewöhnt haben werden wir eine Menge Spaß zusammen verbringen. Iymril hat mir, wie immer, nicht zu wenig versprochen. Deine Flausen werde ich dir auch noch austreiben. Das zusätzliche Geschenk wäre aber nicht nötig gewesen.“ Die Stimme des Sklavenhändlers troff dabei vor Spott und er schmunzelte bei jedem Wort fröhlich vor sich hin.
„Niemals!“, schrie Handir innerlich vor Wut und versuchte sich erneut zu befreien. Doch es war hoffnungslos. Der Dunkelelf hielt ihn von hinten fest in seinem Griff. Dann wanderte Handirs Blick hinüber zu dem Soldaten, der Shar immer noch unter dem Arm trug. Der Säugling weinte leise, doch niemand schenkte ihm Beachtung. Nhaundar folgte dem Blick und ein listiges Grinsen huschte über die Züge des Sklavenhändlers.
„Ich betrachte dieses Ding hier …“, säuselte der Drow in Handirs Ohr, als er sich zu ihm hinüberbeugte und mit dem Finger auf Shar zeigte, „… als kleine Zugabe. Meine Soldaten brauchen hin und wieder ein neues Spielzeug“. Danach lachte Nhaundar markerschütternd und wandte sich zum Gehen ab.
Handir schossen im gleichen Atemzug Tränen in die Augen. Er war gefangen, hilflos und zurzeit bestand keine Möglichkeit aus dieser verzwickten Lage zu entkommen. Was ihn jedoch am meisten traf, war die Tatsache, was Nhaundar soeben über seinen paar Stunden alten Sohn sagte und es höchstwahrscheinlich auch so meinte. Chalithra, es tut mir so leid, betete er für sich selbst, ich hoffe, du kannst mein Versagen irgendwann verzeihen. Niemals wollte ich es soweit kommen lassen, ich liebe dich über alles. Mitten in seiner aufkommenden Verzweiflung wurde plötzlich kräftig an seinen Armfesseln gezogen und ein Schubs nach vorne brachte den Elfen in Schwung. Sie machten sich auf den Weg, wohin dieser ihn und seinen Sohn auch bringen sollte.
Die Gruppe von Soldaten, dem Magier, Handir und dem Sklavenhändler wanderte auf kleinen Pfaden und Umwegen durch das nahe gelegene und wilde Unterreich rund um die Stadt der Spinnenkönigin - Menzoberranzan. Eine kleine, hell erleuchtete magische Fackel, die Ranaghar bereits in Eryndlyn in Händen hielt, zeigte kurzzeitig den Pfad, der direkt in die Stadt führte, was Handir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Die Fackel diente nur zu einem Zweck, als Erkennungszeichen für die bestochenen Stadtwachen, die den Sklavenhändler und sein Gefolge unbehelligt durchlassen sollten ohne Fragen zu stellen. Als sie die Wachen von Westen her passierten, beäugten diese neugierig die kleine Gruppe, wandten aber sofort ihren Blick ab um nicht mehr zu erfahren, was ihrem Leben hätte schaden können. Dann führte der Weg weiter nach unten, in eine große Höhle, die die Stadt der Spinnenkönigin in all seiner Herrlichkeit beherbergte.
Von weitem thronte das riesige Anwesen des Hauses Baenre über der Stadt, das auf dem Hochplateau Qu’ellarz’orl im südlichen Ende der Kaverne lag. Weitere, großartig angelegte Gebäude erstreckten sich von dieser Anhöhe nach unten. In der Mitte der Höhle, fast zentral gelegen, konnte Handir eine gewaltige Säule erkennen, die senkrecht nach oben in Richtung Höhlendecke reichte. Es handelte sich hierbei um Narbondel, eine sehr kräftige Steinsäule. Ein sanftes Glühen stieg bedächtig nach oben und der Elf nahm an, dass es sich bereits wie in Eryndlyn um eine Art Uhr handelte. Da die Sonne niemals diesen Flecken Fels bescheinen würde, eine sinnvolle Einrichtung sich an einen gewissen Tag- und Nachtrhythmus zu erinnern. Mit Schrecken musste aber Handir feststellen, dass sich beide Städte in der Helligkeit der Feenfeuer ein wenig ähnelten. Vielleicht lag es aber auch nur am Schein der fluorizierenden Häuser und Burgen, die ganz anders wie in Eryndlyn nur Boshaftigkeit und Argwohn ausstrahlten. Alles wirkte auf ihn düsterer und abweisend. Je weiter der Mondelf beim rastlosen Hetzen vom Westwall herunter seinen Blick schweifen ließ, desto mehr konnte er erkennen. Die Nacht des Unterreiches stellte schon seit Jahren kein Problem mehr für ihn da. Im Norden erkannte er in den Augenwinkeln eine kleine, etwas abseits gelegene Seitenkaverne. Eine riesige Treppe führte nach oben und dort thronten drei Gebäude. Hierbei handelte es sich um Tier Breche, das stolze Akademiegelände von Menzoberranzan, wo der Turm Sorcere für arkane Magie, Arach-Tinilith die Schule für göttliche Magie und Melee-Magthere für die Krieger untergebracht waren. Wenn er sich weiter umschaute, erkannte er im Osten, im hintersten Teil der Stadt einen großen See mit einer kleinen Insel in der Mitte. Rundherum wuchsen riesige Pilzwälder aus dem Boden und ähnelten ein wenig den Bäumen von Eryndlyn, nur das diese nicht von alleine fluorzierten. Von seiner geliebten Frau Chalithra wusste er von den Eigenschaften der Magie, die jedem Drow eigen war und wie sie es anstellten, ein Feenfeuer zu erschaffen und somit Dinge zum Leuchten brachten. Das ist in Eryndlyn nicht anders, wie hier, wo immer ich mich auch befinde, sagte sich Handir niedergedrückt und seufzte unter seinem Knebel. Doch seine tiefblauen Augen musterten beim Gehen weiter die Umgebung. Sie liefen einige breite Straßen entlang und je tiefer sie ins Innere von Menzoberranzan vordrangen, desto prächtiger wurden die Gebäude. Die Häuser der niedrigen Adligen strahlten eine ruhige, aber auch gefährliche Bedrohung aus. Auch hier glühte der Stein im Schein des Feenfeuers und erhellte die Dunkelheit.
Doch Handir hatte keine Zeit groß darüber nachzudenken welche Unterschiede beide Unterreichstädte besaßen, denn der Soldat in seinem Rücken drängte ihn beständig zur Eile an. Ab und zu konnte der Mondelf wenigsten einen kurzen Blick auf seinen Sohn erhaschen, der achtlos von dem Krieger getragen wurde. Handir seufzte abermals und konnte sich doch nicht äußern. Alles schien so fremd und unwirklich, aber genauso war er hier und jetzt in der Realität gefangen und sein Leben änderte sich zum zweiten Mal innerhalb der letzten Jahre. Ihr Weg führte sie weiter durch die Stadt und über einen großen Basar. Nachts schien er wie ausgestorben, doch hier und da huschten Gestalten durch die Finsternis und sie achteten sorgsam darauf, im Schatten zu bleiben. Es wirkte alles so elend und heruntergekommenen. Der Gestank der Straße stieg Handir in die Nase. Denn wie der Elf erkannte, handelte sich bei diesem Viertel um einen Teil für die Armen und vor allem für die Sklaven und Bürgerliche, fast so wie in Eryndlyn und jeder anderen Stadt in Toril, ob Unterreich oder Oberfläche. Als sie den Basar passiert hatten, wurden die Häuser wieder größer und prachtvoller. Es waren keine Adelshäuser, dafür aber Gebäude von reicheren Drow, das konnte der Mondelfenkrieger erkennen. Sie wirkten kleiner, aber nicht weniger ansehnlich und sendeten ihr sanftes Glimmen hinaus in die Finsternis der großen Höhle. Nhaundar und sein Gefolge kamen zusammen mit seinem neusten Sklaven im Stadtteil Duthcloim an, sein Wirkungsbereich. Ein Distrikt von Menzoberranzan, wo neben wichtigen Händler aller Völker auch gewöhnliche Dunkelelfen mit einer Menge Geld oder einflussreichen Bekanntschaften ihr zu Hause nannten. Dann hielt die Gruppe abrupt an und vor sich erkannte Handir ein Anwesen, das wie viele andere hell erleuchtet vor ihm aufragte. Ein großes Tor aus Eisen hielt den Trubel der Straße ab, während links und rechts steinerne Mauern den Rest des Hauses umgaben, ganz anders wie viele andere Gebäude, die durch einen spinnenartigen Zaun abgegrenzt wurden. Das Tor wurde geöffnet und Nhaundar Xarann und seine Männer betraten einen großen Innenhof. Direkt vor dem Mondelfen erstreckte sich ein großes Gebäude, das aus zwei Etagen bestand und das, wie bereits das Anwesen selbst, von einem Eisentor verschlossen schien. Links und Rechts von sich erkannte er mehrere kleinere Gebäude. Einen Stall, Pferche für Sklaven und Soldatenquartiere, welche die Kämpfer auf den ersten Blick verrieten, die sich lässig draußen vor den Gebäuden aufhielten. Ein separates Haus mit Schornstein und einem offnen Eingang gab einen Einblick in die Küche. Große, gusseiserne Kochtöpfe, mit einem Umfang, den nur zwei Dunkelelfen gemeinsam schaffen konnten, standen bereits teils dampfend oder auch leer und schmutzig davor. Handir konnte sich nicht weiter umschauen, schon wurde er bereits erneut von hinten gedrängt weiter zu gehen. Der restliche Weg über den Hof führte ihn letztendlich ins Innere des größten Gebäudes, das den Hauptteil des Anwesens von Nhaundar Xarann darstellte. In den Fluren waren hier und dort Fackeln an den Wänden angebracht und schienen hell in der Dunkelheit. Eine große Treppe aus Stein führte in die erste Etage und gleichzeitig hinauf zu Nhaundars Privatgemächern.
Was Handir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste waren ganz einfache Gegebenheiten. Der Sklavenhändler verdiente sich seinen Unterhalt nicht nur durch den Handel mit Sklaven aller Art, sondern auch mit dem Geschäft der Liebe. In der unteren Etage waren Zimmer untergebracht, die zum größten Teil nur zu einem Zweck dienten, Kunden, die ihre Bettgefährten nicht mit nach Hause nehmen wollten oder konnten, die Möglichkeit zu bieten ihrem Vergnügen im Bett nachzukommen. Hauptsächlich männliche Kundschaft, die sich für das gleiche Geschlecht interessierte. Im hinteren Teil lagen karge Kammern für die restlichen Sklaven, die als Lustsklaven, Bedienstete und sonstigen Zwecken im Haupthaus lebten. Im oberen Stockwerk gab es ebenfalls viele Zimmer, hauptsächlich die Privatgemächer des Sklavenhändlers selbst. Genauso wie Badezimmer für die Liebessklaven und Räume für wichtige Gäste.
Handir folgte immer noch niedergedrückt Nhaundar in das oberste Stockwerk und verschwand zusammen mit ihm, dem Magier Ranaghar, Yazston und dem Bündel mit dem kleinen Säugling in den Gemächern des Sklavenhändlers.
„Wirst du wohl stehen bleiben“, halten die strengen Worte eines Drow nur fünf Jahre später über den Innenhof von Nhaundar Xaranns Anwesen. „Wir wollen doch nur mit dir spielen.“
Yazston und sein Kumpan Welvrin folgten einem kleinen Wesen, das zickzackartig über den Hof huschte und dabei flink wie ein Wiesel, zwanzig Meter zu überbrücken versuchte die nötig waren, um vom Hauptgebäude bis zur Küche zu gelangen.
Dieses kleine Geschöpf, mit leicht gräulich-heller Haut, schulterlangen weißen Haaren und tiefblauen Augen, das bei seiner übereilten Flucht auf den Boden starrte, war niemand anderer als Shar, der fünfjährige Halbdrow und Sohn von Handir und Chalithra.
Wieder war es einmal so weit, der Spiesrutenlauf durch den Innenhof begann, wenn der kleine Junge wie jeden Tag aufs Neue dazu eingespannt wurde, frisches Wasser von der Küche ins Hauptgebäude zu schleppen. Keine leichte Aufgabe für einen Fünfjähren, der kaum sich selbst auf den Beinen halten konnte. Stets hatten es die Soldaten auf den Kleinen abgesehen, einfach aus reinem Vergnügen um ihn zu Ärgern und zu Schikanieren. Besonders der Hauptmann Yazston genoss es jedes Mal den Halbdrow zu foppen. Die Schmach im Kampf gegen Handir in Eryndlyn hatte der Dunkelelf niemals vergessen, laut seiner Ansicht eine infame Niederlage, war er doch einst ein Meister der Akademie. Er wollte sich revanchieren und wenn es nur in seinen Augen an dem wertlosen Sohn war. Für Yazston zählte bei diesem Zeitvertreib die Tatsache, dass der Halbdrow es sich gefallen lassen musste und niemand ihn aufhielt. Shar war für viele der Männer hier lediglich das Ergebnis einer geschmacklosen Zusammenkunft eines Elfen und einer Dunkelelfe. In Menzoberranzan eine Abstammung, die nicht akzeptiert wurde.
Von Yazston erklang soeben ein amüsiertes Lachen im Rücken von Shar und trieb ihn gleich noch schneller an. Für den Soldaten Welvrin, ein Freund des Kommandanten, ebenfalls eine kleine Zerstreuung und dieser folgte dem Hauptkommandant auf dem Fuß.
Shar hatte schreckliche Angst. Jedes Mal wenn sie ihn zu fassen bekamen schubsten ihn die Krieger hin und her und lachten ihn aus. Ein Lachen, dass sich fest in seine noch so kleine und unschuldige Seele fraß, doch wogegen niemand etwas unternahm, warum auch, der junge Halbdrow war ein Unfreier. Selbst die anderen hier lebenden Sklaven, meist selbst Dunkelelfen, hin und wieder auch Oberflächenelfen oder Menschen hatten mit dem eigenen Schicksal zu kämpfen. Einzig und alleine sein Vater Handir hatte seinem Jungen erklärt, dass er nicht darauf hören sollte was andere zu ihm sagten. Aber wie erklärte man einem Fünfjährigen, der nichts bis auf das Anwesen, die Sklaven, die Soldaten und Spott kannte, es sich nicht zu Herzen zu nehmen. Shars Welt war klein und würde wohl wahrscheinlich auch niemals größer werden bis auf das Haus eines Nhaundar Xaranns. Erschwerend kam Handirs Situation hinzu. Als teuerstes Lustobjekt gehörte er zu den Schätzen des Sklavenhändlers, der in jeder freien Minute ein wachsames Auge auf den Mondelfen hatte. Meist mit einem eisernen Sklavenhalsband an einem Wandhacken in Nhaundars Privatgemächern angekettet, gab es für Handir kein Entkommen, nur die Enge der Gemächer. Er diente auch anderen Drow als Lustsklave und der Sklavenhändler verdiente zusätzlich Geld, wenn er Handir einigen hochbetuchten Adeligen Männern mitgab. Manchmal liebte es Nhaundar aber auch, wenn er Schaukämpfe im Innenhof organisierte und den Mondelfenkrieger gegen einen Dunkelelfen kämpfen ließ. Gelegenheiten, bei denen auch Shar seinen Vater sah und bewunderte. Der kleine Halbdrow wusste ja nicht, dass die Waffen stumpf oder die Kämpfe zuvor abgesprochen wurden, um für den Sklavenhändler das meiste Gold herauszuschlagen. Für Shar zählte in jenen Momenten nur Handir, der als Sieger hervor ging und selbst vor seinem Sohn die Wahrheit nicht aussprach.
Gelegenheiten, wo sich Vater und Sohn alleine sehen konnten und sich heimlich in den Armen lagen, bestanden aus kurzen Momenten, manchmal mit Glück auch einer Stunde. Dann gab es Zeiten, da lagen Tage und Wochen dazwischen und der junge Halbdrow war alleine mit sich und seinen Problemen. Für Handir eine Erleichterung und Qual zu gleichen Teilen, wenn er nicht wusste, wie es Shar erging. Es gab nur eine Person im Haushalt des Sklavenhändlers, die so etwas wie Herz bewies. Dabei handelte es sich um Dipree. Ein bereits älterer Dunkelelf mit einer breiten Narbe über dem ganzen Gesicht. Niemand kannte sein genaues Alter. Er diente Nhaundar bereits seit Jahrhunderten als Leibdiener, Verwalter und kümmerte sich um die Belange im gesamten Haushalt. Natürlich trug er ebenfalls wie fast alle der hier Lebenden ein eisernes Sklavenhalsband und die Freiheit schien für immer verloren, doch er hatte sich verdient gemacht und konnte ein recht ansehnliches Leben führen. Dipree fand sich mit seinem Schicksal ab, aber nicht mit der Ungerechtigkeit, wie Vater und Sohn so grausam entzwei gerissen wurden. Er war es, der Handir und Shar die Möglichkeiten verschaffte sich zu sehen, wenn der Herr nicht im Haus weilte oder mit Dingen beschäftigt schien, die ihn ganz und gar einnahmen. Jedoch heimlich und ohne das Wissen eines Dritten. Dann kam Dipree und verlangte, dass Shar in den Privatgemächern nach leeren Wasserkrügen schauen sollte und die Möglichkeit bekam seinen Vater zu sehen, der meist angekettet in einer Ecke saß und vor sich hin grübelte. Ein Bild, das der junge Halbdrow so und nicht anders kannte, es schien normal zu sein. Nicht immer, dafür immer öfters. Seine Gründe für diese Tat ließ der Leibdiener jedoch ungewiss und erzählte selbst nicht einmal dem Mondelfen davon. Des Weiteren war es auch Dipree, der dem Jungen seine Aufgaben zuwies und von denen er wusste, dass der Kleine sie bewerkstelligen konnte. Shar erledigte Kleinigkeiten wie Wassereimer schleppen und Wasserkrüge auffüllen, dreckiges Essgeschirr einzusammeln und abzuspülen, den Müll zu entsorgen oder den Boden im Haupthaus zu putzen. Einfachere Aufgaben für einen Halbdrow, der selbst unter den Sklaven kein großes Ansehen genoss. Er war ein Kind und damit nicht genug, sondern in den Augen aller, wertlos. Der Sklavenhändler Nhaundar ahnte von alledem nichts, er hatte schlichtweg den Jungen nach der Ankunft und Weitergabe an Dipree vergessen.
„Bleib endlich stehen“, ertönte der laute Ruf Yazstons hinter Shars Rücken, der ihn augenblicklich schneller werden ließ. Er musste versuchen sich in Sicherheit zu bringen, sonst würden die beiden Soldaten ihn wieder einfangen und wie eine Marionette über den Hof werfen. Da tauchte vor ihm plötzlich ein Versteck auf, ein gusseiserner Kochkopf, mindestens drei Köpfe größer als Shar und riesenhaft in den Augen des Jungen. Er wollte einfach nur aus der Reichweite von Yazston, der ihn nicht in Ruhe lassen konnte. So rannte Shar auf nackten Füßchen weiter auf den leeren Kochtopf zu, schielte kurz über seine Schultern und beobachtete, dass die beiden Krieger langsamer geworden waren und nun gingen.
Jetzt war ich schneller als sie, dachte Shar und atmete erleichtert aus. Doch die Gefahr war noch nicht gebannt, er brauchte ein Versteck. Der junge Halbdrow beäugte neugierig den großen Kessel auf dem Boden und entdeckte daneben einige kleinere Töpfe, die von der Köchin Taszika zum Trocken vor die Küche in den Innenhof gestellt wurden. Er überlegte nicht lange, nahm sich den ersten, der ihm in die kleinen Finger kam und drehte ihn mit etwas Anstrengung so, dass er sich mit einem seiner nackten Füße darauf stellen konnte. Da merkte Shar, dass er dadurch größer wurde und der Rand des Topfes näher rückte. Ein Lächeln huschte ihm über das von Dreck verschmierte Gesicht und er stieg ab. Eilig suchte er den Boden ab und nahm zwei weitere kleine Töpfe und stapelte sie gefährlich übereinander. Aber durch sein leichtes Körpergewicht schien es jedoch kein Problem, dass die Konstruktion, die Shar aufgestellt hatte, stehen blieb. Er kletterte ungestüm hinauf und blickte aufgeregt in ein dunkles Loch, ins Innere eines leeren, großen Kochtopfs. Doch plötzlich hörte er erneut das hämische Lachen der beiden Dunkelelfen und erschrocken fuhr er herum und erspähte die Soldaten, die hinter ihm standen. Sein Herz klopfte wild und die Angst kroch in seine Glieder. Im gleichen Moment verlor Shar den Halt und stürzte Hals über Kopf in den Kessel hinein. Mit einem dumpfen Schlag landete er im Inneren und blieb für wenige Sekunden regungslos liegen. Der Schreck saß tief.
Der junge Halbdrow kniff die Augen zusammen, einmal wegen des Schmerzes, der soeben durch seinen Kopf raste und auf der anderen Seite, weil er schrecklich erschauderte. Shar hatte sich am Hinterkopf eine Beule zugezogen. Sein Herz klopfte vor Aufregung nun heftiger in der kleinen Brust. Als der Junge sich einigermaßen wieder beruhigte, öffnete er die tiefblauen Augen und schaute nach oben, vom Inneren nach Außen. Zwei rot glühende Augenpaare beäugten ihn interessiert und starrten auf ihn herab.
„Schau dir mal an, was wir hier haben“, erzählte Yazston in einem selbstgefälligen Plauderton zu Welvrin, der dabei ein Grinsen nicht unterdrücken konnte.
„Es scheint ganz so, als hätten wir Halbdrow im Kochtopf.“
Bei den letzten Worten brachen die beiden Soldaten in schallendes Gelächter aus.
„Ich glaube aber kaum, dass man Halbdrow am Stück genießen kann. Vielleicht ist er zäh oder giftig“, erwiderte nun Yazston, wobei er Shar mit funkelten Augen angrinste.
„Hier nimm’ diese Pilze dazu, dass gibt dem Ganzen mehr Würze“, meinte Welvrin tückisch schmunzelnd hinterher, klaubte einige Pilzabfälle vom Boden auf und warf diese unachtsam in den Kessel.
Diese landeten auf dem Kopf von Shar, der erschrocken zusammenfuhr. Doch er war geistesgegenwärtig genug, sammelte die kleinen Stückchen sofort auf und warf sie zurück aus dem Topf, wo sie wieder auf dem Boden lagen.
„Mich kann man nicht essen“, kam die piepsige Antwort von Shar aus dem Kochtopf, der es gewagt hatte, den beiden Männern zu antworten, obwohl ihm das Sprechen nur dann erlaubt war, wenn man es ihm ausdrücklich auftrug.
„Habe ich eben etwas gehört?“, fragte Yazston in einer hinterhältigen Unschuldsmine.
„Mir war ganz so, als hörte ich ebenfalls etwas“, antwortete Welvrin und musste über den Mut des Jungen lachen, der es wagte die Abfälle wieder heraus zuwerfen und eine Antwort zu geben.
Bei ihrem Gespräch, dass sie mit dem Mund führten, gaben sich beide jedoch heimlich Anweisungen in der Zeichensprache der Drow, dass der Kleine für den heutigen Tag zu frech gewesen war und eine Lektion brauchte. Während sie munter darauf los plauderten, nahm ein Plan Form an.
Shar, der von dem Ganzen im tiefen Inneren des großes Kessels nichts mitbekommen hatte, nicht einmal die komplizierten Gesten der Zeichensprache kannte, fühlte sich dafür um so stärker, dass sie ihm hier nichts antun konnten, er hatte ein Versteck gefunden. Ich werde es euch schon zeigen, dass auch ich so groß und stark wie mein Vater bin, sagte sich der Kleine und sein Mut stieg.
„Ihr könnt mich hier nicht holen, das ist mein Versteck“, wehrte sich nun Shar erneut in seinem kindlichen Verhalten. Musterte dabei doch etwas ängstlich seine zwei Verfolger, die immer noch bedrohlich über ihn thronten und unheilsvoll anstarrten. Mein Vater ist ein Kämpfer und ich werde auch ein großer Krieger, ihr könnt mir nichts tun, dachte sich der Junge stolz.
„Ein Versteck also“, flüsterte Yazston mit einem gemeinen Grinsen im Gesicht, „dann wird es dir bestimmt auch nichts ausmachen, wenn du dein Versteck genießt, du kleine Ratte.“
Im gleichen Moment als der Hauptkommandant der Drowsoldaten seine Worte ausgesprochen hatte, hielt Welvrin einen großen gusseisernen Deckel in der Hand und stülpte diesen über die Öffnung.
Um Shar herum wurde es augenblicklich stockfinster und jeder Hall wurde durch eine undurchdringliche Stille abgehalten. Der Jungen war gefangen.
„Nein!“, rief der junge Halbdrow plötzlich aufgeregt und verstand nicht, wieso es düster wurde.
Im Inneren hörte er, wie der Deckel laut aufschlug und der Ton drang in seine empfindliche Ohren, sowie seine eigene Stimme, die als Echo zurückprallte. Shar bedeckte eilig seine schmerzenden Ohren und krümmte sich zusammen. Was ist nur passiert, fragte sich der Junge ängstlich. Sie sollten mich doch hier in Ruhe lassen, dass ist mein Versteck.
Im Hof standen die beiden Krieger Yazston und Welvrin vorne übergebeugt über dem Kessel und versuchten, den Deckel sicher mit einem Seil fest zu zurren. Ein wohlgefälliges Schmunzeln huschte über ihre Gesichter und dann nahmen sie den relativ schweren Kochtopf und legte ihn zur Seite. Sie holten Schwung und fingen an, den Kessel, samt Shar langsam zu rollen.
Ein erstickter Schrei erklang, als der Junge im Inneren merkte, dass etwas nicht stimmte. Er versuchte sich aufzuraffen, was ihm mit wackeligen Beinen auch gelang, danach fiel er wieder auf den tiefen Boden und verlor ganz und gar seinen Gleichgewichtssinn. Sein Schlupfwinkel bewegte sich nun schneller und plötzlich schlug er mit Kopf und Körper beständig gegen die eisernen Wände des Topfes.
„Hilfe“, rief Shar aus Leibeskräften, doch sein Ruf schmerzte nur erneut in seinen Ohren. Von Außen drang ein Donnern herein, das von dem Rollen auf dem Boden stammte und ängstigte ihn gleich zusätzlich. Der junge Halbdrow hörte hastig auf zu schreien und musste mit der aufkommenden Furcht, völlig orientierungslos und in einer undurchdringlichen Finsternis zu Recht zu kommen. Ich will hier wieder heraus, flehte der Junge stumm, blieb aber wehrlos im Inneren gefangen. Nun flossen Tränen der Hilflosigkeit über seine Wangen, während sein dünner Körper immer wieder hart gegen die gusseisernen Innenwände prallte.
„Habt ihr Männer den Verstand verloren“, drang eine barsche Stimme über den Hof und meinte damit die beiden Kämpfer, die wie zwei kleine Kinder mit dem geschlossenen Kessel spielten. Abrupt hielten sie inne und schauten über ihre Schultern. Eine hässliche, untersetzte Orkfrau stürmte aus der Küche und rannte hinüber zu dem verschwunden Kochtopf. „Dieser Topf wird zum Kochen gebraucht damit ihr etwas zu essen bekommt“, wehrte sich die Köchin Taszika.
„Pass’ auf was du sagst, sonst warst du einmal für das Essen zuständig“, schnaubte Yazston gefährlich.
Augenblicklich ließ die Ork in angemessenem Respekt ihren Kopf nach unten sinken und blieb stehen. Mit den Dunkelelfen wollte sie sich nicht anlegen, aber auch nicht tatenlos mit anschauen, wie sie ihre Kochutensilien für einen seltsamen Scherz ausliehen.
„Verzeiht“, stammelte Taszika kurz angebunden und verharrte nun abwartend was kommen würde.
Der Kessel lag ruhig zur Seite gekippt neben den Füßen der beiden Krieger. Das Seil, welches den Deckel festgehalten hatte, war durch das heftige herumrollen leicht gelockert worden und würde sich jeden Moment von alleine lösen. Durch die unliebsame Störung der Köchin ließen die Soldaten von ihrem neuen Zeitvertreib ab. Die nächste Gelegenheit den wertlosen Halbdrow zu schikanieren würde kommen, heute, morgen oder immer dann, wenn sie und die anderen Soldaten es wollten.
„Bis zum nächsten Mal, du kleine Ratte“, rief der Kommandant Richtung Kessel und verschwand zusammen mit seinem Kumpanen.
Zurück blieb jetzt Taszika, die ärgerlich das Geschehen beobachtete und nichts verstand. Dann löste sich das Seil von alleine und der Deckel fiel mit einem ohrenbetäubenden Lärm zu Boden. Das hat mir jetzt gerade noch gefehlt, dachte die Ork wütend, als sie jäh den Schopf weißen Haares im Inneren auftauchen sah.
„Was ist das denn?“, flüsterte sie leise und ging nun neugierig hinüber um besser sehen zu können.
Shar lag zusammengekrümmt auf der Seite, seine Hände über die Ohren gestülpt und zitterte am ganzen Körper, während die Tränen flossen.
„Wie kommst du denn hier her“, fragte Taszika nun aufgeregt und böse zugleich, als sie erkannte, dass es sich um Shar handelte. „Solltest du nicht das Wasser auffüllen? Los raus da.“
Doch Shar blieb regungslos liegen. Sein kleiner Körper wurde durch die Angst vor der Dunkelheit und den unbekannten Schmerzen, die er sich soeben zugezogen hatte, gebeutelt. Erst als die Geduld der Köchin ein Ende gefunden hatte, packte Taszika ihn an beiden Armen und zog mit Gewalt daran. Sie schleifte Shar aus dem Kochtopf heraus.
Der Junge brauchte einige Momente, bis er sich bewusst wurde, dass er nicht mehr im Inneren festsaß. Abermals liefen die Tränen ungehemmt über seine Wangen. Erst nach wenigen Minuten fiel der Schock von ihm ab und er schaute sich um. Er blickte in die dunklen Augen von Taszika, die sich ungeduldig über den jungen Halbdrow beugte und wartete.
„Sag’ mir, was du hier machst?“, fragte sie ungehalten, dann hielt sie inne und meinte unerfreulich hinter her. „Sag’ es mir besser nicht was sich in deinem hirnlosen Kopf abspielt. Komm jetzt und erledige deine Arbeit, sonst gibt es heute Abend nichts für dich zum Essen.“ Bei diesen Worten wandte sie sich ab und fluchte einige Worte in ihrer eigenen Sprache, die Shar nicht verstand und ging in Richtung Küche davon.
Der Fünfjährige lag immer noch auf der Seite, beruhigte sich jedoch langsam wieder. Er betastete seinen Kopf, Arme und Beine und konnte feststellen, dass es zwar noch wehtat, aber die Schmerzen allmählich nachließen. Er hatte sich einige blaue Flecken und eine Beule am Hinterkopf zugezogen. Beim nächsten Mal muss ich mir ein anderes Versteck suchen, seufzte er in sich hinein und wischte sich mit den beiden Händerücken über die nassen Wangen. Dann raffte er sich langsam auf die Knie und blickte mit seinen tiefblauen Augen der Köchin hinter her, die gerade im Begriff war in der Küche zu verschwinden.
„Ja“, murmelte Shar plötzlich vor sich hin, auch wenn niemand in seiner Nähe war, der ihn hätte hören können und beantwortete die Aufforderung der Köchin für sich selbst.
Augenblicklich erinnerte sich der Junge jedoch an seinen Vater. Er sollte von Dipree aus die Wasserkrüge im Hauptgebäude auffüllen und wenn er Glück hatte, dann würde er Handir sehen. Diese Erinnerung ließ ihn das Schreckliche vergessen und der Kleine stürmte eilig über den Innenhof hinüber zum Haupthaus.
Leise schlichen tapsende, nackte Füße in dem Gang über die steinerne Treppe in das erste Stockwerk des Hauses Xarann nach oben. Hier, wo die Privatgemächern seines Herrn Nhaundar lagen, da wohnte auch sein Vater Handir, dass wusste Shar. Er lebte sogar in dem großen, hübsch dekorierten Raum, wo sich hin und wieder abends viele Drowmänner versammelten und am nächsten Morgen wieder nach Hause gingen. Manchmal wünschte sich Shar, er könnte auch dort wohnen, anstatt bei den anderen Sklaven in einem großen, kargen Saal schlafen zu müssen. Was der junge Halbdrow nicht wusste, Handir war mittlerweile die wichtigste Einnahmequelle für Nhaundar. Ein exotischer Liebessklave mit muskulösem Körperbau und eisernem Willen und für Nhaundars Geschmack ein sehr lohnenswerter dazu. Er hielt den Elfen fest unter seinen Fittichen und brach somit auch nicht das Abkommen mit Iymril, seiner Geschäftspartnerin aus Eryndlyn. Handir wiederum tat alles, um seinen Sohn schützen zu können und wenn es nur daran lag, dass der widerliche Sklavenhändler nicht auf ihn aufmerksam wurde. Nhaundar hatte den Säugling von damals schlicht vergessen. Niemand, nicht einmal Handir sprach die Wahrheit aus und sein Sohn würde noch früh genug erfahren, welche grausame Fassade sein Vater heimlich aufrechterhielt, um der unliebsamen Schmach zu entgehen, dass dieses Schicksal niemals für Shar vorgesehen war. Handir hätte sich auf der Stelle selbst getötet, wenn er damit dem Jungen die Freiheit hätte schenken können. Aber selbst dafür konnte sich der Elf nicht durchringen, war er doch die einzige Person, die Shar noch hatte und Handir an seine verstorbene Frau erinnerte. Jedes Mal wenn der Elf in das Gesicht des Jungen blickte, dann sah er dort die sanften Gesichtszüge von Chalithra und es wurde ihm warm ums Herz. Eines Tages jedoch, dass schwor sich Handir, wird der Moment kommen an dem sich das Blatt wenden wird.
Shar blieb stehen und schaute sich verschwörerisch in dem dunklen Gang um. Er konnte niemanden entdecken und das war auch gut so. Er stand vor der Eingangstür zu Nhaundars Privatgemächern und dem Wohnort seines Vaters. Vorsichtig legte er ein Ohr an und lauschte, ob geredet wurde, so wie es Handir ihm vor einige Zeit erklärt hatte, doch alles schien ruhig. Er seufzte kurz und hoffte inständig, dass Handir da sein würde. Dann hob er einen seiner kleinen, dünnen Arme und öffnete behutsam die Tür. Ein heller Lichtschein blendete ihn im ersten Moment und bildete einen harten Kontrast zu dem finsteren Flur, auf den er sich her geschlichen hatte. Er schaute hinein und erkannte augenblicklich Handir, der im hinteren Teil des Zimmers aus dem Fenster blickte. Er ist da, freute sich Shar, sein Herz klopfte vor Freude und er achtete jetzt nicht mehr auf die Heimlichkeit. Eilig huschte er hinein, schloss die Tür lauter, als beabsichtigt und rannte seinem Vater entgegen. Aus einer kleinen Ecke im Gang schauten zwei roten Augen zu Shar hinüber und ein leises Seufzen erklang.
Handir hörte die Geräusche, die ihm so bekannt vorkamen und drehte sich auf der Stelle herum. Er schaute in das freudestrahlende Gesicht seines Jungen und nun huschte ebenso ein fröhliches Lächeln über seine Lippen.
„Vater“, piepste Shar vor Aufregung und wurde von den starken Armen Handirs in Empfang genommen.
„Shar, was machst du denn hier? Du sollst doch gar nicht hier sein …“, die restlichen Worte gingen unter, als er den hageren Körper seines Sohnes festhielt, der lediglich von einer abgeschnittenen und durchlöcherten Wollhose bedeckt wurde und eher froh war, ihn zu sehen, anstatt zu schimpfen. Besonders wenn er an die gefährliche Situation im Hof zurückdachte, die er heimlich aus dem Fenster mit ansehen musste.
„Vater, ich muss dir was erzählen. Ich hatte ein Versteck und …“, mit diesen Worten fing Shar unbeirrt an zu erzählen was er im Innenhof mit Yazston und Welvrin erlebt hatte. Dann begann Shar von seiner Angst zu erzählen und das er eines Tages so ein großer Kämpfer sein wollte, wie sein Vater.
Handir hörte den Worten zu, doch seine Gedanken kreisten um die Zukunft des Jungen. Niemals würde er zu dem werden, was er sich wünschte. Seine Herkunft, sein äußeres Wesen und der Stand, den er hier im Haus des Sklavenhändlers innehatte, würden alles zunichte machen. Vielleicht kann ich nur eines tun, sagte der Elf zu sich selbst, dir deine Freude bewahren.
Beide unterhielten sich noch einige Zeit und Handir fühlte sich in der Anwesenheit seines Jungen wieder etwas wohler. Auch wenn die Augenblicke sich recht kurz gestalteten, sie und seine Erinnerungen waren alles, was dem Mondelfen noch von früher geblieben waren. Immer und immer wieder musste der Vater seinem kleinen Jungen von Kriegern und Kämpfern erzählen und versank dabei in den Gedanken an den Mondwald und seinem einstigen Clan. Shar liebte die Geschichten seines Vaters und mit jeder neuen Erzählung glänzten seine tiefblauen Augen voller Freude.
Nach fast einer halben Stunde mussten sich Vater und Sohn voneinander verabschieden, gerade rechtzeitig, als Nhaundar mit einigen seiner Geschäftspartner zurückkam und Shar darüber seine eigentliche Aufgabe vergaß. Eilig huschte der junge Halbdrow in den Flur und entging so den Blicken des Sklavenhändlers. Allerdings musste sich der Kleine von Dipree eine Standpauke anhören, der bei den Gästen Nhaundar nur selbst bediente. Heute Abend würde die Jagd stattfinden, ein Ereignis, worauf jeder der Anwesenden sich bereits ausgiebig freute und Wetten abgeschlossen wurden. Shar musste seinen Dienst in der Küche antreten und bekam von alldem nichts mit.
Handir wirkte nach dem Besuch seines Sohnes etwas geistesabwesend, als er alleine in einer Ecke vor sich hinkauerte und so tat, als würde er niemanden in diesem Raum wahrnehmen. Der eigentliche Grund war einfach, keiner sollte jemals ahnen, dass Shar da gewesen war. Das hinderte die Gäste und ihren Gastgeber aber nicht, sich um ihr eigenes Vergnügen zu kümmern.
Der Fünfjährige tätigte zur gleichen Zeit seine Aufgaben und am Abend kam er erschöpft, aber glücklich, dass er wieder eine neue Geschichte seines Vaters zu hören bekommen hatte, in den Schlafsaal der niederen Sklaven zurück. In diesem großen Raum, der sich im unteren Stockwerk des Hauses Xarann befand, waren all die Sklaven untergebracht, die im Haushalt dienten, so auch Shar. In einer kleinen Ecke im hintersten Teil lag eine durchlöcherte Wolldecke, Shars Schlafsplatz. Hungrig eilte der Junge jedoch erst zu einem großen Kessel mit dampfender Suppe hinüber und erhielt wie fast jeden Abend einen halbvollen Teller. Oft die erste und letzte Mahlzeit des Tages, aber so kannte Shar es nicht anderes. Er schlürfte sie schnell hinunter und wurde dann von einigen der älteren Sklaven – darunter auch der Köchin – zum Schlafen auf seine Decke geschickt, während die anderen ihren Aufgaben für den Abend nachkamen. Kinder hatten nachts nichts mehr auf den Fluren zu suchen, wenn die Kundschaft und Gäste sich hier herumtrieben. Wie immer seit fast fünf Jahren dasselbe, seit sich die Erwachsenen um einen Jungen kümmern mussten, der sie eigentlich nichts anging. Dipree hatte hier ebenfalls seine Finger mit ihm Spiel. Sie waren immer noch alle Sklaven und trugen dasselbe Schicksal. Die Tatsache, dass Shar ein Halbdrow und der Sohn des Lieblingsspielzeugs von Nhaundar war, wussten sie ebenfalls. So verhielten auch sie sich ab und zu dem Jungen gegenüber abweisend, aber immer innerhalb ihrer eigenen Grenzen. Wenn der Leibdiener nicht gewesen wäre, dann hätte sich von Anfang an niemand um den Säugling gekümmert. Alles andere ging sie nichts an, weder in der Gegenwart, noch in der Zukunft. So interessierte es sie auch nicht, wie Shar sich hinlegte und von einem großen und stolzen Mondelfenkrieger träumte, der alle Dunkelelfen im Kampf besiegte und dafür von allen bewundert wurde. Des Weiteren schmiedete er Pläne, welches Versteck er sich suchen könnte, um Yazston zu entgehen. Mit diesen Gedanken schlief der junge Halbdrow ein.