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Dem Wahnsinn so nah

By: Elbenstein
folder German › Books
Rating: Adult ++
Chapters: 47
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Disclaimer: I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
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38. Kap. Unberechenbarkeit oder Schicksal

38. Kapitel
Unberechenbarkeit oder Schicksal

Shar fand sich am Rand eines gähnenden Abgrunds wieder, der unendlich in der Tiefe des Unterreiches zu versinken schien. Seine Augen schauten in die Finsternis hinab und schon nach einigen Metern war alles nur schwarz in schwarz. Shar versuchte dennoch etwas zu erkennen, denn seine Neugier war geweckt. Er beugte sich noch weiter nach vorne und unmittelbar unter sich erstreckten sich spitze Felsvorsprünge in die Tiefe und alles wirkte sehr gefährlich. Anschließend ließ er seinen Blick schweifen und jeweils zu beiden Seiten bemerkte der junge Halbdrow, dass sich dieses Etwas – ein anderes Wort fiel ihm in jenem Moment nicht ein – die Straße entlang zog, genau jene Straße, die ihn zurück zu den Häusern und der Bevölkerung brachte.
Die Lösung lag klar auf der Hand, denn nichts anderes als den Klauenspalt hatte Shar entdeckt. Er stand zurzeit vor dem größten Ausläufer der drei Abgründe, die sich durch die Stadt Menzoberranzan zogen und in Ostmyr der Gruppe von Söldnern von Bregan D’aerthe als Hauptquartier diente. Der voluminöse Spalt, den Shar mit weit aufgerissenen Augen bestaunte, war der Teil, wo die gut bezahlte Söldnerarmee des Legionärs Jarlaxle ihren Eingang besaß.
Der junge Halbdrow war so fasziniert, dass er alles um sich herum vergaß. Niemals zuvor hatte er jemals so etwas Großartiges oder besser gesagt, so ein beeindruckendes, wie auch lebensbedrohliches Naturschauspiel zu Gesicht bekommen. Er hielt vor Verzauberung den Atem an. Erst als er leicht schwankte und Sternchen vor seinen Augen tanzten sah, nahm er einen kräftigen Atemzug, und lachte über sich selbst. Einige Male seufzte er herzzerreißend auf und wäre für ewig hier stehen geblieben. Der Klauenspalt zog ihn unmittelbar in seinen Bann, als wäre er das Tor zu einer anderen, neuen Welt.
Das musste er Nhaundar und Sorn erzählen. Zaknafein wollte er es am liebsten auf der Stelle zeigen. Alle konnten stolz auf ihn sein, dass er diesen fantastischen Ort entdeckt hatte. Genauso wie Zaknafein stolz auf ihn sein konnte, da er ihm das Schwert schenken wollte. Auf dem Weg hierher war dieser letzte Entschluss gefallen. Er selbst war zu schwach die Klinge zu heben, wenn das Ziehen alleine schon mehr Kraft erforderte, als ihm lieb war. Somit musste der gefundene Schatz in Hände, die es ehrwürdig zu führen verstanden. Der Waffenmeister des Hauses Do’Urden stellte in Shars Augen den perfekten Krieger da. Jemand, der trotz der obsidianen Hautfarbe, im Wesen Handir so sehr glich, als irgendein anderer Drow in der unterirdischen Stadt der Spinnenkönigin. Manchmal war Zaknafein auch wie ein Vater zu ihm gewesen und dieses Geschenk war gemacht für einen Freund und Vater. Ein weiterer Grund waren die Lektionen des Waffenmeisters, der dem jungen Halbdrow einiges beigebracht hatte. Zum einen hatte er gelernt, wie er einen Dolch richtig hielt und man sich damit verteidigen konnte. Da das Schwert für Shar zu schwer war, schien die Entscheidung absolut die Richtige zu sein.
Noch während der Junge in seine Gedanken versank und staunend die neue Umgebung musterte, bemerkte er nicht, dass er gegenwärtig gar nicht so alleine war, wie es den Anschein hatte. Die Soldaten von Bregan D’aerthe patrouillierten den Klauenspalt entlang und ab und an mischten sich andere, zwiespältige Dunkelelfen in das Geschehen dieses Ortes mit ein. Sie alle schlichen still und heimlich - auf der Art der Drow – herum. Manche zogen sogar Verkleidungen vor, um nicht erkannt zu werden. Die hier lebenden Drow – ein bunt zusammen gewürfelter Haufen von Dunkelelfen – arbeiteten mit den Söldnern und Händlern Hand in Hand. Adlige Häuser beteiligten sich ebenfalls an den Geschäften, die in diesem Teil der Stadt abgewickelt wurden, dazu zählte hin und wieder auch Nhaundar Xarann. Der Klauenspalt und der dazugehörige Teil dieses Sektors galten nämlich oft als Schlupfloch und Sprungbrett für verschiedene Intrigen und Machenschaften der Hohen Häuser.
An diesem Morgen schob der noch junge Drowkrieger Quev’eaonar zusammen mit seinem älteren Kumpan Valas Hune, einer der Späher der Söldner, Wache am Rand des Versteckes von Bregan D’aerthe. Gemeinsam, wie bereits viele lange Tage und Nächte in den Jahren zuvor, kamen sie ihrer Pflicht nach und hielten immer einsatzbereit ihre Augen offen und die Hände an den Waffen. Beide Krieger der Söldnertruppe waren loyale Untergebene von Jarlaxle.
Einst wurde Quev’eaonar bei einem Häuserkampf, an dem das Adelshaus Barrison Del’Armgo beteiligt gewesen war, von Bregan D’aerthe angeheuert und lebte seither unter den freien Männern in der Matriarchalisch geführten Stadt Menzoberranzan. Zurück zu der Muttermatrone Mez’Barris Barrison Del’Armgo zog ihn nichts mehr und ihn schien seit damals auch niemand zu vermissen. Stattdessen erfreute er sich an seinem neuen Leben und vor allem an den Möglichkeiten, die ihm die Söldnertruppe in der Stadt der Spinnenkönigin eröffnete.
Valas Hune war lange vor ihm einer der Männer unter dem Kommando des Drow Jarlaxle und öfters mitten im Unterreich unterwegs, um verschiedene Aufträge oder anderweitig Geheimnisvolles zu erledigen. Wo sein Weg ihn hinführte erfuhr nie jemand, aber es interessierte auch keinen der Männer. Sie waren ein abgestimmtes Netz aus gefährlichen Dunkelelfen, die überall gefürchtet, aber genau auch deswegen angeheuert wurden.
Beide Drow patrouillierten eben ihren gewohnten Weg entlang, da hörte Quev’eaonar etwas Ungewöhnliches. Es klang nach einer Stimme, die zu lachen schien. Der junge Soldat hielt abrupt inne, ließ seinen Blick über die nähere Umgebung wandern, konnte jedoch niemand ausmachen.
„Was ist?“, flüsterte Valas im gleichen Moment seinem Kumpan zu, blieb ebenfalls stehen und tat es dem Jüngeren gleich und lauschte.
„Mir war so, als hätte ich etwas gehört“, gab Quev’eaonar mit den Handzeichen der Drow seinem Wachkollegen zu verstehen und horchte dabei weiter in die Stille hinein.
„Bestimmt wieder Ratten oder Kobolde, die hier durch die engen Gänge huschen und sich verstecken“, entgegnete Valas flink mit seinen Fingern und ein Lächeln huschte dabei über die Gesichtszüge des etwas älteren Drow.
„Du wirst recht haben“, meinte Quev’eaonar und schloss sich dem Schmunzeln seinem Gefährten an.
Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Nur einen Unterschied gab es zu zuvor, ihre Blicke schweiften jetzt noch aufmerksamer über die gerade erst erwachende Umgebung des Klauenspaltes.

Shar bekam von alldem nichts mit, sondern stand immer noch am Abgrund und freute sich über seine Neuentdeckung. Die eingewickelte Klinge hielt er dabei etwas schwerfällig neben sich und versuchte sie, so gut es ihm nun aufgrund seiner körperlichen Verfassung gelang, fest zu halten. Doch so einfach wie es bei den Soldaten immer wirkte, schien Shar doch offensichtlich einige Probleme zu haben. Er schwankte immer wieder nach vorne und hinten und stöhnte auf, wenn das Gewicht des Langschwertes ihn zu übermannen drohte. Mehr als einmal, wäre er fast auf den Hosenboden gefallen, weil der Junge beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, es aber stets im letzten Moment verhindern konnte.
„Mein Sohn“, erklang plötzlich die Stimme im Geist des jungen Halbdrow, der augenblicklich verstand, dass Handir mit ihm sprach.
„Vater?“, flüsterte er leise und strahlte über das ganze Gesicht, dass Handir seit neustem ohne sein Zutun mit ihm redete.
„Shar, du musst dich verstecken und ausruhen“, verkündete die all über alle laute und gesichtslose Stimme im Kopf des Jungen und im Tonfall schwang eine gewisse Dringlichkeit mit. „Schau’ über deine Schulter und begebe dich zu dem kleinen Höhlenloch neben dir.“
Shar nickte, tat wie ihm geheißen und entdeckte sogleich das Versteck, dass er eben geraten bekam. Es handelte sich um eine kleine Felseinbuchtung, die mehr in die Höhe, als in die Breite ging und für einen erwachsenen Drow nur schwer passierbar aussah. Doch für den hageren Körper des jungen Halbdrow kein allzu großes Problem. Dennoch wirkte er etwas wehleidig, den düsteren aber dennoch schönen Ort so schnell verlassen zu müssen. Shar seufzte kurz auf, zuckte mit den Schultern und hielt beide Hände fest um die Decke mit dem Schwert. So schnell es ihm möglich war, zog er mit aller Kraft daran und gelangte nach nur wenigen Metern zu der kleinen Höhle. Shar blickte nochmals über die Schulter, damit er sich sicher sein konnte, dass niemand ihn beobachtete und ging in die Knie. Alsbald kletterte er auf allen Vieren hinein und zog Stück für Stück die Klinge mit sich. Zum Schluss saß er auf dem kalten Felsenboden, staunte mit seinen tiefblauen Augen durch den engen Eingang hinaus und fragte sich, was sein Vater wollte. Verstecken schien eine gute Idee, aber wieso? Niemand hatte sich ihm genähert, genauso wenig gab es Anzeichen, dass er Gesellschaft bekam. Doch augenblicklich wurde er eines Besseren belehrt. Kaum machte sich Shar Gedanken huschte etwas an ihm vorbei. Erschrocken fuhr er zusammen und ein kalter Schauer wanderte vom Nacken durch den ganzen Körper. Was war das, wollte er wissen und fingerte zur gleichen Zeit nach seiner neusten Beute, den gestohlenen Dolch. Zittrig hielt er ihn sich vor das Gesicht und musterte ängstlich, jedoch wachsam alles, was er mit seiner nicht so gut ausgebildeten Wärmesicht in diesem Unterschlupf und unmittelbar davor fassen konnte. Doch er sah nichts, alles wirkte verlassen und er selbst saß zwischen kalten Felswänden und zwar alleine.
„Vater?“, versuchte er im Geist Handir anzurufen.
„Mein Sohn, bleibe hier und ruhe dich aus. Du bist nicht mehr lange alleine. Habe jedoch keine Angst, denn hier wird dir nichts geschehen“, ertönte die Antwort und so abrupt wie sie kam, verklang sie wieder.
„Handir?“, fragte Shar sogleich hinter her.
Doch nichts geschah und der junge Halbdrow fühlte, dass er nun keine Antwort erhalten würde. Nach dieser Erkenntnis wirkte plötzlich alles unheimlicher und gefährlicher. Die Furcht bemächtigte sich seiner, ganz egal ob er auf das Urteil seines Vaters zählen konnte oder nicht. Mit einmal Mal war er wieder ganz auf sich gestellt, saß in einem finsteren Loch und nichts zeugte hier von Freundlichkeit oder Wärme.

Zur gleichen Zeit waren die beiden Männer von Bregan D’aerthe am Ende ihres Rundgangs angekommen und erreichten ihren Ausgangspunkt, unmittelbar in der Nähe von Shars Versteck.
„Ich halte noch ein wenig meine Augen offen“, sprach Quev’eaonar zu Valas gewandt, der ihn daraufhin ungläubig beäugte.
„Wieso denn das?“, wollte der Späher wissen, nichtsdestoweniger konnte er sich die Antwort bereits denken und sprach leise und gelassen weiter. „Lass’ mich raten, du bist nervös. Es ist wegen ihm, oder liege ich falsch?“
Ein schiefes Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des jüngeren Soldaten aus und er zuckte mit den Schultern.
„Hab’ ich es doch geahnt. Ihr junges Frischfleisch solltet nicht so viel denken, dass bekommt euch nicht gut“, lachte Valas plötzlich leise auf und klopfte freundschaftlich Quev’eaonar auf die Schulter.
„Verspotte mich nicht, denn vielleicht würde es dir genauso gehen, wenn deine Vergangenheit plötzlich hier herein spaziert“, erwiderte der Jüngere in gespielter Gekränktheit, konnte jedoch nicht aufhören zu Schmunzeln.
„Meine Vergangenheit existiert nicht“, antwortete Valas mit der Weisheit seines Alters und legte seinen Kopf leicht schief. „Auch deine nicht mehr. Ich werde jetzt gehen. Bleib’ nicht so lange, sonst sind nachher die besten Bissen weg.“
„Hungrig bin ich nicht, aber schaden kann es nicht, wenn ich ein wenig alleine sein kann und mir neue Energie aneigne.“
Valas lachte und beide liefen zusammen einige Meter weiter. Direkt vor Shars Schlupfloch kamen sie zum Stehen.

Shar war gut versteckt, aber dennoch nicht taub. Sobald die zwei Dunkelelfen sich keine drei Meter vor ihm aufhielten, vernahm er ihre Stimmen deutlich und klar. Erschrocken riss er beide Augen weit auf, den Dolch immer noch zur Verteidigung oder auch zum Angriff erhoben und seine Hand zitterte dabei unkontrolliert. Also hatte Vater Recht, sagte sich der junge Halbdrow und beschloss niemals mehr an den Worten von Handir zu zweifeln. Darüber hinaus bemerkte der Junge nicht, wie erst ein Lachen erklang und plötzlich unvermittelt verstummte.
Quev’eaonar und Valas hielten abrupt in allem inne, tauschten fragende Blicke aus und rümpften plötzlich die Nase.
„Hier ist etwas? Riechst du es?“, signalisierte der Jüngere dem Älteren zu und deutete dabei auf das Versteck des jungen Halbdrow.
Valas nickte bestätigend, machte sich jedoch keine große Sorgen. „Das wird ein Kobold sein, genau wie vorhin. Die Viecher sind doch überall.“
„Ich werde nachschauen“, entgegnete Quev’eaonar und wandte sich im gleichen Moment bereits um.
Der Späher von Bregan D’aerthe zuckte mit den Schultern und beschloss, dass er lieber gehen wollte. Die Jugend von heute schien auch immer seltsamer zu werden. Valas verschwand augenblicklich neben dem kleinen Felssprung im Felsen und von einer auf die andere Sekunde schien er wie vom Erdboden verschwunden.
Stattdessen freute sich der Soldat Quev’eaonar alleine zu sein. Vielleicht hatte er auch nur etwas gebraucht, um in Ruhe und ohne das zutun von anderen nachdenken zu können und er vergaß in jenem Moment die Gedanken an Kobolde und Ratten. Ihn beschäftigte eher der Besuch des Waffenmeisters Uthegental Barrison Del’Armgo, der dem Söldnerführer Jarlaxle einen Besuch abstattete und das zum Leidwesen des Gemüts eines ehemaligen Mitglieds des zweiten Hauses. Nun ja, solange Quev’eaonar keine Aufmerksamkeit verursachte, würde er nichts vor dem Waffenmeister befürchten müssen. Aber die Vorsichtig ist nun mal die Mutter der Porzellankiste und Uthegental war alles andere als feinfühlig. Noch während Quev’eaonar überlegte, stieg ihm plötzlich wieder dieser seltsame Geruch in die Nase. Es roch nach Abfall, gemischt mit Unrat und Blut. Hatte sich hier ein nichtsnutziges Tier versteckt oder ist es sogar so dumm gewesen, in ein Loch zu klettern ohne wieder herauskommen zu können, um dort elendig zu verwesen. Typisch für Kobolde, sagte sich der junge Soldat. Doch der Gestank war wirklich nicht von schlechten Eltern und je länger der Duft durch die nähere Umgebung wehte, desto mehr konnte er andere, nicht wirklich wählerische Rassen auf den Plan rufen. Menzoberranzan war sicher, ja, aber nicht von allen Seiten. Der Klauenspalt klaffte neben ihm auf und was alles in der Tiefe der Spalte hauste, wollte der Dunkelelf gar erst nicht wissen. So beschloss er nach dem Etwas zu suchen und vielleicht konnte man es ja ohne große Probleme beseitigen. Eine gute Ablenkung für Quev’eaonar.
Der Drow schlich vorsichtig, einen Schritt nach dem anderen, am Rand der Felsspalte entlang. Seine Augen tasteten jeden Zentimeter ab. Mit jedem Schritt kam er besser voran und stand am Ende wieder am Ausgangspunkt, unmittelbar vor dem Versteck, in dem ein ängstlicher Halbdrow saß und verzweifelt versuchte, nicht laut mit den Zähnen zu klappern.
Quev’eaonar rümpfte erneut die Nase, vernahm ein seltsames Geräusch, wie von einem ängstlichen Tier, und blickte in den engen Eingang der kleinen Höhle hinein und erkannte vor sich zwei Augen, die nicht einem Dunkelelfen noch einem Kobold gehörten. Sie erstrahlten im Spektrum der Wärmesicht, doch die Intensität eines Drow fehlten ihr zum Teil. Was war das? Der Soldat von Bregan D’aerthe starrte gebannt in die Felsspalte und ließ eine Hand an den Knauf seines Schwertes wandern.
Erneut erklang ein kläglicher Laut aus der Höhle und der Drow ahnte plötzlich, dass hier keine Gefahr drohte.
„Wer ist da?“, rief er leise, aber dennoch gut hörbar hinein.
Shar bebte am ganzen Körper wie Espenlaub und traute sich nicht zu bewegen. Besser gesagt er konnte es nicht. Die Angst vor dem Fremden, die alles umgebende Schwärze und das Auslassen von Handirs Worten ließen den jungen Halbdrow fast versteinern. Einzig und alleine schlug sein Herz wild in der Brust, das Blut raste durch seine Adern und ein kalter Schauer jagte den anderen.
„Vater, Vater, hilf’ mir!“, flehte Shar stumm, doch die Antwort blieb, wie zu erwarten, aus.
Quev’eaonar staunte stattdessen nicht schlecht, als er von einem auf den anderen Atemzug erkannte, was sich hier versteckt hielt. Kein Kobold, keine toten Ratten oder anderes Ungeziefer, sondern lediglich ein zitternder Junge und dazu noch ein äußerst erbärmlich ausschauender Halbdrow. Überrascht von seiner Entdeckung ließ er von der Klinge ab und starrte ins Innere.
Shar wusste nicht so recht, was er tun sollte. Er spürte nichts weiter als eine Heidenangst um sein Leben.
„Wer bist du?“, wollte Quev’eaonar nun wissen und wirkte mit dieser Frage, noch mit seinem Tonfall bedrohlich noch angst einflössend, sondern aufrichtig neugierig.
Doch der Junge erkannte nur die direkte Gefahr, die von diesem Drow ausging. Zuviel und zu oft spürte er sie doch am eigenen Leib und die Erlebnisse in den letzten Tagen brachten Shars Nerven endgültig zum Flattern. Hier galt es sein Leben zu verteidigen. In einem Anfall von Heldenmut schloss er seine Finger fester um den Griff des Dolches, reckte die Hand mit der Klinge nach vorne und stieß als Drohgebärde mehrmals in die leere Luft.
„Weg … du musst weg gehen“, warnte er mit piepsender Stimme, die nicht zu seiner Herausforderung passte und fuchtelte weiter ungehalten mit dem Dolch hin und her.
Quev’eaonar biss sich bei dem Anblick auf die Unterlippe, um nicht laut zu lachen, und beobachtete wissbegierig, was der Junge vorhatte. Allein das Zuschauen war amüsierend genug. Auf Anhieb fielen ihm mindestens zehn Arten der Verteidigung ein, wenn der Halbdrow seine Drohung in die Tat umsetzen wollte. Die einfachste davon schien auch die vernünftigste, denn er würde ein oder zwei Schritte zurücktreten, sein Schwert ziehen und den Fremden einfach nur anschauen, vorschnellen und zustechen.
Shar überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Da erinnerte er sich an die eingewickelte Klinge und an die Erklärung, als Zaknafein ihm einmal sagte, dass alleine schon die Waffe eine Bedrohung darstellen konnte ohne sie benutzen zu müssen. Seine körperliche Verfassung vergaß er in jenem Moment völlig. Im Bruchteil einer Sekunde tastete der junge Halbdrow nach dem Langschwert, versuchte dabei jedoch stets den Fremden im Auge zu behalten, der seltsamer Weise gar nichts tat und wickelte etwas umständlich die Decke von der scharfen Schwertklinge.
Er musste aufmerksam bleiben, sich verteidigen und dabei tapfer bleiben. Er musste beweisen, dass er sich nicht wehtun ließ oder töten lassen wollte. Zak hatte ihm viel gezeigt, um annähernd zu wissen, was er da tat. Und noch während er die Decke von dem Langschwert löste, fiel ihm das Mädchen von der Straße ein. Er erinnerte sich an ihre Schlage und sie hatte es unbewusst Dantrag gleich getan. Aber diesmal würde Shar sich nichts gefallen lassen.
Sein Mut stieg von Atemzug zu Atemzug und er wusste selbst nicht, was ihm so einen Anflug von Tollkühnheit verlieh. Mit der einen Hand den Dolch fest im Griff, gelang es ihm mit der anderen ungeschickt nach dem Knauf des gestohlenen Schwertes zu gelangen. Dann war es vollbracht und die Klinge aus dem Haus Barrison Del’Armgo lag in Shars Griff. Er raffte sich umständlich in eine gebückte Haltung. Doch mit dem Gewicht hatte er nicht gerechnet. Er schwankte plötzlich wieder bedrohlich vor und zurück und musste versuchen seine ganze Willenskraft aufzubringen, dass er nicht rückwärts zu Boden kippte. Ihm fiel eine Lösung ein. Er steckte eilig den Dolch in den Hosenbund, umklammerte schnell mit beiden Händen den Schwertknauf und balancierte anschließend schaukelnd nach vorne und hinten. Vor dem Eingang blickten ihn immer noch vor Verblüffung und Unglauben rote Augen neugierig an.
„Komm’ mir nicht so nahe“, drohte Shar, diesmal mit festerer Stimme und versuchte das Langschwert anzuheben, doch es war zu schwer, so dass die Spitze immer noch den Boden berührte.
Quev’eaonar biss sich weiterhin auf die Unterlippe und hatte Probleme, nicht gleich und auf der Stelle in lautes Gelächter auszubrechen. Es schaute schon sehr merkwürdig aus. Vor ihm, in der kleinen Höhle, hockte ein jämmerlich aussehender Halbdrow, wirkte von Kopf bis Fuß rundweg einschüchtert, doch bewies Tapferkeit. Als der junge Soldat allerdings die glänzende Klinge eines Langschwertes erspähte, hatte auch die Lustigkeit ein Ende. Oder vielleicht auch nicht. Der hagere Leib des Jungen schwankte und selbst ein Blinder hätte erkennen können, dass der Kleine vor ihm zwar mutig, aber in keinem Fall bereit zu sein schien, ihm auch nur einen Kratzer antun zu können.
„Kleiner, lass’ das oder willst du dich selbst verletzten?“, fragte Quev’eaonar plötzlich und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Waffen wollte er nun gar nicht mehr benutzen, sondern die Spannung vor der unerwarteten Entdeckung nahm von ihm Besitz.
„Lass’ mich in Ruhe!“, drohte Shar erneut und keuchte unter dem schweren Gewicht des Schwertes, konnte es nicht heben, auch wenn er sich noch so viel Mühe gab.
„Schau’ mal, ich habe keine Waffe gezogen und ich sage dir, ich will dir überhaupt nichts tun“, beruhigte Quev’eaonar den Jungen und hielt dabei beide Arme von sich gespreizt, um seine Worte glaubwürdiger wirken zu lassen. Er wollte wissen ob das alles hier ein Scherz oder vielleicht doch die Realität war. Dass dahinter sein Kumpan Valas stecken konnte, kam ihm in den Sinn und das könnte auch für sein übereiltes Verschwinden ein Hinweis gewesen sein. Doch was wollte der Späher damit bezwecken? Natürlich hätte ihm jeder andere der Männer einen Streich spielen können. Aber wieder die Frage, zu welchem Zweck sollte dieser dienen?
„Ich … ich … warne dich …“, stotterte Shar plötzlich und riss damit Quev’eaonar aus seinen Gedanken.
„Mein Kleiner, mach’ dich nicht lächerlich und hör’ mit dem Spielen auf“, mischte sich der junge Soldat nun ein und schaute dabei mehrmals über die Schulter, ob nicht doch einer seiner Kumpanen hinter ihm auftauchen und verkünden würde, es sei alles nur ein Scherz. Doch nichts dergleichen geschah. So richtete der Drow seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf den Halbdrow.
„Ich spiele nicht …“ verteidigte sich Shar tapfer und sein Mut stieg, in dem er sich langsam an das schwere Gewicht des Langschwertes gewöhnte. Auch wenn er es nicht heben konnte, so drehte er den Knauf relativ sicher in den Händen und versuchte so zu zeigen, dass die Waffe scharf und er bereit war. Vergessen schien in diesem Moment sogar Handir und er fühlte sich, als würde er zusammen mit Zaknafein in der Übungshalle stehen und jeden Angreifer abwähren können, der sich ihm in den Weg stellte.
„Ich möchte nach Hause zu meinem Herrn und zu Sorn und seinem Bruder“, sagte der junge Halbdrow unverzagt und versuchte einen grimmigen Gesichtsausdruck auf sein verschmutztes Gesicht zu zaubern.
Dies brachte Quev’eaonar ein breiteres Grinsen ein. Es sah viel zu komisch aus. Doch die Tapferkeit gefiel ihm. Bloß nicht unterbuttern lassen und sich verteidigen. Dies und ähnliche Charakterzüge waren wichtige Merkmale der Soldaten von Bregan D’aerthe und der Junge schien diese in jenem Moment wirklich gut umzusetzen. Er musterte nun sein fremdes Gegenüber näher und was er erkannte, ließ ihn staunen. Nicht nur, dass der Halbdrow vor ihm verdreckt war und der Geruch eindeutig von ihm stammte, zudem trug er auch noch Kleidung eines Soldaten. Schwarze Lederhosen, die an den Fußknöcheln abgeschnitten waren, jedoch keine Schuhe und die nackten Füße schauten hervor. Dazu kam das Hemd, das an den Ärmeln ebenfalls gekürzt war. Obendrein erkannte er die langen verklebten, weißen Haare mit dem Blut und an den Stellen, wo die Haut hervorlugte, erspähte Quev’eaonar etwas Gräuliches, sowie einige Verletzungen, die dabei waren zu verheilen. Außerdem entdeckte er, dass der Junge ein eisernes Sklavenhalsband trug. Das Merkwürdige jedoch war das Schwert. Am Knauf prangte das Hausabzeichen von Barrison Del’Armgo. Unter allen hier lebenden Adelshäusern war es genau jenes, was er niemals wieder vergessen konnte, gewollt oder ungewollt. Doch wo hatte dieses Kind die Waffe her und hatte es damit tatsächlich noch etwas vor? Auch wenn der Halbdrow mit leeren Worten drohte, hatte der Junge auch Angst und die veranlasste jemanden zu vielen Dinge und verlieh manchen auch ungeahnte Kräfte. Aber gleichzeitig war es auch so deutlich, dass der Junge einen viel zu schwachen Körper besaß, um alleine schon gegen einen nicht trainierten Dunkelelfen zu verlieren. Da fiel es Quev’eaonar wie Schuppen von den Augen, er schien es fast vergessen zu haben, aber der Waffenmeister des Hauses Barrison Del’Armgo hielt sich in unmittelbarer Nähe auf. Nur wenige Meter unter ihm, irgendwo in den Privaträumen des Anführers Jarlaxle von Bregan D’aerthe. Vielleicht war der Junge vor dem Hünen geflohen und suchte hier Schutz. Wenn er Recht hatte, dann war das gar nicht gut.
„Lass’ uns von vorne an anfangen …“, begann der junge Soldat auf den Jungen einzureden, während der Halbdrow mittlerweile tapfer aufrecht stand und mit hervortretenden Handknöcheln den Knauf des Schwertes hielt. „Sag’ mir deinen Namen“, forderte Quev’eaonar sein Gegenüber auf und hoffte, dass er vielleicht Erfolg haben könnte, zu erfahren, was sich wirklich hier abspielte. Er wollte versuchen von dem Halbdrow mehr Informationen heraus zukitzeln, die er vielleicht später in einen Vorteil verwandeln konnte. Und außerdem faszinierte ihn das Halbblut, da er gegen dessen Abstammung überhaupt keinen Groll oder Hass hegte.
Shar sah verdutzt zu dem Dunkelelfen hinaus. Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander und irgendwie wusste er, dass hier momentan keine Gefahr auf ihn wartete, als es auf den ersten Blick den Anschein erweckte. Doch man konnte nicht vielen Dunkelelfen trauen, eigentlich keinem, wie er wusste, und sein Vertrauen besaßen nur Sorn, Nalfein, Zaknafein und seltsamerweise auch Nhaundar.
Bei letzterem, Nhaundar Xarann, war der Junge seit dem Erwachen auf der Müllhalde fest davon überzeugt, dass er eigentlich nie etwas Böses tun wollte. Außerdem hatte der Sklavenhändler gut für ihn gesorgt und die grausame Folter und den Tod seines Vaters hatte er dabei schon längst verdrängt. Doch dass Nhaundar sich mit Shar lediglich eine Menge Gold und Ansehen verschaffte, zählte für den Jungen nicht. Nhaundar gab ihm den Schutz, den er benötigte und am liebsten wollte er augenblicklich zurück zu seinem Herrn. Wenn das nicht geschah, würde er wahrscheinlich in den nächsten Tagen schwach, wenn nicht sogar tot in einer Ecke, irgendwo auf den Straßen liegen und niemand interessierte es.
Noch während der Junge überlegte, wurde das Gewicht der Waffe immer schwerer und lange konnte er seine Verteidigung nicht mehr aufrechterhalten. Erschwerend kam hinzu, dass sein Vater ihm keine Antworten lieferte, er schien ganz und gar verschwunden und Shar somit unabdingbar auf sich alleine gestellt.
„Na komm’ schon, du kannst sprechen und mir deinen Namen verraten“, meinte Quev’eaonar freundlich und musterte den Jungen immer interessierter.
„Ich kann sprechen und habe auch einen Namen“, entgegnete Shar entrüstet, weil er immer wieder als dumm dargestellt wurde. „Ich bin nicht blöd und jeder muss doch einen Namen haben.“
Ein herzliches Lachen erklang von dem jungen Soldaten und er war wahrlich überrascht über die kindliche, wenn auch logische Antwort, des fremden Jungen. Auf den Kopf schien er somit nicht gefallen zu sein und sein Mut, so offen und ehrlich mit einem Söldner zu reden, beeindruckte Quev’eaonar mehr, als er sich das einzugestehen wagte. Falls das tatsächlich ein Scherz der Männer von Bregan D’aerthe war, dann hatte er soeben seinen Spaß daran entdeckt.
„Du darfst nicht lachen“, schmollte Shar plötzlich über die Belustigung des Drow und verengte schließlich seine Augen zu gefährlichen Schlitzen und presste seine Lippen fest aufeinander. Er musste immer noch versuchen bedrohlich auszusehen.
Quev’eaonar verkniff sich das nächste Lachen und versuchte ernst auszuschauen. „Ich lache nicht, wenn du mir deinen Namen verrätst und lass’ das Schwert sinken, ich tue ich dir nichts.“
Shar runzelte die Stirn und hörte sich die Worte genau an. Eigentlich hatte der Fremde sogar Recht, denn wenn er ihn umbringen wollte, dann hätte er es wohl schon längst getan und er konnte nur froh sein, wenn er sich von der Anstrengung des schweren Haltens etwas erholen konnte. Aber ohne Verteidigung durfte er nicht bleiben. Zum Glück für den jungen Halbdrow gab es immer noch den Dolch im Hosenbund. Eilig legte er das Schwert auf den Boden, griff schnell nach der kleinere Klinge und zog diese blank.
„Mein Name ist Shar und ich werde nicht sterben“, warnte der Junge stolz, „denn mein Vater ist ein Krieger und Zaknafein hat mich kämpfen gelernt.“
Quev’eaonars Augen weiteten sich und er schien nun mehr als verblüfft, was der Kleine hier so selbstsicher von sich gab. Jetzt war er sich gar nicht mehr so sicher, dass es sich hierbei um eine Narretei seiner Kameraden handelte. Dazu wirkte der Halbdrow zu verängstigt und wusste instinktiv, dass die Worte der Wahrheit entsprachen. Die Männer von Bregan D’aerthe waren Soldaten, Mörder und ein Intrigen spinnendes Netz aus Machenschaften, aber keinesfalls dafür bekannt einen verängstigten Jungen für die Unterhaltung eines Einzeln für sich zu gewinnen.
„Mein Name lautet Quev’eaonar“, antwortete der Dunkelelf und versuchte es diesmal mit einem ehrlichen Lächeln. Dabei kam ihm ein weiterer Gedanke. Er könnte versuchen den Jungen zu ködern. Der Halbdrow wirkte abgemagert, schwach war er sowieso und je mehr Vertrauen er seinem Gegenüber entgegen brachte, desto schneller und wohl auch besser käme er an Informationen heran. So sprach er eilig weiter. „Hast du Hunger? Möchtest du etwas Essen?“
Das Wort Hunger und alleine der Gedanke an seinen leeren Magen ließ den hageren Körper erzittern. Er würde alles essen, wie er sich selbst eingestand – außer Ratten natürlich, tot oder lebendig. Die letzte Mahlzeit war das Brot gewesen und dies hatte nicht wirklich gestillt. Der Junge versuchte erneut seinen Vater zu fragen, aber es kam keine Antwort. Leicht verunsichert musste Shar versuchen sich seine Entscheidung selbst zu Recht zu legen. Wenn der Fremde ihn vergiften wollte, dann gab dies zumindest im ersten Moment keinen Sinn. Das Schwert erledigte so etwas schneller und präziser. So siegte innerhalb von Sekunden der Hunger über die Angst und Shar nickte, wobei er aber den Dolch vor sich hielt.
Erleichtert atmete Quev’eaonar aus und freute sich über seine klug gewählten Worte. Fürs erste galt ein Vertrauen aufzubauen. „Dann musst du hervor kommen und ich gebe dir von meiner Ration etwas ab“, forderte der Soldat den Jungen auf und winkte mit einer Hand in die eigene Richtung, genau dorthin, wo er jetzt stand.
„Der Dolch und das Schwert sind aber mir“, murmelte Shar leicht bedrohlich und entschloss sich dafür, die große Waffe in der Höhle zu lassen und nur die kleine Klinge mit nach draußen zu nehmen. Denn immerhin konnte er sich schnell wieder in die Höhle verkriechen, während der Fremde zu groß und breit war, um sich hier schnell hinein zu zwängen. Das erschien ihn als vernünftig genug. Anschließend nickte der Junge und deutete an, dass er nun heraus kommen würde.
„Beide Waffen sind deins und ich hege kein Interesse daran“, entgegnete Quev’eaonar und lachte leise in sich hinein. Der Halbdrow besaß Schläue und vor allem Mut. Seine eigene Neugier beschränkte sich auf den Jungen und nicht auf die Waffen, die trug er selbst am Leib. Sogar mehr, als der Kleine vor ihm ahnte.

Eine halbe Stunde später saßen Quev’eaonar und Shar immer noch zusammen neben dem Höhleneingang und unterhielten sich. Der Soldat verdrängte dabei den Geruch des Jungen, dafür erhielt er Informationen. In dieser Zeit hatte der Junge seine ganze Ration wegputzt.
Der junge Halbdrow hatte schnell gemerkt, dass der Soldat weder gefährlich noch so Angst einflössend war, wie es anfänglich den Anschein hatte. In seiner ganzen Art schien er Nalfein, dem Zwillingsbruder seines Liebsten zu ähneln und das brach rasch das Eis.
So erfuhr der junge Söldner von Bregan D’aerthe, dass der Junge überhaupt nicht aus dem Haus Barrison Del’Armgo stammte, stattdessen einen Sklavenhändler gehörte, der sich Nhaundar Xarann nannte. Ein unbekannter Name für den Krieger, der Sklavenhändler überhaupt nicht mochte und er nicht jeden in der Stadt kannte. Dafür gab es zu viele Dunkelelfen in Menzoberranzan. Doch dass Shar nach seinem Herrn suchte und sogar davon überzeugt schien, dass dieser ihn bald finden würde, entschied sich Quev’eaonar, nicht mehr alles zu glauben, was seine Ohren vernahmen. Das war unrealistisch. Anschließend folgten noch viele weitere, kuriose Dinge und eins nach dem anderen klang haarsträubender als das Vorangegangene. Shar, wie sich der jungen Halbdrow bei ihm vorstellte, machte aber keinen so verwirrten Eindruck, wie die Worte aus seinem Mund. Als die Sprache auf einen Vhaeraunpriester gelenkt wurde, klang es schon etwas anders. Dennoch konnte er nicht richtig glauben, dass der Maskierte Fürst hier mitten unter den Muttermatronen einen Kleriker haben sollte, dem es gelang, sich vor ihren Blicken zu verstecken. Ein Ding der Unmöglichkeit oder auch nicht? Das Gespräch wurde plötzlich wieder interessanter. Er forderte Shar auf, alles zu erzählen, was er wusste. Doch so einfach gab der junge Halbdrow keine Informationen preis, besonders nicht wenn er daran dachte, wie Sorn ihn immer aufs Neue bedrängte, er dürfe nichts sagen. Shar hatte es versprochen und Versprechen musste man halten.
Etwas frustriert über die nun dürftigen Aussagen des Jungen, überlegte Quev’eaonar angestrengt weiter. Was würde geschehen, wenn er den Jungen mitnahm, bei der Söldnergruppe um Erlaubnis bat, um ihn in der Truppe aufzunehmen? So etwas gab es bisher noch nie und keiner würde auch nur im Ansatz erahnen können, dass ein Halbelf zu den gefährlichen Männern von Bregan D’aerthe zählte. Unschuldig und heimlich könnte er ausspionieren, ob nun mit klaren Erinnerungen an sein eigentliches Leben oder nicht. Ein Versuch schien es wert zu sein und wert auch die Gunst des Augenblicks.
„Möchtest du noch mehr Essen?“, fragte Quev’eaonar aufrichtig, als er Shar beobachtete, wie er den letzten Rest seiner Ration verschlang, Brot und Trockenfleisch und dazu einen ganzen Schlauch Wasser trank. Es musste schon einige Zeit her sein, dass der Halbdrow so viel auf einmal zu sich genommen hatte. Immerhin handelte es sich hier um eine Zweitagesration.
Shar nickte eifrig und schaute mit seinen tiefblauen Augen den Soldaten wie ein unschuldiges Kind an.
„Warte hier. Ich werde dir noch etwas bringen und wir unterhalten uns weiter. Machst du das für mich?“, fragte der Söldner vorsichtig. Obschon er davon ausging, den Jungen für sich gewonnen zu haben, musste er einfach fragen. Außerdem konnte er nicht einfach einen Halbdrow mitbringen, solange er noch keine Antwort auf seine Idee hatte. Hinzu kam, dass er sich absolut selbst davon überzeugen musste, ob er hier das Richtige tat. Wenn ja, dann würde er wahrscheinlich derjenige sein, der das Leben des Kleinen auf sich nehmen musste, der in jenem Moment von all seinen Gedanken nicht die geringste Ahnung besaß.
Daraufhin verabschiedete sich Quev’eaonar, stand auf, blickte über die Schulter um sicher zu gehen, dass Shar sitzen blieb und verschwand so eilig, wie Valas Hune zuvor in einer kleinen Felsspalte, dem Eingang zum Hauptquartier von Bregan D’aerthe.
Zurück blieb ein ungeduldiger junger Shar, der mit sich selbst zufrieden war.
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