Dem Wahnsinn so nah
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Disclaimer:
I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
39. Kap. Geben und Nehmen
39. Kapitel
Geben und Nehmen
Während Quev’eaonar am Rand des Klauenspalts sich mit Shar unterhielt, saß ein sehr gelangweilter Söldnerführer – Jarlaxle Baenre von Bregan D’aerthe - in seinen Privatgemächern und wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder alleine zu sein. Der Anführer lehnte sich lässig in seinem Plüschsessel nach hinten, beide Beine auf der Schreibtischkante übereinander geschlagen und schaute mehr desinteressiert als neugierig zur steinernen Decke, die in einem sanften, roten Glühen flimmerte. Vor ihm stand groß und breit, in seinem maßgeschneiderten schwarzen Plattenpanzer, den er als Rüstung trug, der Waffenmeister Uthegental Barrison Del’Armgo. In seiner Hand hielt er seine Waffe, den schwarzen Dreizack. An seinem Gürtel prangte stets griffbereit ein Netz, wo jeder Drow in der Stadt munkelte, es wäre magisch, aber Beweise gab es bisher nie. Der exotische Drow maß fast an die zwei Meter und der muskelbepackte Körper wog gut und gerne hundert Kilogramm. Mit diesem Aussehen war er der größte Dunkelelf in Menzoberranzan und gleichzeitig wohl auch der Ungewöhnlichste der unterirdisch lebenden Rasse. Mit diesem Wissen, vermischt mit dem bizarren Auftreten, gehörte Uthegental nicht zu den Lieblingen des Söldnerführers, wobei sich Jarlaxle selbst unsicher schien, ob der Waffenmeister überhaupt ein Drow war. Das Haar des Kriegers war weiß, jedoch kurz geschoren. Er formte es mit Hilfe eines dicken, gelartigen Extraktes aus Rotheeutern zu vielen Spitzen zusammen und sah aus wie ein Barbar der Oberfläche. Durch seine kantige Nase hatte er einen Mithrilring durchgezogen und in jeder Wange ragte ein Schmucknagel hervor. Dies ließ ihn gleich gefährlicher ausschauen. Zum Glück hatte der Waffenmeister - der auch gleichzeitig der Patron der Muttermatrone Mez’Barris Barrison Del’Armgo war – heute auf seine übliche Kriegsbemalung verzichtet. Zickzackstreifen aus seltsamer Farbe, die in der Infravision, sowie in der normalen Sicht in der gleichen Farbe leuchtete.
Uthegental schaute Jarlaxle in jenem Moment mit rot glühenden Augen drohend an und wartete auf eine Antwort, dabei legte er die Stirn in Falten und sah gleich noch bedrohlicher aus. Als der Waffenmeister keine Antwort erhielt wurde er zornig und wiederholte seine Frage nun mit knurrender Stimme. „Ich warte, Jarlaxle. Die Zeit läuft mir davon und wieder werden Jahre vergehen. Ich bin der Ultrin Sargtlin!*“ (*Anmerkung: Sprache der Drow = Größter Kämpfer) Bei diesen Worten klopfte sich der protzige Dunkelelf mit der Faust auf die vor Stolz geschwellte Brust, um die Aussage noch zu unterstreichen.
Der Söldner verdrehte bei dieser Aussage herzhaft die Augen und konnte nicht verstehen, wie ein Mann von einem Tier, was Uthegental Barrison Del’Armgo nun einmal war, es einfach nicht sein lassen konnte, immer wieder mit der gleichen Frage zu ihm zu kommen und immer mit derselben Antwort nach Hause zurück zu kehren. Doch mit der Antwort ließ sich Jarlaxle gerne Zeit und dachte nach.
Vielleicht lag die Hartnäckigkeit des Waffenmeisters an dessen kleinen Verstand und er war somit zu keinen einfachen Gedankengängen fähig. Als Beispiel könnte man Folgendes erwähnen: Uthegental machte aus einer Kleinigkeit – wie gelange ich von Punkt A zu Punkt B – eine wissenschaftliche Studie, wo andere einfach nur von Punkt A zu Punkt B gingen und das gradlinig und Schritt für Schritt.
Während Jarlaxle über den Intellekt seines Gegenübers nachsann und schmunzelte, sprach der Koloss abermals, aber der Anführer von Bregan D’aerthe hörte nur mit halben Ohr zu. Er verabscheute allmählich diese Fragerei. Obwohl der Grund dafür durchaus lohneswert und vor allem anschauungswert gewesen wäre. Der Waffenmeister wünschte sich ein Zusammentreffen mit Dantrag Baenre, wozu es jedoch wahrscheinlich niemals kommen würde. Zumindest so lange nicht, wie die Muttermatronen ihre Familienmitglieder siegessicher unter Verschluss hielten und einem Kampf nicht zustimmten. Jarlaxle sollte in diesem Fall für ein heimliches Treffen sorgen, was er jedoch aus vielerlei Gründen nicht wollte.
„Jarlaxle?“, riss Uthegentals mürrische Stimme den Anführer der Söldnertruppe wiederholt aus seinen Überlegungen und wirkte nur noch bedrohlicher.
„Ich habe euch schon einmal gesagt, dass eurer Vorhaben nicht im Bereich des Möglichen liegt, Waffenmeister. Dantrag Baenre wird sich niemals auf solch ein Wagnis einlassen“, wehrte Jarlaxle die Frage ab und wirkte dabei eher gelangweilt als gefesselt. Wollte der Hornochse denn niemals aufgeben, schloss der hinterliste Drow seinen Gedankengang und lächelte über das ganze Gesicht, was Uthegental gleich noch wütender machte.
Jarlaxle interessierte das Gehabe des Waffenmeisters nicht und wollte es sich gerade auf seinem Plüschsessel richtig gemütlich machen und den Drow vor sich reden lassen, da spürte er etwas. Etwas, dass sich in dem Raum ausbreitete und alles in eine machtvolle, göttliche Aura hüllte. Eine Sekunde später schauderte der durchtrainierte, aber dennoch anmutige Körper des Söldners und er riss vor Überraschung seine roten Augen weit auf. Vor ihm waberte ein schwarzer Nebel. Er verdichtete sich rasend schnell und bereits beim nächsten Lidschlag saß ein attraktiver Dunkelelf auf der Schreibtischkante. Er trug eine schwarze Lederrüstung. Kurzschwert und Dolch prangten jeweils links und rechts in dem Waffengürtel und die Haare waren weiß mit roten Strähnen. Eine goldene Halbmaske verdeckte die obere Hälfte des Gesichtes.
Der plötzlich auftauchende Drow saß Jarlaxle gegenüber und bedachte den Söldner mit einem strahlend, weißem Lächeln und wirkte dabei charmant und gewissenlos zugleich. Mit beiden Armen stützte sich der Maskierte auf der Kante des Tisches ab, während die Beine nach unten baumelten und er mit ihnen vor und zurück schlenkerte. Zwei glühende Augen blickten durch die Löcher der Halbmaske und strahlten göttliche Macht aus. Dabei blitzte das Augenpaar rot und bestimmend zu dem Anführer von Bregan D’aerthe hinüber.
Jarlaxle hielt vor Staunen einen Moment laut die Luft an, sein Herz schlug heftig in seiner Brust, während ein kalter Schauer über seinen Rücken lief. Zum einen wegen dem überraschendem Auftauchen und zum anderen, weil er mit allem, aber nicht damit gerechnet hatte. Sein Mund öffnete sich leicht und das Erstaunen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Zum Glück für den Anführer, dass Uthegental im selben Augenblick immer noch mit vor Stolz aufgeblähter Brust da stand, nach oben sah ohne Jarlaxle direkt anzuschauen und mit seiner Rede beschäftigt war.
„Ich grüße dich, mein Sohn*“ (*Anmerkung: Nachzulesen in der Fanfiction „A Past and Future Secrets“ über Jarlaxle), verkündete der Maskierte Fürst auf dem Schreibtisch in Jarlaxles Gedanken und sein Schmunzeln wuchs von einem Ohr zum anderen. „Mach’ den Mund zu, sonst krabbelt noch etwas hinein. Du könntest dich vermutlich daran verschlucken und ich bin nicht bereit dir zu helfen.“
„Aber …“, begann Jarlaxle leise zu stottern, hielt allerdings inne und starrte wie gebannt auf den maskierten Drow. Was hatte das zu bedeuten? War etwas geschehen?
„Wie wahr, mein Sohn, es ist etwas geschehen und wenn ich auftauche hat es immer etwas zu bedeuten. Wo bleiben dein Anstand und deine Selbstsicherheit? Du wirkst wie ein gewöhnlicher Dunkelelf oder willst du sagen, du seiest überrascht mich zu sehen. Du weißt, dass mich niemand sehen kann und das Großmaul hinter mir kann nicht einmal alleine pissen ohne Anweisung“, lachte Vhaeraun laut in Jarlaxles Geist auf und schaute sich anschließend gemächlich in dem Raum um, wo sein eigen Fleisch und Blut noch immer im Sessel saß, aber recht angespannt und durchaus überrascht wirkte. Wenigstens saß Jarlaxle auf seinem Stuhl, ansonsten wäre er womöglich wegen seiner Verblüffung umgefallen und das Ansehen des Anführers hätte darunter leiden können.
Stattdessen versuchte er nun unauffällig an dem Maskierten Fürsten vorbei zuschielen, um beobachten zu können, was der Waffenmeister des Hauses Barrison Del’Armgo eben zu tun gedachte, auf dessen Worte achtete er schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Doch jedes Mal wenn Jarlaxle den Kopf auch nur leicht zur Seite neigte, folgte Vhaeraun dem Söldner und runzelte leicht verärgert die Stirn.
„Ich habe jetzt keine Lust auf Spielchen, mein Sohn. Du bist ein Halbgott also benehme dich auch so. So bist du eine Schande und dabei war ich immer der Meinung Selvetarm käme der Intelligenz meiner Mutter gleich, nun du auch noch. Konzentriere dich gefälligst“, äußerte Vhaeraun säuerlich, wackelte dabei jedoch gelassen mit den Beinen in der Luft.
„Mein Maskierter Fürst, Vater …“, begann Jarlaxle gedanklich zu antworten und unterbrach das Ausspähen des Waffenmeisters vor ihm und tat wie ihm geheißen. Sein Schwerpunkt verlagerte er dabei auf den Maskierten Fürsten, während er mit halbem Auge den Waffenmeister im Blick behielt, der soeben mit einem Bericht über seine bereits hinter ihm liegenden Kämpfe und Siege anfing. Er wusste nur zu gut, dass sein Gott und Vater mit seinen Worten im Recht lag, doch noch niemals zuvor hatte ihn Vhaeraun in solch eine prekäre Lage gebracht. Es war ihr gemeinsames Geheimnis, das schon seit Jahrhunderten erfolgreich verschleiert wurde und das in der Zukunft auch so bleiben sollte. Einzig und alleine die wahren Zukunftspläne des rachsüchtigen Sohnes der Spinnenkönigin blieben selbst für den leiblichen Sohn – Jarlaxle Baenre, dritter Sohn der Oberin Yvonnel Baenre, Halbgott und Anführer von Bregan D’aerthe, ein ewiges Mysterium.
„Du bist doch nicht so dumm wie ich eben noch dachte …“, mischte sich der Maskierte Fürst ein und beendete damit den Gedankengang von Jarlaxle.
„Also reiß dich zusammen oder ich bin jederzeit gerne bereit dir einen Besuch in den Neun Höllen zu verschaffen. Meinen Ärger möchtest du doch nicht auf dich ziehen.“ Das war jedoch keine Frage, sondern eine Feststellung. „Ich benötige deine Hilfe auf der Materiellen Ebene“, kam Vhaeraun gleich auf den Punkt und genoss recht begeistert das Verhalten seines Sohnes, den er mit seinem Auftauchen aus seinem Konzept gebracht hatte. Er überlegte, ob er das nicht öfters tun sollte, denn hin und wieder konnte ein Schock durchaus Wunder bewirken. Allerdings waren weitaus wichtigere Dinge der Anlass für sein Erscheinen und so erfreute er sich nur kurz über seinen grandiosen Auftritt.
„Ich danke dir für dein außerordentliches Angebot, mein Maskierter Fürst“, entgegnete Jarlaxle sarkastisch und verzog dabei die Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. Die Erinnerungen an den Abgrund ließen ihn kurz erschauern, doch nicht lange genug. Lieber versuchte er die heimlichen Gedanken zu verdrängen, aber was konnte man schon von einem Gott verheimlichen und so beschloss er nicht ausschweifend zu werden.
„Eine große Aufgabe wartet auf dich, mein Sohn. Es gibt eine Zukunft die viel versprechend wird und ich zähle auf dich. Das Spiel wird beginnen und wir zwei werden den ersten Zug machen“, sprach Vhaeraun und sah dabei Jarlaxle direkt in dessen rote Augen in denen die Verwirrung zu erkennen war.
„Wir spielen jeden Tag aufs Neue, mein Vater“, erwiderte der Anführer von Bregan D’aerthe demütig und versuchte zu ergründen, welche Bedeutung diese Worte haben könnten. Doch dem immer so tückischen Drow blieben die Ideen aus und so versuchte er es mit direktem Fragen. „Ich verstehe es nicht, mein Maskierter Fürst, doch ich möchte es gerne. Ich bin bereit alles zu tun, so wie ich es jede Minute auf der Materiellen Ebene in eurem Namen zu tun pflege.“
Schallendes Gelächter dröhnte durch Jarlaxles Geist. „Du bist wahrlich ein Sohn aus meinen Lenden“, grinste Vhaeraun. „Eines Tages wirst du vielleicht bereit sein noch gläubigere Anhänger deines Gottes kennen zu lernen. Ein junger Priester könnte dir gefallen, aber alles zu seiner Zeit“, erklärte der Maskierte Fürst und rief sich dabei das Gesicht von Sorn Dalael ins Gedächtnis und legte dabei eine Hand an sein Kinn. Dann schmunzelte Lolths Sohn keck und kehrte wieder zum eigentlich Thema zurück. „Der Priester und du seit gesegnet, jeder auf seine eigene Art und ihr werdet großes Vollbringen. Doch wisse, eine besondere Waffe wartet auf Fügung und Führung. Sie wird mir meine Herrschaft auf der Oberfläche sichern und dann endlich können meine Anhänger auf ganz Faerûn, selbst auf ganz Abeir-Toril ihren angestammten Platz in der Hierarchie der Dunkelelfen einnehmen. Dann werde ich der Spinnenhure jedes Bein einzeln ausreißen. Jedes werde ich bis zur Unkenntlich zerquetschen. Das Gleiche werde ich mit ihrem Körper tun und zermalmen wie eine Kakerlake und als Abschluss zerdrücke ich ihren Kopf zu einer weichen Masse und lasse das Ungeziefer davon fressen.“
Jarlaxle schluckte merklich, doch nicht aus Angst sondern allein auf Grund der Vorstellung des eben Gehörten, und er wusste, dass der Maskierte Fürst irgendwann diesen Worten tatsächlich Taten folgen lassen würde. Schon der Gedanke an dieses unappetitliche Szenario ließ auch ausnahmsweise seinen Magen sich verkrampfen.
So war nun mal das unergründliche und wechselhafte Wesen Vhaerauns, der seine Emotionen manchmal nur schwer in den Begriff bekam. Es gab niemanden, der ihn daran hindern würde oder der es überhaupt erst versuchen könnte, abgesehen von anderen Göttern des großen Pantheons in Abeir-Toril, die bisher aber auch nichts taten. Nicht einmal einer der leiblichen Söhne, wie Jarlaxle, widersetzte sich.
„Du wirst dich dieser Aufgabe augenblicklich zuwenden“, verkündete der Maskierte Fürst machtvoll dem Söldnerführer von Bregan D’aerthe und schaute gefährlich in die roten Augen seines Sohnes und unterstrich damit seine Aussage.
„Wo ist diese Waffe?“, wollte nun der kahlköpfige Dunkelelf wissen, der in jenem Moment seinen Hut vom Kopf nahm und sich gedankenverloren darüber strich. Dabei wirkte er einen Augenblickt nicht begeistert von dieser Aussicht sich als Wache für Etwas oder Jemanden abstempeln zu lassen.
„Es ist ein Junge und er wartet am Eingang zum Klauenspalt. Du sollst ihn ausbilden“, erörterte Vhaeraun herablassend, da er die Gedanken von Jarlaxle nur zu gut kannte.
Ein Gott kennt seine Gläubigen und so wusste er, dass sein Sohn die nötigen Voraussetzungen mit sich brachte, Shar auf die bevorstehenden Aufgaben bestens vorzubereiten. Obwohl es natürlich auch noch andere Möglichkeiten gab, zog er diese allen anderen vor. Wie Jarlaxle das bewerkstelligen würde, war dem Maskierten Fürsten egal. Es galt nur sein Ziel und Vhaerauns Geheimnis absoluter Macht und so lange das Rätsel wohl gehütet in seinem Kopf ruhte, würde bis dahin Shar am Tag des Gerichtes bereit sein. Viele Jahre wären von Nöten. Aber was bedeutet schon Zeit im Leben eines Gottes, der bereits Äonen wartete oder auch die Zeit eines Halbgottes, der die volle Gunst seines Herrn genoss und noch lange auf Toril weilen würde.
Jarlaxle nickte verstehend, verkniff sich weitere, nicht herablassenden Kommentare und wurde augenblicklich von der lauten Stimme des Waffenmeisters Uthegental Barrison Del’Armgo aus seinen Gedanken gerissen. Als der Söldnerführer beim nächsten Lidschlag auf den Maskierten Fürsten blicken wollte, war nichts weiter zu sehen als Luft. Vhaeraun war von einer auf die andere Sekunde verschwunden und alles wirkte so, als wäre er nie anwesend gewesen. Die göttliche Aura im Raum existierte nicht mehr und so wusste der Söldner, er war mit dem protzigen Krieger abermals alleine.
„Ihr beleidigt mich erneut, Jarlaxle“, schnaubte der Waffenmeister ungehalten und kam ein Schritt auf den heimtückischen Dunkelelfen hinter dem Schreibtisch zu.
„Was?“, fragte der Anführer irritiert und musste versuchen wieder ganz der Alte zu sein ohne sich anmerken zu lassen, was geschehen war.
„Ich werde wieder kommen“, verkündete Uthegental ärgerlich und stellte wie ganz nebenher einen Kristall zurück auf den Schreibtisch, den er während seinen Ausführungen über die Kriegskunst und Kampfstile an sich genommen und bewundernd gemustert hatte.
Der Hornochse fasst aber auch alles an was nicht gut für ihn ist, wurmte sich im Gegenzug Jarlaxle. Denn der Kristall war äußert wertvoll und zwar so edel, dass er als Briefbeschwerer herhielt. Einer der wenigen Gegenstände, die nicht von magischer Natur, aber dafür von einer der seltenen Höhlen aus dem Hohen Norden stammte und gut und gerne den Preis für eine große Oberflächenstadt wie Mirabar erzielte. Noch während der Anführer von Bregan D’aerthe über Uthegentals fehlende Sitten schmollte, war der Waffenmeister bereits herausgerauscht und zurück blieb der immer so pfiffige Drow und versuchte angestrengt über die Worte des Maskierten Fürsten nach zu denken. Er sollte sich wohl am besten gleich auf den Weg machen, egal was ihn erwartete. Beschweren könnte er sich danach immer noch, falls er es denn überhaupt tun sollte. Er hatte ja keine Ahnung was die Zukunft bringen mochte, aber sie versprach eindeutig Aufregung und hoffentlich Profit. Nur eine Tatsache ärgerte ihn ein wenig. Er sollte Kindermädchen für einen Jungen spielen, der sich hier unter der Söldnertruppe im Namen Vhaerauns verstecken sollte. Welch seltsame Pläne, sinnierte der kahlköpfige Dunkelelf und rückte dabei seinen breitkrempigen Hut zurecht und überprüfte den Sitz seiner Augenklappe. Zufrieden lehnte er sich in seinem Plüschsessel nach vorne, seufzte kurz auf und stand auf. Mit einigen schnellen Schritten tat er es Uthegental Barrison Del’Armgo nach und trat durch das außerdimensionale Portal, das den Eingang und Ausgang zu seinen Privatgemächern darstellte und gelangte so auf den finsteren Gang des Hauptquartiers im Klauenspalt. Links und rechts salutierten zwei Soldaten, doch eher halbherzig statt mit voller Inbrunst.
Was für ein Morgen, sagte sich Jarlaxle und würdigte die beiden Männer keines weiteren Blickes. Er hoffte, dass für seine eigenen Pläne durchaus noch Zeit und vor allem Spaß zu holen war. Einen Schritt nach dem anderen schlenderte er eher gemächlich, als schnell, den gleichen Weg entlang, den der der exotische Krieger einige Minuten vor ihm genommen hatte und lief dem Ausgang entgegen. Er verschwand hinter einer dunklen Ecke.
Oben wartete ein ungeduldiger Shar und fragte sich, wann der junge Drowkrieger endlich zu ihm zurückkam. Er gestand sich selbst ein, dass er klug gehandelt hatte. Denn immerhin sprang hier Essen heraus und wo sonst würde er so schnell eine weitere Mahlzeit finden können. Solange ihn Nhaundar nicht gefunden hatte oder er nicht den Weg zu seinem Herrn kannte, musste er damit nun einmal vorlieb nehmen. Ein wenig ärgerte er sich sogar über die Tatsache, dass der Soldat mit Namen Quev’eaonar nicht Nhaundar kannte. Außerdem wollte Shar zu gerne wissen, wieso sein Vater sich nicht meldete. Mehrfach, seit der Junge nun wieder alleine hier am Höhleneingang vor seinem Versteck verbrachte, rief er geistig nach Handir, aber es folgte keine Antwort. Ein leichtes Unwohlsein bemächtigte sich seiner und der eben noch vorhandene Heldenmut bröckelte langsam dahin, wie die Fassade eines baufälligen Gebäudes.
Plötzlich wurde der junge Halbdrow aus seinen Überlegungen gerissen und erschrak über stampfende Schritte, die sich schnell und bedrohlich von der Seite her näherten. Shars Blick wanderte eilig dorthin und er versuchte zu erkennen, welche Gefahr auf ihn zukam. Erst überlegte er, ob es nicht der Soldat sein könnte, aber der ging anders, leichter und vorsichtiger. Der Körper des Jungen begann augenblicklich wieder wie Espenlaub zu zittern und ein kalter Schauer jagte ihm über den Rücken. Hatte heute denn niemand etwas besseres zu tun, als sich ihm zu nähern und zu Tode zu ängstigen, schmollte Shar, der sich damit neuen Mut verschaffen wollte. Aber die Schritte kamen rasch näher und sein Puls begann zu rasen. Was sollte er tun, fragte er sich. Verschwinden, ja, und verstecken, so dass ihn niemand sehen konnte, entschied er. Er griff nach seinem Dolch, den er neben sich gelegt hatte, stand auf und schaute über die Schulter. Die Höhle wollte er nicht nutzen, dort war er leicht zu finden. So musste eine andere Richtung her und er entschied sich für die, woher er gekommen war. Das Geschenk an Zaknafein könnte er später immer noch holen, solange es auf dem Höhlenboden lag und solange niemand von seiner Statur sich durch den engen Durchgang zwängte, würde es sicher verwahrt sein. Stolz darauf, dass Shar alles alleine und sorgfältig überdachte, schmunzelte er kurz, eilte aber sogleich davon. Die stampfenden Schritte schienen wie aus dem Nichts zu kommen und näherten sich rascher, als er floh. Er lief schneller, aber nicht schnell und weit genug. Eine Felswand war zu seiner Linken und gleich würde er die Straße in die Stadt erreichen, aber kurz zuvor tauchte plötzlich ein äußerst erschreckender Drow auf. Er wirkte bedrohlich und abstoßend und nicht gewillt sich von irgendetwas aufhalten lassen zu wollen.
Der junge Halbdrow hatte Glück, denn im gleichen Moment als Uthegental Barrison Del’Armgo aus dem geheimen Ausgang des Hauptquartiers von Bregan D’aerthe trat, hielt Shar nur zweit Meter von ihm entfernt abrupt an. Ein Felsen versperrte die Sicht des Waffenmeisters, der sich prompt beim Hinaustreten umschaute.
Der Junge erkannte die gerunzelte Stirn, das grimmige Gesicht sowie den Schmuck in Nase und Wangen des Dunkelelfen und schauderte. Die stacheligen Haare trugen nicht zum ansehnlichen Aussehen des Fremden bei. Dazu kam erschwerend hinzu, dass die Kleidung und dessen Waffen alleine schon auf einen Dunkelelfen mit normaler Statur unheimlich wirken konnten und Shar dabei in Angst und Schrecken versetzten. Dass der Waffenmeister allerdings keine geistige Größe war, das entzog sich aus der Kenntnis des Jungen. So hielt Shar vor Schreck die Luft an und schlug sich dabei die Hand auf den Mund, um keinen Laut von sich zu geben.
Fast schon zuviel, denn das Geräusch ließ den Krieger aufmerksam werden. Sein Blick wanderte in Richtung des jungen Halbdrow und dabei grunzte er verächtlich. Als Uthegental nichts ausmachen konnte wandte er sich jedoch gleich ab. Er wollte einfach nur nach Hause und über das Gespräch mit Jarlaxle nachdenken. Eines Tages würde er den Söldnerführer soweit haben, wie er wollte, und höchstwahrscheinlich auch das Geld besitzen, um sich mit dem großen Dantrag Baenre in einem Zweikampf beweisen zu können.
Wohlan, Dantrag war der Schnellere der beiden, aber er, als der Größere, besaß durchaus mehr Muskeln und Stärke. Gegen Zaknafein Do’Urden hatte er bereits verloren, auch wenn es nur ein Gerücht unter all dem Gerede war. Doch Uthegental Barrison Del’Armgo kannte die Wahrheit. Seine kurzen Haare rührten daher, weil der Gewinner dieses Duells damals verlangte, dass der Verlierer sich die Haare abrasieren musste. Der Sieger war niemand anderer als der Waffenmeister aus dem neunten Haus Do’Urden. Seither lief der exotische Krieger nur noch mit dieser Frisur durch das Unterreich und schwor eines Tages Rache an beiden Konkurrenten. Jarlaxle selbst hatte damals dafür gesorgt, dass der Kampf heimlich und in aller Stille über die Bühne gehen konnte, so sollte es auch irgendwann mit Dantrag sein. Mit diesen Gedanken schritt der protzige Uthegental davon und bemerkte den viel zu verängstigen Shar nicht dabei.
Der junge Halbdrow stand wie versteinert an die Felswand gedrückt und beobachtete ängstlich, wie sich der bedrohliche Krieger entfernte. Nachdem Shar ihn nach wenigen Metern nicht mehr ausmachen konnte, entspannte sich der Junge ein wenig. Doch nicht genug, denn es bestand immer noch die Möglichkeit, dass der Fremde zurückkehren könnte. Die Vorstellung was passierte, wenn man ihn hier fand, schien keine gute Aussicht auf körperliches Wohlergehen zu sein. Krieger waren gefährlich und tödlich und was der Fremde vor ihm präsentierte übertraf bei weitem alles, was der Junge kannte. Dantrag Baenre alleine bedeutete Todesgefahr und das, obwohl der Waffenmeister des ersten Hauses von der Statur kleiner und sogar ansehnlicher war. Gewaltig bemächtigten sich plötzlich die Erinnerungen an Dantrag den Jungen, welche ihn bei dem kleinsten Gedanken daran, innerlich blockierten. Er musste hier verschwinden, sagte sich Shar und schaute nochmals kurz über die Schulter. Hinter ihm war die Luft rein und vor ihm erstreckte sich der Weg, den er zuvor gegangen war. Der junge Halbdrow begann sich zu bewegen und schritt nun vorsichtig, aber dennoch schnell genug davon. Sein Weg führte ihn zurück, die Straße in den Stadtteil Ostmyr. Je näher er sich dem belebten Händlerviertel näherte, desto wohler fühlte sich der Junge. Die Einsamkeit und die Bedrohung lagen mit einem Mal hinter ihm. Aber um das Essen fand er es schade, denn es handelte sich um eine geschenkte Mahlzeit, wozu er nichts tun musste. Doch er wollte zurückkommen, sagte er sich. Denn das Geschenk für Zaknafein musste er holen und dann würde er bestimmt wieder den jungen Drowsoldaten Quev’eaonar wieder sehen. Mit diesen Gedanken und einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht lief Shar einfach weiter. Er entfernte sich vom Klauenspalt und schien mit sich zufrieden zu sein.
Während der junge Halbdrow Hals über Kopf vom Haupteingang von Bregan D’aerthe floh, trat unmittelbar hinter dem Waffenmeister Uthegental Barrison Del’Armgo, ein kahlköpfiger Dunkelelf mit einem breitkrempigen Hut heraus. Einige Soldaten folgten Jarlaxle in angemessenem Abstand, die sich fragten, was ihr Anführer zu dieser Stunde hier zu tun gedachte, doch sie äußerten sich dazu natürlich nicht. In erster Linie zählten ihre Loyalität und somit auch die Verschwiegenheit und der absolute Gehorsam. Das hinderte sie jedoch nicht an ihrem Wundern.
Wundern tat sich auch Jarlaxle. Er stand vor dem Eingang, ließ seinen Blick über die nähere Umgebung schweifen und konnte lediglich den nackten Fels, die vertraulichen Verstecke der Soldaten und Patrouillen erkennen, aber keinen Jungen, um welch ein Jungen es sich auch handeln sollte. Alles schien so wie immer, ob nun positiv oder negativ.
„Mein Maskierter Fürst, wo soll dieser Junge, eure Waffen sein?“, bat der Anführer von Bregan D’aerthe stumm um eine Erklärung und war verwirrt über das Ausbleiben dessen, was ihn hier oben erwarten sollte.
„Mein Sohn“, dröhnte eine verärgerte und überaus gefahrvoll klingende Stimme tausendfach in Jarlaxles Geist wieder, so dass er kurzzeitig seine Hände an seine Schläfen legte, um nicht das Gefühl zu haben, dass sein Kopf in kleine Stücke zerriss.
Der Söldner wusste augenblicklich, dass eine unerwartete Schwierigkeit eingetreten war. Das eigentliche Problem entzog sich zurzeit seiner Kenntnis, höchstwahrscheinlich aber nicht mehr lange. Jarlaxle kannte seinen Gott und Vater gut genug, um sich aber in Geduld zu üben und abzuwarten. Doch innerhalb weniger Sekunden hallte die Stimme Vhaerauns wie von einer gewaltigen Brandung genährt in seinem Kopf, feurig und tödlich, wider. „Die primitive Wanze hat sich davon gemacht. Bin ich hier nur von Delletanten und Idioten umgeben …“, fluchte Lolths Sohn, dass selbst der agile Körper von Jarlaxle leicht zitterte. „Kann man sich nicht einmal umdrehen ohne dass jeder gleich einen Anflug von Schwachsinn entwickelt. Das wird er mir büßen und so lange bis auch es in seinem ausgehöhlten Hirn angekommen ist.“
Der Anführer von Bregan D’aerthe wartete ab und lauschte den Worten des Herrn der Schatten, die alles andere als einen Spaziergang versprachen. Noch immer entzog sich der größte Teil von Vhaerauns Plan seinem Wissen, doch ändern konnte er nichts. Außerdem übte er sich weiterhin in Geduld, während der unkontrollierte Gefühlsausbruch des Maskierten Fürsten langsam verebbte. Doch die Ironie in dem ganzen konnte Jarlaxle dabei nicht ignorieren. Seinen Vater auf die Spitze zu treiben war einfach oder auch wieder nicht. Jeder der ihm in die Quere kam lebte nicht mehr oder fristete ein armseliges Dasein irgendwo im Nirgendwo. Bei diesen Aussichten wäre selbst der Söldner dazu geneigt, als Seele ohne Körper seine restliche Existenz weiter zu führen, als den Zorn Vhaerauns auf sich zu ziehen. Der Junge könnte ihm beinahe Leid tun, um wen es sich auch handeln mochte. Noch während sich Jarlaxle insgeheim über den Wutausbruch amüsierte, wurde die tosende, tausendfach widerhallende Stimme des Gottes in seinem Geist allmählich ruhiger. Nach weiteren Minuten wagte es der hinterhältige Drow zum ersten Mal wieder das Wort zu erheben.
„Mein Maskierter Fürst, wie kann ich dienlich sein?“, wollte Jarlaxle ehrfürchtig wissen und meinte es tatsächlich so.
„Du wirst auf mein Zeichen warten“, zischelte Vhaeraun ärgerlich und im gleichen Moment waberte schwarze Nebel um den Söldnerführer herum, den nur er alleine wahrnehmen konnte. Ein attraktiver Dunkelelf stand einen Lidschlag später vor Jarlaxle und sein Gesicht war zu einer gefahrvollen Fratze verzogen. Das Haar flammte Feuerrot und die Hände waren zu Fäusten geballt.
„Ja, mein Maskierter Fürst“, entgegnete Jarlaxle achtvoll und musste versuchen ein Schmunzeln zu unterdrücken. Denn der Anblick wirkte doch recht belustigend auf den tückischen Drow, der so langsam Geschmack an diesem Versteckspiel bekam.
„Verfluchter Idiot“, knurrte Vhaeraun ungehalten und ließ damit offen wen der beiden – Jarlaxle oder Shar – er damit meinte, während er in die rot glühenden Augen seines Sohnes sah.
„Möchtet ihr mehr Informationen preisgeben?“, fragte der Anführer der Söldnergruppe ruhig und gelassen auf geistiger Ebene und blickte sich dabei neugierig in der näheren Umgebung um. Doch an dem Bild vor einigen Minuten hatte sich nichts verändert. Selbst der Begleitschutz hatte sich vorsichtshalber in den Hintergrund verzogen und wartete geduldig am Haupteingang zu ihrem Quartier.
„Noch nicht“, erwiderte der Gott und nun schien er sich tatsächlich ein wenig beruhigt zu haben, denn die Stimme klang verhältnismäßig gelassen.
„Wie ihr wünscht … ich werde warten und eure weiteren Pläne ausführen und dienlich sein“, erklärte sich Jarlaxle freundlich obwohl er den Sarkasmus selbst aus seinem Geist nicht ganz verschwinden lassen konnte.
„Lass’ den Spott, mein Sohn“, schnaubte Vhaeraun verächtlich und eine Gedankenpeitsche schnallte mit solch heftiger Wucht durch den Geist des Söldners, dass ihm kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Er schwankte nach vorne und zurück und für einen Moment schien es ihm fast so, als würde er von Innen zerrissen werden. „Das ist eine Warnung, für dich und für den Jungen. Enttäusch mich nicht.“
Jarlaxle schluckte merklich und kämpfte gegen die aufkommenden negativen Gefühle an. Eine Mischung aus unendlicher Wut, Erniedrigung und selbst Erleichterung bemächtigte sich seiner. Der Drow schloss kurz die Augen, sammelte sich und kehrte mit neuer Konzentration an Ort und Stelle zurück. Sein Gott war verschwunden und mit ihm auch die machtvolle Aura, die das Auftauchen mit sich brachte, bereits zum zweiten Mal innerhalb einer halben Stunde.
„Ich werde tun was ihr verlangt“, dachte Jarlaxle und somit schien auch für ihn das Treffen seinem Gott vorzeitig vorüber. Doch die Gedanken blieben ihm, wie auch all die Erinnerungen an die Gespräche.
Jarlaxle fragte sich, welche Bewandtnis die geheimnisvollen Pläne von Vhaeraun haben könnten. Was für eine Rolle sollte ein unbekannter Junge spielen, von dem er nicht einmal den Namen kannte? Was sollte auch die Anspielung an die Oberfläche und nicht zu vergessen die Erwähnung eines Vhaeraunpriesters? Ganz neue Gedanken drängten sich dem Söldner auf, wovor er sich sonst niemals Sorgen gemacht hatte. Stets hielt er sich an die Anweisungen und befolgte diese auf seine ganz eigene Art. Genau wegen seiner Vorhergehensweise entschloss sich wohl sein Vater ihn für die schwierige Aufgabe ausgesucht zu haben. Jarlaxle sollte Kindermädchen spielen. Aber sollte er wirklich das Wesen eines Gottes hinterfragen? Trotz der Herkunft, des stets hinterhältigen Drow, leichter verständlich als für andere, aber auch fördernd in der Gunst seines Glaubens? Gesünder wäre es nicht, aber reizvoller. Er könnte ja durchaus die Augen aufhalten und schauen, was sich ergab. Erst einmal weiter machen wie bisher und sich umhören. Mit diesen Überlegungen und noch einigen weiteren wand sich Jarlaxle um, schritt auf den Haupteingang von Bregan D’aerthe zu und verschwand. Zurück zu seinen Privatgemächern, um die Lage in aller Ruhe zu überdenken. Das war eine Divise, an die sich Jarlaxle stets hielt, und somit mit manch großen und kleinen Hindernissen schon seit Jahrhunderten überlebte.
Shar hatte währenddessen von alldem nichts mitbekommen. Seine nackten Füße trugen ihn eilig, schneller sogar als er dachte, zurück nach Ostmyr zurück. Der Dolch steckte im Hosenbund und der junge Halbdrow achtete darauf, dass er nicht sofort sichtbar, aber er durchaus in der Lage war, ihn sofort ziehen zu können. Mittlerweile dachte der Junge nicht mal an den Soldaten und das Essen, sondern wollte sich einfach nur verstecken. Ganz weit weg von dem bedrohlichen Drow, der ihn zutiefst erschreckt hatte. Shar versuchte sich bei seiner übereilten Flucht so klein wie möglich zu machen, unscheinbar auszusehen und schlich so am Straßenrand entlang. Er hielt den Kopf gesenkt und schielte aus den Augenwinkeln heraus. Jeden direkten Blickkontakt zu den hier herumlaufenden Drow und anderen Lebewesen vermied er, die ihm begegneten und so fühlte sich der Junge vorerst einmal sicher. Jetzt galt es nur einen Platz zu finden an dem er warten konnte. Die Straße immer in Sichtweite und Ausschau nach seinem Herrn halten. So sah vorerst sein Plan aus. Den Weg zurück zu Nhaundar kannte er immer noch nicht, dabei schien er sehr nahe. Wenn Shar über den Basar gelaufen wäre, dann nur immer geradeaus und seine Füße hätten ihn vor das große Eisentor zu Nhaundar Xaranns Anwesen gebracht. Doch der junge Halbdrow wusste es nicht und da er sich gar nicht auskannte, hatte er auch keine Anhaltspunkte. Weiter bis zum Basar und dem verruchten Fleck, der sich in der Stadt Menzoberranzan „Das Schmuckkästchen“ nannte, kannte Shar nicht.
In den frühen Jahren erledigte er für seinen Herrn Botendienste, aber niemals über die Grenzen von Nhaundars Einzugsgebiet hinaus. Der hinterhältige Sklavenhändler tätigte eher Geschäfte zu pflegen, die lukrativ und vor allem auch von niederen Adelshäusern genutzt werden konnten. Somit nur in den Stadtteilen Duthcloim, dem Basar und in selten Fällen auch mit Söldnern. Dabei kamen die Dunkelelfen zu ihm und nicht umgekehrt.
So ahnungslos suchte nun Shar ein Versteck und wusste noch nicht so recht, ob ihm das gelingen würde. Hier herrschte bereits am Vormittag geschäftiges Treiben und die Straßen waren voll von Drow, Ork, Grauzwergen, Goblins und auch einigen Menschensklaven. Alle wuselten aufgeregt hin und her und beachteten den kleinen, verwahrlosten und stinkenden Halbdrow nicht, bis Shar blitzartig stehen blieb und schrie.
Soeben glitt der Junge noch an einem alten Drow vorbei und achtete darauf ihn und andere nicht zu berühren, da piekten ihn ganz plötzlich unbeschreibliche Schmerzen in seinem Kopf. Ihm wurde augenblicklich schwindlig und er musste anhalten. Er schaute nach oben und auf die Straße. Doch die Bilder verschwammen zu einem undeutlichen Wirrwarr zusammen und wirbelten hin und her. Dann zuckten plötzlich Blitze vor seinen Augen und er fuhr erschrocken zusammen. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, in der Hoffnung sich nur geirrt zu haben. Abermals wurde ihm schwindlig und das verwischte Bild kehrte zurück, selbst die unbeschreiblichen Kopfschmerzen hatten sich verstärkt. Gleichzeitig zuckten weitere, grellweiße Blitze vor ihm auf. Eilig schloss er die Lider erneut und konnte nicht mehr an sich halten. Die Qual vor dem schmerzendem Licht erfasste seinen hageren Körper und er spürte, wie sein Magen anfing sich zu krümmen. Shar schrie auf. Glühend, heiße Flammen züngelten um seinen Kopf herum auf und begannen sich ohne Rücksicht durch sein Gesicht zu fressen. Sie bahnten sich ihren Weg über Mund, Nase, Ohren und Wangen und schlichen sich erbarmungslos in die tiefblauen Augen des jungen Halbdrow hinein. Erneut schrie Shar laut auf und umfasste mit beiden Händen seinen schmerzenden Kopf. Denken konnte er in jenem Moment nicht mehr, denn die Qual hatte völlig von ihm Besitz ergriffen. Immer weiter und weiter drangen die Flammen ungehindert in den Geist des Jungen ein. Shars Eingeweide zogen sich zusammen, kalte und heiße Schauer jagten sich gegenseitig und schossen durch den ganzen Leib. Die Gedankenpeitsche Vhaerauns grub sich tiefer ihren Verbindungsweg zu dem Gehirn des jungen Halbdrow und ließ dem Zorn des Maskierten Fürsten freien Lauf.
Shar wurde von mehreren Lebewesen umringt, davon auch Dunkelelfen und Orks, die gebannt, abstoßend oder aber einfach nur neugierig stehen geblieben waren und sich das unerwartete Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Der Junge hielt sich den Kopf und versuchte damit den Schmerzen zu entgehen, die stattdessen an Intensität zunahmen. Übelkeit und Schwindel bemächtigten sich seiner und gruben sich in jede Faser seines Seins. Shar verlor letztendlich das Gleichgewicht und fiel mit dem Gesicht nach vorne auf den harten Felsenboden. Doch durch die Gedankenpeitsche spürte der junge Halbdrow nicht einmal wie er sich beide Knie, seine Handgelenke und selbst einen Fuß blutig stieß. Ganz zu schweigen von einer aufgeplatzten Augenbraue. Einzig und allein das ungezügelte Feuer fraß sich tiefer und tiefer in seinen Geist hinein.
Gepeinigte Schmerzensschreie hallten über den kleinen Abschnitt der Straße, die nach einigen Minuten nachließen und auch die Zuschauer nicht mehr fesselten. Für alle Schaulustigen stellte sich die Szene als überdreht heraus und sie schenkten ihr kaum noch Aufmerksamkeit. Sie erkannten keine blutigen Wunden, keine sichtbaren Spuren eines Kampfes, sondern nur einen schreienden, verdreckten, stinkenden und in allem Überfluss verrückten Halbdrow, der auf dem Boden lag und komplett durchdrehte. Nicht schaulustig genug für sie.
Die Bestrafung war einzig und allein für Shar bestimmt und dieser fühlte sie am ganzen Körper hautnah. Der Zorn Vhaerauns übermannte ihn ohne Ankündigung, breitete sich in ihm aus und am Ende lag er zitternd, schwach und fast ohnmächtig am Straßenrand und dachte er würde sterben. Noch viele weitere Minuten verstrichen auf die gleiche Weise und mittlerweile waren fast alle anderen Anwesenden dazu übergegangen sich wieder ihren eigenen Geschäften zu widmen. Einige schüttelte noch den Kopf und signalisierten, dass der Halbdrow geisteskrank sei. Wieder andere schienen der Meinung, man sollte dieses Häuflein Etwas umbringen und von hier fortschaffen, bis letztendlich eine Stadtwache die restlichen Umherstehenden zerstreute.
Der Hauptmann der kleinen Gruppe, bestehend aus drei Soldaten und einem Magier, hatte heute anscheinend einen guten Tag, denn er veranlasste, dass Shar tatsächlich weggebracht wurde, sogar lebend. Zwei Drow der Patrouille nahmen den bebenden Körper des Jungen, trugen ihn an die nächste Häuserecke, nur einige Meter weiter entfernt, und ließen ihn anschließend in einer Seitengasse hilflos liegen. Danach ging auch diese Gruppe ihres Weges und scherte sich keinen Deut mehr um den Halbdrow.
Shar lag einfach nur da, mitten im Schmutz der Gasse und keiner achtete auf ihn. Sein hagerer Leib zitterte immer noch, doch mittlerweile schienen die Schmerzen in seinem Kopf nachzulassen. Langsam und schleppend schwanden die Flammen in ihm und um ihn herum. Die Blitze hatten gänzlich nachgelassen und selbst seine Eingeweide verkrampften sich nicht mehr. Doch zurück blieben unerträgliche Kopfschmerzen, eine ausgetrocknete Kehle und das Gefühl nur noch schlafen zu wollen. Shars Verstand funktionierte in jenem Moment soweit, dass er eines wusste, hier konnte er nicht liegen bleiben. Er musste versuchen einen abgeschiedenen Ort zu finden, um sich dort einfach auszuruhen. Was mit ihm passiert war ahnte der Junge nicht, noch gab ihm die Stimme seines Vaters irgendeine Erklärung ab. Vergessenen schienen im gleichen Augenblick auch alle anderen Dinge, die Shar seit den frühen Morgenstunden erlebte. Sein innigster Wunsch verlangte nach Ruhe und Schlaf.
Der junge Halbdrow mobilisierte die letzten, ihm noch zur Verfügung stehenden Kräfte, schleifte sich mehr oder minder über den harten Felsenboden, anstatt zu laufen und schleppte sich auf allen Vieren immer tiefer in die dunkle Gasse hinein. Er hatte keine Augen für eventuelle Gefahren, sondern kroch unbehindert weiter. Dabei registrierte er nicht einmal, dass ihm der so wertvolle Dolch aus dem Hosenbund rutschte und achtlos auf der Straße liegen blieb. Sein Atem kam stoßweise und er fühlte sich, als würde er seit Tagen so herumkriechen. Tatsächlich kam er nur wenige Meter weiter. Der junge Halbdrow erreichte einen Ort, der sich geradezu als perfekt herausstellte. Vor ihm erstreckte sich ein kleiner Innenhof. Ein Eisengitter umzäunte den kleinen abgeschiedenen Flecken und im Hof standen viele Dinge unordentlich, manche auch fein säuberlich aufgereiht, herum. Es handelte sich um gefüllte Säcke mit nicht erkennbarem Inhalt, kleine und große Weinfässer standen unmittelbar daneben und boten einen wunderbaren Unterschlupf, um nicht gleich gesehen zu werden. Ohne sich weiter umzuschauen oder sich Gedanken um eine hier lauernde Gefahr zu machen, schaffte es Shar, durch das offen stehende Tor herein zu kommen. Sein Weg führte ihn zu einem kleinen Fass, ganz in der Nähe des Eingangs und gleichzeitig zu einer dort dunklen Nische. Mit der letzten Kraft schleppte sich der Junge dort hin und legte sich neben das Weinfass zu Boden und verlor keine Sekunde später das Bewusstsein.
Geben und Nehmen
Während Quev’eaonar am Rand des Klauenspalts sich mit Shar unterhielt, saß ein sehr gelangweilter Söldnerführer – Jarlaxle Baenre von Bregan D’aerthe - in seinen Privatgemächern und wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder alleine zu sein. Der Anführer lehnte sich lässig in seinem Plüschsessel nach hinten, beide Beine auf der Schreibtischkante übereinander geschlagen und schaute mehr desinteressiert als neugierig zur steinernen Decke, die in einem sanften, roten Glühen flimmerte. Vor ihm stand groß und breit, in seinem maßgeschneiderten schwarzen Plattenpanzer, den er als Rüstung trug, der Waffenmeister Uthegental Barrison Del’Armgo. In seiner Hand hielt er seine Waffe, den schwarzen Dreizack. An seinem Gürtel prangte stets griffbereit ein Netz, wo jeder Drow in der Stadt munkelte, es wäre magisch, aber Beweise gab es bisher nie. Der exotische Drow maß fast an die zwei Meter und der muskelbepackte Körper wog gut und gerne hundert Kilogramm. Mit diesem Aussehen war er der größte Dunkelelf in Menzoberranzan und gleichzeitig wohl auch der Ungewöhnlichste der unterirdisch lebenden Rasse. Mit diesem Wissen, vermischt mit dem bizarren Auftreten, gehörte Uthegental nicht zu den Lieblingen des Söldnerführers, wobei sich Jarlaxle selbst unsicher schien, ob der Waffenmeister überhaupt ein Drow war. Das Haar des Kriegers war weiß, jedoch kurz geschoren. Er formte es mit Hilfe eines dicken, gelartigen Extraktes aus Rotheeutern zu vielen Spitzen zusammen und sah aus wie ein Barbar der Oberfläche. Durch seine kantige Nase hatte er einen Mithrilring durchgezogen und in jeder Wange ragte ein Schmucknagel hervor. Dies ließ ihn gleich gefährlicher ausschauen. Zum Glück hatte der Waffenmeister - der auch gleichzeitig der Patron der Muttermatrone Mez’Barris Barrison Del’Armgo war – heute auf seine übliche Kriegsbemalung verzichtet. Zickzackstreifen aus seltsamer Farbe, die in der Infravision, sowie in der normalen Sicht in der gleichen Farbe leuchtete.
Uthegental schaute Jarlaxle in jenem Moment mit rot glühenden Augen drohend an und wartete auf eine Antwort, dabei legte er die Stirn in Falten und sah gleich noch bedrohlicher aus. Als der Waffenmeister keine Antwort erhielt wurde er zornig und wiederholte seine Frage nun mit knurrender Stimme. „Ich warte, Jarlaxle. Die Zeit läuft mir davon und wieder werden Jahre vergehen. Ich bin der Ultrin Sargtlin!*“ (*Anmerkung: Sprache der Drow = Größter Kämpfer) Bei diesen Worten klopfte sich der protzige Dunkelelf mit der Faust auf die vor Stolz geschwellte Brust, um die Aussage noch zu unterstreichen.
Der Söldner verdrehte bei dieser Aussage herzhaft die Augen und konnte nicht verstehen, wie ein Mann von einem Tier, was Uthegental Barrison Del’Armgo nun einmal war, es einfach nicht sein lassen konnte, immer wieder mit der gleichen Frage zu ihm zu kommen und immer mit derselben Antwort nach Hause zurück zu kehren. Doch mit der Antwort ließ sich Jarlaxle gerne Zeit und dachte nach.
Vielleicht lag die Hartnäckigkeit des Waffenmeisters an dessen kleinen Verstand und er war somit zu keinen einfachen Gedankengängen fähig. Als Beispiel könnte man Folgendes erwähnen: Uthegental machte aus einer Kleinigkeit – wie gelange ich von Punkt A zu Punkt B – eine wissenschaftliche Studie, wo andere einfach nur von Punkt A zu Punkt B gingen und das gradlinig und Schritt für Schritt.
Während Jarlaxle über den Intellekt seines Gegenübers nachsann und schmunzelte, sprach der Koloss abermals, aber der Anführer von Bregan D’aerthe hörte nur mit halben Ohr zu. Er verabscheute allmählich diese Fragerei. Obwohl der Grund dafür durchaus lohneswert und vor allem anschauungswert gewesen wäre. Der Waffenmeister wünschte sich ein Zusammentreffen mit Dantrag Baenre, wozu es jedoch wahrscheinlich niemals kommen würde. Zumindest so lange nicht, wie die Muttermatronen ihre Familienmitglieder siegessicher unter Verschluss hielten und einem Kampf nicht zustimmten. Jarlaxle sollte in diesem Fall für ein heimliches Treffen sorgen, was er jedoch aus vielerlei Gründen nicht wollte.
„Jarlaxle?“, riss Uthegentals mürrische Stimme den Anführer der Söldnertruppe wiederholt aus seinen Überlegungen und wirkte nur noch bedrohlicher.
„Ich habe euch schon einmal gesagt, dass eurer Vorhaben nicht im Bereich des Möglichen liegt, Waffenmeister. Dantrag Baenre wird sich niemals auf solch ein Wagnis einlassen“, wehrte Jarlaxle die Frage ab und wirkte dabei eher gelangweilt als gefesselt. Wollte der Hornochse denn niemals aufgeben, schloss der hinterliste Drow seinen Gedankengang und lächelte über das ganze Gesicht, was Uthegental gleich noch wütender machte.
Jarlaxle interessierte das Gehabe des Waffenmeisters nicht und wollte es sich gerade auf seinem Plüschsessel richtig gemütlich machen und den Drow vor sich reden lassen, da spürte er etwas. Etwas, dass sich in dem Raum ausbreitete und alles in eine machtvolle, göttliche Aura hüllte. Eine Sekunde später schauderte der durchtrainierte, aber dennoch anmutige Körper des Söldners und er riss vor Überraschung seine roten Augen weit auf. Vor ihm waberte ein schwarzer Nebel. Er verdichtete sich rasend schnell und bereits beim nächsten Lidschlag saß ein attraktiver Dunkelelf auf der Schreibtischkante. Er trug eine schwarze Lederrüstung. Kurzschwert und Dolch prangten jeweils links und rechts in dem Waffengürtel und die Haare waren weiß mit roten Strähnen. Eine goldene Halbmaske verdeckte die obere Hälfte des Gesichtes.
Der plötzlich auftauchende Drow saß Jarlaxle gegenüber und bedachte den Söldner mit einem strahlend, weißem Lächeln und wirkte dabei charmant und gewissenlos zugleich. Mit beiden Armen stützte sich der Maskierte auf der Kante des Tisches ab, während die Beine nach unten baumelten und er mit ihnen vor und zurück schlenkerte. Zwei glühende Augen blickten durch die Löcher der Halbmaske und strahlten göttliche Macht aus. Dabei blitzte das Augenpaar rot und bestimmend zu dem Anführer von Bregan D’aerthe hinüber.
Jarlaxle hielt vor Staunen einen Moment laut die Luft an, sein Herz schlug heftig in seiner Brust, während ein kalter Schauer über seinen Rücken lief. Zum einen wegen dem überraschendem Auftauchen und zum anderen, weil er mit allem, aber nicht damit gerechnet hatte. Sein Mund öffnete sich leicht und das Erstaunen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Zum Glück für den Anführer, dass Uthegental im selben Augenblick immer noch mit vor Stolz aufgeblähter Brust da stand, nach oben sah ohne Jarlaxle direkt anzuschauen und mit seiner Rede beschäftigt war.
„Ich grüße dich, mein Sohn*“ (*Anmerkung: Nachzulesen in der Fanfiction „A Past and Future Secrets“ über Jarlaxle), verkündete der Maskierte Fürst auf dem Schreibtisch in Jarlaxles Gedanken und sein Schmunzeln wuchs von einem Ohr zum anderen. „Mach’ den Mund zu, sonst krabbelt noch etwas hinein. Du könntest dich vermutlich daran verschlucken und ich bin nicht bereit dir zu helfen.“
„Aber …“, begann Jarlaxle leise zu stottern, hielt allerdings inne und starrte wie gebannt auf den maskierten Drow. Was hatte das zu bedeuten? War etwas geschehen?
„Wie wahr, mein Sohn, es ist etwas geschehen und wenn ich auftauche hat es immer etwas zu bedeuten. Wo bleiben dein Anstand und deine Selbstsicherheit? Du wirkst wie ein gewöhnlicher Dunkelelf oder willst du sagen, du seiest überrascht mich zu sehen. Du weißt, dass mich niemand sehen kann und das Großmaul hinter mir kann nicht einmal alleine pissen ohne Anweisung“, lachte Vhaeraun laut in Jarlaxles Geist auf und schaute sich anschließend gemächlich in dem Raum um, wo sein eigen Fleisch und Blut noch immer im Sessel saß, aber recht angespannt und durchaus überrascht wirkte. Wenigstens saß Jarlaxle auf seinem Stuhl, ansonsten wäre er womöglich wegen seiner Verblüffung umgefallen und das Ansehen des Anführers hätte darunter leiden können.
Stattdessen versuchte er nun unauffällig an dem Maskierten Fürsten vorbei zuschielen, um beobachten zu können, was der Waffenmeister des Hauses Barrison Del’Armgo eben zu tun gedachte, auf dessen Worte achtete er schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Doch jedes Mal wenn Jarlaxle den Kopf auch nur leicht zur Seite neigte, folgte Vhaeraun dem Söldner und runzelte leicht verärgert die Stirn.
„Ich habe jetzt keine Lust auf Spielchen, mein Sohn. Du bist ein Halbgott also benehme dich auch so. So bist du eine Schande und dabei war ich immer der Meinung Selvetarm käme der Intelligenz meiner Mutter gleich, nun du auch noch. Konzentriere dich gefälligst“, äußerte Vhaeraun säuerlich, wackelte dabei jedoch gelassen mit den Beinen in der Luft.
„Mein Maskierter Fürst, Vater …“, begann Jarlaxle gedanklich zu antworten und unterbrach das Ausspähen des Waffenmeisters vor ihm und tat wie ihm geheißen. Sein Schwerpunkt verlagerte er dabei auf den Maskierten Fürsten, während er mit halbem Auge den Waffenmeister im Blick behielt, der soeben mit einem Bericht über seine bereits hinter ihm liegenden Kämpfe und Siege anfing. Er wusste nur zu gut, dass sein Gott und Vater mit seinen Worten im Recht lag, doch noch niemals zuvor hatte ihn Vhaeraun in solch eine prekäre Lage gebracht. Es war ihr gemeinsames Geheimnis, das schon seit Jahrhunderten erfolgreich verschleiert wurde und das in der Zukunft auch so bleiben sollte. Einzig und alleine die wahren Zukunftspläne des rachsüchtigen Sohnes der Spinnenkönigin blieben selbst für den leiblichen Sohn – Jarlaxle Baenre, dritter Sohn der Oberin Yvonnel Baenre, Halbgott und Anführer von Bregan D’aerthe, ein ewiges Mysterium.
„Du bist doch nicht so dumm wie ich eben noch dachte …“, mischte sich der Maskierte Fürst ein und beendete damit den Gedankengang von Jarlaxle.
„Also reiß dich zusammen oder ich bin jederzeit gerne bereit dir einen Besuch in den Neun Höllen zu verschaffen. Meinen Ärger möchtest du doch nicht auf dich ziehen.“ Das war jedoch keine Frage, sondern eine Feststellung. „Ich benötige deine Hilfe auf der Materiellen Ebene“, kam Vhaeraun gleich auf den Punkt und genoss recht begeistert das Verhalten seines Sohnes, den er mit seinem Auftauchen aus seinem Konzept gebracht hatte. Er überlegte, ob er das nicht öfters tun sollte, denn hin und wieder konnte ein Schock durchaus Wunder bewirken. Allerdings waren weitaus wichtigere Dinge der Anlass für sein Erscheinen und so erfreute er sich nur kurz über seinen grandiosen Auftritt.
„Ich danke dir für dein außerordentliches Angebot, mein Maskierter Fürst“, entgegnete Jarlaxle sarkastisch und verzog dabei die Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. Die Erinnerungen an den Abgrund ließen ihn kurz erschauern, doch nicht lange genug. Lieber versuchte er die heimlichen Gedanken zu verdrängen, aber was konnte man schon von einem Gott verheimlichen und so beschloss er nicht ausschweifend zu werden.
„Eine große Aufgabe wartet auf dich, mein Sohn. Es gibt eine Zukunft die viel versprechend wird und ich zähle auf dich. Das Spiel wird beginnen und wir zwei werden den ersten Zug machen“, sprach Vhaeraun und sah dabei Jarlaxle direkt in dessen rote Augen in denen die Verwirrung zu erkennen war.
„Wir spielen jeden Tag aufs Neue, mein Vater“, erwiderte der Anführer von Bregan D’aerthe demütig und versuchte zu ergründen, welche Bedeutung diese Worte haben könnten. Doch dem immer so tückischen Drow blieben die Ideen aus und so versuchte er es mit direktem Fragen. „Ich verstehe es nicht, mein Maskierter Fürst, doch ich möchte es gerne. Ich bin bereit alles zu tun, so wie ich es jede Minute auf der Materiellen Ebene in eurem Namen zu tun pflege.“
Schallendes Gelächter dröhnte durch Jarlaxles Geist. „Du bist wahrlich ein Sohn aus meinen Lenden“, grinste Vhaeraun. „Eines Tages wirst du vielleicht bereit sein noch gläubigere Anhänger deines Gottes kennen zu lernen. Ein junger Priester könnte dir gefallen, aber alles zu seiner Zeit“, erklärte der Maskierte Fürst und rief sich dabei das Gesicht von Sorn Dalael ins Gedächtnis und legte dabei eine Hand an sein Kinn. Dann schmunzelte Lolths Sohn keck und kehrte wieder zum eigentlich Thema zurück. „Der Priester und du seit gesegnet, jeder auf seine eigene Art und ihr werdet großes Vollbringen. Doch wisse, eine besondere Waffe wartet auf Fügung und Führung. Sie wird mir meine Herrschaft auf der Oberfläche sichern und dann endlich können meine Anhänger auf ganz Faerûn, selbst auf ganz Abeir-Toril ihren angestammten Platz in der Hierarchie der Dunkelelfen einnehmen. Dann werde ich der Spinnenhure jedes Bein einzeln ausreißen. Jedes werde ich bis zur Unkenntlich zerquetschen. Das Gleiche werde ich mit ihrem Körper tun und zermalmen wie eine Kakerlake und als Abschluss zerdrücke ich ihren Kopf zu einer weichen Masse und lasse das Ungeziefer davon fressen.“
Jarlaxle schluckte merklich, doch nicht aus Angst sondern allein auf Grund der Vorstellung des eben Gehörten, und er wusste, dass der Maskierte Fürst irgendwann diesen Worten tatsächlich Taten folgen lassen würde. Schon der Gedanke an dieses unappetitliche Szenario ließ auch ausnahmsweise seinen Magen sich verkrampfen.
So war nun mal das unergründliche und wechselhafte Wesen Vhaerauns, der seine Emotionen manchmal nur schwer in den Begriff bekam. Es gab niemanden, der ihn daran hindern würde oder der es überhaupt erst versuchen könnte, abgesehen von anderen Göttern des großen Pantheons in Abeir-Toril, die bisher aber auch nichts taten. Nicht einmal einer der leiblichen Söhne, wie Jarlaxle, widersetzte sich.
„Du wirst dich dieser Aufgabe augenblicklich zuwenden“, verkündete der Maskierte Fürst machtvoll dem Söldnerführer von Bregan D’aerthe und schaute gefährlich in die roten Augen seines Sohnes und unterstrich damit seine Aussage.
„Wo ist diese Waffe?“, wollte nun der kahlköpfige Dunkelelf wissen, der in jenem Moment seinen Hut vom Kopf nahm und sich gedankenverloren darüber strich. Dabei wirkte er einen Augenblickt nicht begeistert von dieser Aussicht sich als Wache für Etwas oder Jemanden abstempeln zu lassen.
„Es ist ein Junge und er wartet am Eingang zum Klauenspalt. Du sollst ihn ausbilden“, erörterte Vhaeraun herablassend, da er die Gedanken von Jarlaxle nur zu gut kannte.
Ein Gott kennt seine Gläubigen und so wusste er, dass sein Sohn die nötigen Voraussetzungen mit sich brachte, Shar auf die bevorstehenden Aufgaben bestens vorzubereiten. Obwohl es natürlich auch noch andere Möglichkeiten gab, zog er diese allen anderen vor. Wie Jarlaxle das bewerkstelligen würde, war dem Maskierten Fürsten egal. Es galt nur sein Ziel und Vhaerauns Geheimnis absoluter Macht und so lange das Rätsel wohl gehütet in seinem Kopf ruhte, würde bis dahin Shar am Tag des Gerichtes bereit sein. Viele Jahre wären von Nöten. Aber was bedeutet schon Zeit im Leben eines Gottes, der bereits Äonen wartete oder auch die Zeit eines Halbgottes, der die volle Gunst seines Herrn genoss und noch lange auf Toril weilen würde.
Jarlaxle nickte verstehend, verkniff sich weitere, nicht herablassenden Kommentare und wurde augenblicklich von der lauten Stimme des Waffenmeisters Uthegental Barrison Del’Armgo aus seinen Gedanken gerissen. Als der Söldnerführer beim nächsten Lidschlag auf den Maskierten Fürsten blicken wollte, war nichts weiter zu sehen als Luft. Vhaeraun war von einer auf die andere Sekunde verschwunden und alles wirkte so, als wäre er nie anwesend gewesen. Die göttliche Aura im Raum existierte nicht mehr und so wusste der Söldner, er war mit dem protzigen Krieger abermals alleine.
„Ihr beleidigt mich erneut, Jarlaxle“, schnaubte der Waffenmeister ungehalten und kam ein Schritt auf den heimtückischen Dunkelelfen hinter dem Schreibtisch zu.
„Was?“, fragte der Anführer irritiert und musste versuchen wieder ganz der Alte zu sein ohne sich anmerken zu lassen, was geschehen war.
„Ich werde wieder kommen“, verkündete Uthegental ärgerlich und stellte wie ganz nebenher einen Kristall zurück auf den Schreibtisch, den er während seinen Ausführungen über die Kriegskunst und Kampfstile an sich genommen und bewundernd gemustert hatte.
Der Hornochse fasst aber auch alles an was nicht gut für ihn ist, wurmte sich im Gegenzug Jarlaxle. Denn der Kristall war äußert wertvoll und zwar so edel, dass er als Briefbeschwerer herhielt. Einer der wenigen Gegenstände, die nicht von magischer Natur, aber dafür von einer der seltenen Höhlen aus dem Hohen Norden stammte und gut und gerne den Preis für eine große Oberflächenstadt wie Mirabar erzielte. Noch während der Anführer von Bregan D’aerthe über Uthegentals fehlende Sitten schmollte, war der Waffenmeister bereits herausgerauscht und zurück blieb der immer so pfiffige Drow und versuchte angestrengt über die Worte des Maskierten Fürsten nach zu denken. Er sollte sich wohl am besten gleich auf den Weg machen, egal was ihn erwartete. Beschweren könnte er sich danach immer noch, falls er es denn überhaupt tun sollte. Er hatte ja keine Ahnung was die Zukunft bringen mochte, aber sie versprach eindeutig Aufregung und hoffentlich Profit. Nur eine Tatsache ärgerte ihn ein wenig. Er sollte Kindermädchen für einen Jungen spielen, der sich hier unter der Söldnertruppe im Namen Vhaerauns verstecken sollte. Welch seltsame Pläne, sinnierte der kahlköpfige Dunkelelf und rückte dabei seinen breitkrempigen Hut zurecht und überprüfte den Sitz seiner Augenklappe. Zufrieden lehnte er sich in seinem Plüschsessel nach vorne, seufzte kurz auf und stand auf. Mit einigen schnellen Schritten tat er es Uthegental Barrison Del’Armgo nach und trat durch das außerdimensionale Portal, das den Eingang und Ausgang zu seinen Privatgemächern darstellte und gelangte so auf den finsteren Gang des Hauptquartiers im Klauenspalt. Links und rechts salutierten zwei Soldaten, doch eher halbherzig statt mit voller Inbrunst.
Was für ein Morgen, sagte sich Jarlaxle und würdigte die beiden Männer keines weiteren Blickes. Er hoffte, dass für seine eigenen Pläne durchaus noch Zeit und vor allem Spaß zu holen war. Einen Schritt nach dem anderen schlenderte er eher gemächlich, als schnell, den gleichen Weg entlang, den der der exotische Krieger einige Minuten vor ihm genommen hatte und lief dem Ausgang entgegen. Er verschwand hinter einer dunklen Ecke.
Oben wartete ein ungeduldiger Shar und fragte sich, wann der junge Drowkrieger endlich zu ihm zurückkam. Er gestand sich selbst ein, dass er klug gehandelt hatte. Denn immerhin sprang hier Essen heraus und wo sonst würde er so schnell eine weitere Mahlzeit finden können. Solange ihn Nhaundar nicht gefunden hatte oder er nicht den Weg zu seinem Herrn kannte, musste er damit nun einmal vorlieb nehmen. Ein wenig ärgerte er sich sogar über die Tatsache, dass der Soldat mit Namen Quev’eaonar nicht Nhaundar kannte. Außerdem wollte Shar zu gerne wissen, wieso sein Vater sich nicht meldete. Mehrfach, seit der Junge nun wieder alleine hier am Höhleneingang vor seinem Versteck verbrachte, rief er geistig nach Handir, aber es folgte keine Antwort. Ein leichtes Unwohlsein bemächtigte sich seiner und der eben noch vorhandene Heldenmut bröckelte langsam dahin, wie die Fassade eines baufälligen Gebäudes.
Plötzlich wurde der junge Halbdrow aus seinen Überlegungen gerissen und erschrak über stampfende Schritte, die sich schnell und bedrohlich von der Seite her näherten. Shars Blick wanderte eilig dorthin und er versuchte zu erkennen, welche Gefahr auf ihn zukam. Erst überlegte er, ob es nicht der Soldat sein könnte, aber der ging anders, leichter und vorsichtiger. Der Körper des Jungen begann augenblicklich wieder wie Espenlaub zu zittern und ein kalter Schauer jagte ihm über den Rücken. Hatte heute denn niemand etwas besseres zu tun, als sich ihm zu nähern und zu Tode zu ängstigen, schmollte Shar, der sich damit neuen Mut verschaffen wollte. Aber die Schritte kamen rasch näher und sein Puls begann zu rasen. Was sollte er tun, fragte er sich. Verschwinden, ja, und verstecken, so dass ihn niemand sehen konnte, entschied er. Er griff nach seinem Dolch, den er neben sich gelegt hatte, stand auf und schaute über die Schulter. Die Höhle wollte er nicht nutzen, dort war er leicht zu finden. So musste eine andere Richtung her und er entschied sich für die, woher er gekommen war. Das Geschenk an Zaknafein könnte er später immer noch holen, solange es auf dem Höhlenboden lag und solange niemand von seiner Statur sich durch den engen Durchgang zwängte, würde es sicher verwahrt sein. Stolz darauf, dass Shar alles alleine und sorgfältig überdachte, schmunzelte er kurz, eilte aber sogleich davon. Die stampfenden Schritte schienen wie aus dem Nichts zu kommen und näherten sich rascher, als er floh. Er lief schneller, aber nicht schnell und weit genug. Eine Felswand war zu seiner Linken und gleich würde er die Straße in die Stadt erreichen, aber kurz zuvor tauchte plötzlich ein äußerst erschreckender Drow auf. Er wirkte bedrohlich und abstoßend und nicht gewillt sich von irgendetwas aufhalten lassen zu wollen.
Der junge Halbdrow hatte Glück, denn im gleichen Moment als Uthegental Barrison Del’Armgo aus dem geheimen Ausgang des Hauptquartiers von Bregan D’aerthe trat, hielt Shar nur zweit Meter von ihm entfernt abrupt an. Ein Felsen versperrte die Sicht des Waffenmeisters, der sich prompt beim Hinaustreten umschaute.
Der Junge erkannte die gerunzelte Stirn, das grimmige Gesicht sowie den Schmuck in Nase und Wangen des Dunkelelfen und schauderte. Die stacheligen Haare trugen nicht zum ansehnlichen Aussehen des Fremden bei. Dazu kam erschwerend hinzu, dass die Kleidung und dessen Waffen alleine schon auf einen Dunkelelfen mit normaler Statur unheimlich wirken konnten und Shar dabei in Angst und Schrecken versetzten. Dass der Waffenmeister allerdings keine geistige Größe war, das entzog sich aus der Kenntnis des Jungen. So hielt Shar vor Schreck die Luft an und schlug sich dabei die Hand auf den Mund, um keinen Laut von sich zu geben.
Fast schon zuviel, denn das Geräusch ließ den Krieger aufmerksam werden. Sein Blick wanderte in Richtung des jungen Halbdrow und dabei grunzte er verächtlich. Als Uthegental nichts ausmachen konnte wandte er sich jedoch gleich ab. Er wollte einfach nur nach Hause und über das Gespräch mit Jarlaxle nachdenken. Eines Tages würde er den Söldnerführer soweit haben, wie er wollte, und höchstwahrscheinlich auch das Geld besitzen, um sich mit dem großen Dantrag Baenre in einem Zweikampf beweisen zu können.
Wohlan, Dantrag war der Schnellere der beiden, aber er, als der Größere, besaß durchaus mehr Muskeln und Stärke. Gegen Zaknafein Do’Urden hatte er bereits verloren, auch wenn es nur ein Gerücht unter all dem Gerede war. Doch Uthegental Barrison Del’Armgo kannte die Wahrheit. Seine kurzen Haare rührten daher, weil der Gewinner dieses Duells damals verlangte, dass der Verlierer sich die Haare abrasieren musste. Der Sieger war niemand anderer als der Waffenmeister aus dem neunten Haus Do’Urden. Seither lief der exotische Krieger nur noch mit dieser Frisur durch das Unterreich und schwor eines Tages Rache an beiden Konkurrenten. Jarlaxle selbst hatte damals dafür gesorgt, dass der Kampf heimlich und in aller Stille über die Bühne gehen konnte, so sollte es auch irgendwann mit Dantrag sein. Mit diesen Gedanken schritt der protzige Uthegental davon und bemerkte den viel zu verängstigen Shar nicht dabei.
Der junge Halbdrow stand wie versteinert an die Felswand gedrückt und beobachtete ängstlich, wie sich der bedrohliche Krieger entfernte. Nachdem Shar ihn nach wenigen Metern nicht mehr ausmachen konnte, entspannte sich der Junge ein wenig. Doch nicht genug, denn es bestand immer noch die Möglichkeit, dass der Fremde zurückkehren könnte. Die Vorstellung was passierte, wenn man ihn hier fand, schien keine gute Aussicht auf körperliches Wohlergehen zu sein. Krieger waren gefährlich und tödlich und was der Fremde vor ihm präsentierte übertraf bei weitem alles, was der Junge kannte. Dantrag Baenre alleine bedeutete Todesgefahr und das, obwohl der Waffenmeister des ersten Hauses von der Statur kleiner und sogar ansehnlicher war. Gewaltig bemächtigten sich plötzlich die Erinnerungen an Dantrag den Jungen, welche ihn bei dem kleinsten Gedanken daran, innerlich blockierten. Er musste hier verschwinden, sagte sich Shar und schaute nochmals kurz über die Schulter. Hinter ihm war die Luft rein und vor ihm erstreckte sich der Weg, den er zuvor gegangen war. Der junge Halbdrow begann sich zu bewegen und schritt nun vorsichtig, aber dennoch schnell genug davon. Sein Weg führte ihn zurück, die Straße in den Stadtteil Ostmyr. Je näher er sich dem belebten Händlerviertel näherte, desto wohler fühlte sich der Junge. Die Einsamkeit und die Bedrohung lagen mit einem Mal hinter ihm. Aber um das Essen fand er es schade, denn es handelte sich um eine geschenkte Mahlzeit, wozu er nichts tun musste. Doch er wollte zurückkommen, sagte er sich. Denn das Geschenk für Zaknafein musste er holen und dann würde er bestimmt wieder den jungen Drowsoldaten Quev’eaonar wieder sehen. Mit diesen Gedanken und einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht lief Shar einfach weiter. Er entfernte sich vom Klauenspalt und schien mit sich zufrieden zu sein.
Während der junge Halbdrow Hals über Kopf vom Haupteingang von Bregan D’aerthe floh, trat unmittelbar hinter dem Waffenmeister Uthegental Barrison Del’Armgo, ein kahlköpfiger Dunkelelf mit einem breitkrempigen Hut heraus. Einige Soldaten folgten Jarlaxle in angemessenem Abstand, die sich fragten, was ihr Anführer zu dieser Stunde hier zu tun gedachte, doch sie äußerten sich dazu natürlich nicht. In erster Linie zählten ihre Loyalität und somit auch die Verschwiegenheit und der absolute Gehorsam. Das hinderte sie jedoch nicht an ihrem Wundern.
Wundern tat sich auch Jarlaxle. Er stand vor dem Eingang, ließ seinen Blick über die nähere Umgebung schweifen und konnte lediglich den nackten Fels, die vertraulichen Verstecke der Soldaten und Patrouillen erkennen, aber keinen Jungen, um welch ein Jungen es sich auch handeln sollte. Alles schien so wie immer, ob nun positiv oder negativ.
„Mein Maskierter Fürst, wo soll dieser Junge, eure Waffen sein?“, bat der Anführer von Bregan D’aerthe stumm um eine Erklärung und war verwirrt über das Ausbleiben dessen, was ihn hier oben erwarten sollte.
„Mein Sohn“, dröhnte eine verärgerte und überaus gefahrvoll klingende Stimme tausendfach in Jarlaxles Geist wieder, so dass er kurzzeitig seine Hände an seine Schläfen legte, um nicht das Gefühl zu haben, dass sein Kopf in kleine Stücke zerriss.
Der Söldner wusste augenblicklich, dass eine unerwartete Schwierigkeit eingetreten war. Das eigentliche Problem entzog sich zurzeit seiner Kenntnis, höchstwahrscheinlich aber nicht mehr lange. Jarlaxle kannte seinen Gott und Vater gut genug, um sich aber in Geduld zu üben und abzuwarten. Doch innerhalb weniger Sekunden hallte die Stimme Vhaerauns wie von einer gewaltigen Brandung genährt in seinem Kopf, feurig und tödlich, wider. „Die primitive Wanze hat sich davon gemacht. Bin ich hier nur von Delletanten und Idioten umgeben …“, fluchte Lolths Sohn, dass selbst der agile Körper von Jarlaxle leicht zitterte. „Kann man sich nicht einmal umdrehen ohne dass jeder gleich einen Anflug von Schwachsinn entwickelt. Das wird er mir büßen und so lange bis auch es in seinem ausgehöhlten Hirn angekommen ist.“
Der Anführer von Bregan D’aerthe wartete ab und lauschte den Worten des Herrn der Schatten, die alles andere als einen Spaziergang versprachen. Noch immer entzog sich der größte Teil von Vhaerauns Plan seinem Wissen, doch ändern konnte er nichts. Außerdem übte er sich weiterhin in Geduld, während der unkontrollierte Gefühlsausbruch des Maskierten Fürsten langsam verebbte. Doch die Ironie in dem ganzen konnte Jarlaxle dabei nicht ignorieren. Seinen Vater auf die Spitze zu treiben war einfach oder auch wieder nicht. Jeder der ihm in die Quere kam lebte nicht mehr oder fristete ein armseliges Dasein irgendwo im Nirgendwo. Bei diesen Aussichten wäre selbst der Söldner dazu geneigt, als Seele ohne Körper seine restliche Existenz weiter zu führen, als den Zorn Vhaerauns auf sich zu ziehen. Der Junge könnte ihm beinahe Leid tun, um wen es sich auch handeln mochte. Noch während sich Jarlaxle insgeheim über den Wutausbruch amüsierte, wurde die tosende, tausendfach widerhallende Stimme des Gottes in seinem Geist allmählich ruhiger. Nach weiteren Minuten wagte es der hinterhältige Drow zum ersten Mal wieder das Wort zu erheben.
„Mein Maskierter Fürst, wie kann ich dienlich sein?“, wollte Jarlaxle ehrfürchtig wissen und meinte es tatsächlich so.
„Du wirst auf mein Zeichen warten“, zischelte Vhaeraun ärgerlich und im gleichen Moment waberte schwarze Nebel um den Söldnerführer herum, den nur er alleine wahrnehmen konnte. Ein attraktiver Dunkelelf stand einen Lidschlag später vor Jarlaxle und sein Gesicht war zu einer gefahrvollen Fratze verzogen. Das Haar flammte Feuerrot und die Hände waren zu Fäusten geballt.
„Ja, mein Maskierter Fürst“, entgegnete Jarlaxle achtvoll und musste versuchen ein Schmunzeln zu unterdrücken. Denn der Anblick wirkte doch recht belustigend auf den tückischen Drow, der so langsam Geschmack an diesem Versteckspiel bekam.
„Verfluchter Idiot“, knurrte Vhaeraun ungehalten und ließ damit offen wen der beiden – Jarlaxle oder Shar – er damit meinte, während er in die rot glühenden Augen seines Sohnes sah.
„Möchtet ihr mehr Informationen preisgeben?“, fragte der Anführer der Söldnergruppe ruhig und gelassen auf geistiger Ebene und blickte sich dabei neugierig in der näheren Umgebung um. Doch an dem Bild vor einigen Minuten hatte sich nichts verändert. Selbst der Begleitschutz hatte sich vorsichtshalber in den Hintergrund verzogen und wartete geduldig am Haupteingang zu ihrem Quartier.
„Noch nicht“, erwiderte der Gott und nun schien er sich tatsächlich ein wenig beruhigt zu haben, denn die Stimme klang verhältnismäßig gelassen.
„Wie ihr wünscht … ich werde warten und eure weiteren Pläne ausführen und dienlich sein“, erklärte sich Jarlaxle freundlich obwohl er den Sarkasmus selbst aus seinem Geist nicht ganz verschwinden lassen konnte.
„Lass’ den Spott, mein Sohn“, schnaubte Vhaeraun verächtlich und eine Gedankenpeitsche schnallte mit solch heftiger Wucht durch den Geist des Söldners, dass ihm kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Er schwankte nach vorne und zurück und für einen Moment schien es ihm fast so, als würde er von Innen zerrissen werden. „Das ist eine Warnung, für dich und für den Jungen. Enttäusch mich nicht.“
Jarlaxle schluckte merklich und kämpfte gegen die aufkommenden negativen Gefühle an. Eine Mischung aus unendlicher Wut, Erniedrigung und selbst Erleichterung bemächtigte sich seiner. Der Drow schloss kurz die Augen, sammelte sich und kehrte mit neuer Konzentration an Ort und Stelle zurück. Sein Gott war verschwunden und mit ihm auch die machtvolle Aura, die das Auftauchen mit sich brachte, bereits zum zweiten Mal innerhalb einer halben Stunde.
„Ich werde tun was ihr verlangt“, dachte Jarlaxle und somit schien auch für ihn das Treffen seinem Gott vorzeitig vorüber. Doch die Gedanken blieben ihm, wie auch all die Erinnerungen an die Gespräche.
Jarlaxle fragte sich, welche Bewandtnis die geheimnisvollen Pläne von Vhaeraun haben könnten. Was für eine Rolle sollte ein unbekannter Junge spielen, von dem er nicht einmal den Namen kannte? Was sollte auch die Anspielung an die Oberfläche und nicht zu vergessen die Erwähnung eines Vhaeraunpriesters? Ganz neue Gedanken drängten sich dem Söldner auf, wovor er sich sonst niemals Sorgen gemacht hatte. Stets hielt er sich an die Anweisungen und befolgte diese auf seine ganz eigene Art. Genau wegen seiner Vorhergehensweise entschloss sich wohl sein Vater ihn für die schwierige Aufgabe ausgesucht zu haben. Jarlaxle sollte Kindermädchen spielen. Aber sollte er wirklich das Wesen eines Gottes hinterfragen? Trotz der Herkunft, des stets hinterhältigen Drow, leichter verständlich als für andere, aber auch fördernd in der Gunst seines Glaubens? Gesünder wäre es nicht, aber reizvoller. Er könnte ja durchaus die Augen aufhalten und schauen, was sich ergab. Erst einmal weiter machen wie bisher und sich umhören. Mit diesen Überlegungen und noch einigen weiteren wand sich Jarlaxle um, schritt auf den Haupteingang von Bregan D’aerthe zu und verschwand. Zurück zu seinen Privatgemächern, um die Lage in aller Ruhe zu überdenken. Das war eine Divise, an die sich Jarlaxle stets hielt, und somit mit manch großen und kleinen Hindernissen schon seit Jahrhunderten überlebte.
Shar hatte währenddessen von alldem nichts mitbekommen. Seine nackten Füße trugen ihn eilig, schneller sogar als er dachte, zurück nach Ostmyr zurück. Der Dolch steckte im Hosenbund und der junge Halbdrow achtete darauf, dass er nicht sofort sichtbar, aber er durchaus in der Lage war, ihn sofort ziehen zu können. Mittlerweile dachte der Junge nicht mal an den Soldaten und das Essen, sondern wollte sich einfach nur verstecken. Ganz weit weg von dem bedrohlichen Drow, der ihn zutiefst erschreckt hatte. Shar versuchte sich bei seiner übereilten Flucht so klein wie möglich zu machen, unscheinbar auszusehen und schlich so am Straßenrand entlang. Er hielt den Kopf gesenkt und schielte aus den Augenwinkeln heraus. Jeden direkten Blickkontakt zu den hier herumlaufenden Drow und anderen Lebewesen vermied er, die ihm begegneten und so fühlte sich der Junge vorerst einmal sicher. Jetzt galt es nur einen Platz zu finden an dem er warten konnte. Die Straße immer in Sichtweite und Ausschau nach seinem Herrn halten. So sah vorerst sein Plan aus. Den Weg zurück zu Nhaundar kannte er immer noch nicht, dabei schien er sehr nahe. Wenn Shar über den Basar gelaufen wäre, dann nur immer geradeaus und seine Füße hätten ihn vor das große Eisentor zu Nhaundar Xaranns Anwesen gebracht. Doch der junge Halbdrow wusste es nicht und da er sich gar nicht auskannte, hatte er auch keine Anhaltspunkte. Weiter bis zum Basar und dem verruchten Fleck, der sich in der Stadt Menzoberranzan „Das Schmuckkästchen“ nannte, kannte Shar nicht.
In den frühen Jahren erledigte er für seinen Herrn Botendienste, aber niemals über die Grenzen von Nhaundars Einzugsgebiet hinaus. Der hinterhältige Sklavenhändler tätigte eher Geschäfte zu pflegen, die lukrativ und vor allem auch von niederen Adelshäusern genutzt werden konnten. Somit nur in den Stadtteilen Duthcloim, dem Basar und in selten Fällen auch mit Söldnern. Dabei kamen die Dunkelelfen zu ihm und nicht umgekehrt.
So ahnungslos suchte nun Shar ein Versteck und wusste noch nicht so recht, ob ihm das gelingen würde. Hier herrschte bereits am Vormittag geschäftiges Treiben und die Straßen waren voll von Drow, Ork, Grauzwergen, Goblins und auch einigen Menschensklaven. Alle wuselten aufgeregt hin und her und beachteten den kleinen, verwahrlosten und stinkenden Halbdrow nicht, bis Shar blitzartig stehen blieb und schrie.
Soeben glitt der Junge noch an einem alten Drow vorbei und achtete darauf ihn und andere nicht zu berühren, da piekten ihn ganz plötzlich unbeschreibliche Schmerzen in seinem Kopf. Ihm wurde augenblicklich schwindlig und er musste anhalten. Er schaute nach oben und auf die Straße. Doch die Bilder verschwammen zu einem undeutlichen Wirrwarr zusammen und wirbelten hin und her. Dann zuckten plötzlich Blitze vor seinen Augen und er fuhr erschrocken zusammen. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, in der Hoffnung sich nur geirrt zu haben. Abermals wurde ihm schwindlig und das verwischte Bild kehrte zurück, selbst die unbeschreiblichen Kopfschmerzen hatten sich verstärkt. Gleichzeitig zuckten weitere, grellweiße Blitze vor ihm auf. Eilig schloss er die Lider erneut und konnte nicht mehr an sich halten. Die Qual vor dem schmerzendem Licht erfasste seinen hageren Körper und er spürte, wie sein Magen anfing sich zu krümmen. Shar schrie auf. Glühend, heiße Flammen züngelten um seinen Kopf herum auf und begannen sich ohne Rücksicht durch sein Gesicht zu fressen. Sie bahnten sich ihren Weg über Mund, Nase, Ohren und Wangen und schlichen sich erbarmungslos in die tiefblauen Augen des jungen Halbdrow hinein. Erneut schrie Shar laut auf und umfasste mit beiden Händen seinen schmerzenden Kopf. Denken konnte er in jenem Moment nicht mehr, denn die Qual hatte völlig von ihm Besitz ergriffen. Immer weiter und weiter drangen die Flammen ungehindert in den Geist des Jungen ein. Shars Eingeweide zogen sich zusammen, kalte und heiße Schauer jagten sich gegenseitig und schossen durch den ganzen Leib. Die Gedankenpeitsche Vhaerauns grub sich tiefer ihren Verbindungsweg zu dem Gehirn des jungen Halbdrow und ließ dem Zorn des Maskierten Fürsten freien Lauf.
Shar wurde von mehreren Lebewesen umringt, davon auch Dunkelelfen und Orks, die gebannt, abstoßend oder aber einfach nur neugierig stehen geblieben waren und sich das unerwartete Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Der Junge hielt sich den Kopf und versuchte damit den Schmerzen zu entgehen, die stattdessen an Intensität zunahmen. Übelkeit und Schwindel bemächtigten sich seiner und gruben sich in jede Faser seines Seins. Shar verlor letztendlich das Gleichgewicht und fiel mit dem Gesicht nach vorne auf den harten Felsenboden. Doch durch die Gedankenpeitsche spürte der junge Halbdrow nicht einmal wie er sich beide Knie, seine Handgelenke und selbst einen Fuß blutig stieß. Ganz zu schweigen von einer aufgeplatzten Augenbraue. Einzig und allein das ungezügelte Feuer fraß sich tiefer und tiefer in seinen Geist hinein.
Gepeinigte Schmerzensschreie hallten über den kleinen Abschnitt der Straße, die nach einigen Minuten nachließen und auch die Zuschauer nicht mehr fesselten. Für alle Schaulustigen stellte sich die Szene als überdreht heraus und sie schenkten ihr kaum noch Aufmerksamkeit. Sie erkannten keine blutigen Wunden, keine sichtbaren Spuren eines Kampfes, sondern nur einen schreienden, verdreckten, stinkenden und in allem Überfluss verrückten Halbdrow, der auf dem Boden lag und komplett durchdrehte. Nicht schaulustig genug für sie.
Die Bestrafung war einzig und allein für Shar bestimmt und dieser fühlte sie am ganzen Körper hautnah. Der Zorn Vhaerauns übermannte ihn ohne Ankündigung, breitete sich in ihm aus und am Ende lag er zitternd, schwach und fast ohnmächtig am Straßenrand und dachte er würde sterben. Noch viele weitere Minuten verstrichen auf die gleiche Weise und mittlerweile waren fast alle anderen Anwesenden dazu übergegangen sich wieder ihren eigenen Geschäften zu widmen. Einige schüttelte noch den Kopf und signalisierten, dass der Halbdrow geisteskrank sei. Wieder andere schienen der Meinung, man sollte dieses Häuflein Etwas umbringen und von hier fortschaffen, bis letztendlich eine Stadtwache die restlichen Umherstehenden zerstreute.
Der Hauptmann der kleinen Gruppe, bestehend aus drei Soldaten und einem Magier, hatte heute anscheinend einen guten Tag, denn er veranlasste, dass Shar tatsächlich weggebracht wurde, sogar lebend. Zwei Drow der Patrouille nahmen den bebenden Körper des Jungen, trugen ihn an die nächste Häuserecke, nur einige Meter weiter entfernt, und ließen ihn anschließend in einer Seitengasse hilflos liegen. Danach ging auch diese Gruppe ihres Weges und scherte sich keinen Deut mehr um den Halbdrow.
Shar lag einfach nur da, mitten im Schmutz der Gasse und keiner achtete auf ihn. Sein hagerer Leib zitterte immer noch, doch mittlerweile schienen die Schmerzen in seinem Kopf nachzulassen. Langsam und schleppend schwanden die Flammen in ihm und um ihn herum. Die Blitze hatten gänzlich nachgelassen und selbst seine Eingeweide verkrampften sich nicht mehr. Doch zurück blieben unerträgliche Kopfschmerzen, eine ausgetrocknete Kehle und das Gefühl nur noch schlafen zu wollen. Shars Verstand funktionierte in jenem Moment soweit, dass er eines wusste, hier konnte er nicht liegen bleiben. Er musste versuchen einen abgeschiedenen Ort zu finden, um sich dort einfach auszuruhen. Was mit ihm passiert war ahnte der Junge nicht, noch gab ihm die Stimme seines Vaters irgendeine Erklärung ab. Vergessenen schienen im gleichen Augenblick auch alle anderen Dinge, die Shar seit den frühen Morgenstunden erlebte. Sein innigster Wunsch verlangte nach Ruhe und Schlaf.
Der junge Halbdrow mobilisierte die letzten, ihm noch zur Verfügung stehenden Kräfte, schleifte sich mehr oder minder über den harten Felsenboden, anstatt zu laufen und schleppte sich auf allen Vieren immer tiefer in die dunkle Gasse hinein. Er hatte keine Augen für eventuelle Gefahren, sondern kroch unbehindert weiter. Dabei registrierte er nicht einmal, dass ihm der so wertvolle Dolch aus dem Hosenbund rutschte und achtlos auf der Straße liegen blieb. Sein Atem kam stoßweise und er fühlte sich, als würde er seit Tagen so herumkriechen. Tatsächlich kam er nur wenige Meter weiter. Der junge Halbdrow erreichte einen Ort, der sich geradezu als perfekt herausstellte. Vor ihm erstreckte sich ein kleiner Innenhof. Ein Eisengitter umzäunte den kleinen abgeschiedenen Flecken und im Hof standen viele Dinge unordentlich, manche auch fein säuberlich aufgereiht, herum. Es handelte sich um gefüllte Säcke mit nicht erkennbarem Inhalt, kleine und große Weinfässer standen unmittelbar daneben und boten einen wunderbaren Unterschlupf, um nicht gleich gesehen zu werden. Ohne sich weiter umzuschauen oder sich Gedanken um eine hier lauernde Gefahr zu machen, schaffte es Shar, durch das offen stehende Tor herein zu kommen. Sein Weg führte ihn zu einem kleinen Fass, ganz in der Nähe des Eingangs und gleichzeitig zu einer dort dunklen Nische. Mit der letzten Kraft schleppte sich der Junge dort hin und legte sich neben das Weinfass zu Boden und verlor keine Sekunde später das Bewusstsein.