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Dem Wahnsinn so nah

By: Elbenstein
folder German › Books
Rating: Adult ++
Chapters: 47
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Reviews: 41
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Disclaimer: I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
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41. Kap. In den Hinterh?fen der Stadt

41. Kapitel
In den Hinterhöfen der Stadt

Die Nacht brach schnell herein. Hatch’nett verabschiedete sich und machte sich anschließend auf den Weg zu seinem Zimmer, irgendwo in der Stadt. Er hatte noch eine Verabredung, die er auf keinen Fall verpassen wollte. Ugurth machte sich ebenfalls aus dem Staub, zumindest offensichtlich. Doch er kam nicht weit, denn sein Weg führte ihn bis zur Hauptstraße und dort an eine dunkle Häuserecke. Hier wartete er ab und wollte zu passender Zeit zuschlagen.
Shar war bereits zur Mittagszeit erschöpft und am Abend fühlte er sich ausgelaugt und unendlich müde. Seine Hände schmerzten nun mehr als gestern. Die Gelenke waren aufgedunsen und jede Bewegung ließ den Jungen leicht aufstöhnen. Die restliche körperliche Verfassung war nicht viel besser. Den ganzen Tag hatte er mit kaltem Wasser die verschiedenen Flaschen gesäubert, sich die Haut mit einer drahtigen Bürste aufgerieben, als er alte Fässer reinigte, und an seinen Handflächen bildeten sich allmählich Blasen. Solche Arbeit kannte er nicht und hoffte, dass er wenigstens bald ein wenig verschont werden würde, woran im Moment nicht zu denken war. Von Veszmyr Zolond hatte er vor einiger Zeit einen Becher Wasser bekommen und dazu etwas zu Essen, dass nicht viel besser als das gestrige aussah und genauso schmeckte. Erneut waren es Reste aus der Küche, die undefinierbar schienen. Diesmal war es ein Stück schimmeliges Brot, woran sich Shar fast die Zähne ausgebissen hätte. Der Hunger trieb es jedoch hinein und das schreckliche Loch in seinem Magen beruhigte sich zumindest teilweise. Wie gerne hätte er etwas zu sich genommen, dass von Nhaundar stammte, selbst wenn es hieß, dass er es von einem Finger ablecken oder aus dessen Hand essen musste.
Sein Leben bestand bisher aus anderen Dingen. Aus anzüglichen Angelegenheiten und körperliche Befriedigung für andere Männer. Sich jeden Tag aufs Neue seinem Herrn anzubieten, sich von anderen Drow erniedrigen zu lassen und die damit verbundenen Schmerzen und Schmach mit sich in Einklang zu bringen. Ergänzend ging einher, dass Shar sich auch daran gewöhnte, nicht wie andere Sklaven zu Leben. Kein Putzen, keine harte Arbeit und vor allem keine Hässlichkeit an den Tag zu legen. Jeden Morgen wurde er von Dipree zu Recht gemacht, sah hübsch und attraktiv aus und brachte so manch einen ins Schwärmen. Zur Kundschaft des jungen Halbdrow zählten viele adelige Drow aus hohen Häusern, darunter auch Dantrag Baenre, aber auch hochbetuchte Männer aus mittleren und niedrigen Adelshäusern. Nicht mitgerechnet noch all die anderen Männer aus der Stadt der Spinnenkönigin, die sich zu den ehrenwerten Kunden Nhaundar Xaranns zählten. Shar war auch einige Male der Mittelpunkt von Feiern oder guten Geschäftsabschlüssen seines Herrn gewesen, in dem er mit seinen körperlichen Reizen alle antrieb mehr zu tun oder gar zu wollen, als sie bereitwillig vorhatten zu tun. Die Freude lag zwar nicht auf seiner Seite, aber all das wies ihm sein Leben und was kannte er denn schon anderes, seit Handir von ihm gegangen war. Shar war der willkommenste Lustsklave im Haushalt des Sklavenhändlers Xarann, der sich ohne Murren von einem Drow zum anderen begab und das über Jahre hinweg. Seine weitere Aufgabe bestand darin, sich um das körperliche Wohl von Nhaundar zu kümmern. Bei alledem hatte der Junge ein Talent dafür entwickelt, die Wünsche der Männer an ihrer Mimik und Gesten zu durchschauen. Gut oder schlecht, beides ging zu Lasten von Shars zerbrechlichem Körper. Zum Glück für ihn, dass ein junger Vhaeraunpriester und dessen Zwillingsbruder sich des Halbdrow annahmen und sich zwischen Sorn Dalael und Shar Zuneigung und Liebe entwickelten. Ohne die Hilfe des Klerikers wäre der Junge wohl in seinem Leben bis jetzt nicht so glimpflich davon gekommen. Dann kam die Freundschaft zu dem Waffenmeister Zaknafein Do’Urden hinzu und die Welt schien sich neu um Shar zu drehen. Bis zu jenem schicksalhaften Abend vor einigen Tagen, wo sich alles in eine Katastrophe verwandelte. Erschwerend kam Shars zartes Alter von 49 Jahren dazu. Der Junge war und blieb ein Kind. Er schien ausgewachsen, wenn man bei seinem schmächtigen Leib davon überhaupt reden konnte. Doch als reinrassiger Elf – aus der Verbindung eines Mondelfen und einer Dunkelelfe – würde Shar erst in ungefähr 30 Jahren als ein junger Erwachsener gelten. All das und noch viel mehr wirkte sich auf das Wesen des Jungen aus. Aufgewachsen in einer Gesellschaft, in der er niemals akzeptiert, lediglich geduldet wurde und auch nur solange, wie er Nutzen für jemanden bot, überforderte Shar völlig, der keinen Ausweg aus dieser Misere fand. Abgeschnitten von all seiner gewohnten Umgebung, im Unklaren gelassen und dabei auf sich alleine gestellt, nagte allmählich die Verzweiflung an ihm. Hier und Jetzt war er in irgendeinem fremden Hinterhof in der Stadt angekettet, lag in einem alten Weinbrandfass und wusste doch eigentlich gar nicht wirklich, wo er sich befand. Zu seiner Hoffnungslosigkeit kamen nun auch diese unerklärlichen Schmerzen hinzu, die er sich durch das eiskalte Wasser geholt hatte. Niemand erklärte ihm etwas und das was man ihm sagte, waren Befehle oder herzlose Ratschläge. Nicht einmal von Hatch’nett konnte er profitieren, der zwar für einen Drow äußerst angenehm, aber dennoch in Shars Augen ungeschickt und manchmal dumm wirkte. Er gab zu, dass der Dunkelelf ihm nun schon zum zweiten Mal etwas heimlich zu Essen zugesteckt hatte, das machte ihn dadurch aber nicht zu einem Freund. Wenigstens fühlte sich der junge Halbdrow in der Nähe von Hatch’nett besser, als in der Gesellschaft des widerlichen Orks oder von Veszmyr Zolond.
Shar hatte sich nach der Arbeit und dem ekelhaften Essen in das kleine, alte Fass zurückgezogen und eng zusammengerollt. Die Arme schlossen sich um seine Knie, während der Kopf auf einer Schulter ruhte und so lag er einfach nur da, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. Wieder versuchte er mit Handir zu sprechen, doch die Antwort blieb aus. Die Erinnerungen an Zuhause kehrten zurück und sehnsüchtig wünschte er sich, dass er in den Armen von Nhaundar liegen könnte. Alles, nur nicht hier alleine und verlassen zu sein und sich fragen zu müssen, was passiert war, wo es keine Antworten gab. Noch während er sich seiner Trauer und Niedergeschlagenheit hingab, hörte der junge Halbdrow nicht, dass er gehört und beobachtete wurde.
Ugurth wartete geduldig die Nacht ab, bis er sich in aller Heimlichkeit zurück zu dem Hinterhof des Spirituosenladens „Die schwarze Seele“ schlich. Auch er kannte die Gewohnheiten von Veszmyr gut genug, dass er sich sicher sein konnte, dass der kleine, dickliche und vor allem ganz von sich selbst eingenommene Dunkelelf mit den eigenen Freuden beschäftigte war und wie jeden Abend einen über den Durst trank. Die Zeit für Ugurth war gekommen. Der Ork stahl sich über den Hof hinüber zu dem Platz, wo der Junge lag. Er hörte leises Weinen und hielt einen Moment irritiert inne. Doch augenblicklich verstand Ugurth, dass das Jammern nur von dem Halbdrow stammen konnte und dabei huschte ihm ein bösartiges Lächeln über sein haariges und hässliches Gesicht.
Du wirst dir wünschen, dass es nur Veszmyr wäre, der dich bestraft, sagte sich der Ork und schlich nun weiter zu dem alten Weinbrandfass hinüber. Wie lange habe ich schon nicht mehr den körperlichen Freuden gefrönt, schmunzelte Ugurth und ließ dabei gefährlich seine Halswirbel knacken.
Shar erschrak im gleichen Moment. Von draußen hörte er ein seltsames Geräusch und hob eilig den Kopf. Er sah aus der Öffnung hinaus, doch erkannte nur das Dunkel des Hofes. Entspannen konnte sich der Junge jedoch nicht und richtete sich in aller Vorsicht ein wenig auf. Sein Herz begann heftiger zu schlagen und Shar wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Lange musste der junge Halbdrow nicht warten, denn nur Sekunden später trat Ugurth unheilsvoll vor den Eingang des Fasses und starrte den Jungen mit glühenden Augen an und der Gestank von Ugurths Ausdünstungen wehte herüber.
„Guten Abend“, begann der Ork höflich zu knurren und bleckte dabei seine zwei gelben Stoßzähne.
Shar öffnete vor Schreck den Mund, aber es kam kein Ton heraus.
„Ich wollte dich besuchen“, flüsterte Ugurth dem Sklaven zu, kniete sich nieder und griff mit beiden Armen nach den Beinen des Jungen.
Shar wollte schreien aber es war zu spät. Der Ork war für seinen kräftigen Körperbau flink bei der Sache und zog den schwachen Leib des Jungen mit einem Ruck heraus und legte augenblicklich eine Hand auf den Mund. Mit der anderen Hand drückte er den jungen Halbdrow auf den Boden und gierte sein Opfer gefährlich an.
Der Junge versuchte erneut zu rufen, aber Urguth erstickte alles sofort im Keim. Doch hätte irgendwer überhaupt Shar geholfen? Veszmyr bestimmt nicht und Hacht’nett war nicht mehr da. In jenem Moment gab es nur den Jungen und den Ork. So gab Shar seine Verteidigung schnell auf. Nicht nur aus dem ersteren Grund, sondern weil er gegen den kräftigen Körperbau von Ugurth nicht gewachsen war. Dieser drückte ihn immer noch auf den harten Felsenboden und fingerte ungeschickt an der wollenden Hose herum und zog sie letztendlich herunter. Da wusste auch der junge Halbdrow was passieren würde und lebhafte Erinnerungen an seine früheren Herrn Nhaundar und dessen Kundschaft bemächtigten sich seiner Gedanken. Das war etwas, was Shar kannte und das ihn so lange Zeit in seinem Leben begleitete, selbst hier und jetzt. Er wusste wie er reagieren musste und das er sich lieber gleich entspannen sollte. Nur alles tun, dass zu den Schmerzen in seinen Händen, nicht noch weitere seinen ganzen Leib quälten. Im Bruchteil von Sekunden fühlte sich Shar wieder ganz normal und verstand die Welt mit dem ihm gewohnten Horizont.
Ugurth bemerkte währenddessen nicht, dass der Junge aufgehört hatte sich zu wehren. Die anfängliche Widerspenstigkeit hörte abrupt auf und anschließend überwältigte der Ork den jungen Halbdrow. Wenn Ugurth dachte er wäre schlau, dann war er in jenem Augenblick einfach nur dumm. Doch das hinderte ihn nicht an seinem Vorhaben. Erst eine Stunde später war der Ork zufrieden und wollte sich auf den Weg zu seiner eigenen Unterkunft machen. Während er sich in aller Ruhe anzog und den erschöpften Jungen unachtsam auf dem Boden liegen ließ, zerbrach eine Flasche auf dem Boden ohne dass es jemand merkte.
Shar interessierte es nicht, denn er kämpfte mit den dumpfen Schmerzen und seiner Verzweiflung. Schien es nicht schon genug, dass er hier nicht verschwinden konnte, wenn Nhaundar ihn schon nicht fand? Musste nun auch noch der hässliche Ork sich seiner bemächtigen? Aber eines wusste er sehr genau, von Ugurth hielt er sich in Zukunft fern.
Am Morgen fand Hatch’nett den Jungen schlafend vor. Was in der Nacht geschehen war, ließ sich nicht mehr erkennen. Nur zwei Indizien schienen darauf hinzudeuten, aber der Drow verstand sie nicht. Zum einen war Shar erschöpfter als gestern und wirkte leicht verstört und zum anderen lag die zerbrochene Falsche auf dem Boden. Hatch’nett, in all seiner eigenen Gedankenlosigkeit, bemerkte nicht einmal dieses einfache Detail und machte sich nach dem Wecken sogleich an die Arbeit. Heute hatte er nichts zu Essen mitgebracht, denn sein nächtliches Abenteuer ließ selbst ihn beinahe zu spät kommen.
Shar seufzte leicht betrübt darüber, aber an der Situation konnte auch er nichts ändern. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als heute sein Sold zu erfüllen und zu hoffen, dass der Abend schnell heran rückte und der Spirituosenhändler ihm etwas zu Essen gab – Wasser gab es bei seiner Tätigkeit ja immerhin im Überfluss – aber das löschte lediglich den Durst und füllte nicht das Loch in seinem Magen. Doch noch lieber wünschte er sich, dass er Ugurth nicht begegnen musste. Nur schlecht, wenn der Ork hier arbeitete und hauptsächlich viel alleine im Innenhof herumschlurfte und seinen Aufgaben nachkam. So traf er auch Shar, dem er hin und wieder ein hinterhältiges Grinsen zu warf, so dass dem Jungen stets ein kalter Schauer über den Rücken lief. Der junge Halbdrow spürte noch die Berührungen der rauen Hände, den stinkenden Atem und hörte das widerliche Grunzen, immer und immer wieder. Am liebsten hätte sich der Junge von oben bis unten geschruppt, aber das ging nicht. So versuchte Shar seinen Ekel zu überwinden, wie er es schon bereits die Tage auf den Straßen geschafft hatte und tat so, als würde er Ugurth weder sehen noch hören. Die zerbrochene Flasche blieb bis dahin ungeachtet.
Veszmyr Zolond wollte gegen Abend nach dem Rechten sehen und spazierte eigentlich eher gelangweilt, als gereizt, aus der Hintertür in den Hof. Er beobachtete seine Mitarbeiter, die zu seiner Zufriedenheit heute sehr viel Eifer an den Tag legten. Ganz zu Gunsten seiner Nerven, die er langsam schonen wollte. Sein Geschäft lief hervorragend und für diese Stunde hatte sich auch noch jemand angekündigt, der nach sehr ausgefallenem Alkohol von der Oberfläche suchte und er besaß solch edle Tropfen. Ein Drow mit Geld und Einfluss, das wusste Veszmyr von dem Kontaktmann. Selbst hatte er niemals mit diesem Händler zutun gehabt, aber er wusste, dass er aus dem einflussreichen Stadtteil Duthcloim stammte. Womöglich ein gutes Geschäft für den Spirituosenhändler, der gut und gerne seine Kundschaft erweiterte.
Veszmyr schlenderte doch jetzt noch über den Hof und kam auch bei seinem neuen Sklaven an. Er beobachtete, wie der Junge mit Anstrengung die Flaschen reinigte und gar nichts um sich herum wahrnahm. Sehr gut, dachte sich der Drow und wollte gerade wieder auf dem Absatz kehrt machen, da knirschte es plötzlich unter einem seiner Stiefel. Überrascht blickte er nach unten und seine Augen weiteten sich. Er stand mitten in einem Scherbenhaufen und dieser stellte vor dem Zerbrechen eindeutig eine Flasche da. Veszmyrs Mund öffnete sich und schloss sich augenblicklich wieder. Er spürte wie die Wut ihn zu übermannen drohte und er konnte nicht glauben, was er hier sah. Der Bastard hatte es doch tatsächlich geschafft eine kostbare Flasche zu zerstören, dazu auch noch eine aus den südlichen Gefilden von Faerûn, besser gesagt aus der Wüstengegend rund um Calimhafen. Ein Vermögen hatte er einst dafür gezahlt, um an solch kostbare Gefäße zu kommen, die ihm anschließend noch mehr Gold einbrachten, als er ausgab. Sein Herz raste vor Ärger und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Dann erhob er seine Stimme und schrie aus Leibeskräften über den ganzen Innenhof.
„Du elendes Stück Dreck!“, begann er und hastete eilig auf Shar zu, der mitten in seiner Arbeit verharrte und vorsichtig den Kopf hob. „Du hast eine Flasche zerbrochen du Bastard … das wirst du mir büßen!“
Veszmyr hielt bedrohlich vor dem schwachen Jungen an und holte mit der Hand heftig und unheilsvoll aus. Im nächsten Moment landete die Hand mitten in Shars Gesicht, dem durch die Ohrfeige augenblicklich die Tränen in die Augen traten.
„Du wagst es gegen meine Befehle zu handeln? Ja?“, machte Veszmyr seiner unsagbaren Wut weiter Luft, während seine Augen vor Zorn rot blitzten, als gäbe es kein Morgen mehr. „Ich habe dir die Regeln erklärt und ich werde sie nicht wiederholen. Die Auswirkungen wirst du tragen. Es wird nichts zu Essen und zu Trinken geben.“
„Aber …“, wisperte Shar kaum hörbar und schaute aus den Augenwinkeln ungläubig zu dem Dunkelelf nach oben und verstand gar nichts mehr. Mit der Hand rieb er sich die Wange und wusste ganz genau, dass er nichts getan hatte.
Im selben Moment griff Veszmyr kraftvoll nach dem dünnen Handgelenk des Jungen, riss dieses abrupt vom Gesicht weg und ließ für Shar keine Möglichkeit offen, sich herauszuwinden. Der junge Halbdrow stöhnte vor Schmerz auf. Doch der Spirituosenhändler achtete nicht darauf, die Wut kochte ihn ihm und er brauchte ein Ventil, um erneut Herr über seiner Selbst zu werden, und dem Sklaven musste er eine anständige Lektion erteilen. Veszmyr hob seine andere Hand und riss mit dieser nun an den kurzen Haaren von Shar, so dass sein Kopf heftig in den Nacken gerissen wurde. Erneut ächzte der Junge vor Schmerz auf.
„Was bist du schon für ein Ding?“, begann Veszmyr Zolond die Worte dicht neben Shars Ohr heraus zu donnern und seine Stimme dröhnte dabei in Shars Kopf. „Du bist ein Halbblut, ein widerliches Insekt, das man am besten gleich zerquetschen sollte. Wie konnte man nur so etwas wie dich am Leben lassen. Du besudelst das reinrassige Blut eines Dunkelelfen. Du wirst eine Strafe erhalten die deiner angemessen ist.“
Der junge Halbdrow hörte die Worte und wusste, dass sie nicht stimmten. Veszmyr kannte ihn nicht und auch nicht seinen Vater. Selbst Nhaundar hatte in all seinem Zorn niemals so etwas von sich gegeben, oder doch? Aber wieso sollte sich Shar als Sklave die Mühe machen jemandem etwas erklären zu wollen, der gar nicht erst gewillt war zu zuhören. Außerdem würde der Junge sich nicht trauen überhaupt den Mund aufzumachen. Schweigen brachte Schmerzen, aber auch ein gewisses Maß an Disziplin, was Shar kannte und daran festhielt. Zu oft in der Vergangenheit musste er diese Lektion erbarmungslos lernen und befolgen. Für den jungen Halbdrow reichte es aus, dass er die Wahrheit kannte und sein neuer Herr unwissend war. Im gewissen Sinne stärkte ihn das Wissen, dass er unschuldig war. Noch während Shar darüber nachgrübelte und Veszmyr mit seinen Beleidigungen fortfuhr, folgte eine weitere körperliche Bestrafung. Der Spirituosenhändler schleuderte mit Schwung und völlig unerwartet den schwächlichen Körper des Jungen hart auf den Boden, dass Shar kurzzeitig laut aufstöhnte und ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Er versuchte sich mit Müh und Not vom Boden zu erheben, während ein stechender Schmerz durch seine Glieder jagte. Dann nahm Veszmyr eine zerbrochene Scherbe und hielt sie bedrohlich dem jungen Halbdrow unter die Augen.
„Siehst du das …“, knurrte der Händler und wedelte mit dem Glas gefährlich vor Shars Gesicht herum. „Das ist deine Schuld“, brummte er weiter und kam jetzt mit der Scherbe gefährlich nahe an die Wange des Jungen.
Shar erschrak. Er fragte sich was sein neuer Herr mit ihm tun wollte, da spürte er bereits den Schmerz, als die Scherbe brennend über seine Wange fuhr und diese einritzte.
Blut trat aus der Wunde. Doch damit nicht genug. Der Drow holte zwei weitere Male aus und schnitt mit dem Splitter links und rechts über beide Oberarme des Jungen. Shar schrie nicht, stöhnte aber vor Schmerzen auf. Es brannte wie Feuer.
„Hatte ich dir nicht gesagt dass du jederzeit ersetzbar bist?“, fragte nun Veszmyr mit eiskalter Stimme ohne eine Antwort zu erwarten, während er die Glasscherbe unachtsam auf den Boden warf, wo sie sich zu den anderen Bruchstücken gesellte und dort noch einmal brach. Dann griff der Händler erneut nach dem Haarschopf von Shar und riss dessen Kopf in den Nacken. Dann trafen sich ihrer beider Blicke und Veszmyr hätte vor Freude beinahe laut aufgeschrieen. Denn in den tiefblauen Augen von Shar stand die pure Angst geschrieben, Furcht um das nackte Überleben. So ist es recht, gratulierte sich der Dunkelelf, denn die Zucht sah er stets als oberste Priorität an. Etwas, dass den Drow dazu antrieb, seinen Frust endgültig abzubauen, um sich dann in Ruhe seinen Geschäften widmen zu können.
„Ugurth“, rief Veszmyr Zolond plötzlich laut, wobei er den jungen Halbdrow weiterhin anstarrte. „Ugurth, du Idiot, komm’ her und bring’ mir die Peitsche.“
Ugurth kam und überreichte die angeforderte Peitsche. Er wusste sehr wohl, dass er die Flasche heute Nacht wohl zerbrochen haben musste, aber das war nur eine Kleinigkeit, die er schnell wieder vergaß. Er ergötzte sich lieber an der Bestrafung des Jungen. So blieb er anschließend daneben stehen und schaute interessiert zu.
Shar hielt sich währenddessen mit beiden Händen die aufgeschnittenen Oberarme fest, denn die Wunden begannen zu bluten. Ein kleines Blutrinnsal floss zwischen den dünnen Fingern hindurch und tropfte auf den nassen Boden der Wasserstelle und mischte sich dort mit dem kalten Nass. Ugurth leckte sich bei dem Anblick und dem Geruch von frischem Blut unbewusst die Lippen, während Veszmyr dem Ork die Peitsche aus der Hand riss und sich auf den ersten Schlag freute.
Wie ein Feuersturm sauste das schwarze, harte Leder auf den Rücken von Shar herab, der von dem Schlag völlig überrascht wurde. Ein brennender Schmerz jagte über seine Haut und die Erinnerung an die Dornenpeitsche von Yazston und die heftige Bestrafungen von Dantrag Baenre bemächtigten sich seiner. Dann folgten bereits der zweite Peitschenhieb und dann der dritte und viele weitere andere. Nach zehn Schlägen hatte Veszmyr genug von seiner Bestrafung und spürte eine leichte Erschöpfung, während sein Atem heftig und stoßweise aus der Lunge entwich.
Shar dagegen kauerte auf dem Boden, beide Hände schützend über dem Kopf haltend und hatte nach dem dritten Treffer jedes Mal laut aufgeschrieben. Doch jetzt konnte er nicht mehr und war der Ohnmacht nahe. Sein Rücken brannte und quälte ihn, während das Leid statt zu verebben über ihn wie eine Feuerbrunst hinweg rauschte. In all seiner Verzweiflung rief er wieder stumm nach Handir, obwohl er wusste, dass keine Antwort folgen würde. Aber der Junge versuchte sich an etwas festzuklammern und die Schmerzen zu ignorieren. Doch es gelang ihm nur kläglich und dann unterbrach ihn erneut die Stimme von Veszmyr in seinem Jammern. Er sprach jedoch nicht mit ihm sondern mit dem Ork.
„Ugurth ich habe eine Aufgabe für dich“, dröhnte der Spirituosenhändler freundlich und strafte gleichzeitig Shars Ohren mit diesem lauten Umgangston. „Wenn so etwas wie heute noch einmal geschieht, dann gehört die die Missgeburt dir“, lächelte Veszmyr und erntete daraufhin ein gelbstichiges Grinsen des Orks und der Händler erklärte weiter. „Falls nochmals eine Flasche zu Bruch geht oder das Ding etwas tut, was er besser nicht hätte tun sollen, dann darfst du ihn bestrafen. Wie die Strafe aussieht überlasse ich ganz dir. Ihr Ork habt doch Talent zum quälen, oder?“
Ugurth schmunzelte nun noch breiter und entblößte immer mehr von seinem schiefen Zähnen. Dabei roch er abstoßend, was Veszmyr doch zurzeit geflissentlich überging. Er wollte nur noch seine Ruhe und sich auf die Geschäfte konzentrieren. Der Halbdrow war ersetzbar, jederzeit und allerorts.
„Ja“, grunzte Ugurth zurück und beobachtete seinerseits den am Boden liegenden Jungen. Er erfreute sich an der Bestrafung und den Befehlen des Drow und beinahe hätte er deswegen sogar vor Freude laut aufgeheult. Doch stattdessen nickte Ugurth vorsichtshalber noch einmal in die Richtung seines Arbeitgebers und zeigte damit an, dass er verstanden hatte.
„Veszmyr Zolond, mein Herr?“, unterbrach plötzlich die Stimme von Hatch’nett die beiden im Hof und dabei lugte der Dunkelelf aus der Hintertür hinaus. Er erkannte im ersten Moment nur die Rücken seines Geldgebers und des Orks. „Euer Kunde ist eingetroffen.“
Der Spirituosenhändler wandte sich abrupt um, schleuderte die Peitsche gleichzeitig auf den Boden und setzte ein heimtückisches Lächeln auf. Na endlich, sagte er noch zu sich selbst, aber wollte sicher gehen, dass der Verstand des Orks ihn auch wirklich verstanden hatte. Der Händler im Laden könnte auch noch eine weitere Minute warten.
„Ugurth, du kennst jetzt deine Aufgabe, also halte dich auch daran, verstanden?“, fragte der Drow seinen stinkenden Mitarbeiter nochmals, schaute dabei über seine Schulter und funkelte mit den Augen.
Der Ork nickte nachdrücklich und schon folgten noch weitere Anweisungen Veszmyrs. „Das Ding soll jetzt weiterarbeiten und nicht wie ein Käfer auf dem Boden kauern und vor sich hinjammern.“ Daraufhin wand sich der Händler noch an Hatch’nett, um sicher gehen zu können, dass auch der Dunkelelf seine Befehle verstanden hatte.
Beide, Ugurth und Hatch’nett, nickten, wobei der jüngere Drow etwas ungläubig die neue Situation beobachtete. Er selbst verbrachte die meiste Zeit im Inneren der Geschäftsräume und schien leicht verwundert, dass Veszmyr den Jungen ausgepeitscht hatte. Auch wenn er sich nicht darüber begeistern konnte, musste er zugeben, dass er sich lieber heraus hielt. Es tat ihm um den jungen Halbdrow leid, aber er konnte nur selbst Ärger aus dem Weg gehen, wenn er jetzt nichts sagte und tat, dass seinen Geldgeber erneut aufbrausen ließ. Hatch’nett blieb eben ein Feigling. So schwieg er und vernahm einen Ruf hinter sich, der von dem Kunden stammte. Er drehte sich eilig um und antwortete, dass der Herr gleich käme und richtete erneut seine ganze Aufmerksamkeit an Veszmyr.
„Mein Herr, der Sklavenhändler wartet auf euch“, verkündete Hatch’nett freundlich und verbeugte sich leicht.
„Ich komme … ich komme“, säuselte Veszmyr nun erleichtert, trat wie nebenbei die Glasscherben nieder, so dass ein knirschendes Geräusch über den Hof hallte und würdigte anschließend niemand mehr eines Blickes. Jetzt zählten das Geschäft und das Gewinnen eines neuen Kunden.
Shar lag auf dem Boden und wurde währenddessen von Ugurth angetrieben aufzustehen und sich nach der Manier von Veszmyr erneut an die Arbeit zu machen. Nicht einfach für den nun noch schwächlicheren Körper, der jetzt auch noch durch weitere Schmerzen drangsaliert wurde. Wie konnte es erst soweit kommen und wieso konnte er nicht einfach weit weg sein, fragte sich der Junge und kämpfte abermals gegen die Verzweiflung an. Er wollte nicht aufgeben und er durfte es auch nicht. Shar wollte versuchen durchzuhalten und vielleicht ergab sich ja auch eine Gelegenheit, in der er abhauen konnte. Flucht klang in jenem Moment so süß, wie der Zuckerguss von Kuchen oder Honig, den der junge Halbdrow so sehr liebte. Die Zeit würde kommen, sagte er sich, machte sich dadurch Mut und richtete sich unter Qual langsam und schleppend auf. Dabei achtete er weder auf den Ork, noch auf Hatch’nett, der neugierig beobachtete aber letztendlich doch verschwand. Am Ende blieb Shar alleine mit seinen Wunden zurück. Vorsichtig blickte er sich um und erkannte, dass ihn niemand zu Nahe kam. Die Gelegenheit nutzend, schleppte er sich zu der Wasserstelle zurück, die nur einige Schritte entfernt war und begann sich zu waschen und auch zu trinken. Er ging dabei sehr behutsam vor und musste sich mehrmals auf die Lippen beißen, dass er keinen Ton von sich gab. Immerhin sollte niemand wissen, dass er hier trotzig etwas tat, worauf eine weitere Bestrafung drohte.

Im Inneren der Geschäftsräume des Spirituosenladens „Die schwarze Seele“ wartete stattdessen ein ungeduldiger älterer Dunkelelf bereits auf den Besitzer. Er wirkte leicht nervös und schaute sich mit einer Mischung aus Interesse und Langweile um. Den Zwischenfall im Hinterhof hatte selbst er mitbekommen und sogar einen Blick um die Ecke nach draußen gewagt. Aber er hatte nicht viel erkennen können, außer dass ein rundlicher Drow einen jämmerlichen Sklaven ausgepeitscht hatte, während ein Ork daneben stand und grinste. Alles weitere wurde durch den Körper des anderen Dunkelelfen verdeckt, der sich ihm als Hatch’nett vorstellte.
Dem Gesindel immer zeigen auf welcher Stufe es sich befindet, dachte der Sklavenhändler dabei und konnte sich selbst ein Schmunzeln nicht verkneifen. Schon im nächsten Moment wurden seine Gedanken unterbrochen, als eine Männerstimme sich erhob und sich ihm von vorne näherte.
„Seit gegrüßt, mein Herr. Ich bin Veszmyr Zolond“, säuselte Veszmyr galant und kam angemessenen Schrittes auf seinen Kunden zu, der noch jemanden mitgebracht hatte. Es war ein Soldat, der missmutig, aber dennoch ergeben dastand und alles mit wenig Verlangen verfolgte, der gestrige Kontaktmann. Nichtsdestotrotz glimmten dabei Veszmyrs Augen für eine Sekunde auf und er schien sich sicher, dass es heute noch ein guter Abend werden könnte. Seine Wut war verraucht und nun konnte der gemütliche Teil beginnen und er damit seine Kasse füllen. Vergessen war auch der junge Halbdrow, den er in die Obhut des Orks gegeben hatte.
„Seit auch mir gegrüßt, Meister Zolond“, erwiderte der Sklavenhändler ölig und deutete ein Kopfnicken an.
„Wie darf ich euch beim Namen nennen, mein Herr?“, fragte der Spirituosenhändler neugierig, wusste er doch bis jetzt nur, dass was er berichtet bekam und das war nicht mehr, als dass der Dunkelelf vor ihm neue Geschäftsbeziehungen suchte. „Mein Mitarbeiter hat mir nicht zu viel verraten“, sprach Veszmyr wahrheitsgemäß weiter.
„Nennt mich Nhaundar Xarann“, kam die knappe Antwort und ein Grinsen huschte über die Gesichtszüge des Drow. „Mein bescheidenes Heim liegt in Duthcloim und ich komme nicht oft hier her. Doch lasst mir euch versichern, dass mein treuer Hauptmann neben mir von eurem Laden schwärmt und ihn mir somit empfohlen hat.“ Dabei nickte Nhaundar in die Richtung von Yazston, der neben ihm stand und immer noch missmutig drein schaute. Doch der Sklavenhändler achtete nicht sonderlich auf ihn, denn endlich konnte er sich wieder frei unter der Bevölkerung bewegen ohne Schmerzen zu fühlen.
Mit viel Geld gelang es vor zwei Tagen eine Priesterin aufzutreiben, die Nhaundar die beiden gebrochenen Kiefer, die gebrochene Nase und seine Gehirnerschütterung heilte. Die inneren Verletzungen wurden ebenfalls behandelt, doch einige davon saßen tief, viel tiefer, als sich das jemand vorstellte und selbst Nhaundar gestand sich diese Tatsache nur zähneknirschend ein.
Nachdem der Waffenmeister Dantrag Baenre sich mit Nhaundar unterhalten hatte, kamen beide zusammen auf die Idee einen Schlussstrich unter die Ereignisse der ausschweifenden Feier zu setzen und von vorne zu beginnen. Dieser Vorschlag stieß sogar bei dem immer so schmierigen Sklavenhändler auf vollste Zufriedenheit und nun stand er hier und tat das, was ihm Dantrag geraten hatte. Dass er jemals auf die Worte des Waffenmeisters etwas gab, überraschte Nhaundar.
Während der Zeit des Wartens auf Heilung und bei dem Verdrängen seiner Schmerzen hatte Nhaundar mehr Zeit zum nachdenken gehabt, als ihm lieb gewesen war. Dabei kamen ihm die Erinnerungen an Shar und somit an seinen einst angenehmsten Besitz. Wie er sich überhaupt erst freiwillig davon trennen wollte und sich stattdessen ein neues Liebesspielzeug besorgte, überraschte ihn immer noch und dabei verstand er sich selbst nicht. Nachdem der junge Halbdrow so einfach verschwand und seither nicht mehr auftauchte, beschäftigte sich Nhaundar damit. Er stimmte Dantrag zu, dass Sorn Dalael sich des Sklaven angenommen und ihn aus der Stadt fort geschafft habe musste, genauso wie der Vhaeraunpriester und sein Zwillingsbruder nirgendwo aufzufinden waren. Erschwerend kam hinzu, wenn der Junge lebte, dann besaß er alles Wissenswertes, was sich in und um Nhaundar Xarann ereignet hatte. Shar kannte somit alle Geheimnisse und Machenschaften seines Herrn und auch dessen Kundschaft. Gar nicht gut und seine Unsicherheit in diesem Punkt, versuchte Nhaundar sich nicht anmerken zu lassen, aber sie nagte unaufhörlich an seinen Nerven. Daher kam er auch auf die Idee, sich einen weiteren, noch nicht so bekannten Kreis von neuen Geschäftspartnern aufzubauen und zu versuchen den unliebsamen Rest und seine Ängste tief in die hinterste Ecke seines Gehirns zu verbannen. Dies war heute sein erster Versuch von den alten Ereignissen abzulassen und sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Die Suche nach dem jungen Halbdrow hatte er seit zwei Tagen aufgegeben. Nur eine kranke Idee setzte Nhaundar beiläufig noch in die Tat um, worüber Dantrag lachen musste. Der Sklavenhändler hatte sich einen Maler besorgt. Dieser hatte die Aufgabe bekommen, den Jungen aus Nhaundars Erinnerungen zu malen, der eine Schlange um den Hals trug. Dieses Gemälde wollte er sich dann in seine Privatgemächer hängen um immer daran erinnert zu werden, dass Shar in seinen Augen eine falsche Schlange war, der all seine Geheimnisse in sich trug. (Anmerkung: Dieses Bild würde Jarlaxle, der Anführer von Bregan D’aerthe Jahre später bewundern und schwärmen und sich fragen, wie es zu solch einem Portrait kam. Inhalt aus der Fanfiction „Past and Future Secrets“) Doch nun konzentrierte sich Nhaundar Xarann auf das Wesentliche und schon wurde er von dem Spirituosenhändler in seinen Gedanken unterbrochen.
„Dann hoffe ich doch euren Anforderungen gerecht zu werden, Nhaundar Xarann“, erwiderte Veszmyr Zolond schleimig und wies seinen neuesten Kunden in eine Ecke mit bequemen Sesseln. „Hatch’nett bring’ uns Gläser“, gab der Händler dem Dunkelelfen die Anweisung, winkte den Sklavenhändler sogleich auf die andere Seite des Geschäftes, weg von der Tür in den Hinterhof und somit aus dem Blickfeld des jungen Halbdrow Shar.
Nhaundar lächelte tückisch von einem Ohr zum anderen und freute sich auf erlesene Tropfen, die er sich sogar etwas kosten lassen wollte. Es könnte nur ein guter Abend werden und der Anfang schien getan zu sein. Eilig gab er Yazston die Anweisung draußen auf der Straße bei den beiden anderen Soldaten zu warten und damit richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf Veszmyr Zolond.

Shar kauerte zur gleichen Zeit auf dem Boden und versuchte so gut es ihm nun mal gelang, sich die Wunden mit dem Wasser zu reinigen. Die Schnitte im Gesicht brannten, ganz zu schweigen von den Stellen mit den Peitschenhieben auf dem Rücken. Nhaundar hätte so etwas niemals zugelassen, weinte er stumm und wünschte sich in jenem Moment nichts sehnlicher, als seinen Herrn wieder zu sehen, ganz egal, was er dann mit ihm tun mochte. Gleichzeitig schlich sich die Angst vor der nun kommenden Nacht in seinen Verstand und brachte neue Verzweiflung mit sich. Nicht nur, dass er nichts zu Essen bekam, kehrte die Furcht vor Ugurth zurück in seine Glieder gekrochen. Der Ork würde auch diesmal nicht sanft oder behutsam sein und das morgige Erwachen wäre höchstwahrscheinlich schrecklicher als zuvor. Flucht schien das Vernünftigste, was dem jungen Halbdrow in den Sinn kam. Diesmal aber vorbereitet und mit klaren Ziel vor Augen seinen Herrn zu finden. Selbst wenn es hieß nach dem Waffenmeister des ersten Hauses zu fragen, sagte sich Shar. Viele weitere Gedanken wirbelten plötzlich durch seinen Kopf und er wurde anschließend nur von einem Gefühl beherrscht, der Vorfreude auf eine wohl geplante Flucht aus dem Innenhof und von Veszmyr Zolond und dies ließ ihn sogar die Schmerzen ertragen.
Doch dazu kam es niemals. Der Abend brach recht schnell herein und Shar wurde von Ugurth besucht, der sich mit seinen neuen Privilegien schnell in die neue Situation einfügte. Der Ork richtete sich nach den Anweisungen seines Arbeitgebers. Das tat er und ließ einen sehr schwachen jungen Halbdrow zurück. Am nächsten Tag musste Shar hart kämpfen, dass er nicht vor Erschöpfung umfiel. Er trank zwar heimlich von dem Wasser, aber ohne Nahrung brachte auch das kühle Nass nicht fiel. Die Wunden im Gesicht und auf dem Rücken hatten sich entzündet und erschwerend kam hinzu, dass Veszmyr gerne weitere Male zuschlug. Ugurth tarnte seine Brutalität mit den Argumenten, dass der Junge einige Flaschen zerbrochen hatte. Doch in Wahrheit war er der Übeltäter gewesen, um sich anschließend an den Schmerzen von Shar zuweiden.
Dem Jungen gelang es noch durchzuhalten und vielleicht lag es auch an seinen Fluchtgedanken, die ihn diese Tortur erträglicher machten. Hatch’nett hielt sich als Feigling an die Befehle seines Geldgebers, obwohl er hin und wieder nach dem Rechten sah. Aber bereits nach zwei weiteren Tagen konnte man erkennen, dass der Körper von Shar schwächer und kraftloser wurde und er nicht mehr lange so weiter machen konnte.
Am dritten Tag bekam der junge Halbdrow wieder etwas zu Essen, jedoch wie zuvor nur Abfälle aus der Küche. Nicht nahrhaft und auch nicht sehr förderlich für einen immer kranker werdenden Jungen. Die Unterernährung breitete sich zusehends aus und von Tag zu Tag wurde er energieloser und schaffte sein Sold nicht mehr. Dann begann das Spiel von vorne und nach fast einer Woche lag Shar einfach nur noch vor dem alten Weinbrandfass und konnte kaum noch aufsehen oder sich bewegen. Vergessenen war selbst die Flucht und ein Gefühl der absoluten Leere bemächtigte sich seiner. Der junge Halbdrow gab nach und nach auf und wusste, dass wohl bald ein Leben im Tod auf ihn wartete, so wie es ihm Sorn einst versprach. Langsam wusste Shar auch, dass Nhaundar ihn niemals mehr finden würde. Er musste versuchen sich damit abzufinden, auch wenn ihm dieser Gedanke fast genauso viel Schmerzen bereitete, wie die Qual auf seiner Haut und der beißende Hunger.
Veszmyr beobachtete dies alles ausführlich und für seine Verhältnisse lange genug. Doch nun hatte er endgültig die Nase gestrichen voll. Er wollte niemanden durchfüttern, der dem Tod näher stand als dem Leben. Somit gleich einen Schlussstrich ziehen, sagte er sich und beschloss, dass der Sklave fortgeschafft werden sollte und das am besten sofort. Eilig rief der Spirituosenhändler nach Hatch’nett und sprach mit eiskalter Stimme zu ihm. „Ich brauche keine Weicheier und keine Nutznießer, wie den Bastard da draußen.“ Dabei hob er eine Hand und wedelte mit ihr in Richtung Fenster und zu dem im Hof liegenden Halbdrow. „Hatch’nett, bring’ ihn um und werfe ihn anschließend irgendwo auf die Straße. Sollen die anderen ihn fortschaffen.“
Der jüngere Dunkelelf schluckte kurz, aber auch nur, weil er mit diesen Worten in jenem Moment nicht gerechnet hatte. Aber vielleicht eine gute Lösung für alle, dachte er sich, der selbst nicht mehr das Elend mit anschauen konnte. Immerhin hatte der Junge länger durchgehalten, als er es ihm zugetraut hatte, meinte Hatch’nett zu sich selbst. Dann muss Ugurth sich nun wieder mit ihm herum ärgern oder er sich mit ihm, schmunzelte der Dunkelelf noch zum Abschluss in sich hinein, der wusste, dass der Ork gerade irgendwo auf dem Basar war und eine neue Lieferung zum Laden bringen sollte. Der Grunzer würde überrascht sein, wenn er wieder käme, dachte der Drow. Dann unterbrach Hatch’nett seine Gedanken und schaute Veszmyr direkt in die Augen.
„Ja, mein Herr“, antwortete er kurz und knapp und drehte sich augenblicklich herum. Sein Weg führte ihn sogleich in den Hof und hinüber zu Shar.
Als er jedoch den Jungen anschaute, kehrte sein seltsames Mitgefühl zurück. Er seufzte und wusste nicht so recht, ob die Entscheidung von Veszmyr Zolond wirklich die beste Lösung war. Vielleicht gab es eine andere Lösung, die für alle Beteiligten gut wäre und so überlegte der Drow fieberhaft, während er langsam zu dem erschöpften Shar hinüber lief. Hatch’nett beobachtete die flache und langsame Atmung des Jungen. So holte der Drow erleichtert tief Luft, denn das bedeutete, dass der Junge noch lebte. Und plötzlich kam Hatch’nett die Lösung und ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und er blickte auf Shar herab. Der Junge machte keine Anstalten sich zu bewegen oder ihn anzuschauen, aber das machte hoffentlich nichts. Verstohlen blickte Hatch’nett über seine Schulter und über den Innenhof hinweg. Ugurth war noch nicht da, Veszmyr schien ebenfalls nicht zu kommen und somit schienen beide alleine zu sein. Jetzt wurde das Grinsen des Drow breiter und er kniete sich zu Shar hinunter und rüttelte ihn an der Schulter.
„Wach’ auf, mein Kleiner“, begann er auf den Halbdrow einzureden. „Du musst aufstehen, hast du gehört“, drängte Hatch’nett weiter und hoffte, dass sich der Junge endlich bewegte. Gleichzeitig fingerte er an der eisernen Kette herum bis er sie geöffnet hatte und niemanden mehr festhielt.
Erst jetzt reagiert Shar und versuchte seine Lider zu öffnen und blickte gleich darauf in die roten Augen des Dunkelelfen. Was wollte er denn von ihm, denn die Stimme klang hastig.
„Ich werde jetzt ein Messer holen gehen, hast du mich verstanden?“, platzte Hatch’nett einfach plump heraus und schaute den Jungen dabei geradlinig an, um keine Zweifel an seinen Worten entstehen zu lassen.
Shar erschrak und ahnte, was da kommen würde. Doch ihm schien mit einem Mal alles egal, gab aber nichts von seinen Gefühlen preis.
Der Drow seufzte und überlegte, ob sein Einfall wirklich so eine gute Idee war. Aber er wollte es wenigstens versuchen und so begann er nüchtern weiter zu erklären, denn er hatte bemerkt, wie der Junge bei der Erwähnung des Messers kurz zusammen zuckte. „Veszmyr möchte dich tot sehen und ich soll dich töten. Ich werde jetzt ein Messer von da hinten holen …“, erklärte Hatch’nett tölpelhaft und unterstrich seine Aussage mit der Hand, indem er in einen dunkleren Teil des Hofes zeigte und sprach erst dann weiter. „Wenn ich wieder komme und du noch da bist werde ich dich erlösen. Ich drehe dir lange genug den Rücken zu, du verschwindest von hier und ich habe dich niemals gesehen. Verstehst du? Du sollst fliehen, solange ich dir den Rücken zuwende.“
Mit diesen Worten holte der Dunkelelf Shar aus seiner Gleichgültigkeit heraus und augenblicklich spürte der Junge, wie sich etwas in ihm regte. Hatte er richtig oder doch falsch verstanden? Mit dieser Möglichkeit eröffnete sich die Flucht und das war das, was ihn doch die letzten Tage noch einen Funken Hoffnung geschenkt hatte. Auch wenn er schwach und sich unendlich müde fühlte, er musste wenigstens versuchen es zu schaffen. Kaum dass er sich darüber Gedanken machen konnte, erhob sich Hatch’nett auch schon und bedachte den Jungen mit einem letzten, nichts sagenden Blick. Eine Sekunde später wand sich der Drow um und schritt langsam davon, hinüber in die von ihm zuvor genannte Ecke. Sein Herz klopfte wild vor Aufregung und er hoffte inständig, der Halbdrow hatte sich richtig entschieden. Ohne Hast kam er an der von ihm beschriebenen Stelle an, griff sich eines der Messer von einem Hacken, dass eigentlich für die Fässer gedacht war, um sie bei Bedarf besser öffnen zu können und zählte innerlich bis zwanzig. Als er sich herumdrehte war Shar verschwunden.
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