Dem Wahnsinn so nah
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Disclaimer:
I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
44. Kap. Das Zusammentreffen
44. Kapitel
Das Zusammentreffen
Es war ein dunkles und stickiges Kellerloch. In der Luft lag der Gestank von Abfall, Schimmel und wenn es Calaunim Zaurahel nicht besser wüsste, sogar der Duft von unterschiedlichen Körperausdünstungen. Der jung ausschauende und recht groß gewachsene Dunkelelf Calaunim erwachte soeben mit hämmernden Kopfschmerzen aus seiner Bewusstlosigkeit. Er lag mit dem Rücken auf hartem Felsboden und bemerkte augenblicklich, dass er nicht alleine war. Er hielt jedoch noch einen Moment inne und die Augen geschlossen, wobei er aufmerksam lauschte. Daraufhin vernahm der Drow in unmittelbarer Nähe nervöse Schritte von tapsenden, nackten Füßen, die auf und ab liefen, während dieser jemand leise etwas vor sich hin murmelte. Dann kroch die stickige Luft, die ihn vollkommen umgab, in seine Lungen und beinahe hätte er Husten müssen. Er konnte den Reflex allerdings zurückhalten. Dabei fühlte er seinen kalten und klammen Körper. Nur zögernd kehrten die Leibensgeister zurück und der eben noch taube Körper erwachte langsam zu neuem Leben. An den Schläfen pochte es stetig weiter und die anhaltenden Kopfschmerzen verursachten ein leichtes Schwindelgefühl, während der Kopf sich ein wenig schwer anfühlte. Calaunim öffnete seine lavendelfarbenen Augen und wand sein Gesicht den Schritten zu. In der Finsternis dieses Raumes, der sich bei genauerem hinschauen als ein Kellerloch entpuppte, erkannte er, dass er sich in absoluter Finsternis aufhielt. Doch durch seine angeborene Fähigkeit im Infrarotspektrum zu sehen, erblickte er eine Silhouette, die beständig auf und ablief und ihn gar nicht zu bemerken schien oder zumindest nicht darauf achtete, ob er bei Bewusstsein war. Der Fremde wirkte im ersten Moment bedrohlich, doch auf den zweiten Blick gab er nur das Gefühl von Angst und Verwirrtheit zur Schau. Calaunim Zaurahel erkannte von seiner unbequemen Lage lediglich ein paar wenige Details. Der Unbekannte wirkte klein und hager. Kurze Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab und zerrissene Kleidung schien seinen Körper zu verdecken. Ein eisernes Halsband prangte am Hals des Fremden und zeichnete diesen eindeutig als Sklaven aus. Eine Hand stand völlig deformiert von einem angewinkelten Arm ab, wobei in der anderen Hand eine Waffe lag. Diese war klein und bei näherem mustern erkannte der Hexenmeister sie als die Klinge eines Messers.
„Ein Sklave schien ihn wohl gefangen genommen zu haben“, dachte sich der Drow und dabei sah der Sklave nach nicht mehr aus, als ein Kind. Calaunim musste sich zusammen reißen, um nicht auf der Stelle lauthals aufzulachen. Aus dem unterdrückten Lachen wurde ein Husten und dieser ließ die fremde Silhouette aufmerken und stehen bleiben. Calaunim und Shar sahen sich im selben Moment in die Augen und der Dunkelelf hustete nun kräftiger.
„Leise, sonst finden sie uns noch!“, zischte eine angespannte Stimme leise und ängstlich und Calaunim beobachtete, wie der Fremde von neuem mit dem nervösen Auf-und-Abschreiten in diesem kleinen Raum - ohne auf seinen angeblichen Gefangenen ein Auge zu haben - begann. Nun wurde auch das Gemurmel wieder aufgenommen, was sich nicht identifizieren ließ.
Calaunim beruhigte sich und setzte sich anschließend in eine bequeme Sitzposition auf den Boden. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand und schaute fasziniert und ein wenig verunsichert zu dem Fremden hinüber. Das Schwindelgefühl verschwand langsam, aber stetig. Er versuchte sich zu erinnern, wo er sich eigentlich befand. Seine Gedanken schweiften wild umher und Calaunim wusste lediglich noch, dass er auf dem Weg zu Elkantar Naerth gewesen war, um dort den versprochnen Mondstaub ab zu holen. Gerade wollte er um eine Häuserecke biegen und anschließend wurde alles um ihn herum dunkel und verschwommen. Durch angestrengtes Nachdenken und weiteres Beobachten des Fremden setzte er eine Tatsache mit der anderen zusammen und kam letztendlich alleine auf die Lösung. Er musste wohl mit dem Sklaven einen Zusammenprall gehabt haben, Calaunim fiel in Ohnmacht und der Unbekannte schleppte ihn in dieses Kellerloch, wo auch immer dieses sich befand. Das nervöse Verhalten des Fremden deutete daraufhin, dass er sich versteckte und nicht gefunden werden wollte. Wahrscheinlich war er seinem Herrn entlaufen und nun auf der Flucht.
All diese Gedanken ergaben durchaus Sinn und Calaunim Zaurahel machte sich keine großen Sorgen um seine Gefangenschaft. Denn der Fremde schien nicht zu ahnen, wen oder was er hier her verschleppt hatte. Stattdessen wollte der Dunkelelf lieber einen angenehmeren Ort aufsuchen, am besten zu Hause mit einer Tasse Tee im Sessel vor dem Kamin sitzen, anstatt diesen muffligen Gestank einatmen zu müssen. Doch auch die Neugier nagte an dem Hexenmeister, der von Natur aus gerne forschte und alles hinterfragte. Der eigentliche Grund für seinen Aufenthalt in der Stadt der Spinnenkönig verblasste und viele Fragen drängten sich ihm förmlich auf. Er musterte weiter den Sklaven, der stetig weiter auf und ab lief ohne Anstalten zu machen, jemals mit diesem nervösen Verhalten aufhören zu wollen.
„Vielleicht kann ich helfen?“, begann Calaunim leise zu sprechen und bedachte die abgemagerte Silhouette mit glühenden Augen und hoffte mit diesen Worten dessen Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es funktionierte.
Shar hielt augenblicklich inne und drehte seinen Kopf zu seinem angeblichen Gefangenen. Die Angst vor Yazston saß noch tief und sein Herz raste wild in seiner Brust. Allerdings war der Schmerz des gebrochenen Handgelenks vorerst verschwunden und war durch die Furcht vor Yazston ersetzt worden. Nur noch die Gedanken an den bestialischen Soldatenhauptmann seines früheren Herrn und dessen brutale Vorgehensweisen beherrschten den jungen Halbdrow. Shar wollte nicht mehr zurück zu Nhaundar und erst recht nicht, wollte er Yazston wieder begegnen. Wie sehr ihn die letzten Monate doch verändert hatten. Sein Vater antwortete ihm nicht und diese Tatsache erschreckte den Jungen fast noch mehr. Erneut fragte er sich, ob er etwas Falsches getan hatte, aber diesen Gedanken verwarf er augenblicklich. Denn die Worte des Dunkelelfen verfehlten in keiner Weise ihre Wirkung. Er benötigte tatsächlich Hilfe. Doch noch immer musste Shar auf der Hut sein. Es handelte sich um einen Dunkelelfen und wenn der junge Halbdrow in seinem Leben eines gelernt hatte, dann sich vor jedem und allem in Acht zu nehmen, vor allem vor den gefährlichen Drow und er wusste nicht einmal mehr, wieso er den Fremden überhaupt mitgenommen hatte. Aber Shar musste sich auch eingestehen, dass dieser Fremde gar nicht Furcht erregend auf ihn wirkte. Er strahlte ein anziehendes, wie auch vertrautes Gefühl aus, dass sich immer mehr Shars Gedanken und Gefühlen bemächtigte. Außerdem sagte sich der Junge, der Fremde hätte ihn bereits überwältigen können, wenn er nur gewollt hätte. In dieser schwächlich körperlichen Verfassung schien der junge Halbdrow selbst froh, überhaupt noch auf den Beinen zu stehen und die Anstrengung der Flucht saß in seinen Gliedern. Einen Moment später erinnerte sich der Junge an das Messer, welches er in seiner gesunden Hand hielt und mit diesem er durch Malags Unterweisungen doch hin und wieder einen guten Kampf geliefert hatte. Auf einen Versuch kam es an und wenn der Drow ihn hintergehen wollte, dann würde Shar nicht zögern und ihm die Klinge tief in den Bauch rammen. So faste sich der junge Halbdrow ein Herz, schaute den Fremden an und schluckte seine Angst so gut es ging herunter.
„Wie wollt ihr helfen?“, fragte Shar mit leicht zittriger Stimme und versuchte nicht ängstlich zu wirken.
Dafür schien es jedoch zu spät. Calaunim Zaurahel beobachtete den Sklaven eingehend und konnte die Furcht schon beinahe riechen. Er blieb jedoch ruhig auf dem Boden sitzen, während die Neugier immer mehr von ihm Besitz ergriff.
„Ich werde etwas Licht machen, denn ich möchte demjenigen in die Augen schauen, dem ich helfe“, meinte Calaunim gelassen und seine Worte entsprachen durchaus der Wahrheit. Denn noch immer fühlte er sich eindeutig überlegen, was der Fremde vor ihm wohl weder ahnte noch wusste.
Shar sah sich lediglich in der Lage mit dem Kopf zu nicken und umklammerte den Griff seines kleinen Messers nun fester. Er machte sich für einen Angriff gefasst, falls dies sich als nötig erweisen sollte.
Mit einigen Handbewegungen und leise gemurmelten Worten wurde es plötzlich hell in dem dunklen Kellerloch, während eine brennende Fackel mitten im Raum an der Decke schwebte.
Shars Herz wollte stehen bleiben. Er erschrak und schon im nächsten Moment wich er an die gegenüberliegende Wand aus und versuchte sich mit dem Rücken an dem kalten Felsen aufrecht zu halten. Beinahe hätte er sogar das Messer achtlos auf den Boden fallen lassen. Er konnte sich gerade noch rechtzeitig zusammen reißen und für einige Sekunden schien er völlig fassungslos. Nach einigen Atemzügen beruhigte der Junge sich jedoch wieder und erinnerte sich an Sorn, der früher auch schon solche Dinge vollführt hatte, nur ein wenig anders. Nachdem nichts Weiteres geschah und der Drow auch keine Anstalten machte, noch etwas Geheimnisvolles zu zeigen, wurde Shar ruhiger. Stattdessen bedachte er den Dunkelelfen mit offenem Interesse und wirkte froh über die kleine, aber dennoch helle Lichtquelle. Vor sich erblickte Shar den jungen und hübschen Drow wieder, so wie er ihn auf der Straße gefunden und mitgenommen hatte. Die Kleidung wirkte selbst in diesem finsteren Keller noch edel und schön. Er trug eine dunkelblaue Samtrobe mit Silber besticktem Saum mit Runensymbolen. Das lange, weiße Haar fiel ihm über Rücken und Schultern und sah etwas zerzaust aus. Lavendelfarbene Augen schauten in seine Richtung und in diesen lag weder Gefahr noch eine gewisse Hinterhältigkeit, die so den Dunkelelfen eigen war. Sie ähnelten eher einem Freund.
Calaunim tat es Shar gleich und innerlich erschrak er ebenfalls einen Moment, als er den Fremden näher musterte. Dass dieser ein entlaufender Sklave zu sein schien, konnte er nicht mehr leugnen. Aber diese Tatsache alleine ließ ihn nicht stutzen, sondern dass er vor sich ein Kind hatte und dazu noch einen Halbdrow. Er war mager, fast schon ausgehungert, denn die Rippen konnte man sehr deutlich durch ein völlig zerrissenes Hemd erkennen, das vorne offen stand. Eine erbärmliche Hose war das letzte Kleidungsstück und diese wurde von Löchern geradezu übersät. Das Sklavenhalsband prangte an dessen Hals, während kurze Haare ein ängstliches Gesicht umrahmten. Tiefblaue Augen starrten ihn an und in diesen kam die Angst erst richtig zum Ausdruck.
„Wie lautet dein Name?“, meinte Calaunim plötzlich in ruhigem Ton und bedachte den Sklaven vor sich eindringlich und war neugieriger, als jemals zuvor. Besonders da es sich auch noch um einen Halbdrow handelte.
Obwohl er ein Dunkelelf war und den größten Teil seiner Jugend im Unterreich und vor allem in der Akademie von Sorcere studiert hatte, war er nicht so wie andere seiner gefährlichen Rasse. Sein Glaube konzentrierte sich hauptsächlich auf sich selbst und auf die Fähigkeiten, die in ihm steckten. Von Kindesbeinen an war er aber in den Lehren von Vhaeraun erzogen worden und diese Tatsache kam nun zum Vorschein. So sah er in dem jungen Halbdrow keine Missgeburt oder unwürdige Kreatur, sondern ein bemietleidenwürdiges Wesen, dass dringend Hilfe bedurfte.
„Shar“, erklang in jenem Moment die stolze Stimme des Sklaven und schreckte Calaunim aus seinen Gedanken auf. Ein hübscher Name, dachte er und blickte zum zweiten Mal in die tiefblauen Augen des Jungen.
„Wie ich bereits erwähnt habe, ich kann dir helfen, Shar“, versuchte der Hexenmeister den jungen Halbdrow zu ködern, denn hier konnten beide nicht bleiben. Seine Stimme wirkte dabei weiterhin ruhig und gelassen, obwohl er seine unverhohlene Neugier zurückhalten musste. Der Junge schien völlig verstört und was noch schlimmer war, zu einem Angriff jederzeit bereit. All das, was Calaunim nicht wünschte.
Plötzlich hörten beide von draußen laute Rufe und das hektische Poltern von Stiefeln auf einer Treppe und der Hexenmeister erkannte die nackte Angst in den Augen und im Gesicht des Sklaven geschrieben.
Shar vernahm die Stimme von Yazston und in seinem Geist stellte er sich bereits die Tritte und Schläge vor, die auf ihn warteten, wenn nicht sogar ein grausamer Tod. Erinnerungen an die einstige Folter von Handir und die brutalen Spiele von Dantrag Baenre stiegen in ihm auf. Sein Körper begann zu zittern und selbst das kleine Messer wirkte mit einem Mal völlig fehl in Shars Hand. Was wollte er damit schon ausrichten wenn Yazston mit seinem Schwert käme und ohne Skrupel sich seiner annahm. Die Worte des Fremden hallten im Kopf des jungen Halbdrow nach und diese versprachen abermals Hilfe. Diese Hilfe war bestimmt angenehmer als das, was auf ihn wartete, wenn der Hauptmann von Nhaundars Soldaten ihn in Gewahrsam nehmen sollte. Sollte bei dem Fremden aber wirklich Schlimmeres passieren? Shar musste versuchen diese unverhoffte Gelegenheit zu nutzen und schaute den Dunkelelfen direkt in dessen lavendelfarbenen Augen. Darin erkannte er lediglich Neugier ohne irgendwelche Hintergedanken. In diesem Moment erinnerte der Fremde den Jungen so sehr an Sorn und Malag, die niemals etwas Böses gegenüber ihm ausgeheckt hatten.
„Dann hilf’ mir“, hörte sich Shar plötzlich mit ängstlicher Stimme antworten und wand seinen Kopf der verschlossenen Tür zu.
Noch war der Riegel davor, aber bereits im nächsten Moment wurde von außen dagegen gestoßen und die Tür bebte leicht unter der Brutalität. Staub und Holzsplitter flogen davon und es schien ganz so, als würde sie recht bald bersten.
„Du elende, kleine Ratte! Komm’ da raus! Nhaundar wartet auf dich“, ertönten die lauten Schreie von Yazston, der seinen Ärger kaum verbergen konnte.
Dann wurde erneut gegen die Tür getreten und wieder erzitterte diese unter der Kraft des Dunkelelfen.
Calaunim beobachtete die Szene aufmerksam. Er konnte seltsamerweise sehr gut nachempfinden, wie Shar sich gerade fühlen musste. Gleichzeitig wollte der Hexenmeister ebenso wenig die Bekanntschaft mit der wütenden Stimme und der Kraft der Drow vor der Tür machen. Außerdem hatte er sich in den Kopf gesetzt, dem jungen Halbdrow zu helfen und vielleicht auch mehr über diesen zu erfahren. Die Neugier nagte stets weiter an ihm. So erhob sich Calaunim von dem kalten, harten Felsboden, strich seine dunkelblaue Samtrobe glatt und schaute anschließend wieder in die tiefblauen Augen seines Gegenübers.
„Dann musst du zu mir kommen. Ich werde dir helfen und zusammen verschwinden wir von diesem Ort“, antwortete nun der Hexenmeister und zum ersten Mal schwang auch in seiner Stimme leichte Unruhe mit.
Er hoffte insgeheim, dass er sich damit nun keinen weiteren Ärger einhandelte. Aber die Aussicht auf einen ruhigeren Aufenthaltsort und eine durchaus weit entfernte Gegend trösteten den Dunkelelfen.
„Zuhause war es schon immer am schönsten“, sagte er zu sich selbst und ließ ein freundliches Lächeln seine jugendhaften Züge umspielen.
Shar achtete weniger auf das Mienenspiel, sondern drehte sich gerade erneut um, als Yazston oder einer seiner Männer gegen die Tür schlug. Sein hagerer Körper zuckte dabei zusammen. Diesmal wirkte das Ganze schon gefährlicher und die Tür gab langsam aber sicher nach, während weitere Holzsplitter davon stoben. Der Junge wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde und er wäre in den Fängen des gefährlichen Drow gefangen. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wo der Fremde Dunkelelf mit der blauen Samtrobe mit ihm hinwollte, entschied sich Shar endgültig für die gemeinsame Flucht. Abrupt wand er sich dem Drow zu und nickte eifrig mit dem Kopf.
„Komm’ zu mir, Shar“, wies Calaunim den jungen Halbdrow an und entschied sich mit Absicht dafür, ihn beim Namen zu nennen. Das sollte den Sklaven ein wenig beruhigen und eine gewisse Vertrautheit darstellen und tatsächlich, dies erzielte wirklich die gewünschte Wirkung.
Shar hörte seinen Namen und augenblicklich rannte er die kurze Distanz zu dem Fremden hinüber. Vergessen schien die Angst vor einem eventuellen Angriff oder eine etwaige Hinterlist und selbst das kleine Messer existierte in jenem Augenblick nicht mehr für Shar. Eilig steckte er es in seinen Hosenbund und erreichte den Dunkelelfen nur zwei Atemzüge später. Seine Beine zitterten und der Schrecken von Yazstons Stimme saß tief.
„Du musst mich anfassen“, gab Calaunim die ruhige Anweisung an Shar und beobachtete dabei die Reaktion des Jungen.
„Beil’ dich“, rief der junge Halbdrow mit drängender Stimme und hob seine unverletzte Hand an dessen Oberarm. Er krallte sich regelrecht an den weichen Stoff und wand dabei seinen Blick wieder der Tür zu.
Erneut lautes Hämmern ließ den Riegel aus der Fassung springen und beim nächsten Stoß würde diese ohne Probleme aufspringen.
Dies erkannte auch Calaunim Zaurahel. Doch eilig schloss er seine Augen, um jede Ablenkung auszuschalten und versuchte sogar die Geräusche aus seinem Kopf zu verbannen. Er rezitierte seinen Zauber und von einer auf die andere Sekunde waren Drow und Halbdrow spurlos verschwunden. Genau in jenem Moment, als ein wütender Yazston mit erhobenem Schwert in das finstere Kellerloch stürmte und einen noch zornigeren Schrei ausstieß.
In der gleichen Sekunde hallte ebenfalls ein Schrei – laut, ängstlich und von Schmerzen erfüllt –viele tausende Kilometer entfernt durch den Wald von Aglarond.
Shar warf sich vor Schrecken auf den weichen Waldboden und mit dem unverletzten Arm bedeckte er seine schmerzenden Augen und schrie, schrie und schrie.
Die Sonne strahlte hell und warm durch die grünen Äste der Bäume und die Zweige spendeten Schatten, doch für den jungen Halbdrow kam es einem gleißendem Höllenfeuer gleich. Noch niemals zuvor war Shar auf der Oberfläche gewesen, noch hatte er das Sonnenlicht mit eigenen Augen gesehen.
Von einer auf die andere Sekunde war der Junge von dem unterirdischen Menzoberranzan nach Aglarond und mitten in den Yuirwald teleportiert worden. Zusammen mit der Desorientierung und einem rebellierendem Magen, ging es Shar nicht gut bis schlecht. Das Sonnenlicht half ihm nicht sonderlich, sich hier zu Recht zu finden, noch das er hier sein wollte.
Auf der anderen Seite gab es noch Calaunim Zaurahel. Der Drow kannte die Umstellung des Sehvermögens und die verschiedenen Lichtverhältnisse von absoluter Finsternis in das helle Sonnelicht gut und so benötigte er auch nur zwei Lidschläge, um sich eilig umzustellen. Calaunim hatte sie beide geradewegs in die unmittelbare Nähe seines Turmes gebracht und als er nun die eigene Desorientierung abgestreift und den Jungen hörte, ärgerte er sich über sich selbst. Er hatte schlichtweg einfach vergessen, den Sklaven vorzuwarnen.
Um die Mittagszeit herrschte hier herrliches Wetter, die Vögel zwitscherten und kleine Waldtiere huschten aufgeschreckt an ihnen vorbei und von ihnen davon.
Mit einem tiefen Seufzen näherte sich Calaunim dem Jungen, der auf dem Boden lag und sich schützend die Augen hielt. Der Hexenmeister legte eine Hand sanft auf dessen Schulter und sprach ruhig und gelassen.
„Du hast Schmerzen, mein Junge. Das kommt von dem Licht. Du bist Sonnenlicht nicht gewöhnt, aber du kannst dich daran gewöhnen. Wenn du aufstehst, dann werde ich dir helfen und zusammen gehen wir in meinen Turm. Ich besitze Heiltränke und auch einige göttliche Zauber, um auch deinen Arm heilen zu können.“
Diese Worte klangen plötzlich wie Balsam in Shars Ohren, der einfach nicht verstand, was vorgefallen war. Doch diese Worte erklärten genau das, was er nicht verstand. So ließ er langsam von seinem Schreien ab, kniff die Augen zusammen und versuchte auch weiterhin mit seinem unverletzten Arm die Sonnenstrahlen abzuhalten. Aber dennoch setzte er sich auf und lauschte abermals der Stimme des Fremden, der keine Gefahr ausstrahlte und friedlich und gelassen sprach.
„Komm schon, ich will dir wirklich nur helfen. Hier im Wald sind wir zwar sicher vor deinen lautstarken Verfolgern, aber hier leben andere, die uns hören und sehen könnten. Wir gehen zu mir nach Hause, zu einem dunklen Zimmer und dort werde ich dir alles erklären und du musst mir vermutlich einiges erzählen.“
Abermals klangen diese Worte wie eine Erlösung und tief in sich, spürte Shar um die Ehrlichkeit des fremden Drow und wusste, hier drohte ihm keine Gefahr. Allerdings fiel ihm das Denken schwer, aber die Aussicht nach Heilung, Ruhe und einem dunkleren Ort ließen ihn rasch nachgeben und weinerlich nicken.
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht, half Calaunim Shar auf und versuchte ihn zu stützen, zu beruhigen und ihn einigermaßen sicher zu seinem Turm zu geleiten.
Aus dem Schatten heraus beobachtete ein attraktiver Dunkelelf mit Halbmaske und rot glühenden Augen den Drow und den Halbdrow.
Ja, er hatte sicher gut gewählt und der Anfang war gemacht und dieser Gedanke ließ ihn breit und selbstzufrieden lächeln.
Die Zukunft würde ihm gehören, ihm ganz alleine und die wichtigste Spielfigur lief soeben in ein neues Leben und in sein Glück.
Vhaeraun brach in herzhaftes Gelächter aus und konnte und wollte gar nicht mehr aufhören.
Das Zusammentreffen
Es war ein dunkles und stickiges Kellerloch. In der Luft lag der Gestank von Abfall, Schimmel und wenn es Calaunim Zaurahel nicht besser wüsste, sogar der Duft von unterschiedlichen Körperausdünstungen. Der jung ausschauende und recht groß gewachsene Dunkelelf Calaunim erwachte soeben mit hämmernden Kopfschmerzen aus seiner Bewusstlosigkeit. Er lag mit dem Rücken auf hartem Felsboden und bemerkte augenblicklich, dass er nicht alleine war. Er hielt jedoch noch einen Moment inne und die Augen geschlossen, wobei er aufmerksam lauschte. Daraufhin vernahm der Drow in unmittelbarer Nähe nervöse Schritte von tapsenden, nackten Füßen, die auf und ab liefen, während dieser jemand leise etwas vor sich hin murmelte. Dann kroch die stickige Luft, die ihn vollkommen umgab, in seine Lungen und beinahe hätte er Husten müssen. Er konnte den Reflex allerdings zurückhalten. Dabei fühlte er seinen kalten und klammen Körper. Nur zögernd kehrten die Leibensgeister zurück und der eben noch taube Körper erwachte langsam zu neuem Leben. An den Schläfen pochte es stetig weiter und die anhaltenden Kopfschmerzen verursachten ein leichtes Schwindelgefühl, während der Kopf sich ein wenig schwer anfühlte. Calaunim öffnete seine lavendelfarbenen Augen und wand sein Gesicht den Schritten zu. In der Finsternis dieses Raumes, der sich bei genauerem hinschauen als ein Kellerloch entpuppte, erkannte er, dass er sich in absoluter Finsternis aufhielt. Doch durch seine angeborene Fähigkeit im Infrarotspektrum zu sehen, erblickte er eine Silhouette, die beständig auf und ablief und ihn gar nicht zu bemerken schien oder zumindest nicht darauf achtete, ob er bei Bewusstsein war. Der Fremde wirkte im ersten Moment bedrohlich, doch auf den zweiten Blick gab er nur das Gefühl von Angst und Verwirrtheit zur Schau. Calaunim Zaurahel erkannte von seiner unbequemen Lage lediglich ein paar wenige Details. Der Unbekannte wirkte klein und hager. Kurze Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab und zerrissene Kleidung schien seinen Körper zu verdecken. Ein eisernes Halsband prangte am Hals des Fremden und zeichnete diesen eindeutig als Sklaven aus. Eine Hand stand völlig deformiert von einem angewinkelten Arm ab, wobei in der anderen Hand eine Waffe lag. Diese war klein und bei näherem mustern erkannte der Hexenmeister sie als die Klinge eines Messers.
„Ein Sklave schien ihn wohl gefangen genommen zu haben“, dachte sich der Drow und dabei sah der Sklave nach nicht mehr aus, als ein Kind. Calaunim musste sich zusammen reißen, um nicht auf der Stelle lauthals aufzulachen. Aus dem unterdrückten Lachen wurde ein Husten und dieser ließ die fremde Silhouette aufmerken und stehen bleiben. Calaunim und Shar sahen sich im selben Moment in die Augen und der Dunkelelf hustete nun kräftiger.
„Leise, sonst finden sie uns noch!“, zischte eine angespannte Stimme leise und ängstlich und Calaunim beobachtete, wie der Fremde von neuem mit dem nervösen Auf-und-Abschreiten in diesem kleinen Raum - ohne auf seinen angeblichen Gefangenen ein Auge zu haben - begann. Nun wurde auch das Gemurmel wieder aufgenommen, was sich nicht identifizieren ließ.
Calaunim beruhigte sich und setzte sich anschließend in eine bequeme Sitzposition auf den Boden. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand und schaute fasziniert und ein wenig verunsichert zu dem Fremden hinüber. Das Schwindelgefühl verschwand langsam, aber stetig. Er versuchte sich zu erinnern, wo er sich eigentlich befand. Seine Gedanken schweiften wild umher und Calaunim wusste lediglich noch, dass er auf dem Weg zu Elkantar Naerth gewesen war, um dort den versprochnen Mondstaub ab zu holen. Gerade wollte er um eine Häuserecke biegen und anschließend wurde alles um ihn herum dunkel und verschwommen. Durch angestrengtes Nachdenken und weiteres Beobachten des Fremden setzte er eine Tatsache mit der anderen zusammen und kam letztendlich alleine auf die Lösung. Er musste wohl mit dem Sklaven einen Zusammenprall gehabt haben, Calaunim fiel in Ohnmacht und der Unbekannte schleppte ihn in dieses Kellerloch, wo auch immer dieses sich befand. Das nervöse Verhalten des Fremden deutete daraufhin, dass er sich versteckte und nicht gefunden werden wollte. Wahrscheinlich war er seinem Herrn entlaufen und nun auf der Flucht.
All diese Gedanken ergaben durchaus Sinn und Calaunim Zaurahel machte sich keine großen Sorgen um seine Gefangenschaft. Denn der Fremde schien nicht zu ahnen, wen oder was er hier her verschleppt hatte. Stattdessen wollte der Dunkelelf lieber einen angenehmeren Ort aufsuchen, am besten zu Hause mit einer Tasse Tee im Sessel vor dem Kamin sitzen, anstatt diesen muffligen Gestank einatmen zu müssen. Doch auch die Neugier nagte an dem Hexenmeister, der von Natur aus gerne forschte und alles hinterfragte. Der eigentliche Grund für seinen Aufenthalt in der Stadt der Spinnenkönig verblasste und viele Fragen drängten sich ihm förmlich auf. Er musterte weiter den Sklaven, der stetig weiter auf und ab lief ohne Anstalten zu machen, jemals mit diesem nervösen Verhalten aufhören zu wollen.
„Vielleicht kann ich helfen?“, begann Calaunim leise zu sprechen und bedachte die abgemagerte Silhouette mit glühenden Augen und hoffte mit diesen Worten dessen Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es funktionierte.
Shar hielt augenblicklich inne und drehte seinen Kopf zu seinem angeblichen Gefangenen. Die Angst vor Yazston saß noch tief und sein Herz raste wild in seiner Brust. Allerdings war der Schmerz des gebrochenen Handgelenks vorerst verschwunden und war durch die Furcht vor Yazston ersetzt worden. Nur noch die Gedanken an den bestialischen Soldatenhauptmann seines früheren Herrn und dessen brutale Vorgehensweisen beherrschten den jungen Halbdrow. Shar wollte nicht mehr zurück zu Nhaundar und erst recht nicht, wollte er Yazston wieder begegnen. Wie sehr ihn die letzten Monate doch verändert hatten. Sein Vater antwortete ihm nicht und diese Tatsache erschreckte den Jungen fast noch mehr. Erneut fragte er sich, ob er etwas Falsches getan hatte, aber diesen Gedanken verwarf er augenblicklich. Denn die Worte des Dunkelelfen verfehlten in keiner Weise ihre Wirkung. Er benötigte tatsächlich Hilfe. Doch noch immer musste Shar auf der Hut sein. Es handelte sich um einen Dunkelelfen und wenn der junge Halbdrow in seinem Leben eines gelernt hatte, dann sich vor jedem und allem in Acht zu nehmen, vor allem vor den gefährlichen Drow und er wusste nicht einmal mehr, wieso er den Fremden überhaupt mitgenommen hatte. Aber Shar musste sich auch eingestehen, dass dieser Fremde gar nicht Furcht erregend auf ihn wirkte. Er strahlte ein anziehendes, wie auch vertrautes Gefühl aus, dass sich immer mehr Shars Gedanken und Gefühlen bemächtigte. Außerdem sagte sich der Junge, der Fremde hätte ihn bereits überwältigen können, wenn er nur gewollt hätte. In dieser schwächlich körperlichen Verfassung schien der junge Halbdrow selbst froh, überhaupt noch auf den Beinen zu stehen und die Anstrengung der Flucht saß in seinen Gliedern. Einen Moment später erinnerte sich der Junge an das Messer, welches er in seiner gesunden Hand hielt und mit diesem er durch Malags Unterweisungen doch hin und wieder einen guten Kampf geliefert hatte. Auf einen Versuch kam es an und wenn der Drow ihn hintergehen wollte, dann würde Shar nicht zögern und ihm die Klinge tief in den Bauch rammen. So faste sich der junge Halbdrow ein Herz, schaute den Fremden an und schluckte seine Angst so gut es ging herunter.
„Wie wollt ihr helfen?“, fragte Shar mit leicht zittriger Stimme und versuchte nicht ängstlich zu wirken.
Dafür schien es jedoch zu spät. Calaunim Zaurahel beobachtete den Sklaven eingehend und konnte die Furcht schon beinahe riechen. Er blieb jedoch ruhig auf dem Boden sitzen, während die Neugier immer mehr von ihm Besitz ergriff.
„Ich werde etwas Licht machen, denn ich möchte demjenigen in die Augen schauen, dem ich helfe“, meinte Calaunim gelassen und seine Worte entsprachen durchaus der Wahrheit. Denn noch immer fühlte er sich eindeutig überlegen, was der Fremde vor ihm wohl weder ahnte noch wusste.
Shar sah sich lediglich in der Lage mit dem Kopf zu nicken und umklammerte den Griff seines kleinen Messers nun fester. Er machte sich für einen Angriff gefasst, falls dies sich als nötig erweisen sollte.
Mit einigen Handbewegungen und leise gemurmelten Worten wurde es plötzlich hell in dem dunklen Kellerloch, während eine brennende Fackel mitten im Raum an der Decke schwebte.
Shars Herz wollte stehen bleiben. Er erschrak und schon im nächsten Moment wich er an die gegenüberliegende Wand aus und versuchte sich mit dem Rücken an dem kalten Felsen aufrecht zu halten. Beinahe hätte er sogar das Messer achtlos auf den Boden fallen lassen. Er konnte sich gerade noch rechtzeitig zusammen reißen und für einige Sekunden schien er völlig fassungslos. Nach einigen Atemzügen beruhigte der Junge sich jedoch wieder und erinnerte sich an Sorn, der früher auch schon solche Dinge vollführt hatte, nur ein wenig anders. Nachdem nichts Weiteres geschah und der Drow auch keine Anstalten machte, noch etwas Geheimnisvolles zu zeigen, wurde Shar ruhiger. Stattdessen bedachte er den Dunkelelfen mit offenem Interesse und wirkte froh über die kleine, aber dennoch helle Lichtquelle. Vor sich erblickte Shar den jungen und hübschen Drow wieder, so wie er ihn auf der Straße gefunden und mitgenommen hatte. Die Kleidung wirkte selbst in diesem finsteren Keller noch edel und schön. Er trug eine dunkelblaue Samtrobe mit Silber besticktem Saum mit Runensymbolen. Das lange, weiße Haar fiel ihm über Rücken und Schultern und sah etwas zerzaust aus. Lavendelfarbene Augen schauten in seine Richtung und in diesen lag weder Gefahr noch eine gewisse Hinterhältigkeit, die so den Dunkelelfen eigen war. Sie ähnelten eher einem Freund.
Calaunim tat es Shar gleich und innerlich erschrak er ebenfalls einen Moment, als er den Fremden näher musterte. Dass dieser ein entlaufender Sklave zu sein schien, konnte er nicht mehr leugnen. Aber diese Tatsache alleine ließ ihn nicht stutzen, sondern dass er vor sich ein Kind hatte und dazu noch einen Halbdrow. Er war mager, fast schon ausgehungert, denn die Rippen konnte man sehr deutlich durch ein völlig zerrissenes Hemd erkennen, das vorne offen stand. Eine erbärmliche Hose war das letzte Kleidungsstück und diese wurde von Löchern geradezu übersät. Das Sklavenhalsband prangte an dessen Hals, während kurze Haare ein ängstliches Gesicht umrahmten. Tiefblaue Augen starrten ihn an und in diesen kam die Angst erst richtig zum Ausdruck.
„Wie lautet dein Name?“, meinte Calaunim plötzlich in ruhigem Ton und bedachte den Sklaven vor sich eindringlich und war neugieriger, als jemals zuvor. Besonders da es sich auch noch um einen Halbdrow handelte.
Obwohl er ein Dunkelelf war und den größten Teil seiner Jugend im Unterreich und vor allem in der Akademie von Sorcere studiert hatte, war er nicht so wie andere seiner gefährlichen Rasse. Sein Glaube konzentrierte sich hauptsächlich auf sich selbst und auf die Fähigkeiten, die in ihm steckten. Von Kindesbeinen an war er aber in den Lehren von Vhaeraun erzogen worden und diese Tatsache kam nun zum Vorschein. So sah er in dem jungen Halbdrow keine Missgeburt oder unwürdige Kreatur, sondern ein bemietleidenwürdiges Wesen, dass dringend Hilfe bedurfte.
„Shar“, erklang in jenem Moment die stolze Stimme des Sklaven und schreckte Calaunim aus seinen Gedanken auf. Ein hübscher Name, dachte er und blickte zum zweiten Mal in die tiefblauen Augen des Jungen.
„Wie ich bereits erwähnt habe, ich kann dir helfen, Shar“, versuchte der Hexenmeister den jungen Halbdrow zu ködern, denn hier konnten beide nicht bleiben. Seine Stimme wirkte dabei weiterhin ruhig und gelassen, obwohl er seine unverhohlene Neugier zurückhalten musste. Der Junge schien völlig verstört und was noch schlimmer war, zu einem Angriff jederzeit bereit. All das, was Calaunim nicht wünschte.
Plötzlich hörten beide von draußen laute Rufe und das hektische Poltern von Stiefeln auf einer Treppe und der Hexenmeister erkannte die nackte Angst in den Augen und im Gesicht des Sklaven geschrieben.
Shar vernahm die Stimme von Yazston und in seinem Geist stellte er sich bereits die Tritte und Schläge vor, die auf ihn warteten, wenn nicht sogar ein grausamer Tod. Erinnerungen an die einstige Folter von Handir und die brutalen Spiele von Dantrag Baenre stiegen in ihm auf. Sein Körper begann zu zittern und selbst das kleine Messer wirkte mit einem Mal völlig fehl in Shars Hand. Was wollte er damit schon ausrichten wenn Yazston mit seinem Schwert käme und ohne Skrupel sich seiner annahm. Die Worte des Fremden hallten im Kopf des jungen Halbdrow nach und diese versprachen abermals Hilfe. Diese Hilfe war bestimmt angenehmer als das, was auf ihn wartete, wenn der Hauptmann von Nhaundars Soldaten ihn in Gewahrsam nehmen sollte. Sollte bei dem Fremden aber wirklich Schlimmeres passieren? Shar musste versuchen diese unverhoffte Gelegenheit zu nutzen und schaute den Dunkelelfen direkt in dessen lavendelfarbenen Augen. Darin erkannte er lediglich Neugier ohne irgendwelche Hintergedanken. In diesem Moment erinnerte der Fremde den Jungen so sehr an Sorn und Malag, die niemals etwas Böses gegenüber ihm ausgeheckt hatten.
„Dann hilf’ mir“, hörte sich Shar plötzlich mit ängstlicher Stimme antworten und wand seinen Kopf der verschlossenen Tür zu.
Noch war der Riegel davor, aber bereits im nächsten Moment wurde von außen dagegen gestoßen und die Tür bebte leicht unter der Brutalität. Staub und Holzsplitter flogen davon und es schien ganz so, als würde sie recht bald bersten.
„Du elende, kleine Ratte! Komm’ da raus! Nhaundar wartet auf dich“, ertönten die lauten Schreie von Yazston, der seinen Ärger kaum verbergen konnte.
Dann wurde erneut gegen die Tür getreten und wieder erzitterte diese unter der Kraft des Dunkelelfen.
Calaunim beobachtete die Szene aufmerksam. Er konnte seltsamerweise sehr gut nachempfinden, wie Shar sich gerade fühlen musste. Gleichzeitig wollte der Hexenmeister ebenso wenig die Bekanntschaft mit der wütenden Stimme und der Kraft der Drow vor der Tür machen. Außerdem hatte er sich in den Kopf gesetzt, dem jungen Halbdrow zu helfen und vielleicht auch mehr über diesen zu erfahren. Die Neugier nagte stets weiter an ihm. So erhob sich Calaunim von dem kalten, harten Felsboden, strich seine dunkelblaue Samtrobe glatt und schaute anschließend wieder in die tiefblauen Augen seines Gegenübers.
„Dann musst du zu mir kommen. Ich werde dir helfen und zusammen verschwinden wir von diesem Ort“, antwortete nun der Hexenmeister und zum ersten Mal schwang auch in seiner Stimme leichte Unruhe mit.
Er hoffte insgeheim, dass er sich damit nun keinen weiteren Ärger einhandelte. Aber die Aussicht auf einen ruhigeren Aufenthaltsort und eine durchaus weit entfernte Gegend trösteten den Dunkelelfen.
„Zuhause war es schon immer am schönsten“, sagte er zu sich selbst und ließ ein freundliches Lächeln seine jugendhaften Züge umspielen.
Shar achtete weniger auf das Mienenspiel, sondern drehte sich gerade erneut um, als Yazston oder einer seiner Männer gegen die Tür schlug. Sein hagerer Körper zuckte dabei zusammen. Diesmal wirkte das Ganze schon gefährlicher und die Tür gab langsam aber sicher nach, während weitere Holzsplitter davon stoben. Der Junge wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde und er wäre in den Fängen des gefährlichen Drow gefangen. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wo der Fremde Dunkelelf mit der blauen Samtrobe mit ihm hinwollte, entschied sich Shar endgültig für die gemeinsame Flucht. Abrupt wand er sich dem Drow zu und nickte eifrig mit dem Kopf.
„Komm’ zu mir, Shar“, wies Calaunim den jungen Halbdrow an und entschied sich mit Absicht dafür, ihn beim Namen zu nennen. Das sollte den Sklaven ein wenig beruhigen und eine gewisse Vertrautheit darstellen und tatsächlich, dies erzielte wirklich die gewünschte Wirkung.
Shar hörte seinen Namen und augenblicklich rannte er die kurze Distanz zu dem Fremden hinüber. Vergessen schien die Angst vor einem eventuellen Angriff oder eine etwaige Hinterlist und selbst das kleine Messer existierte in jenem Augenblick nicht mehr für Shar. Eilig steckte er es in seinen Hosenbund und erreichte den Dunkelelfen nur zwei Atemzüge später. Seine Beine zitterten und der Schrecken von Yazstons Stimme saß tief.
„Du musst mich anfassen“, gab Calaunim die ruhige Anweisung an Shar und beobachtete dabei die Reaktion des Jungen.
„Beil’ dich“, rief der junge Halbdrow mit drängender Stimme und hob seine unverletzte Hand an dessen Oberarm. Er krallte sich regelrecht an den weichen Stoff und wand dabei seinen Blick wieder der Tür zu.
Erneut lautes Hämmern ließ den Riegel aus der Fassung springen und beim nächsten Stoß würde diese ohne Probleme aufspringen.
Dies erkannte auch Calaunim Zaurahel. Doch eilig schloss er seine Augen, um jede Ablenkung auszuschalten und versuchte sogar die Geräusche aus seinem Kopf zu verbannen. Er rezitierte seinen Zauber und von einer auf die andere Sekunde waren Drow und Halbdrow spurlos verschwunden. Genau in jenem Moment, als ein wütender Yazston mit erhobenem Schwert in das finstere Kellerloch stürmte und einen noch zornigeren Schrei ausstieß.
In der gleichen Sekunde hallte ebenfalls ein Schrei – laut, ängstlich und von Schmerzen erfüllt –viele tausende Kilometer entfernt durch den Wald von Aglarond.
Shar warf sich vor Schrecken auf den weichen Waldboden und mit dem unverletzten Arm bedeckte er seine schmerzenden Augen und schrie, schrie und schrie.
Die Sonne strahlte hell und warm durch die grünen Äste der Bäume und die Zweige spendeten Schatten, doch für den jungen Halbdrow kam es einem gleißendem Höllenfeuer gleich. Noch niemals zuvor war Shar auf der Oberfläche gewesen, noch hatte er das Sonnenlicht mit eigenen Augen gesehen.
Von einer auf die andere Sekunde war der Junge von dem unterirdischen Menzoberranzan nach Aglarond und mitten in den Yuirwald teleportiert worden. Zusammen mit der Desorientierung und einem rebellierendem Magen, ging es Shar nicht gut bis schlecht. Das Sonnenlicht half ihm nicht sonderlich, sich hier zu Recht zu finden, noch das er hier sein wollte.
Auf der anderen Seite gab es noch Calaunim Zaurahel. Der Drow kannte die Umstellung des Sehvermögens und die verschiedenen Lichtverhältnisse von absoluter Finsternis in das helle Sonnelicht gut und so benötigte er auch nur zwei Lidschläge, um sich eilig umzustellen. Calaunim hatte sie beide geradewegs in die unmittelbare Nähe seines Turmes gebracht und als er nun die eigene Desorientierung abgestreift und den Jungen hörte, ärgerte er sich über sich selbst. Er hatte schlichtweg einfach vergessen, den Sklaven vorzuwarnen.
Um die Mittagszeit herrschte hier herrliches Wetter, die Vögel zwitscherten und kleine Waldtiere huschten aufgeschreckt an ihnen vorbei und von ihnen davon.
Mit einem tiefen Seufzen näherte sich Calaunim dem Jungen, der auf dem Boden lag und sich schützend die Augen hielt. Der Hexenmeister legte eine Hand sanft auf dessen Schulter und sprach ruhig und gelassen.
„Du hast Schmerzen, mein Junge. Das kommt von dem Licht. Du bist Sonnenlicht nicht gewöhnt, aber du kannst dich daran gewöhnen. Wenn du aufstehst, dann werde ich dir helfen und zusammen gehen wir in meinen Turm. Ich besitze Heiltränke und auch einige göttliche Zauber, um auch deinen Arm heilen zu können.“
Diese Worte klangen plötzlich wie Balsam in Shars Ohren, der einfach nicht verstand, was vorgefallen war. Doch diese Worte erklärten genau das, was er nicht verstand. So ließ er langsam von seinem Schreien ab, kniff die Augen zusammen und versuchte auch weiterhin mit seinem unverletzten Arm die Sonnenstrahlen abzuhalten. Aber dennoch setzte er sich auf und lauschte abermals der Stimme des Fremden, der keine Gefahr ausstrahlte und friedlich und gelassen sprach.
„Komm schon, ich will dir wirklich nur helfen. Hier im Wald sind wir zwar sicher vor deinen lautstarken Verfolgern, aber hier leben andere, die uns hören und sehen könnten. Wir gehen zu mir nach Hause, zu einem dunklen Zimmer und dort werde ich dir alles erklären und du musst mir vermutlich einiges erzählen.“
Abermals klangen diese Worte wie eine Erlösung und tief in sich, spürte Shar um die Ehrlichkeit des fremden Drow und wusste, hier drohte ihm keine Gefahr. Allerdings fiel ihm das Denken schwer, aber die Aussicht nach Heilung, Ruhe und einem dunkleren Ort ließen ihn rasch nachgeben und weinerlich nicken.
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht, half Calaunim Shar auf und versuchte ihn zu stützen, zu beruhigen und ihn einigermaßen sicher zu seinem Turm zu geleiten.
Aus dem Schatten heraus beobachtete ein attraktiver Dunkelelf mit Halbmaske und rot glühenden Augen den Drow und den Halbdrow.
Ja, er hatte sicher gut gewählt und der Anfang war gemacht und dieser Gedanke ließ ihn breit und selbstzufrieden lächeln.
Die Zukunft würde ihm gehören, ihm ganz alleine und die wichtigste Spielfigur lief soeben in ein neues Leben und in sein Glück.
Vhaeraun brach in herzhaftes Gelächter aus und konnte und wollte gar nicht mehr aufhören.