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Dem Wahnsinn so nah

By: Elbenstein
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Rating: Adult ++
Chapters: 47
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Disclaimer: I do not own the Forgotten Realms books. I do not make any money from the writing of this story.
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3. Kap. Die Botschaft

3. Kapitel
Die Botschaft

In dieser Nacht schlief Shar sehr unruhig. Schwere Alpträume plagten den kleinen Jungen. Als er mitten in der Nacht erwachte waren alle Feuer erloschen und der Gemeinschaftsraum in völlige Dunkelheit getaucht. Nur hier und da erglühten einige warme Körper von Sklaven unter den Decken, die Shar mit seiner weniger ausgeprägten Infravision erkennen konnte. Immerhin hatte er einen Teil der Wärmesicht von seiner Mutter geerbt, die er doch gar nicht kannte. Für Shar war seine Wahrnehmung etwas Normales, denn niemand erklärte dem Fünfjährigen, dass dies eine angeboren Fähigkeit von Rassen im Unterreich war. Da er zur Hälfte ein Drow und zur anderen Hälfte ein Oberflächenelf darstellte, nur ein kleines Dankeschön von Chalithra, um sich in der totalen Nacht zurecht zu finden. Die einzigen Lichtquellen, die Shar kannte bestanden aus Kerzen, Fackeln oder magisch erzeugtem Licht, dass meistens in bläulich-weißen Schein glimmte. Wenn ihm Handir von der Oberfläche, der Sonne und den Bäumen erzählte, dann besaß Shar durchaus Fantasie, dem Unbekannten ein Aussehen zu verleihen, jedoch so wie er es von seiner näheren Umgebung her kannte und mit dem Verstand eines Fünfjährigen. Woher sollte der Junge auch wissen, wie es sein würde, wenn die Sonne schien.
Shars kleiner Körper zitterte leicht und er hörte laute Schnarchgeräusche, hier und da ein Husten und oder schweres Atmen. Die Angst saß plötzlich tief und die Schweißperlen rannen ihm über die Stirn. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was er im Traum gesehen hatte, aber es schien schrecklich gewesen zu sein. Augenblicklich verkroch er sich tiefer in seine Wolldecke und blickte misstrauisch in den finsteren Raum.
Gerade jetzt wollte er am liebsten in den Armen seines Vaters liegen, der ihn tröstete indem er seinem Sohn Geschichten erzählte. Wunderschöne Erzählungen von Elfen und Kriegern. Da dies nun nicht möglich war, schaute der Junge nur noch verängstigter in die Dunkelheit und versuchte nicht an seinen Traum zu denken. Plötzlich tauchte unvermittelt etwas vor ihm auf. Erschrocken zog Shar seine Decke jetzt weiter nach oben, so dass nur noch seine tiefblauen Augen unter dem Stoff hervor lugten. Dicht neben ihm, keinen Meter entfernt, materialisierte sich eine Person. In der Dunkelheit konnte Shar am Anfang nicht viel ausmachen, da wurde es mit einem Mal heller. Das Licht war geheimnisvoll, seltsam anziehend und doch gefährlich. Der Junge erkannte eine Erscheinung. Es war unheimlich, denn sie schien durchsichtig. Nach und nach formte sich der Körper zu seinem ursprünglichen Aussehen und Augenblicke später stand ein Drow vollständig vergegenständlicht vor der Wand. Shar kannte den Dunkelelfen nicht. Der Fremde, der eben aus dem Nichts durch die Felswand getreten kam hielt eine kleine, runde Kugel in der Hand, die sanft leuchtete. Doch das Unheimliche für den Jungen und an dieser Erscheinung war, dass sie jetzt nicht mehr durchsichtig war. Shar zitterte plötzlich wie Espenlaub und die Angst bemächtigte sich jeder Faser seines Seins. Der Fremde trug eine dunkelblaue Robe während sein Haar ihm zerzaust über die Schultern fiel. Der fremde Dunkelelf schaute sich vorsichtig in alle Richtungen um und bemerkte, dass alle hier Anwesenden wohl schliefen.
„Sehr gut“, flüsterte der Fremde zu sich selbst und machte langsam einen Schritt nach dem anderen. Es handelte sich dabei lediglich um den Magier Ranaghar.
Der Zauberkundige tat dies jedoch nicht zum ersten Mal. Immer dann, wenn niemand ihn vermissen würde oder brauchte suchte er sich Opfer aus und heute Nacht war es wieder einmal so weit. Nhaundar war beschäftigt, so wie die meisten seiner Gäste, die er sich zu dem großen Ereignis der Jagd eingeladen hatte. Endlich konnte auch der Magier seiner heimlichen Leidenschaft nachgehen, ohne dass ihn jemand dabei beobachten oder verraten würde.
Shar starrte mit weit aufgerissen Augen hinüber und hatte keine Ahnung was er soeben beobachten durfte. Magier kannte er nicht und diesen Drow auch nicht, da Ranaghar die meiste Zeit in seinen Gemächern alleine zubrachte. Er verstand nicht, wie man einfach aus einer Wand spazieren konnte, die doch aus massivem Fels bestand. Das Einzige über das sich der Junge im Klaren war, schien ganz zu dem Alptraum zu passen, aus dem er erst vor kurzem erwachte. Der Drow musste ein Geist sein, einer der sich die Leute nimmt und sie weit weg bringt, so wie schon einige andere Sklaven verschwunden waren, dachte Shar. Damit erklärte sich der Junge stets selbst, dass in regelmäßigen Abständen junge Sklaven von einer Nacht auf die andere einfach spurlos verschwanden. Das Ganze wurde gesteigert, in dem der Rest der Bediensteten Schauermärchen erzählten um den jungen Halbdrow zu erschrecken. Jetzt kommt er zu mir und will mich holen, überlegte Shar weiter und nun bebte sein Körper immer mehr vor Furcht. Wo war nur sein Vater? Er würde ihn bestimmt beschützen und kämpfen, so wie er es schon sooft mit angesehen hatte. Aber niemand schien da zu sein, alle schliefen. Die Angst nahm förmlich von ihm Besitz und leise begannen die Tränen zu fließen. Der junge Halbdrow versuchte sich ganz klein zu machen und nicht zu bewegen, so könnte ihn niemand sehen.
Als Shar jedoch anfing zu schluchzen wurde Ranaghar zum ersten Mal aufmerksam. Erschrocken blickte er sich um, konnte aber im ersten Moment nichts ausmachen. Dann lauschte er intensiver. Seine Augen tasteten jeden Winkel ab und dann erkannte er die Ursache direkt neben sich auf dem Boden. Er schaute nach unten und fixierte den kleinen Halbdrow, der zusammengekauert in einer durchlöcherten Wolldecke lag. Er weinte leise und schien Angst zu haben.
Wer bist du denn, fragte sich Ranaghar und dachte zu keiner Sekunde an das damalige Erlebnis mit dem Elfen Handir und dem Säugling zurück.
Er starrte noch einige wenige Lidschläge auf das weinerliche Kind, dann wandte er sich desinteressiert ab und schritt langsam und bedächtig durch die Reihen der schlafenden Sklaven. Wenn andere ihren Spaß hatten, dann wollte der Magier ihn auch und hielt Ausschau nach einem geeigneten Kandidaten für seine körperliche Befriedigung. Da erspähte er nach mehreren Runden einen noch recht jungen Drow, vielleicht gerade mal ein paar Jahrzehnte alt, der wie all die anderen zu schlafen schien. Ranaghar trat näher und betrachtete den Dunkelelfensklaven genauer. Du scheinst der Richtige für mich zu sein, ging es dem Zauberkundigen durch den Kopf und ein hinterhältiges Grinsen umspielte plötzlich seine Lippen.
Shar beobachtete neugierig aber auch angsterfüllt was der fremde Geist tat. Durch das Glimmen der Kugel konnte der junge Halbdrow erkennen, wie dieser sich umschaute und nach etwas suchte. Dann schien der Fremde es gefunden zuhaben, denn er blieb stehen. In jenem Augenblick beruhigte sich der Junge ein klein wenig. Der Drow in der dunkelblauen Robe beugte sich über einen jüngeren Sklaven, kniete sich dann neben ihn und hielt daraufhin dem Dunkelelfen den Mund zu. Ein unterdrücktes Gurgeln war zu hören, jedoch niemand schien davon aufzuwachen oder Notiz zu nehmen. Shar starrte nun wieder mit weit aufgerissen Augen auf die Szene, die sich nur wenige Meter von ihm abspielte. Der Sklave versuchte sich zu wehren, aber wurde durch irgendetwas behindert. Dann öffnete der Fremde seine Robe und streifte sie kurzerhand ab, darunter entblößte er seinen nackten Körper. Als Nächstes konnte Shar miterleben, wie der Drow dem Sklaven ebenfalls die Hose herunterriss und ihn brutal auf den Boden drückte. Danach erklangen seltsame Geräusche. Ein Seufzen ging von dem Elf aus, den Shar für einen Geist hielt, während der Junge vor Schmerzen stöhnte. Beide Körper bewegten sich plötzlich, doch nur der ältere Drow schien sich dabei zu freuen. Widerwillig versuchte der Sklave sich aus dieser Schmach zu befreien, jedoch ohne Erfolg.
Shar bekam es jetzt noch mehr mit der Furcht zu tun. Ein kalter Schauer rann ihm den Rücken herunter und in seinem Nacken kribbelte es gespenstisch. Durch seine Ängstlichkeit krümmte sich der Fünfjährige weiter zusammen und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Seine Decke zog er jetzt über den Kopf und lugte aus einem der vielen Löcher hervor. Erneut zitterte sein hagerer Körper und er hoffte, dass der Geist bald aufhören und verschwinden würde. Vielleicht holt er mich als nächstes, kam Shar jedoch der Gedanke. Er hatte ihn gesehen und wenn er fertig war, dann würde er wohl zu ihm kommen. Er wusste nicht, dass Ranaghar lediglich Interesse an dem anderen Sklaven hegte, Kinder bedeuteten ihm nichts.
Über eine halbe Stunde vergnügte sich der Magier noch mit dem Sklaven, der nach einiger Zeit eingesehen hatte, dass Wehren ihm nur Schmerzen einbrachten. Als Ranaghar seinen Höhepunkt erlebt und sich zufrieden wieder angekleidet hatte, verschwand er so heimlich wieder, wie er gekommen war. Bevor er sich jedoch entmaterialisierte hielt er bei dem jungen Halbdrow inne, der erneut angefangen hatte zu weinen, als Ranaghar sich ihm näherte. Er konnte nicht riskieren, dass ein kleines Kind ihn in seiner ganzen Unschuld an Nhaundar oder jemand anderen verraten würde. So ließ er sich zu Shar hinab, zog die Decke vom Kopf und starrte den Jungen mit rot glühenden Augen an.
„Wenn du jemanden verrätst, dass ich hier gewesen bin, dann werde ich das Gleiche auch mit dir tun und ich kann dir versichern, dass es sehr schmerzlich für dich werden wird. Oder vielleicht sogar noch mehr“, flüsterte er dem eingeschüchterten Jungen zu und unterstricht seine Aussage mit einem dämonischen Grinsen.
Shar lag still da und starrte in die funkelnden Augen, die ihn Unheils verkündend anschauten. Der Junge war viel zu verängstigt um zu reagieren. Er blickte nur den Fremden an und bebte.
Für Ranaghar war diese Sache somit abgeschlossen. Niemals hatte er vor etwas von seinen Worten in die Tat umzusetzen, aber er erfreute sich daran, dass man Kinder so wunderschön erschrecken konnte. Als er mit seiner Drohung geendet hatte erhob er sich und verschwand erneut durch die Wand.
Dieser kleine Vorfall setzte sich jedoch so fest in der noch unschuldige Seele von Shar fest, der daraufhin nächtelang wach lag und vor Angst nicht schlafen konnte. Er wirkte noch lange Zeit verstört und drehte sich nach fast jedem Schritt herum. Schaute über seine Schulter und hatte stets das Gefühl der fremde Geist würde hinter ihm stehen und ihm wehtun wollen. Doch niemand achtete auf das ängstliche Verhalten von Shar und erst nach einigen Wochen war die Angelegenheit vergessen.

Aus Wochen wurden Monate, aus Monaten wurden Jahre und Shar wuchs heran. Mittlerweile war er bereits zwanzig Jahre alt, doch sein Leben hatte sich kaum merklich veränderte. Aus dem Fünfjährigen war ein Junge geworden, der auf Grund der schlechten Nahrung klein von Statur und recht kindlich wirkte. Lange, weiße Haare fielen ihm über den Rücken und seine tiefblauen Augen hatten nichts von ihrer Unschuld verloren. Ganz anders wie bei anderen seines Alters. Jeden Tag erwarteten ihn die gleichen Aufgaben, wenn auch hier und da Tätigkeiten dazukamen, die sonst keiner übernahm. Doch für den Halbdrow genau das, um ihm zu zeigen, wo sich sein Platz in der Gesellschaft befand, auf der untersten Stufe. Die neuste Schikane war das Ausleeren der Latrinen aller Gebäude oder das ständige Wischen der Gänge und Flure im Hauptgebäude von Nhaundars Domizil. Für Kunden und Gäste aller Art, hauptsächlich männliche Drow und deren Begleiter, ein Muss, um den wohl gepflegten Standart des Sklavenhändlers gerecht zu werden.
Shar war wie jeden Tag dabei, die Treppe zur ersten Etage auf den Knien eine Stufe nach der anderen zu säubern, als er von Draußen gellende Stimmen vernahm. Eingeschüchtert hielt er inne um zu lauschen. Er konnte Yazston reden hören und noch jemanden, aber der andere war ihm weniger vertraut. Da kamen die Rufe auch schon näher und kurze Augenblicke später betrat Nhaundar rasend vor Zorn das Hauptgebäude, dicht gefolgt von Yazston, dem Hauptkommandanten der Soldaten. Überrascht ertappte sich der junge Halbdrow dabei, das er nicht weiter arbeitete und beeilte sich so schnell wie möglich, seine Arbeit wieder aufzunehmen ohne dass jemand etwas davon mitbekam. Er wollte jeden Ärger vermeiden, besonders weil es sich in jenem Moment um Yazston und seinen Herrn handelte. Zum Glück für Shar, dass er Nhaundar nur selten sah und wenn, dann nur von weitem. Letztendlich tat der junge Halbdrow so, wie er es stets zu tun pflegte, senkte respektvoll seinen Kopf, beugte sich nach vorne und verhielt sich so, als würde er nichts sehen oder hören und versuchte sich klein und unbedeutend erscheinen zu lassen, fast unsichtbar. Da rauschte auch schon ein aufgebrachter und sehr erboster Herr an ihm vorbei, dicht gefolgt von Yazston. Nur der Soldat würdigte ihn mit einem kurzen, hasserfüllten Blick und eilte dem Sklavenhändler hinter her. Gleich darauf verschwanden beide im ersten Stockwerk und in den Privatgemächern des Händlers und der Junge seufzte erleichtert auf.
Insgeheim freute sich Shar, dass Yazston angeschrieen wurde und er zugegen war um es mitzubekommen. Endlich wusste auch der Soldat wie es sich anfühlte, wenn man einen Fehler machte und man seine Strafe dafür bekam. Bei diesen Gedanken huschte ein kleines Lächeln über das mit Schmutz verschmierte Gesicht des Jungen. Doch die Freude war nur von kurzer Dauer, da tauchte hinter seinem Rücken unerwartet Dipree auf.
„Was brauchst du wieder solange?“, schnauzte er ihn an. „Hast du schon das Wasser in den Gemächern des Herrn aufgefüllt?“
Im gleichen Augenblick als Shar die Worte vernahm, verkrampfte er sich innerlich. Jetzt wusste der junge Halbdrow was er den ganzen Tag machen sollte und doch vergessen hatte. Heute wurde er ständig zu etwas anderem abkommandiert und darüber hinweg entfiel ihm diese einfache Aufgabe schlichtweg. Ausgerechnet jetzt war der Herr auch noch nach Hause gekommen, der doch einige Tage außer Haus bleiben wollte. Schuldbewusst und ängstlich zugleich schluckte Shar einen Kloß im Hals herunter und erhob sich langsam. Den Kopf hielt er gesenkt und wartete auf eine Ohrfeige oder Schläge, die er bei Versagen immer öfters zu spüren bekam.
„Nein“, stammelte er leise vor sich hin und wartete ungeduldig auf die Antwort.
Ein ärgerliches Knurren erfolgte, dann herrschte ihn Dipree säuerlich an. „Dann beeil’ dich, der Herr ist zurück. Nhaundar hat schlechte Laune und du hängst hier nutzlos herum.“
Nach den Worten rauschte der Haushaltsvorsteher davon und ließ Shar hilflos auf der Treppe stehen. Das konnte nicht sein Ernst sein, nicht wenn der Herr und Yazston sich in einem Zimmer aufhielten und beide sehr wütend wirkten. Er sollte sich in die abgrundtiefe Hölle hinein wagen und hoffen unbeschadet heraus zu kommen. Yazston hatte nämlich eine neue Methode gefunden den Jungen zu ärgern. Immer wenn er sich in der Nähe aufhielt nahm er sich den recht mageren Shar zur Brust, stieß ihn gerne durch die Gegend, triezte ihn mit Fußtritten, schlug grundlos auf ihn ein und beschimpfte ihn ebenfalls ohne ersichtlichen Grund. Einfach nur zum eigenen Vergnügen und bei seinem Herrn würde der hinterhältige Drow wohl keine Ausnahme machen, überlegte Shar. Doch er konnte nichts dagegen tun. Jetzt gab es auch keine andere Möglichkeit, als das zu erledigen, was von ihm verlangt wurde. Shar seufzte einmal kurz leise auf, dann ließ er den verschmutzten Lappen in den Eimer fallen und holte aus der Küche zwei große Krüge frischen Wassers. Dann lief der junge Halbdrow schweren Herzens zurück ins Hauptgebäude, die Treppe nach oben und stand wenige Minuten später vor der geschlossenen Tür zu Nhaundars Privatgemächern. Dahinter vernahm er die aufgeregte Stimme seines Herrn, Yazston schien zu schweigen. Er überlegte, ob vielleicht sein Vater ebenfalls im Raum sein könnte. Er ist immerhin ein großer Kämpfer und kann mich beschützen. Mit diesem Gedanken wollte Shar groß und stark wirken, ganz wie Handir. Der Junge war fest davon überzeugt und wusste die grausame Wahrheit über die eigentliche Zusammenkunft zwischen dem Mondelfen und dem Sklavenhändler immer noch nicht.
Wie ein eingeschüchterter Junge und Shar war letztendlich nichts anderes stellte er die beiden gefüllten Wasserkrüge auf den Boden und erhob eine Hand um zu klopfen. Es erfolgte keine Antwort. Shars Herz raste plötzlich vor Furcht. Er versuchte es erneut, als unvermittelt jemand die Tür öffnete. Erschrocken fuhr der junge Halbdrow zusammen und vor ihm stand sein Herr, Nhaundar Xarann.
„Was ist?“, zischte er ungehalten und seine Augen funkelten bedrohlich.
Der Junge senkte sofort ehrerbietig seinen Kopf und blickte zu Boden.
„Ich … ich … soll …“, stammelte Shar mit zusammengebissenen Lippen hervor und musste abbrechen. Ein kalter Angstschauer jagte über seinen Rücken und er wartete nur noch auf einen Schlag. Aber nichts geschah.
„Jetzt ist es schon soweit, dass ich Sklaven die Tür aufmachen muss. Der Abschaum wird zu gut behandelt“, raunzte Nhaundar und gab Shar nun eine schallende Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. Shars Wange glühte vor Schmerzen und er musste sich auf die Unterlippe beißen, um einen keinen Ton von sich zu geben.
Der Sklavenhändler wandte sich ab und lief zurück in den großen Empfangsraum, der auch als Arbeitszimmer und Wohnzimmer gleichermaßen diente. Yazston stand im hinteren Teil und wartete mit säuerlicher Miene auf die Rückkehr des älteren Dunkelelfen, der Halbdrow interessierte ihn zum ersten Mal nicht.
Shar stand vor Angst wie gelähmt immer noch an der offenen Eingangstür.
„Los beeil’ dich und erledige was du zu tun hast und schließe die verdammte Tür“, kam der laute schreiende Befehl von Nhaundar.
Der junge Halbdrow schluckte kurz, rieb sich einmal die Wange und tat wie ihm sein Herrn geheißen hatte. Kurze Momente später stand er in dem, durch Kerzen erhellten Raum und lief in die Ecke des Zimmers, wo die zwei Wasserkrüge hingebracht werden sollten. Dabei versuchte sich Shar so klein zu machen, wie es nur ging. Seinen Vater konnte er nicht sehen und letztendlich war der Junge froh, dass Handir auch nicht anwesend war. Was für ein jämmerliches Bild hätte ich vor Vater nur abgegeben, sagte sich der Halbelf, ich will doch mal Kämpfer werden und ging ein wenig erleichtert seiner Tätigkeit nach. Dabei versuchte er jedoch seine Ohren zu spitzen und lauschte dem Gespräch, in der Hoffnung, Yazston würde erneut beschimpft werden.
„Yazston, es war eine einfache Aufgabe, eine die jedes Kind hätte erledigen können. Bin ich hier nur von Dilettanten umgeben?“, machte Nhaundar seinem Ärger Luft. „Selbst der dümmste Ork hätte das schneller und einfach erledigt als Welvrin.“
„Mein Herr“, fing der Hauptkommandant an sich zu verteidigen, „Sie müssen es erfahren haben. Niemand hätte davon wissen dürfen.“
„Aber dem ist nicht so, Schwächling. Für was erhalten du und deine Männer euren Sold? Für das Nichtstun oder für billige Ausreden?“, spie der Sklavenhändler voller Zorn heraus. Danach lief Nhaundar wie eine Raubkatze im Käfig durch das Zimmer und fluchte leise vor sich hin.
Shar lauschte immer noch während er vorsichtig seiner Arbeit nachging. Der Junge freute sich, dass Yazston Ärger hatte. Dabei grinste der junge Halbdrow schadenfroh in sich hinein. Doch plötzlich herrschte Stille, ein unheimlich, bedrückendes Schweigen. Der Junge war in jenem Moment fertig und schlich auf dem gleichen Weg wieder zurück zur Tür. Nur weg hier, dachte er sich und schien froh, lediglich mit einer Ohrfeige davon gekommen zu sein. Gerade wollte Shar den Türknauf ergreifen, da rief es hinter seinem Rücken, „Halt!“
Der junge Halbdrow verharrte wie angewurzelt auf der Stelle und wusste nicht, ob er oder Yazston gemeint war. Wieder durchdrang ihn ein kalter Schauer, wobei er versuchte, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen. Doch sein Zittern schien für die beiden Drow in diesem Raum unverkennbar.
„Sklave, komm her“, wies Nhaundar den Jungen an.
Wieder erbebte der hagere Körper von Shar. Er konnte sich im ersten Moment nicht bewegen, die Angst vor dem Unbekannten saß tief. Der Junge fragte sich, was sein Herr plötzlich von ihm wollte, er hatte doch gar nichts getan, oder doch? Der junge Halbelf ließ von der Tür ab, drehte sich vorsichtig herum und lief langsam, mit respektvoll gesenktem Haupt zu Nhaundar hinüber. Dabei starrte Shar wie gebannt auf den Fußboden um niemanden anzuschauen, so wie es ihm beigebracht worden war.
„Yazston, wer ist das?“, fragte der Sklavenhändler plötzlich mit Interesse und ruhigem Ton, wobei sein öliger Beigeschmack fast schon zu freundlich klang.
„Mein Herr, nur ein Sklave. Wir sollten eher um …“, weiter kam der Hauptkommandant nicht mit seiner dürftigen Erklärung, da schnitt ihm Nhaundar bereits das Wort ab.
„Du hast mir nicht zu sagen was ich soll, sondern das zu machen was ich sage. Also, wer ist das, ich habe …“, dann hielt der ältere Drow einen Moment inne und musterte Shar von oben bis unten, wusste aber nicht, dass es sich hier um Handirs Sohn handelte. „… ich habe den noch nie hier gesehen. Eine verdreckte Ratte und dazu ein Halbdrow.“ Mit diesen Worten beendete der Händler seinen Satz und schien über seine eigene Aussage nachzudenken und das tat er wahrhaftig.
Halbdrow, wieso habe ich eine solche Missgeburt in meinem Haus, fragte sich Nhaundar. Einige Minuten grübelte der ältere Drow nach und da fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. Handir, das ist Handirs Sohn. Das ist der Säugling aus Eryndlyn und ihm kamen all die Erinnerungen zurück. Er scholl sich selbst, dass er so eine Tatsache ganz vergessen hatte, aber dafür war es eh zu spät oder auch nicht? Unwichtig, sagte er sich und etwas anderes kam ihm in den Sinn.
„Yazston, dieser Abschaum kann es bestimmt besser als deine Männer“, fing Nhaundar sachlich an zu erklären. „Wir nehmen einfach den da und keiner wird Verdacht schöpfen.“ Dann lächelte der Sklavenhändler hinterhältig und entblößte dabei seine makellosen weißen Zähne.
„Herr?“, kam die überraschende Reaktion des Drowsoldaten, der sich bei dieser Aussage immer mehr anspannte. Seine Demütigung gegenüber Nhaundar war für ihn schon Schmach genug, jetzt sogar noch vor dem wertlosen Jungen. Das wird er noch bereuen beschloss Yazston.
„Was ist?“, zischte der ältere Dunkelelf zurück.
„Er ist nur ein Sklave. Ihr wollt doch nicht wirklich so eine wichtige Botschaft so einem …“, jetzt beobachtete Yazston Shar sehr genau und überlegte, wie er dem Jungen auf die beste Art beleidigen konnte, „… einem Halbdrow geben. Er ist Abschaum, mehr nicht.“
„Ja genau, nicht mehr und auch nicht weniger. Perfekt als Bote“, strahlte der Sklavenhändler. „Überleg’ doch mal, keiner würde denken, dass er unser Mann ist. Er muss nur von A nach B und wieder zurück und je weniger Hirn der Laufbursche hat, desto sicherer für uns.“

Shar hörte zu und verstand doch nichts. Die Worte Halbdrow, Abschaum, verdreckte Ratte und Missgeburt hallten in seinem Kopf nach. Ich bin der Sohn von Handir, versuchte sich der Junge stumm zu verteidigen. Je mehr er lauschte und auf die Stimmen achtete, desto verwirrter wurde Shar. Den Blick hielt er immer noch gesenkt. Aber eines wusste er, es konnte nichts Gutes sein, denn je weiter der Plan der beiden Männer voranschritt, desto unbehaglicher wurde Shar. Sein Bauch fühlte sich an, als ob jemand sein Inneres umdrehen wollte. Die Angst ergriff bei jedem weiteren Satz von ihm Besitz, dann wendete sich Nhaundar wieder an den Jungen.
„Sklave, schau mich an!“, erklang der Befehl.
Nervös erhob Shar den Kopf und tat einen Folgenschweren Fehler. Eigentlich hatte er den Kopf aufzurichten und dennoch auf den Boden zu blicken, doch er schaute Nhaundar direkt in dessen rot glühenden Augen. Der Sklavenhändler war überrascht über diese unvorhergesehene Reaktion und schien einen kurzen Moment wütend über das ungebührende Verhalten dieses Sklaven. Doch die tiefblauen Augen blickten ängstlich und unschuldig in seine Richtung und Nhaundar war von einer auf die andere Sekunde wie gefangen. Er vergaß sogar kurzzeitig, dass es sich um den Sohn seines besten und liebsten Lustsklaven handelte und spürte etwas, dass ungezügelter Lust gleich kam. Dann riss sich der ältere Drow zusammen und musste wieder an das Wesentliche denken, die Botschaft. Erst das Geschäft, alles andere kommt anschließend, schimpfte er sich innerlich und konzentrierte sich erneut.
„Ich erkläre dir jetzt was du tun musst und wenn du es schaffst kommst du wieder zurück …“, fing Nhaundar an zu erläutern.
Über eine halbe Stunde verbrachte Shar bei seinem Herrn und Yazston und bekam jedwede Ausführung seines Auftrags erklärt. Er bestand darin, dass der Junge ein bestimmtes Etablissement aufsuchen, eine Schriftrolle zu übergeben und letztendlich auf dem gleichen Weg nach Hause kommen sollte. Das Schwierigste an der Aufgabe bestand nur darin, dass Shar unbemerkt und verhüllt den Basar von Menzoberranzan überqueren musste. Erschwerend hinzu kam die Tatsache, dass Shar bis zu diesem Zeitpunkt noch nie das Anwesen seines Herrn verlassen hatte. Doch Nhaundar sah darin die Chance, dass der Plan funktionieren könnte, wer würde schon auf einen Halbdrow achten, bestimmt nicht sein größter Widersacher und dessen Männer. Perfekt.

Shar zitterte vor Furcht und Aufregung wie Espenlaub und sein rechter Oberarm schmerzte, wobei er versuchte die ungewollte Pein zu ignorieren. Sein hagerer Körper steckte unter einem dunkeln Kapuzenumhang aus grober Wolle und dieser sah fast noch schäbiger aus, als die Hose, die er seit Jahren trug. Seine schwarze Wollhose wurde durch eine Schnurr aus Leder um seine dünne Taille gebunden und hielt diese an Ort und Stelle. Sie war von oben bis unten mit Löchern übersät. Seine Füße waren nackt und der Oberkörper frei. Die Kapuze saß tief in seinem Gesicht und er musste aufpassen, wohin er trat, damit er niemanden anrempelte. Ein Gutes hatte diese Aufmachung, man konnte nicht erkennen, wer oder was sich darunter versteckte. Somit sah kein Dunkelelf auf der Straße, dass Shar ein Halbdrow war. Noch zwei Dinge hatten sich seit einer Stunde an dem Erscheinungsbild von Handirs Sohn verändert. Um seinen Hals trug er jetzt ein eisernes Sklavenhalsband. Niemals zuvor zog auch nur einer in Erwägung den Jungen zu kennzeichnen, da man schon auf Grund seiner Herkunft davon ausging, dass Shar ein Sklave war. Außerdem wer hätte jemals gedacht Shar vom Anwesen des Sklavenhändlers zu lassen. Aber der verschlagene Drow wollte auf Nummer sicher gehen und so besaß der junge Halbdrow nun auch obendrein ein Brandmahl. Ein großes N wurde Shar unter höllischen Schmerzen eingebrannt. Furchtbare Qual durchzuckte gerade wieder den dünnen Arm und es brannte bestialisch, während der Junge tapfer versuchte, die Lippen fest zusammen zu pressen um nicht zu jammern.
Yazston hatte ihn festgehalten, während ein anderer Soldat ihm ohne Vorwarnung ein glühendes Eisen einfach auf die Haut drückte. Shar schrie und bekam statt Trost nur zwei schallende Ohrfeigen und die Warnung still zu halten. Die Erinnerung daran ließ wieder die Tränen aufsteigen und über die Wangen laufen. Aber Shar versuchte stark zu sein und sich zusammen zu reißen. Handir, Dipree und auch all die anderen Sklaven, die er kannte trugen ebenfalls dieses Zeichen und sie lebten und weinten nicht. Ich muss nur ein wenig länger die Zähne zusammen beißen und dann wird es vergehen, sagte er zu sich selbst und machte sich mit den Worten gleichzeitig Mut. Handir wird stolz auf mich sein können, jetzt bin ich wie er, lächelte Shar in sich hinein und verstand nicht, welches Schicksal endgültig mit dem Brandmahl besiegelt worden war. Für Nhaundar bedeutete es in jenem Moment, dass es in Zukunft keinen Ärger geben würde, denn sein Eigentum gehörte nun offiziell zu ihm. Einige der übelsten Händler und Ränkeschmiede in Menzoberranzan müssten von dem Jungen ablassen, wenn sie erkannten, dass er einem Herrn diente, der wohlbekannt war.
Shar stand nun eingeschüchtert vor dem eisernen Tor von Nhaundars Anwesen und tat zögerlich einen Schritt nach dem anderen. Er lief geradewegs eine lange, breite Straße entlang und war schon viele Meter weit gekommen. Der Weg führte ihn direkt zum Basar und zu einem der verruchtesten Orte der Stadt. In einer Hand hielt er ein Stück Pergament. Eine Schriftrolle, die wichtige Informationen für zukünftige Geschäfte für Nhaundar und einem seiner vielen Geschäftspartnern enthielt. Geld stand auf dem Spiel, Gold und Edelsteine. Von alldem wusste jedoch der Junge nichts, der tapfer gegen seine innere Angst und die Schmerzen im Arm ankämpfte. Doch auch der Stolz ließ ihn weiter laufen. Sein Herr hatte ihn für eine wichtige Mission ausgeschickt, so wurde es ihm letztendlich erklärt. Dazu kam die Auszeichnung, die der Sklavenhändler ebenfalls in süße Worte kleidete. Denn nichts anderes als dass ihn das Halsband und das Brandmahl vor allen anderen Dunkelelfen schützen würde gab er dem jungen Halbdrow zu verstehen, damit dieser keinen unliebsamen Aufstand machte. Es funktionierte.
Beim Gehen dachte der Junge nach was sich seit heute morgen in seinem Leben verändert hatte und es gefiel ihm im Moment nicht wirklich. Zwar wünschte Shar sich seit langem schon andere Dinge wie Putzen, Wischen und Beschimpft zu werden, doch in dieser unbekannten Gegend und umgeben von so vielen neuen Lebewesen hatte der Junge fürchterliche Angst. So was kannte er nicht. Alles war fremd, groß und ehrfürchtig anzuschauen. Aber er versuchte sich selbst Mut zu machen. Wenn er zur vollsten Zufriedenheit seine Aufgabe erledigte, dann wäre sein Herr stolz auf ihn und was wäre dann erst mit seinem Vater. Er wollte groß und stark werden und irgendwann so kämpfen wie Handir. Gleichfalls hegte er den Gedanken, dass er mit dieser wichtigen Aufgabe mehr Wert war, als alle immer von ihm sagten. Mit diesen und vielen weiteren Gedanken machte sich der Junge immer weiter Mut, während er sich dem Basar und dem eigentlichen Zentrum der Stadt Menzoberranzan näherte.
Ab und zu griff er jedoch zu seinem Hals und an die Wunde an seinem Arm, die noch schmerzte. Das Halsband saß eng um seine Kehle und drückte ihm leicht die Luft ab. Während Shar versuchte nicht an den ungewohnten Schmerz zu denken, redete er sich selbst erneut ein, dass er damit eine Stufe nach oben gestiegen war. Sein Vater trug Halsband wie Brandzeichen und nun gehörte er dazu. Er nahm an, dass Handir glücklich sein würde, wenn dieser es erfuhr, überlegte Shar weiter bis er durch einen lauten Ruf aus den Gedanken herausgerissen wurde.
„Du da, werf’ den Ball rüber“, rief eine junge Kinderstimme in Richtung Shar.
Der junge Halbdrow blieb abrupt stehen und erkannte vor sich auf dem Boden etwas, dass er niemals zu Gesicht bekommen hatte. Eine kleine runde Kugel aus schwarzem Leder lag vor seinen nackten Füßen. Shar starrte wie gebannt auf den Ball und beugte sich im nächsten Moment nach unten und hob ihn auf, ganz wie ihm geheißen wurde. Das fühlt sich aber komisch an, bemerkte er und beäugte aufgeregt das Ding in seiner Hand. Was ist das?
„Gib’ her“, erklang erneut die Stimme, die ihm gerufen hatte.
Shar sah auf und dabei rutschte ihm leicht die Kapuze vom Kopf. Jetzt konnte jeder der genau hinschaute erkennen, dass der Junge unter dem Umhang ein Halbdrow war.
„Nadal, komm’ mal her, der da ist ein Halbdrow“, rief der Drowjunge namens Filraen und deutete dabei mit dem Zeigefinger auf Shar.
„Wo?“, kam die neugierige Antwort eines weiteren Jungen.
„Ich bin Shar“, antwortete Shar aufgeregt, als er die Kinder reden hörte. Er kannte keine anderen Kinder, da er das Einzige in Nhaundars Haushalt war.
Filraen, der junge Drow der noch eben nach seinem Ball gerufen hatte, schaute plötzlich nicht mehr fröhlich, sondern ärgerlich zu dem jungen Halbdrow hinüber.
„Gib’ den Ball her, mit Abschaum spielen wir nicht“, antwortete jetzt Nadal, der zu seinem Freund hinüber kam und entriss Shar dabei unsanft den schwarzen Lederball.
Da war es wieder das Wort Abschaum. Er hatte es schon sooft gehört, aber das aus dem Mund von Kinder zu hören verursachte bei Shar ein seltsames Gefühl im Magen. Erneut verkrampfte er sich und schaute traurig zu den beiden Jungen.
„Aber …“, wollte sich Shar verteidigen und fragen was die schwarze Kugel darstellte, da spürte er einen Schmerz. Filraen und Nadal hatten ihre Fäuste erhoben und schlugen jetzt auf den jungen Halbdrow ein. Zuerst ein Schlag auf den Kopf, dann folgte der nächste auf den Rücken und zum Schluss kam ein Tritt, der gut gezielt im Bauch landete. Augenblicklich ging Shar zu Boden und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Magen. Im Augenwinkel konnte er sehen, dass die beiden Kinder kurz darauf verschwanden. Der junge Halbdrow kniete mitten auf der Straße und hielt sich seinen getroffenen Bauch. Mit der anderen Hand versuchte er krampfhaft die Botschaft festzuhalten, die er nicht verlieren durfte.
Überrascht und verwirrt fragte sich Shar, was er nur gemacht haben könnte um die beiden zu verärgern. Des Weiteren wollte er wissen wieso sie sich wie Yazston verhielten. Er wollte doch lediglich erfahren was dieses schwarze, runde Leder war. Während er noch über diese Begebenheit nachdachte, merkte er gar nicht, wie lautlos ein paar Tränen über seine Wangen rannen. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte und der Schmerz allmählich nachließ, stand er auf. Er musste sich jetzt beeilen, sonst würde sein Herr wütend werden. So versuchte der junge Halbdrow sich erneut voll und ganz auf die wichtige Mission zu konzentrieren, wie Nhaundar es ihm befohlen hatte. Er zog wieder die Kapuze über seinen Kopf, rückte den Umhang zurecht und blickte demütig auf den Boden.
Shar lief die Straße weiter, den Weg den er beschrieben bekommen hatte und schon bald wurde es immer belebter. Viele Drow, männlich oder weiblich, groß und klein, alt und jung befanden sich hier und drängelten über die Straße. Auch andere Rassen waren vertreten, Orks, Grauzwerge, Goblins, Menschen, Elfen, Kobolde oder Shar völlig unbekannte Wesen. Es wirkte alles seltsam und gleichermaßen auch faszinierend. Er wusste gar nicht, dass es hier soviel neues zu entdecken gab und staunte mit weit aufgerissenen Augen unter der Kapuze hervor. Alles wirkte riesig und am Ende huschte ihm ein freudiges Lächeln über die Lippen. Völlig ins Staunen vertieft wurde er plötzlich angerempelt. Erschrocken blickte Shar nach oben und erkannte einen hässlichen, alten Ork, der ihn gefährlich anknurrte. Der Junge hielt augenblicklich das Stück Pergament fester in der Hand und erinnerte sich jetzt wieder an Nhaundars Worte, er solle sich am Rand aufhalten und aufpassen, dass niemand ihn berührte oder Anstoß an ihm nehmen konnte.
„Geh’ mir aus dem Weg“, grollte die tiefe Stimme des Orks und schob den jungen Halbdrow unsanft zur Seite. Dann schritt er ungehalten davon.
Shar versuchte sein Gleichgewicht wieder zu finden, senkte dann seinen Blick erneut und schaute zu Boden. Er ging jetzt an den Straßenrand und somit aus dem Weg aller anderen. Dort angekommen sah er sich um. Er musste überlegen, wo er eigentlich die Nachricht abliefern sollte. Seine Augen schweiften umher und erkannten viele große und kleine Häuser, Händler mit ihren Warenständen und Drowsoldaten, die mit ihren Händen am Knauf ihrer Waffe über den Basar patrouillierten.
Fieberhaft überlegte Shar nach dem Weg, den er beschrieben bekommen hatte. „Du geht’s die Straße immer der Nase nach, dann direkt auf den Basar und an dem großen Platz in der Mitte vorbei, dort findest du am Ende das Schmuckkästchen. Es ist ein langer, niedriger Felsvorsprung darin befindet sich die Schenke. Denke daran, es führt eine Treppe nach unten. Es liegt nur eine Handbreit vom Basar entfernt.“ So hallten die Worte von Nhaundar ins Shars Gedächtnis nach. Viele Minuten vergingen und Shar suchte die Umgebung ab, bis er das Gebäude gefunden hatte. Er lief unauffällig, so weit das mit der Kapuze über dem Kopf und mit gesenktem Blick möglich war, auf das Haus zu. Er musste acht geben niemanden anzurempeln und allen anderen aus dem Weg zu gehen, dass sich als schwer erwies. Immer wieder wurde er davon geschoben, herumgestoßen oder angeknurrt. Dann war es geschafft, er stand vor dem Schmuckkästchen. Er fand den besagten Ort gleich auf Anhieb, denn außen herum kam nichts der Beschreibung gleich. Dort angekommen gab es tatsächlich eine Treppe, die nach unten führte und er blieb vor einer Kalksteintür stehen. An dem Messsingknauf an der Tür musste Shar klopfen und sollte nach einem gewissen Solaufein fragen und ihm anschließend persönlich die Schriftrolle übergeben. Das Stichwort „Feuertanz“ sollte er nennen und der Drow sollte mit „Lichtblick“ antworten. Er hoffte, dass dieser Solaufein auch das tat, was Nhaundar ihm erklärte. Aber wieso sollte sein Herr ihn anlügen, er war auf einer wichtigen Mission. Dieser Gedanke erfreute den jungen Halbdrow innerlich noch mehr und er vergaß darüber hinweg seine Angst, die er noch vor Aufbruch vom Anwesen Xarann gehegt hatte. Shar erhob die Hand und klopfte einmal. Im ersten Moment geschah nichts. Dann versuchte es der Junge erneut und eine kleine Schiebeklappe in der Tür wurde geöffnet, heraus schaute ein älterer, mürrischer Drow und riss erstaunt die Augen weit auf, als er den Halbdrow auf der Türschwelle sah.
„Hier ist kein Ort für Bettler und Gesindel“, wies er Shar ab und schob die Klappe wieder zu.
„Halt“, rief Shar im gleichen Augenblick und die Angst kam zurück. Die Furcht vor dem Versagen und der Bestrafung, die bei einem Fehler auf ihn wartete, trieb ihn an. „Ich habe eine Botschaft für Solaufein“, kam es dem Jungen über die Lippen.
Ich gleichen Atemzug fragte sich Shar, ob er das Richtige getan hatte und hoffte inständig, dass die Tür aufgemacht werden würde.
Jetzt ging die Schiebeklappe erneut auf und der Drow von eben beäugte misstrauisch den jungen Halbdrow.
„Wer hat eine Botschaft für Solaufein?“, kam die Frage an Shar zurück.
„Mein Herr, Nhaundar Xarann“, antwortete der Junge wahrheitsgemäß.
Bei diesen Worten wurde die Klappe wieder geschlossen. Dann hörte Shar ein Schloss und im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet.
„Seit wann schickt der stinkende Sklavenhändler seinen Abschaum?“, raunzte der fremde Drow Shar an und bedachte den Jungen mit rot glühenden Augen. „Dann komm rein“, kam die Anweisung.
Shar wollte schon erwidern, dass er kein Abschaum war, überlegte es sich jedoch schnell anderes. Mit seiner Angst vor dem Unbekannten kam er nicht klar. Niemals hatte er so etwas getan oder jemals gesehen. Im ersten Moment schien alles düster und unheimlich. Der ältere Türvorsteher schickte kurz nach dem Eintreten Shar weiter ins Innere und dort sollte er zu dem Wirt gehen. Der Rest ging ihn nichts an.
Shar hörte genau zu und tat wie ihm geheißen. Der junge Halbdrow betrat einen Raum mit einer niedrigen Decke und es roch nach süßem und leicht berauschendem Weihrauch, den Shar bis dahin nicht kannte. Kurz musste er Husten und hielt sich dann vorsichtshalber die Hand über Nase, weil der Geruch ihm gar nicht behagte. Überall in dem großen Raum brannten Fackeln an den Wänden und erleuchteten den Ort. Viele Tische und Stühle waren hier über den Schankraum verteilt und noch mehr Drow, Männer jeden Alters, saßen wild zusammen gewürfelt an ihren Plätzen. Sie unterhielten sich, tranken oder schienen mit etwas beschäftigt zu sein, dass ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Musik wurde von drei Musikern gespielt und sie brachten eine frische Melodie zu den Gästen. Andernorts warfen Männer mit Dolchen an die Wand und grölten, wenn der Gegner das Ziel verfehlte. Dabei achtete keiner der Spieler darauf, ob sich jemand zwischen den Klingen und der Wand befand. Weiter hinten fielen Würfel, Spielkarten wurden auf den Tisch gedonnert oder Münzen landeten klimpernd auf den Tischen und wechselten den Besitzer.
Der Junge schien fasziniert zu sein, so viel Neues stürmte mit einem Mal auf ihn ein und alles wirkte aufregend. Doch erneut erinnerte sich Shar an die Worte seines Herrn, hier lediglich die Nachricht abzuliefern und auf dem gleichen Weg schnell und unauffällig zu verschwinden, wenn er keinen Ärger oder Schmerzen wünschte. Das Schönste war jedoch, niemand achtete auf ihn. So schritt er vorsichtig und stets darauf bedacht nichts und niemanden zu berühren hinüber zur Theke. Dann schaute ihn ein Drow mit Falten im Gesicht und kurzen, weißen Haaren überrascht an.
„Was willst du denn hier?“, fragte dieser neugierig.
Shar schluckte kurz bevor er anfing zu erklären.
Nach weiteren Minuten war seine Aufgabe zur Zufriedenheit von Nhaundar erledigt und der junge Halbdrow stand wieder vor der Tür, draußen auf dem Basar. Shar freute sich und sein Herz hüpfte immer noch vor Aufregung wild in seiner Brust. Nun konnte jeder auf ihn stolz sein und er grinste in sich hinein und wand sich dabei um. Er wollte soeben los laufen, da blieb der Junge erschrocken wie angewurzelt stehen, als er gedankenversunken gegen Jemanden prallte.
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