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Disclaimer:
This is a work of fiction. Any resemblance of characters to actual persons, living or dead, is purely coincidental. The Author holds exclusive rights to this work. Unauthorized duplication or commercial use is prohibited
Sohn der Götter
Mehrere Tage später fand ein Bauer am Rande des Waldes einen völlig erschöpften, fiebernden Jungen mit hohlen Wangen, vor Schmutz starrendem Gesicht und verfilztem Haar.
Der Junge lag auf dem Boden, sein Gesicht und schmaler Körper halb im Laub vergraben, wirkte wie tot. Aber er atmete noch, wie der Bauer Germon rasch feststellte. Als er den Jungen ansprach, reagierte er nicht, erst als er ihn an der Schulter schüttelte, wandte der Junge ihm etwas das Gesicht zu, blickte ihn aus merkwürdig gefärbten Augen an. Seine Lippen waren stark geschwollen, seine Haut heiß und fiebrig.
Der Bauer Germon rief rasch seine zwei ältesten Söhne herbei, die mit ihm Holz sammelten und brachte den seltsamen Jungen auf seinem Karren zu seinem Hof.
Germons Frau Frenja sah erschrocken auf, als ihr Mann so unerwartet mit einem Jungen auf dem Arm ins Haus kam. Erleichtert stellte sie, nach ihrem ersten Schrecken, fest, dass es keiner ihrer Söhne war, kam aber sofort herbei, als sie die ernste Miene ihres Mannes sah.
„Ich habe ihn draußen im Wald gefunden. Sieht verletzt aus“, sagte er, als er den Jungen herein trug. Seine Frau sah den fremden Jungen erstaunt an.
„Er lag einfach so im Wald. Er hat wohl Fieber, so heiß, wie er sich anfühlt. Er ist mehr tot als lebendig“, erklärte Germon, als sie den Jungen nach oben brachten, ihn in das Bett eines ihrer eigenen Söhne legten.
Frenja zog ihn aus. Seine Kleidung war voll von Dornen und Ästen, er schien quer durch den Wald gerannt zu sein. Sein Hemd und seine Hose waren zerrissen, voller Dreck und Blut. Frenja sah ihn sich kurz an. Der Junge war stark abgemagert und hatte diverse Verletzungen am ganzen Körper. Er war nicht bei Bewusstsein, fieberte und murmelte immer wieder vor sich hin.
Germon brachte unterdessen warmes Wasser hoch und sah zu, wie seine Frau den schmalen Jungen wusch.
Unter dem ganzen Dreck kam eine ungewöhnlich sehr helle Haut hervor, die übersät war mit dunklen Malen, Blutergüssen und Striemen. Besonders am Rücken und Gesäß war er voller, schwarz verfärbter Blutergüsse und getrocknetem Blut. Sanft wusch Frenja das verklebte Haar und sog überrascht die Luft ein, als es dabei heller und heller wurde.
„Germon“, hauchte sie überrascht. „Hast du jemals eine solche Farbe gesehen?“
Ihr Mann schüttelte stumm den Kopf, starrte erstaunt auf das helle, kupfern schimmernde Haar. Betroffen schlug er sich die Hand vor den Mund, als seine Frau eine verkrustete Wunde am Kopf vorsichtig aus wusch
„Bei den Göttern! Was ist ihm nur zugestoßen?“, brach es aus ihm hervor.
„Vielleicht ist er den Sklavenfängern entwischt?“, vermutete seine Frau, ohne den Blick von dem seltsamen Jungen abzuwenden.
„Wir haben nichts gehört, dass sie wieder in der Gegend sind“, meinte Germon nachdenklich. „Ihr letzter Raubzug ist drei Jahre her.“
Fasziniert sah er auf den Jungen vor sich. Noch nie hatte er einen so schönen Jungen gesehen.
„Aber ich werde alle alarmieren. Wenn in der Nähe ein Hof überfallen wurde, wissen wir wenigstens, wo er herkommt und können seine Familie benachrichtigen“, meinte er, riss sich von dem Anblick los, warf aber beim Hinausgehen, noch einen Blick zurück.
Frenja betrachtete den fiebernden Jungen. Er war noch immer nicht bei Bewusstsein, warf sich aber in den Fieberschüben unruhig hin und her, stöhnte angstvoll auf. Kurze, leise Schreie lösten sich, wenn er mit fahrigen Händen abwehrend um sich schlug, sich gegen unsichtbare Dämonen wehrte. Vorsichtig nahm sie seine Hände, redete beruhigend auf ihn ein, während sie sie wieder hinab drückte.
Sie kühlte seine Stirn, flößte ihm, in den ruhigeren Phasen der Fieberträume, Weidenrindentee ein, der das Fieber senken würde.
Der Junge war mager, aber auch sonst nicht von sehr kräftigem Wuchs, erkannte sie. Ihre Söhne waren alle wesentlich breitschultriger, kräftiger, selbst ihr Jüngster. Seine hellen Haare waren absolut ungewöhnlich. Die meisten Menschen der umliegenden Hofe waren eher dunkelhaarig und eben kräftig gebaut. Ein so helles Rotblond hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Dieser Junge schien fremdartig, unglaublich zerbrechlich, so fragil. Sein schönes Gesicht war angespannt, voller tiefer Linien, die von erlittenem Schmerz kündeten. Seine vollen Lippen murmelten im Schlaf oder Fieber und wenn er die Augen aufschlug, blickte sie in diese merkwürdig türkisfarbene Augen.
Aber der Blick blieb leer. Der Junge nahm nichts wahr, blieb ganz und gar in seinen Fieberträumen gefangen.
Frenja betrachtete seine feinen Hände. Sie waren feingliedrig und ohne jede Schwiele. Der Junge war kein Bauer. Seine Hände hatten nie harte Arbeit verrichtet. Er konnte also kaum von einem der umliegenden Höfe stammen.
Aber woher dann? Die nächste Ansiedlung war ein kleines Dorf, zwei Tagesreisen entfernt, aber dort kannte sie alle Menschen und dieser Junge war zu ungewöhnlich, als dass sie ihn dort nicht gesehen hätte. Über ihn hätte man geredet.
Aber woher kam er dann? Alle anderen Ansiedlungen lagen so weit weg, dass er es kaum alleine bis hierher geschafft haben konnte.
Als Germon heim kam, erzählte sie von ihren Beobachtungen und ihren Vermutungen.
Auch ihr Mann hatte keine Erklärung. Kein Hof war in letzter Zeit überfallen worden. Niemand hatte Berichte von irgendwelchen Sklavenfängern in der Umgebung gehört.
Die Herkunft des Jungen würde also ein Geheimnis bleiben, bis er aus seinen Fieberträumen erwachte. Wenn er das Fieber überlebte, denn sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag.
Frenja war sich nicht sicher, ob er es schaffen würde. Er nahm kaum Flüssigkeit zu sich und das war so wichtig, wenn er den Kampf gegen den Fieberdämon gewinnen wollte. Sie saß oft an seinem Bett, kühlte ihm die Stirn, beruhigte ihn, wenn er schreiend um sich schlug. Seine Bewegungen wurden schwächer, sein Körper schien den Kampf gegen die fiebrigen Dämonen zu verlieren.
Aber der Junge kämpfte.
Nachts schreckten Germon und seine Familie oft hoch, wenn der Junge im Fiebertraum wieder gellend schrie oder hemmungslos weinte, dann eilte Frenja sofort zu ihm, beruhigte ihn, streichelte ihm über die helle Haut, bis er wieder in den Schlaf hinüber glitt. Dann scheuchte sie ihre Söhne wieder ins Bett, die immer hinzu kamen, mitleidig den unbekannten Jungen betrachteten.
Der ganze Hof nahm am Schicksal des Jungen aus dem Wald anteil. Germons Hof war groß genug, um Heimat für über zwanzig Menschen zu sein. Eine kleine Gemeinschaft, die durch alle Härten des Lebens auf dem Hof zusammen hielt, fern jeder anderen größeren Ansiedlung.
Der hellhäutige, zarte Junge aus dem Wald war bei allen Gesprächsthema geworden, seit dem Tag, an dem Germon ihn gefunden hatte. Die anderen Frauen sahen fast täglich nach ihm, halfen Frenja wo sie konnten bei ihren täglichen Arbeiten, damit sie sich ganz um den fiebernden Jungen kümmern konnte.
Ihre eigenen Jungen kamen neugierig täglich mehrfach vorbei, um zu sehen, ob er sich erholen würde. Brachten unaufgefordert warmes Wasser und frische Tücher hoch.
Mehr als eine Woche lang, lag der unbekannte rotblonde Junge in seinen Fieberträumen gefangen, dann wagte Frenja langsam zu hoffen. Das Fieber ging zurück und die Phasen tiefen Schlafes wurden länger, wenngleich der Junge auch dann unruhig war.
Frenja hatte ihn in solchen Phasen instinktiv die Hand auf die Schulter gelegt und er wurde ruhiger, entspannter. In den heftigsten Fieberphasen, wenn sein schmaler Körper sich hin und her warf, er voller dunkler Schmerzen und Fantasien stöhnte, nahm sie ihn wieder in den Arm, bis er sich beruhigte. Ab und an kam er jetzt zu sich, sah sie mit diesen türkisfarbenen Augen furchtsam an. Sie sprach leise mit ihm, beruhigte ihn, versicherte ihm, das er in Sicherheit war, bis er die Augen wieder schloss und zurück in den Schlaf sank.
Wenn er wach war, flößte sie ihm Wasser ein. Als die Phasen länger wurden, gab sie ihm löffelweise Brei und Suppe. Langsam, ganz langsam erholte er sich. Am Ende der zweiten Woche richtete er sich zum ersten Mal auf, als Frenja mit dem Essen den Raum betrat und ihn anlächelte. Voller Freude bemerkte sie, dass er ihr Lächeln schüchtern erwiderte.
„Oh wie schön! Es geht dir heute besser“, freute sie sich, trat an sein Bett und stopfte ihm die Kissen in den Rücken um es ihm leichter zu machen, aufrecht zu sitzen.
„Ist es so bequemer?“, fragte sie, sah das er vorsichtig nickte. Sie gab ihm löffelweise den Getreidebrei zu essen und beobachtet wie er gierig aß. Anscheinend war sein Appetit zurück gekehrt.
Germon betrat den Raum, staunte, wie sich der Junge verändert hatte.
Frisch gewaschenes, kurzes rotblondes Haar fiel ihm leicht ins Gesicht. Er wirkte nicht mehr so ausgemergelt wie an jenem Tag, als er ihn gefunden hatte, aber dennoch fragil, wie ein Mädchen.
Germon ertappte sich, wie er den Jungen eindringlich musterte, der so ganz anders aussah, als die Menschen hier auf dem Hof oder der näheren Umgebung.
Unter den Frauen des Hofes ging schon länger das Gerücht, er würde aus der Welt der Götter stammen, wäre sogar ein Sohn der Götter. Vielleicht war er von ihnen verstoßen worden, oder man hatte ihn geraubt und er war geflohen.
Germon musste zugeben, dass seine ungewöhnliche Erscheinung schon einen solchen Verdacht nahe legte.
Er war sehr zart gebaut, hatte eine schmale, fast mädchenhafte Taille. Sein Gesicht war von diesen großen, türkisfarbenen Augen geprägt, in denen ein leicht gehetzter Ausdruck stand. Lange, dichte Wimpern überschatteten diesen Blick und volle, geschwungene Lippen umrahmten einen schüchtern lächelnden Mund ein, als sich Germon ans Bett setzte und den Jungen verzückt betrachtete.
Er war unglaublich schön. Germon staunte, denn so etwas würde man eher bei einem Mädchen erwarten, aber dieser Junge strahlte eine ganz besondere Art von Anziehung aus. Kein Wunder das sich alle Frauen überschlugen, ihm zu helfen.
„Sieh nur, es geht ihm heute schon deutlich besser“, wandte sich Frenja freudig an ihrem Mann, strich dem Jungen durch die weichen Haare.
„Kannst du uns schon sagen, was passiert ist, Junge?“, fragte Germon, wurde aber von seiner Frau unterbrochen.
„Lass ihn Germon. Er ist gerade erst am Aufwachen. Das ist mein Mann, Germon“, stellte Frenja ihn vor. „Er und meine Söhne haben dich im Wald gefunden.“
Aber dann war sie doch selber zu neugierig, um noch länger zu warten.
„Kannst du uns denn sagen, wie du heißt, Junge?“, fragte sie ihn leise.
Der Junge sah sie für einen kurzen Moment mit offenen Mund an, blickte verwirrt, schien erst lange in seinen Erinnerungen suchen zu müssen. Er sah dabei recht erschrocken aus. Mit brüchiger Stimme sagte er langsam, als ob er jedes Wort erst suchen müsste: „Ich weiß nicht. Ich erinnere mich nicht. Ich bin mir nicht sicher... “
Er pausierte und sah die beiden fragend an. Zögernd senkte er den Blick. Dann flüsterte er erst sehr leise, dann sicherer werdend: „Arlyn. Mein Name ist Arlyn.“
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, wich gleich darauf aber wieder einem erschreckten Ausdruck.
„Aber an mehr kann ich mich nicht erinnern. Da ist nichts. Alles ganz schwarz“, flüsterte er, schloss gequält die Augen.
Frenja zog ihn an sich, nahm ihn in die Arme, streichelte über seinen Rücken.
„Keine Angst. Das kommt wieder. Du bist in Sicherheit. Was auch immer du erlebt hast, es kann warten, bis es dir so gut geht, dass du dich erinnern willst. Arlyn“, munterte sie ihn auf. „Was für ein schöner Name.“
Arlyn sah sie unsicher an, genoss ihre Nähe und Zärtlichkeit, die er in sich aufnahm, wie die Nahrung, die sie ihm brachte. Er erinnerte sich an nichts. Nur an diesen Namen. Grübelnd kämpfte er gegen das Dunkel seiner Erinnerung an, bis er wieder in den Schlaf versank, der zwar mit Albträumen durchsetzt war, aber ihre Worte umhüllten ihn schützend: „Du bist in Sicherheit.“
Mehrere Tage brauchte Arlyn noch, bis er länger als einige Minuten aufrecht sitzen konnte. Frenja drang in der ganzen Zeit nicht weiter auf ihn ein.
Germon besuchte ihn regelmäßig. Auch seine Söhne schauten nun immer öfters mal herein, vor allem, weil sie neugierig waren und alle Anderen vom Hof ihnen ständig Fragen zu dem fremden Jungen stellten, die sie nicht beantworten konnten.
Germon brachte seiner Frau heißes Wasser hoch und sah, dass der Junge aufrecht saß und bei vollem Bewusstsein war.
„Wie geht es dir heute, mein Junge?“, fragte er und lächelte seinen Gast an.
„Besser, mein Herr, dank eurer Hilfe“, erwiderte Arlyn schüchtern und sah ihn direkt an. Germon konnte den Blick kaum von diesen türkisfarbenen Augen lösen.
„Eure Frau sagte mir, dass ihr und eure Söhne mich im Wald gefunden haben?“, fügte Arlyn nach einer Pause hinzu.
„Das stimmt. Du warst mehr tot als lebendig und hattest diverse Verletzungen. Kannst du dich jetzt daran erinnern?“, fragte Germon neugierig, denn diese Fragen waren natürlich Anlass zu Spekulationen gewesen, seit auf dem Hof bekannt wurde, dass er diesen Jungen im Wald gefunden hatte.
Der Junge zögerte, sah sehr in sich gekehrt aus, als er leise antwortete: „Ich weiß es nicht, mein Herr. Ich erinnere mich an nichts. Nur an meinen Namen.“
Er machte eine Pause und sah Germon wieder mit diesen fantastisch türkisfarbenen Augen an. Mühsam senkte der den Blick, seufzte innerlich. Was auch immer der Junge erlebt hatte, es musste ihn so stark geprägt haben, dass er sich nicht erinnern konnte, oder wollte. Nun, dachte Germon, Zeit heilt bekanntlich alle Wunden.
„Es ist nicht wichtig, Arlyn“, sagte er daher. „Du kannst hier bei uns bleiben. Deine Erinnerungen werden irgendwann zurück kehren.“
Zwei Wochen nachdem Arlyn den Fieberdämonen entkommen war, fühlte er sich endlich kräftig genug und folgte Frenjas Einladung, zum Abendbrot hinunter in die Küche zu kommen.
Die ganze Familie saß an dem großen Holztisch, als er langsam die Treppe herab kam und ihre Stimmen verstummten, als sich alle Augen auf den fremden Jungen richteten.
Er sieht immer noch so aus, als ob ihn der geringste Windhauch fort wehen könnte, dachte Frenja besorgt.
Schüchtern lächelte er, als er sich der ganzen Aufmerksamkeit bewusst wurde. Die fünf anderen Jungen starrten ihn unverhohlen neugierig an. Ihr Vater lächelte und machte eine einladende Geste zum Tisch.
„Komm Arlyn, setze dich zu uns.“
Frenja sprang auf, holte rasch ein weiteres Gedeck, als sich Arlyn zögernd zwischen ihre Söhne setzte, die ihm bereitwillig Platz machten, nicht ohne ihn weiter offen zu mustern.
Frenja schmunzelte.
Der fremde Junge sah sehr verloren aus zwischen ihren hochgewachsenen, kräftigen Söhnen. Nur ihr Jüngster, der zwölfjährige Jiksan war kleiner aber er wirkte dennoch kräftiger, als Arlyn.
Frenja deutete nacheinander auf ihre Söhne, stellte sie Arlyn dabei vor.
„Das ist mein Ältester, Piju, dann Hunlan, mein Jüngster Jiksan und das sind Griksan und Klynda. Ihr könntet wohl in etwa im gleichen Alter sein“, vermutete sie.
Arlyns Blick huschte von einem zum anderen und die Jungen nickten ihm zu, wandten dann ihren Blick wieder zurück zum Essen. Nur Jiksan sah ihn herausfordernd an.
„Du hast mein Bett bekommen!“, sagte er vorwurfsvoll. Arlyn zuckte zusammen und sein Lächeln wurde unsicher, die großen Augen sahen den Jungen ängstlich an.
Frenja lachte.
„Dafür durfte er in die obere Jungenkammer umziehen. Damit hat er mir vorher ständig in den Ohren gelegen.“
Jiksan wandte sich an seine Mutter.
„Das war, bevor ich wusste, das Griksan nachts redet und Klynda schnarcht!“, empörte sich der Junge. Die anderen grinsten nur.
Jiksan sah wieder Arlyn herausfordernd an.
„Und du hast nachts auch oft so laut geschrien, dass ich davon auch aufgewacht bin“, warf er ihm vor.
Der fremde Junge lächelte ihn unsicher an und antwortete leise: „Das tut mir leid. Ich wollte dich bestimmt nicht wecken.“
„Naja, du hast wohl ganz schön schlecht geträumt?“, meinte der Kleine versöhnlich, sah plötzlich voller Verständnis zu dem fremden Jungen.
„Und so komische Sachen geredet“, fügte er noch hinzu. „Dass man dir nicht wehtun soll und so.“
Arlyn sah betreten aus, rutschte unruhig hin und her.
„Ich hatte letzten Sommer auch Fieber und habe dauernd Dämonen gesehen. Große haarige mit langen Klauen“, erklärte Jiksan. „Die haben mir auch ganz schön Angst gemacht.“
Griksan und Klynda verdrehten die Augen neben ihm.
„Aber du brauchst keine Angst mehr vor denen zu haben“, fügte Jiksan in kindlicher Naivität hinzu, rutschte dichter an Arlyn heran.
„Mein großer Bruder Piju hat mir damals gesagt, dass er jeden Dämon mit seinem Holzstab erschlagen wird, der sich mir nähert. Und das macht er bestimmt auch für dich, nicht Piju?“, fragte er seinen großen Bruder.
Piju brummte zustimmend, sah den fremden Jungen dann kurz an, senkte aber sofort wieder den Blick.
„Aber klar. Jeder Dämon hier bekommt es persönlich mit mir zu tun“, brummte er und Arlyn empfand sofort Sympathie für den großen, kräftigen Jungen.
Piju hatte rote Pausbacken und einen wilden Haarschopf, der ihm immer in die Augen fiel und ihn dazu brachte, sich bei jedem zweiten Satz, die Haare mit einem kleinen Ruck aus dem Gesicht zu werfen. Er blickte wieder kurz auf, senkte den Blick aber sofort, als er in Arlyns Augen sah.
„Aber klar doch. Du gehörst jetzt zur Familie. Wir passen schon auf dich auf“, brummte er nochmal bestätigend und zwinkerte Arlyn dann von unten verschwörerisch zu.
Die anderen lachten. Arlyns Lächeln vertiefte sich und seine türkisfarbenen Augen leuchteten regelrecht, wie Germon bemerkte. Anscheinend hatten seine Söhne den fremden Jungen schon in ihr Herz geschlossen.
Frenja schöpfte Arlyn den Teller voller Suppe, brach ihm dann ein großes Stück Brot ab.
„Hier, Arlyn, das wird dir gut tun. Damit kommst du rasch wieder zu Kräften. Wie ich sehe, hast du das neue Hemd gefunden? Es passt dir gut“, bemerkte sie.
Klynda gab ein Grunzen von sich: „Ist mein altes, aber ich brauche eh nicht mehr, weil ich raus gewachsen bin. Du bist klein genug, da passt es dir.“
Arlyn aß hungrig seine Suppe und brachte dazwischen nur undeutlich ein: „Danke.“, hervor.
Frenja wurde es warm ums Herz, als sie sah, wie herzlich ihre Söhne den anderen Jungen aufnahmen. Sie war stolz auf jeden von ihnen. Dieser ungewöhnliche Junge, Arlyn, mochte keine Vergangenheit haben, aber er hatte nun eine Zukunft. Hier bei ihnen, als Teil ihrer Familie.
Der Junge lag auf dem Boden, sein Gesicht und schmaler Körper halb im Laub vergraben, wirkte wie tot. Aber er atmete noch, wie der Bauer Germon rasch feststellte. Als er den Jungen ansprach, reagierte er nicht, erst als er ihn an der Schulter schüttelte, wandte der Junge ihm etwas das Gesicht zu, blickte ihn aus merkwürdig gefärbten Augen an. Seine Lippen waren stark geschwollen, seine Haut heiß und fiebrig.
Der Bauer Germon rief rasch seine zwei ältesten Söhne herbei, die mit ihm Holz sammelten und brachte den seltsamen Jungen auf seinem Karren zu seinem Hof.
Germons Frau Frenja sah erschrocken auf, als ihr Mann so unerwartet mit einem Jungen auf dem Arm ins Haus kam. Erleichtert stellte sie, nach ihrem ersten Schrecken, fest, dass es keiner ihrer Söhne war, kam aber sofort herbei, als sie die ernste Miene ihres Mannes sah.
„Ich habe ihn draußen im Wald gefunden. Sieht verletzt aus“, sagte er, als er den Jungen herein trug. Seine Frau sah den fremden Jungen erstaunt an.
„Er lag einfach so im Wald. Er hat wohl Fieber, so heiß, wie er sich anfühlt. Er ist mehr tot als lebendig“, erklärte Germon, als sie den Jungen nach oben brachten, ihn in das Bett eines ihrer eigenen Söhne legten.
Frenja zog ihn aus. Seine Kleidung war voll von Dornen und Ästen, er schien quer durch den Wald gerannt zu sein. Sein Hemd und seine Hose waren zerrissen, voller Dreck und Blut. Frenja sah ihn sich kurz an. Der Junge war stark abgemagert und hatte diverse Verletzungen am ganzen Körper. Er war nicht bei Bewusstsein, fieberte und murmelte immer wieder vor sich hin.
Germon brachte unterdessen warmes Wasser hoch und sah zu, wie seine Frau den schmalen Jungen wusch.
Unter dem ganzen Dreck kam eine ungewöhnlich sehr helle Haut hervor, die übersät war mit dunklen Malen, Blutergüssen und Striemen. Besonders am Rücken und Gesäß war er voller, schwarz verfärbter Blutergüsse und getrocknetem Blut. Sanft wusch Frenja das verklebte Haar und sog überrascht die Luft ein, als es dabei heller und heller wurde.
„Germon“, hauchte sie überrascht. „Hast du jemals eine solche Farbe gesehen?“
Ihr Mann schüttelte stumm den Kopf, starrte erstaunt auf das helle, kupfern schimmernde Haar. Betroffen schlug er sich die Hand vor den Mund, als seine Frau eine verkrustete Wunde am Kopf vorsichtig aus wusch
„Bei den Göttern! Was ist ihm nur zugestoßen?“, brach es aus ihm hervor.
„Vielleicht ist er den Sklavenfängern entwischt?“, vermutete seine Frau, ohne den Blick von dem seltsamen Jungen abzuwenden.
„Wir haben nichts gehört, dass sie wieder in der Gegend sind“, meinte Germon nachdenklich. „Ihr letzter Raubzug ist drei Jahre her.“
Fasziniert sah er auf den Jungen vor sich. Noch nie hatte er einen so schönen Jungen gesehen.
„Aber ich werde alle alarmieren. Wenn in der Nähe ein Hof überfallen wurde, wissen wir wenigstens, wo er herkommt und können seine Familie benachrichtigen“, meinte er, riss sich von dem Anblick los, warf aber beim Hinausgehen, noch einen Blick zurück.
Frenja betrachtete den fiebernden Jungen. Er war noch immer nicht bei Bewusstsein, warf sich aber in den Fieberschüben unruhig hin und her, stöhnte angstvoll auf. Kurze, leise Schreie lösten sich, wenn er mit fahrigen Händen abwehrend um sich schlug, sich gegen unsichtbare Dämonen wehrte. Vorsichtig nahm sie seine Hände, redete beruhigend auf ihn ein, während sie sie wieder hinab drückte.
Sie kühlte seine Stirn, flößte ihm, in den ruhigeren Phasen der Fieberträume, Weidenrindentee ein, der das Fieber senken würde.
Der Junge war mager, aber auch sonst nicht von sehr kräftigem Wuchs, erkannte sie. Ihre Söhne waren alle wesentlich breitschultriger, kräftiger, selbst ihr Jüngster. Seine hellen Haare waren absolut ungewöhnlich. Die meisten Menschen der umliegenden Hofe waren eher dunkelhaarig und eben kräftig gebaut. Ein so helles Rotblond hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Dieser Junge schien fremdartig, unglaublich zerbrechlich, so fragil. Sein schönes Gesicht war angespannt, voller tiefer Linien, die von erlittenem Schmerz kündeten. Seine vollen Lippen murmelten im Schlaf oder Fieber und wenn er die Augen aufschlug, blickte sie in diese merkwürdig türkisfarbene Augen.
Aber der Blick blieb leer. Der Junge nahm nichts wahr, blieb ganz und gar in seinen Fieberträumen gefangen.
Frenja betrachtete seine feinen Hände. Sie waren feingliedrig und ohne jede Schwiele. Der Junge war kein Bauer. Seine Hände hatten nie harte Arbeit verrichtet. Er konnte also kaum von einem der umliegenden Höfe stammen.
Aber woher dann? Die nächste Ansiedlung war ein kleines Dorf, zwei Tagesreisen entfernt, aber dort kannte sie alle Menschen und dieser Junge war zu ungewöhnlich, als dass sie ihn dort nicht gesehen hätte. Über ihn hätte man geredet.
Aber woher kam er dann? Alle anderen Ansiedlungen lagen so weit weg, dass er es kaum alleine bis hierher geschafft haben konnte.
Als Germon heim kam, erzählte sie von ihren Beobachtungen und ihren Vermutungen.
Auch ihr Mann hatte keine Erklärung. Kein Hof war in letzter Zeit überfallen worden. Niemand hatte Berichte von irgendwelchen Sklavenfängern in der Umgebung gehört.
Die Herkunft des Jungen würde also ein Geheimnis bleiben, bis er aus seinen Fieberträumen erwachte. Wenn er das Fieber überlebte, denn sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag.
Frenja war sich nicht sicher, ob er es schaffen würde. Er nahm kaum Flüssigkeit zu sich und das war so wichtig, wenn er den Kampf gegen den Fieberdämon gewinnen wollte. Sie saß oft an seinem Bett, kühlte ihm die Stirn, beruhigte ihn, wenn er schreiend um sich schlug. Seine Bewegungen wurden schwächer, sein Körper schien den Kampf gegen die fiebrigen Dämonen zu verlieren.
Aber der Junge kämpfte.
Nachts schreckten Germon und seine Familie oft hoch, wenn der Junge im Fiebertraum wieder gellend schrie oder hemmungslos weinte, dann eilte Frenja sofort zu ihm, beruhigte ihn, streichelte ihm über die helle Haut, bis er wieder in den Schlaf hinüber glitt. Dann scheuchte sie ihre Söhne wieder ins Bett, die immer hinzu kamen, mitleidig den unbekannten Jungen betrachteten.
Der ganze Hof nahm am Schicksal des Jungen aus dem Wald anteil. Germons Hof war groß genug, um Heimat für über zwanzig Menschen zu sein. Eine kleine Gemeinschaft, die durch alle Härten des Lebens auf dem Hof zusammen hielt, fern jeder anderen größeren Ansiedlung.
Der hellhäutige, zarte Junge aus dem Wald war bei allen Gesprächsthema geworden, seit dem Tag, an dem Germon ihn gefunden hatte. Die anderen Frauen sahen fast täglich nach ihm, halfen Frenja wo sie konnten bei ihren täglichen Arbeiten, damit sie sich ganz um den fiebernden Jungen kümmern konnte.
Ihre eigenen Jungen kamen neugierig täglich mehrfach vorbei, um zu sehen, ob er sich erholen würde. Brachten unaufgefordert warmes Wasser und frische Tücher hoch.
Mehr als eine Woche lang, lag der unbekannte rotblonde Junge in seinen Fieberträumen gefangen, dann wagte Frenja langsam zu hoffen. Das Fieber ging zurück und die Phasen tiefen Schlafes wurden länger, wenngleich der Junge auch dann unruhig war.
Frenja hatte ihn in solchen Phasen instinktiv die Hand auf die Schulter gelegt und er wurde ruhiger, entspannter. In den heftigsten Fieberphasen, wenn sein schmaler Körper sich hin und her warf, er voller dunkler Schmerzen und Fantasien stöhnte, nahm sie ihn wieder in den Arm, bis er sich beruhigte. Ab und an kam er jetzt zu sich, sah sie mit diesen türkisfarbenen Augen furchtsam an. Sie sprach leise mit ihm, beruhigte ihn, versicherte ihm, das er in Sicherheit war, bis er die Augen wieder schloss und zurück in den Schlaf sank.
Wenn er wach war, flößte sie ihm Wasser ein. Als die Phasen länger wurden, gab sie ihm löffelweise Brei und Suppe. Langsam, ganz langsam erholte er sich. Am Ende der zweiten Woche richtete er sich zum ersten Mal auf, als Frenja mit dem Essen den Raum betrat und ihn anlächelte. Voller Freude bemerkte sie, dass er ihr Lächeln schüchtern erwiderte.
„Oh wie schön! Es geht dir heute besser“, freute sie sich, trat an sein Bett und stopfte ihm die Kissen in den Rücken um es ihm leichter zu machen, aufrecht zu sitzen.
„Ist es so bequemer?“, fragte sie, sah das er vorsichtig nickte. Sie gab ihm löffelweise den Getreidebrei zu essen und beobachtet wie er gierig aß. Anscheinend war sein Appetit zurück gekehrt.
Germon betrat den Raum, staunte, wie sich der Junge verändert hatte.
Frisch gewaschenes, kurzes rotblondes Haar fiel ihm leicht ins Gesicht. Er wirkte nicht mehr so ausgemergelt wie an jenem Tag, als er ihn gefunden hatte, aber dennoch fragil, wie ein Mädchen.
Germon ertappte sich, wie er den Jungen eindringlich musterte, der so ganz anders aussah, als die Menschen hier auf dem Hof oder der näheren Umgebung.
Unter den Frauen des Hofes ging schon länger das Gerücht, er würde aus der Welt der Götter stammen, wäre sogar ein Sohn der Götter. Vielleicht war er von ihnen verstoßen worden, oder man hatte ihn geraubt und er war geflohen.
Germon musste zugeben, dass seine ungewöhnliche Erscheinung schon einen solchen Verdacht nahe legte.
Er war sehr zart gebaut, hatte eine schmale, fast mädchenhafte Taille. Sein Gesicht war von diesen großen, türkisfarbenen Augen geprägt, in denen ein leicht gehetzter Ausdruck stand. Lange, dichte Wimpern überschatteten diesen Blick und volle, geschwungene Lippen umrahmten einen schüchtern lächelnden Mund ein, als sich Germon ans Bett setzte und den Jungen verzückt betrachtete.
Er war unglaublich schön. Germon staunte, denn so etwas würde man eher bei einem Mädchen erwarten, aber dieser Junge strahlte eine ganz besondere Art von Anziehung aus. Kein Wunder das sich alle Frauen überschlugen, ihm zu helfen.
„Sieh nur, es geht ihm heute schon deutlich besser“, wandte sich Frenja freudig an ihrem Mann, strich dem Jungen durch die weichen Haare.
„Kannst du uns schon sagen, was passiert ist, Junge?“, fragte Germon, wurde aber von seiner Frau unterbrochen.
„Lass ihn Germon. Er ist gerade erst am Aufwachen. Das ist mein Mann, Germon“, stellte Frenja ihn vor. „Er und meine Söhne haben dich im Wald gefunden.“
Aber dann war sie doch selber zu neugierig, um noch länger zu warten.
„Kannst du uns denn sagen, wie du heißt, Junge?“, fragte sie ihn leise.
Der Junge sah sie für einen kurzen Moment mit offenen Mund an, blickte verwirrt, schien erst lange in seinen Erinnerungen suchen zu müssen. Er sah dabei recht erschrocken aus. Mit brüchiger Stimme sagte er langsam, als ob er jedes Wort erst suchen müsste: „Ich weiß nicht. Ich erinnere mich nicht. Ich bin mir nicht sicher... “
Er pausierte und sah die beiden fragend an. Zögernd senkte er den Blick. Dann flüsterte er erst sehr leise, dann sicherer werdend: „Arlyn. Mein Name ist Arlyn.“
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, wich gleich darauf aber wieder einem erschreckten Ausdruck.
„Aber an mehr kann ich mich nicht erinnern. Da ist nichts. Alles ganz schwarz“, flüsterte er, schloss gequält die Augen.
Frenja zog ihn an sich, nahm ihn in die Arme, streichelte über seinen Rücken.
„Keine Angst. Das kommt wieder. Du bist in Sicherheit. Was auch immer du erlebt hast, es kann warten, bis es dir so gut geht, dass du dich erinnern willst. Arlyn“, munterte sie ihn auf. „Was für ein schöner Name.“
Arlyn sah sie unsicher an, genoss ihre Nähe und Zärtlichkeit, die er in sich aufnahm, wie die Nahrung, die sie ihm brachte. Er erinnerte sich an nichts. Nur an diesen Namen. Grübelnd kämpfte er gegen das Dunkel seiner Erinnerung an, bis er wieder in den Schlaf versank, der zwar mit Albträumen durchsetzt war, aber ihre Worte umhüllten ihn schützend: „Du bist in Sicherheit.“
Mehrere Tage brauchte Arlyn noch, bis er länger als einige Minuten aufrecht sitzen konnte. Frenja drang in der ganzen Zeit nicht weiter auf ihn ein.
Germon besuchte ihn regelmäßig. Auch seine Söhne schauten nun immer öfters mal herein, vor allem, weil sie neugierig waren und alle Anderen vom Hof ihnen ständig Fragen zu dem fremden Jungen stellten, die sie nicht beantworten konnten.
Germon brachte seiner Frau heißes Wasser hoch und sah, dass der Junge aufrecht saß und bei vollem Bewusstsein war.
„Wie geht es dir heute, mein Junge?“, fragte er und lächelte seinen Gast an.
„Besser, mein Herr, dank eurer Hilfe“, erwiderte Arlyn schüchtern und sah ihn direkt an. Germon konnte den Blick kaum von diesen türkisfarbenen Augen lösen.
„Eure Frau sagte mir, dass ihr und eure Söhne mich im Wald gefunden haben?“, fügte Arlyn nach einer Pause hinzu.
„Das stimmt. Du warst mehr tot als lebendig und hattest diverse Verletzungen. Kannst du dich jetzt daran erinnern?“, fragte Germon neugierig, denn diese Fragen waren natürlich Anlass zu Spekulationen gewesen, seit auf dem Hof bekannt wurde, dass er diesen Jungen im Wald gefunden hatte.
Der Junge zögerte, sah sehr in sich gekehrt aus, als er leise antwortete: „Ich weiß es nicht, mein Herr. Ich erinnere mich an nichts. Nur an meinen Namen.“
Er machte eine Pause und sah Germon wieder mit diesen fantastisch türkisfarbenen Augen an. Mühsam senkte der den Blick, seufzte innerlich. Was auch immer der Junge erlebt hatte, es musste ihn so stark geprägt haben, dass er sich nicht erinnern konnte, oder wollte. Nun, dachte Germon, Zeit heilt bekanntlich alle Wunden.
„Es ist nicht wichtig, Arlyn“, sagte er daher. „Du kannst hier bei uns bleiben. Deine Erinnerungen werden irgendwann zurück kehren.“
Zwei Wochen nachdem Arlyn den Fieberdämonen entkommen war, fühlte er sich endlich kräftig genug und folgte Frenjas Einladung, zum Abendbrot hinunter in die Küche zu kommen.
Die ganze Familie saß an dem großen Holztisch, als er langsam die Treppe herab kam und ihre Stimmen verstummten, als sich alle Augen auf den fremden Jungen richteten.
Er sieht immer noch so aus, als ob ihn der geringste Windhauch fort wehen könnte, dachte Frenja besorgt.
Schüchtern lächelte er, als er sich der ganzen Aufmerksamkeit bewusst wurde. Die fünf anderen Jungen starrten ihn unverhohlen neugierig an. Ihr Vater lächelte und machte eine einladende Geste zum Tisch.
„Komm Arlyn, setze dich zu uns.“
Frenja sprang auf, holte rasch ein weiteres Gedeck, als sich Arlyn zögernd zwischen ihre Söhne setzte, die ihm bereitwillig Platz machten, nicht ohne ihn weiter offen zu mustern.
Frenja schmunzelte.
Der fremde Junge sah sehr verloren aus zwischen ihren hochgewachsenen, kräftigen Söhnen. Nur ihr Jüngster, der zwölfjährige Jiksan war kleiner aber er wirkte dennoch kräftiger, als Arlyn.
Frenja deutete nacheinander auf ihre Söhne, stellte sie Arlyn dabei vor.
„Das ist mein Ältester, Piju, dann Hunlan, mein Jüngster Jiksan und das sind Griksan und Klynda. Ihr könntet wohl in etwa im gleichen Alter sein“, vermutete sie.
Arlyns Blick huschte von einem zum anderen und die Jungen nickten ihm zu, wandten dann ihren Blick wieder zurück zum Essen. Nur Jiksan sah ihn herausfordernd an.
„Du hast mein Bett bekommen!“, sagte er vorwurfsvoll. Arlyn zuckte zusammen und sein Lächeln wurde unsicher, die großen Augen sahen den Jungen ängstlich an.
Frenja lachte.
„Dafür durfte er in die obere Jungenkammer umziehen. Damit hat er mir vorher ständig in den Ohren gelegen.“
Jiksan wandte sich an seine Mutter.
„Das war, bevor ich wusste, das Griksan nachts redet und Klynda schnarcht!“, empörte sich der Junge. Die anderen grinsten nur.
Jiksan sah wieder Arlyn herausfordernd an.
„Und du hast nachts auch oft so laut geschrien, dass ich davon auch aufgewacht bin“, warf er ihm vor.
Der fremde Junge lächelte ihn unsicher an und antwortete leise: „Das tut mir leid. Ich wollte dich bestimmt nicht wecken.“
„Naja, du hast wohl ganz schön schlecht geträumt?“, meinte der Kleine versöhnlich, sah plötzlich voller Verständnis zu dem fremden Jungen.
„Und so komische Sachen geredet“, fügte er noch hinzu. „Dass man dir nicht wehtun soll und so.“
Arlyn sah betreten aus, rutschte unruhig hin und her.
„Ich hatte letzten Sommer auch Fieber und habe dauernd Dämonen gesehen. Große haarige mit langen Klauen“, erklärte Jiksan. „Die haben mir auch ganz schön Angst gemacht.“
Griksan und Klynda verdrehten die Augen neben ihm.
„Aber du brauchst keine Angst mehr vor denen zu haben“, fügte Jiksan in kindlicher Naivität hinzu, rutschte dichter an Arlyn heran.
„Mein großer Bruder Piju hat mir damals gesagt, dass er jeden Dämon mit seinem Holzstab erschlagen wird, der sich mir nähert. Und das macht er bestimmt auch für dich, nicht Piju?“, fragte er seinen großen Bruder.
Piju brummte zustimmend, sah den fremden Jungen dann kurz an, senkte aber sofort wieder den Blick.
„Aber klar. Jeder Dämon hier bekommt es persönlich mit mir zu tun“, brummte er und Arlyn empfand sofort Sympathie für den großen, kräftigen Jungen.
Piju hatte rote Pausbacken und einen wilden Haarschopf, der ihm immer in die Augen fiel und ihn dazu brachte, sich bei jedem zweiten Satz, die Haare mit einem kleinen Ruck aus dem Gesicht zu werfen. Er blickte wieder kurz auf, senkte den Blick aber sofort, als er in Arlyns Augen sah.
„Aber klar doch. Du gehörst jetzt zur Familie. Wir passen schon auf dich auf“, brummte er nochmal bestätigend und zwinkerte Arlyn dann von unten verschwörerisch zu.
Die anderen lachten. Arlyns Lächeln vertiefte sich und seine türkisfarbenen Augen leuchteten regelrecht, wie Germon bemerkte. Anscheinend hatten seine Söhne den fremden Jungen schon in ihr Herz geschlossen.
Frenja schöpfte Arlyn den Teller voller Suppe, brach ihm dann ein großes Stück Brot ab.
„Hier, Arlyn, das wird dir gut tun. Damit kommst du rasch wieder zu Kräften. Wie ich sehe, hast du das neue Hemd gefunden? Es passt dir gut“, bemerkte sie.
Klynda gab ein Grunzen von sich: „Ist mein altes, aber ich brauche eh nicht mehr, weil ich raus gewachsen bin. Du bist klein genug, da passt es dir.“
Arlyn aß hungrig seine Suppe und brachte dazwischen nur undeutlich ein: „Danke.“, hervor.
Frenja wurde es warm ums Herz, als sie sah, wie herzlich ihre Söhne den anderen Jungen aufnahmen. Sie war stolz auf jeden von ihnen. Dieser ungewöhnliche Junge, Arlyn, mochte keine Vergangenheit haben, aber er hatte nun eine Zukunft. Hier bei ihnen, als Teil ihrer Familie.