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Begabung

By: RihaijdeRih
folder German › Originals
Rating: Adult +
Chapters: 11
Views: 4,621
Reviews: 24
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Disclaimer: This is a work of fiction. Any resemblance of characters to actual persons, living or dead, is purely coincidental. The Author holds exclusive rights to this work. Unauthorized duplication or commercial use is prohibited
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Winterzeit

Pijus Atem ging laut und rasselnd, als er mit der Hacke wieder ausholte und erneut auf das Eis einschlug. In der kalten Luft stieg ihr Atem in rauchigen Wolken auf.
„Noch ein bisschen, Piju. Ich kann das Wasser schon fast sehen!“
Jiksan hockte neben dem Loch, duckte sich immer, wenn die Hacke Eissplitter umher fliegen ließ.
Arlyn zog fröstelnd den Pelz enger um sich. Er stand etwas abseits, vor sich die Eimer stehen, mit denen sie das Wasser aus dem zugefrorenen Bach holen wollte.
Immer wieder bewegte Arlyn seine Finger unter seiner Felljacke und dem dicken Pelz, den er wie einen Umgang trug. Er hatte seine frierenden Hände tief hinein geschoben. Im Winter war ihm eigentlich fast immer kalt, wenn sie draußen waren. Vor allen hier, wo der eisige Wind sie erreichen konnte.
Frenja schimpfte immer mit ihm, dass er einfach zu dünn war und nicht wirklich Fett ansetzte, welches ihn wohl bei diesen Temperaturen wärmer halten würde. So brauchte er immer ein Fell mehr als alle Anderen und trotzdem fror eigentlich die ganze Zeit. Sie hatte ihm schon besonders dicke Schuhe aus Fell genäht.

Vor ihm fluchte Piju auf den Winter, die Kälte und das hartnäckige Eis im Besonderen, welches ihm so einen Widerstand entgegen setzte. Jiksan lachte nur, feuerte seinen Brüder noch mehr an.
Es hatte in der letzten Nacht so stark gefroren, das das Loch in der Eisdecke, welches sie erst gestern mühsam eröffnet hatte, beinahe vollständig wieder mit einer dicken Schicht Eis zugefroren war.

Arlyn beobachtete Piju dabei, wie er wieder Schwung holte und die Hacke erneut krachend auf das Eis niederfahren ließ. Es war mühsam jetzt genug Wasser für die Tiere und die Menschen zu bekommen. Im Winter war alles mühsam. Der kräftige junge Mann strahlte soviel Stärke aus, was wohl auch ein Grund war, warum ihn Arlyn bewunderte und sich zu ihm hingezogen fühlte. In Pijus Nähe schien ihm nichts und niemand etwas anhaben zu können.

„Na, also“, gab Piju endlich zufrieden von sich. „Ich bin durch.“
Jiksan stieß ein freudiges Geheul aus.
Der große Mann hieb noch ein paar Mal auf das Loch im Eis ein, bis es groß genug war, dass sie die Eimer hinein tauchen konnten.
„Arlyn, gibst du mir mal die Schaufel?“, forderte Piju ihn auf. Er lächelte zu ihm herüber.
„Ist dir wieder so kalt?“, fragte er besorgt nach, als er dessen blaugefrorene Lippen sah. Arlyn nickte, beeilte sich, ihm die Schaufel zu geben. Seine Zähne klapperten leise. Er sollte sich mehr bewegen, dann würde ihm vielleicht wieder warm werden. Die Zehen fühlten sich schon ganz taub an. Piju sah ihn nachdenklich an, zog sich dann entschlossen seine Pelzjacke aus und legte ich um die Schultern des Kleineren.
„Aber dann wird dir gleich kalt werden“, warf Arlyn protestierend ein.
„Mir ist warm genug“, sagte Piju, drückte Arlyn ganz kurz an sich lächelte ihn an. „Hauptsache, dir ist warm.“
Damit ließ er ihn abrupt los, wandte sich wieder dem Loch zu.

Piju wuchtete mit der Schaufel die störenden Eisklumpen aus dem Loch. Schließlich war es frei genug und Arlyn trat mit dem Eimer vor.
Hinter ihnen schnaufte das Pferd ungeduldig. Vermutlich ist ihr auch so kalt, wie mir, dachte sich Arlyn, als er die braune Stute beobachtete, die an ein paar trockenen Zweigen knabberte.

Gemeinsam wuchteten die drei dann die Eimer voller Wasser aus dem Loch und in das große Fass auf dem Wagen.
Keuchend schleppte Arlyn Eimer um Eimer. Seine Arme schmerzten schon bald unter der Last des Wassers, aber er biss die Zähne zusammen, machte einfach weiter. Wenigstens wurde ihm nun wieder warm und er gab dankbar den Pelz an Piju zurück. Aber er war am Ende seiner Kräfte, als sie das Fass endlich voll genug hatten. Sein Rücken schmerzte von der Anstrengung.
Jiksan half ihm lächelnd mit den Eimern, als er stolperte und das Wasser fast verschüttet hätte. Beinahe neidisch beobachtete Arlyn, wie leicht den beiden Brüdern die Arbeit von der Hand zu gehen schien. Sie waren so viel kräftiger als er. Immer kam er sich so nutzlos vor.
„Geh du schon mal zum Wagen“, sagte Piju lächelnd, der seinen unglücklichen Blick bemerkt hatte. „Kümmere dich ums Pferd, den Rest machen wir hier schon, Arlyn.“
Dankbar lächelte der ihn an. Piju schien immer zu wissen, wie es in ihm aussah.
Erschöpft ging er nach vorne zu der Kaltblutstute die nun unruhig mit den Hufen scharrte.

„Ruhig. Es geht gleich los“, beruhigte er das Pferd, strich ihr über den Hals. Sie schnaubte, stieß weiße Dampfwolken aus. Der kondensierende Atem legte sich als Raureif an ihren Barthaaren an. An ihrem langen Beinbehang hatten sich Eisklumpen gebildet. Seit Wochen war es so kalt und ein Ende des Winters war noch nicht anzusehen.
Langsam beruhigte sich Arlyns Atem wieder, während die Brüder Eimer um Eimer an Wasser heran schleppten. Aber leider pirschte sich auch die Kälte wieder heran.
Als sie endlich fertig waren, gingen sie neben dem Pferdewagen zurück zum Hof. Rasch holte Arlyn die Kälte wieder ein, drang durch die Sohle seiner Stiefel, kroch heimtückisch unter den warmen Pelz, ließ ihn wieder frösteln, aber er sagte nichts. Zitternd drückte er sich möglichst nahe an den warmen Leib des Pferdes.

Jiksan eilte vorweg, öffnete ihnen das Scheunentor, damit der Wagen passieren konnte.
„Wir kümmern uns ums Wasser, versorge du mal das Pferd“, brummte Piju zu Arlyn.
Erleichtert, von der schweren Arbeit ausgenommen zu werden, löste der sofort die Zugstränge, schirrte das Pferd ab und ging dann neben der Stute zum Stall hinüber. Als er sie versorgt hatte und zurück kam, hatten die zwei Brüder schon einen großen Teil des Wassers an das Vieh verteilt, waren dabei, das Wasser ins Haus zu schleppen. Als Arlyn wieder mit anfassen wollte hielt ihn Piju lächelnd davon ab, ergriff sanft seinen Arm und hielt ihn zurück.
„Lass mal, dass kriegen wir schon zu zweit hin, Arlyn. Du kannst ja schon mal Heu verteilen, bis wir fertig sind. Dann können wir alle bald ins Warme.“
Arlyn nickte, machte sich dankbar an die Arbeit. Er liebte den Geruch des Heus, das Mahlen der Zähne um ihn her, das zufriedene Schmatzen. Der Stall war sein Bereich, unter den Tieren fühlte er sich sicher. Draußen hatte er so oft da Gefühl, er würde beobachtet werden, etwas würde beständig nach ihm suchen. Aber wann immer er sich umdrehte, in das Gebüsch um sich blickte, versuchte die Augen, die er nach sich suchen fühlte zu erspähen, war da nichts.

Bald schon hatte er alle Tiere gefüttert, stand in der Stallgasse und lauschte den zufriedenen Geräuschen um sich her.
„Fertig?“, klang hinter ihm die Stimme von Piju. Er wandte sich um, lächelte den großen, jungen Mann an und nickte.
„Jiksan ist schon reingegangen“, brummte Piju, stellte sich neben Arlyn, so dass der zu ihm aufsehen musste.
„Ist dir noch so kalt?“, fragte er besorgt nach, musterte ihn genau.
„Es ist besser“, antwortete Arlyn. „Aber es ist immer so furchtbar kalt am Bach, weil der Wind so scharf herüber weht.. Ich friere jedes Mal so durch.“
„Du brauchst noch einen Pelz mehr “, stellte Piju fest, sah zu ihm hinab. „Du bist so dünn, da kühlt der Wind dich zu schnell aus.“
Zögernd streckte er die Hand nach Arlyn aus, legte ihm den Arm vorsichtig um die Schultern. Er bewegte sich so langsam, als ob er Angst hätte, ihn zu zerbrechen. Arlyn versteifte sich ganz kurz, als der Arm ihn berührte, aber es war okay, wenn Piju ihm so den Arm umlegte. Er war ja sein Bruder.

„Soll ich dich mal etwas wärmen?“, fragte der nach, leckte sich nervös über die Lippen, aber er zog ihn sanft an sich, schloss ihn dann ganz in seine Arme ein.
Arlyn sah zu ihm auf, sah aber nur eine ehrliche Besorgnis in dem gutmütigen Gesicht und ließ es zu, das ihn der Andere so dicht an sich zog, auch wenn in ihm etwas sich kurz dagegen sträuben wollte. Bei Piju hatte er keine Angst, solche Berührungen zuzulassen. Er vertraute ihm völlig, also entspannte er sich wieder.

„Besser so?“, fragte Piju nach, seine Stimme klang etwas belegt. Arlyn drückte sich dichter an ihn, genoss die Wärme und das Gefühl der starken Arme um ihn.
„Viel besser“, flüsterte Arlyn, etwas überrascht, wie angenehm ihm diese enge Umarmung nun doch war.
Eine ganze Weile standen sie so da. Pijus Atem hatte sich leicht beschleunigt, als sich Arlyn bewusst dichter an ihn kuschelte. Er leckte sich immer wieder nervös die Lippen, unsicher, was er tun wollte, aber wie unter Zwang löste er eine Hand und strich damit durch Arlyns rotblonde Haare.

„Dein Haar ist so weich“, sagte er leise, bewundernd, strich wieder rund wieder hindurch.
Arlyn sah zu ihm auf, lächelte ihn an.
„Wie ein Fuchsfell?“, fragte er amüsiert nach und Piju nickte.
„Ja, aber viel feiner. Viel...“, er zögerte einen Moment, „Viel schöner.“
Pijus Hand strich wieder und wieder darüber und Arlyn empfand seine Berührung als überaus angenehm. Fragend sah er zu dem Anderen auf. Piju sah ihn lächelnd an, wirkte aber sehr unsicher. Seine linke Hand glitt durch seine Haar tiefer, berührte dann zart seine Wange und fuhr sanft darüber.
„Auch deine Haut ist so weich, Arlyn“, flüsterte er, die Stimme etwas rau. „Du bist so weich überall. Ganz anders, als alle Anderen.“

Unsicher sah ihn Arlyn an. Etwas war anders in Pijus Stimme, eine Zärtlichkeit, die er sonst nicht darin hatte. Sonst war er meistens brummig, kurz angebunden, aber nun sah er mit einem überaus liebevollen Blick auf ihn herab. Arlyn schluckte unruhig, merkte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und fühlte auch, wie Pijus Herz schneller schlug. Es war eine sehr merkwürdige, unbekannte Stimmung zwischen ihnen, die ihn durchaus leicht ängstigte, weil er mit ihr nichts anzufangen wusste.

Es war Piju, der sich schließlich beinahe ruckartig von ihm löste und sichtlich verlegen wirkte. Arlyn wusste ebenfalls nicht, was er sagen sollte. Es war ihm nicht unangenehm gewesen, so von dem anderen Mann gehalten zu werden, nur ungewohnt und Piju schien ihm merkwürdig in seinem Verhalten. Er war rot geworden, wischte sich nun seine Hände unruhig an seiner Pelzjacke ab.
„Wir sollten besser reingehen“, meinte er, ohne Arlyn anzusehen. „Es gibt gleich essen.“
Schweigend gingen sie nebeneinander zum Haus zurück, wo sie schon erwartet wurden.

Spät abends saßen sie alle am Kamin und lauschten der rauchigen Stimme der Geschichtenerzählerin. An den Winterabenden war das die Unterhaltung an Germonshof, wenn die Sonne früh unterging und die schwarze, kalte Nacht heran kroch. Die alte Minara kannte alle Geschichten und Legenden und erzählte sie immer wieder gerne ihren jungen Zuhörern. Die Erwachsenen saßen daneben, die Frauen oft in ihre Näharbeiten versunken und lauschten ihrer Stimme.
Arlyn saß recht dicht am Feuer, seine Aufmerksamkeit halb auf das Lederzeug gerichtet, welches er reparierte. Er hatte ihre Geschichten nun auch schon oft gehört, aber sie faszinierten ihn ebenso wie die Anderen, denn es war ihre einzige Informationsquelle über die Welt außerhalb des Hofes.

„Fern im Norden, wo unsere Welt endet, beginnt die Welt der Götter“, sagte Minara mit leiser Stimme, blickte wohlwollend über die Gesichter vor sich, die ihr aufmerksam lauschten. „Eine Welt aus Inseln. Große, kleine, voller Felsen und dichter, geheimnisvoller Wälder, die für jeden Mensch, der sie ungefragt betritt, zur tödlichen Gefahr werden können. Unbekannte Gefahren lauern in diesen Wälder, deren Bäume selber leben, Augen und Ohren haben. Nur wer den Göttern wohlgesonnen ist, darf sie betreten.“
Sie rückte ihren Schal zurecht, schob sich etwas dichter an das Feuer heran.
„Aber sie gewähren nur ganz besonderen Menschen Zugang zu ihrer Welt. Meistens leben sie fern von uns und wir wissen nicht viel von ihnen.“
Sie befeuchtete ihre trockenen Lippen.
„Die Götter beobachten uns aber, wachen über uns von ihren Inseln aus. Sie sehen alles, was wir tun, sie sehen bis tief in unsere Herzen. Also sei auf der Hut, wenn du das nächste Mal stibitzen gehst, Jiksan!“
Sie hob drohend einen Zeigefinger in seine Richtung, der nur lachend hinter seinem Bruder Klynda Deckung suchte.
„Hier sehen mich die Götter bestimmt nicht“, wagte er hinter dessen Rücken hervor zu rufen.

„Oh doch!“, lächelte die alte Frau. „Die Götter sehen alles.“
„Aber wenn sie doch auf ihren Inseln sind“, warf Larin, eins der kleineren Mädchen ein. „Wie sollen sie denn sehen, wenn Jiksan etwas verbotenes macht, Minara?“
„Die Götter sehen mit ihrem Herz. Sie sind unglaublich mächtig, kleine Larin. Sie verfügen über Magie jenseits unseren Vorstellungskraft. Mit dieser Magie können sie das Meer austrocknen und ganze Wälder verbrennen, aber sie nutzen ihre Macht nicht zum Bösen. Ihre Aufgabe ist es, über uns zu wachen, sicher zu stellen, dass wir Menschen den rechten Weg gehen und nicht dem Bösen verfallen.“
Sie sah wieder über die Reihe ihrer Zuhörer.

„Die Götter prüfen uns fortwährend. Sie schauen in unsere Herzen und erkennen, was wir wirklich sind. Und wenn sie nicht sicher sind, ob wir noch auf dem Weg ins Licht sind, dann entsenden sie einen der ihren uns zu testen. Sie schicken einen ihrer Söhne unter uns, der ihnen berichtet, wer wird sind, wie es in unseren Herzen aussieht.“
Sie nahm einen großen Schluck ihres Tees, wischte sich einen Tropfen von der Lippe ehe sie fort fuhr.
„Natürlich werden wir den Sohn der Götter nicht erkennen, denn er wird eher wie ein Mensch aussehen. Unerkannt wird er unter uns wandeln und unsere Reinheit sehen. Nur wenn wir würdig genug sind, werden die Götter uns nicht strafen. Aber wenn wir versagen, wenn wir den falschen Weg gehen, dann wird ihre Rache fürchterlich sein. Die Götter können unsere Welt zerstören, uns alles nehmen, jeden Baum, jeden Strauch, jedes Tier vernichten, wenn wir ihre Gunst verlieren. Also denkt daran was ihr tut, weicht nie vom Weg des Lichtes ab.“

Lächelnd sah sie sich um, nickte unmerklich Frenja und den anderen Frauen zu. Unzählige Male hatten sie alle die Legende der Götter gehört, die den Kindern den richtigen weg weisen sollte.
„Aber wie sehen sie denn aus?“, fragte ein Junge, der an einem Holzstück schnitzte. „Anders als wir? Aber wie?“
„Es gibt nur wenige Menschen, die jemals einen der Götter gesehen haben“, nickte die alte Frau. „Sie sind anders als wir. Viel zarter, viel feiner als ein Mensch gebaut, so als ob sie nur aus Luft und Licht bestehen würden. Ihre Haut ist so weiß, als ob das Licht aus ihnen strahlen würde, direkt durch die Haut zu leuchten scheint. Sie sind so zerbrechlich, das jeder Windhauch sie fort wehen könnte. Alles an ihnen ist fein und leicht. Ihre Haare sind golden und fein, leuchten in einem sanften Kupferton, der jedes unreine Herz blenden muss, wenn er einen von ihnen sieht.“
Sie holte Luft und ihr Blick blieb einen winzigen Moment lang an Arlyns, auf seine Arbeit konzentriertem Gesicht, hängen.
„Ihre Augen sind wie das Meer, tieflblau und ebenso unergründlich. Wer zu tief hineinsieht, wird darin versinken und ertrinken, als ob er in blaues Wasser gefallen wäre.“
„Das klingt wunderschön“, sagte Larin verträumt. „Ich wünschte, ich würde mal einen von ihnen sehen können.“
„Nur die mit reinem Herzen können sie so sehen“, lächelte Mirana. „Wer einmal einen Blick auf ihre Schönheit geworfen hat, wird ihr auf ewig verfallen sein. Aber ihre Schönheit ist nicht für uns bestimmt. „

„Mirana?“, fragte die Stimme eines anderen Mädchens, Grilda nach. „Wenn die Götter zu uns kommen, dann sehen wir sie als Mensch, oder? Sehen die Götter dann so aus wie Arlyn?“
Arlyns Kopf ruckte hoch bei ihren Worten. Überrascht starrte er sie an. Miranas graue Augen wanderten zu ihm und auch die Anderen sahen ihn plötzlich prüfend an. Unruhig rutschte er hin und her, wusste nicht, was er mit der plötzlichen Aufmerksamkeit anfangen sollte.
Die alte Geschichtenerzählerin zögerte.
„Schon möglich, Grilda“, sagte sie langsam. „Wenn die Götter uns ihren Sohn senden, dann könnte er schon so aussehen, wie Arlyn.“
Sie lächelte nachsichtig, wandte sich dem Mädchen zu.
„Aber er ist nur ein Junge aus dem Wald, Kleine. Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut den die Götter mit diesem Aussehen gesegnet haben.“

Sie fuhr mit ihren Geschichten fort aber Arlyn hörte nicht mehr zu. Er wusste, dass es erfundene Geschichten waren. Sache, die man den Kindern erzählte, um sie auf den rechten Weg zu bringen, sie Gut von Böse unterscheiden zu lassen, aber dennoch hatten ihre Worte ihn etwas verstört. Er war anders. Er wusste es, spürte es jeden Tag und nach wie vor konnte er sich an nichts erinnern, was vor seiner Zeit hier geschehen war. Natürlich war er keiner dieser sagenhaften Götter voller macht und Magie, wie die alte Frau erzählte. Aber er war irgendwie anders, dass war ihm jeden Tag bewusst, den er unter ihnen lebte.

Als sie Abends in ihren Betten lagen, wollte der Schlaf nicht so recht kommen. Arlyn wickelte sich enger in seine Decken ein. Ein warmer Stein, eingehüllt in mehrere Lagen Leinen lag zu seinen Füßen, sorgte für angenehme Wärme unter den Decken und Fellen.
„Kannst du nicht schlafen?“, kam es aus dem Bett neben ihm, wo Jiksan schlief.
„Nein“, antwortete Arlyn. „Ich muss immer an die Worte von Mirana denken. Sehe ich wirklich so aus?“
Er zögerte, richtete sich dann etwas auf und starrte in die Dunkelheit wo Jiksan lag.
„Wie ein Sohn der Götter?“
Jiksan schien unterdrückt zu lachen.
„Naja“, meinte er schläfrig. „Du siehst schon anders aus, denke ich. Deshalb sieht dich Piju auch immer so an.“
„Ansehen? Wie sieht er mich denn an?“, fragte Arlyn verblüfft nach.
Jiksan schien schon fast zu schlafen. Er brauchte ein paar Augenblicke, bis er antwortete.
„Na, er sieht dich ein bisschen so an, wie Martes von der Mühle die Hirda ansieht. Du weißt schon, das dicke Mädchen mit der er am Erntefest die Bindung eingehen will. Sie sitzen immer knutschend irgendwo rum.“
„Piju sieht mich doch nicht so an“, sagte Arlyn empört.
„Doch. Ein bisschen schon“, murmelte Jiksan schon fast schlafend. „Er mag dich eben besonders gerne.“

Kurze Zeit später waren nur noch ruhige Atemzüge vom Bett zu hören und Arlyn rollte sich wieder verwirrt in seine Decken zurück. Piju sah ihn so an? Was hatte das zu bedeuten? Warum sollte ihn Piju so ansehen? Sie waren doch nur gute Freunde.
Er streckte seine Beine aus, fühlte die Hitze des Steins und schob sich dichter heran. Er fühlte erneut Pijus feste Arme um sich, das Gefühl von Wärme und Geborgenheit in ihnen. Es war schön gewesen, von ihm so im Arm gehalten zu werden.
Es war auch ein gutes Gefühl, wenn Piju ihn so ansah, dachte Arlyn versonnen, bevor er endlich einschlief.
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