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Just Fine

By: dime
folder German › Harry Potter
Rating: Adult +
Chapters: 1
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Reviews: 3
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Disclaimer: I do not own the Harry Potter book and movie series, nor any of the characters from it. I do not make any money from the writing of this story.

Just Fine

Inspiriert durch: Graf von Monte Christo, Sleepers; und: Beispielsätze in ...
...Pragmatik! "It would be inadequate to answer the question 'How did Harry fare in court today?' with ‚Harry got fined‘ in a case where Harry had to pay a fine but was also sentenced to death."
-Well, make it Azkaban instead of death, and what you get might be something like this...
Was wäre passiert, wenn Harry in der Kammer zu spät gekommen wäre? Wenn Ginny unrettbar verloren, Fawkes nie erschienen wäre? Wenn Harry dem Basilisken nie begegnet wäre, sondern Riddle im Moment seiner Auferstehung getötet hätte? ...

Das hier war ein ziemlich spontaner Einfall und ich bin mir bei der ganzen Sache etwas unsicher. Bitte lasst mich wissen, was ihr davon haltet (auch wenn es 'nicht viel' ist...)
Danke!



-Just Fine-
Tochter von Azkaban


1.Prolog

Mrs. Weasley,

Sie haben sieben wundervolle Kinder großgezogen. Ich habe vollstes Vertrauen, dass Sie auch meiner Tochter Sarah eine gute Mutter sein können. Sie müssen jedoch wissen, dass sie kein Kind aus einer glücklichen Beziehung ist. Sarah wurde vor zwei Tagen in Azkaban geboren. Seitdem befinden wir uns auf der Flucht. Ich kann ihr weder Milch noch ein Bett bieten.

Nun, da Sie diese Fakten kennen, kann ich es verstehen, sollten Sie es ablehnen, meine Sarah bei sich aufzunehmen. Wenn Sie glauben, ihr dennoch eine Mutter sein zu können, heißen Sie Sarah bitte formell willkommen. Wenn Sie die Pflege der Tochter eines ausgebrochenen Straftäters nicht übernehmen wollen, sagen Sie bitte auch das deutlich- ich werde es wissen und Sarah abholen kommen.

Noch ein letztes Wort: Sie dürfen niemandem erzählen, woher Sarah kommt. Ehrlich gesagt können Sie es auch nicht: Es liegt ein Geheimniszauber auf diesem Brief, der sich aktiviert, sobald Sie die Verantwortung für meine Tochter übernehmen. Ich entschuldige mich für diesen Beweis schwachen Vertrauens, doch ich möchte nicht, dass meine Sarah wie ich als Außenseiter aufwachsen muss.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Hochachtungsvoll,
L.


Mrs. Weasley ließ die Hand mit dem Brief langsam sinken und sah auf das kleine Wesen herab, das da in dünne Lumpen gehüllt auf ihrer Türschwelle lag.

„Oh Merlin, du armes Wesen!!!“

Sie räusperte sich, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und sah dann erneut zu dem kleinen schwarzhaarigen Bündel herab, das sie aus weit aufgerissenen Augen anblickte. Mit ernstem, zeremoniellem Ton sprach sie sodann:

„Sarah, ich heiße dich hiermit im Hause Weasley willkommen und schwöre, dass ich dich lieben werde wie meine eigene Tochter.“

Der Brief in ihren Händen zitterte, bevor er mit einer kleinen Flamme in Rauch aufging.

„Danke...!“, glaubte Mrs. Weasley schwach zu vernehmen. Dann war alles still.

Molly Weasley hob endlich das unschuldige kleine Lebewesen auf, das so unvermutet in ihr Leben getreten war. Mit dem Baby im Arm ging sie ins Haus und schloss die Türe.

---


Hinter den Hecken an der Nordseite des Hauses brach Harry Potter erschöpft zusammen. Ein Mann nahm ihn behutsam in den Arm. Ein leiser Knall, dann waren die beiden verschwunden.


Vergangenheit

„...Diener Voldemorts. Seine Fähigkeit, mit Schlangen zu sprechen, wäre Beweis genug, doch überdies wurde der Angeklagte in drei Fällen am Tatort gesehen. Ich verlange daher vor diesem Gericht, dass Harry Potter für seinen Mord an Ginevra Weasley sowie für die Ausübung von schwarzer Magie gegen zwei seiner Mitschüler und einen der Geister von Hogwarts verurteilt wird. Gibt es noch Einwände?“

Harry sah sich im Gerichtssaal um. Es waren wenige Menschen anwesend, die er kannte: seine Mitschüler waren alle noch minderjährig und somit vom Verfahren ausgeschlossen. Allein Dumbledore, Mr. und Mrs. Weasley, die Professoren McGonagall und Snape erkannte er. Snape war vermutlich da, um seinen Triumph über den Sohn von James Potter zu genießen. McGonagall, weil sie sich für ihre Gryffindors verantwortlich fühlte. Dumbledore, weil er schon immer ein besonderes Interesse für den ‚Jungen-der-lebt‘ bewiesen hatte. Die Weasleys...

Harry sah zu den beiden rothaarigen Erwachsenen hinauf. Die Weasleys waren für ihn das gewesen, was einer Familie am nächsten kam, er hatte sich bei ihnen so willkommen und so gemocht gefühlt... doch das war nun vorbei.

In ihren Gesichtern las er keinen Vorwurf- noch nicht, denn die Tatsache, dass er des Mordes an ihrer Tochter angeklagt war, schien immer noch nicht bis zu ihnen durchgedrungen zu sein. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Ungläubigkeit und das Entsetzen auf ihren Gesichtern durch denselben Hass und Abscheu ersetzt werden würde, die er auch im Gesicht des Zaubereiministers lesen konnte.

Auf die Frage nach Einwänden reagierten sie nicht, vermutlich hatten sie sie nicht einmal gehört.
Dumbledore dagegen räusperte sich.

„Minister, so einleuchtend ihre Beweisführung auch sein mag, so hat der Junge doch unter Veritaserum ausgesagt, dass er für keine dieser Taten verantworlich sei. Überdies halte ich es doch für übertriebene Härte, einen Jungen seines Alters, ein zwölfjähriges Kind, nach Azkaban zu schicken.“

Der Minister sah Dumbledore mit überlegenem Blick an.

„Schulleiter Dumbledore, Sie waren während des Prozesses ebenso anwesend wie ich und sollten also genauso gut wissen, dass dem Jungen aufgrund seiner Fähigkeiten als Parselmund die Vertrauenswürdigkeit selbst unter Veritaserum aberkannt wurde. Es heißt nicht umsonst, dass Schlangen mit gespaltener Zunge reden...“

„Wie dem auch sei, er ist dennoch nur ein Kind! Nicht zu vergessen, das Kind, dem wir das Ende Voldemorts verdanken!“

Wieder sah der Minister seinen Gegner in dieser Diskussion mit überlegenem Blick an.

„Er ist ein Mensch, der einen Mord begangen hat. Wenn er dafür alt genug war, dann ist er auch alt genug, die Konsequenzen zu tragen. Er ist ein Parselmund, wie es auch Sie-wissen-schon-wer war. Wer sagt uns denn, dass er nicht entschlossen ist, in die Fußstapfen des Dunklen Lords zu steigen?

"Also, stimmen wir ab.

"Das beschlossene Strafmaß sind eine Zahlung von zehntausend Galleonen an die Familie Weasley, als Entschädigung, sowie zweimal lebenslange Haft in Azkaban. Wer stimmt dafür?“

Harry sah mit sinkendem Mut zu, wie immer mehr Hände langsam in die Höhe stiegen.

„Aber ich..."


---


"... war es nicht!!!“

Mit einem Schrei fuhr Harry Potter aus dem Schlaf auf.

Er hatte wieder von diesem schrecklichen Tag vor drei Jahren geträumt, als sein Leben geendet hatte.

„Lämmchen? Kleiner? Hey, Lamm, sag einen Ton!“

Vom außerhalb seiner Zelle klang die raue Stimme seines Zellnachbarn, seines einzigen Freundes.

„Alles okay“, beeilte er sich zu rufen, „nur wieder ein Alptraum von damals.“

Er musste nicht dazu sagen, was er mit ‚damals‘ meinte – seit drei Jahren war es die Erinnerung aus seiner Zeit vor Azkaban, welche ihm die meisten schlaflosen Nächte bereitete.

Diese Tatsache sprach Bände, wenn man bedachte, dass Harry in seinem Leben auch sonst genug Erinnerungen gesammelt hatte, die Stoff für grausamste Alpträume boten. Doch nichts war so schlimm gewesen wie das Gefühl von Hilflosigkeit und Verrat, das ihn seit diesem Tag zerfraß.

Weder sein Leben bei den Dursleys, wo er viele Tage eingesperrt in einem engen, dunklen Schrank verbracht hatte, noch seine zahlreichen lebensgefährlichen Abenteuer in der Schule für Hexerei und Zauberei – man denke nur an all die Quidditchspiele, seine Kämpfe mit Malfoy oder auch der Flug im Ford Anglia mit seinem damaligen Freund Ron... Nichts davon war so schlimm gewesen wie seine zwei Begegnungen mit Lord Voldemorts abartigen Reinkarnationen, einmal als eigenständiges Wesen am Hinterkopf eines seiner Lehrer, Quirrell, dann als verkörperte Erinnerung, die dem Tagebuch entstiegen war, das Ginny Weasley den Tod gebracht hatte.

Harry war Ginny auf einen Verdacht hin bis in die Kammer gefolgt, wo er mitansehen musste, wie die Erinnerung Tom Riddles dem Tagebuch entstieg. Gerade als er die beiden endlich erreichte, fiel die jüngste Weasley leblos zu Boden.

Riddle hatte es als besondere Freude empfunden, dass er Harry darüber aufklären konnte, wie er das Mädchen besessen hatte und nun mit Hilfe ihrer Lebensenergie endlich wieder einen eigenen Körper bekommen konnte. Nur noch ein Zauber, der seinen Geist endgültig von dem Tagebuch löste, und Lord Voldemort wäre wieder so mächtig wie eh und je.

Harry hatte all seinen Mut und seinen Zorn zusammengenommen und sich mit einem Schrei auf Riddle gestürzt. Er hatte den Jungen beiseite gestoßen und das Tagebuch mit einem Haushaltszauber pulverisiert.

Er sah,wie Riddles Form plötzlich verschwommen wirkte. Der schwarzhaarige Slytherin löste sich vor seinen Augen auf.

Harry hatte sich mühsam aufgerichtet und sich an die traurige Aufgabe gemacht, Ginnys leblosen Körper aus der Kammer zu tragen. Er hatte es gerade so bis in Myrthes Badezimmer geschafft. Dann, noch ehe er auch nur den Eingang zur Kammer schließen konnte, war Harry, erschöpft von der Anstrengung des Tages, sowohl emotional als auch körperlich, zusammengebrochen.

Aufgewacht war er im Büro des Schulleiters, in Gegenwart einiger seiner Lehrer, sowie eines Mannes, der ihm als der Minister für Zauberei vorgestellt wurde, in Begleitung einiger ‚Auroren‘ – Zaubererpolizisten, wie Schnuffel ihm später erklärte.

Man hatte ihn zu den Ereignissen des Tages befragt. Als er erzählte, wie er die Schlangen am Waschbecken angesprochen hatte, um Ginny zu folgen, war die Befragung mehr oder weniger zuende gewesen. Er hatte damals nicht verstanden, was passiert war. Dumbledore schien auch den Rest der Geschichte hören zu wollen, doch Minister Fudge hatte erklärt, dass ein Parselmund nicht frei herumlaufen dürfe, ganz gleich, ob er nun der Mörder von Ginevra Weasley sei oder nicht.

Harry wurde in eine Zelle im Ministerium überführt. Er hatte keine Ahnung, warum man ihn einsperrte, doch er wurde dort noch mehrmals von verschiedenen Leuten ausgefragt. Bei der Verhandlung hatte er endlich erfahren, dass man tatsächlich ihn für all die Taten Ginnys, zu welchen das Tagebuch sie gezwungen hatte, verantwortlich machte. Und für ihren Tod.

Seinen Beteuerungen, dass er unschuldig sei, schenkte man keinen Glauben; Zeugen gab es nicht. Nur Dumbledore hatte zu seiner Verteidigung gesprochen, doch letztendlich war das Wort des Ministers stärker gewesen. Der Wizengamot wollte keinen Parselmund, der auch sonst viele von Man-weiß-schon-wessen dunklen Künsten geerbt haben könnte, frei in einer Schule voller unschuldiger Kinder umherlaufen lassen.

Dass er selbst nur ein Kind war, ignorierten sie dabei völlig.

So war Harry nach Azkaban gekommen.

Hagrid musste man wohl freigelassen haben, dachte er flüchtig. Wo doch nun ‚feststand‘, dass er es nicht gewesen war...

---


Die erste Woche war schrecklich. Er hatte zuvor noch nie von Dementoren gehört, geschweige denn einen gesehen. Der Tod seiner Eltern, Ginnys Tod, seine Verhaftung und Verurteilung spielten sich wieder und wieder in seinem Kopf ab und beraubten ihn aller guten und glücklichen Gefühle und Gedanken.

Freilich, auch die Nacht, die er auf der Flucht vor Ripper in einem Baum im Garten verbracht hatte, wurde ihm wieder ins Gedächtnis gerufen. Doch solche kleinen unschönen Erinnerungen aus seiner Kindheit verblassten im Angesicht der totalen Angst und Verzweifelung, die er bei seiner Verhandlung empfunden hatte.

Und doch war diese Verhandlung nicht das Schlimmste, das er in den letzten Jahren erleben musste. Es war vielleicht die schlimmste Erinnerung aus seiner Zeit vor Azkaban und als solche bereitete sie ihm immer noch Alpträume. Doch es waren die wachen Momente, in welchen er in Azkaban die schrecklichsten Stunden verlebte.

In Azkaban waren nur Familienangehörige als Besucher zugelassen und so sollte man meinen, dass Harry nie Besuch in seiner Zelle bekam.

Leider war dem nicht so.

Er war seit etwa zehn Tagen in Azkaban gewesen, als seine Türe sich das erste Mal außerhalb der Essenszeiten öffnete.

Herein kamen vier Männer. Harry erkannte sie als die Wachleute, welche sich Tag und Nacht in Azkaban aufhielten. Die Dementoren sorgten dafür, dass die Gefangenen nicht fliehen konnten; die menschlichen Wachen versorgten die Häftlinge mit Essen, brachten sie einmal die Woche in die Waschräume und kümmerten sich um Besucher.

Harry hatte sich gefragt, wie sie es so lange in Gegenwart der Dementoren aushielten. Es stellte sich heraus, dass sie bestimmte vom Ministerium vergebene Artefakte besaßen, Amulette, welche sie gegen den Einfluss der grausamen Wesen immun machten.

Diese vier Männer also betraten nun Harrys Zelle.

Harry verstand nicht, was danach geschah.

Er war erst zwölf Jahre alt.

---


Jetzt, drei Jahre später, wusste er nur allzu gut, was an jenem Tag geschehen war- denn es war seitdem regelmäßig mindestens einmal pro Woche wieder geschehen.

Doch an jenem Tag hatte er nur verwirrt und verletzt auf seiner Maratze gelegen und geweint, wie nie zuvor in seinem Leben.

Er hatte so laut geweint, dass schließlich sogar der Insasse der nächsten Zelle auf dem Gang auf ihn aufmerksam geworden war.

„He, Junge, wie alt bist du?“, hörte Harry eine raue Stimme krächzen.

„Ich- hick- ich bin... schnief ...ich bin zwölf.“

„Zwölf?!“, kam die scharfe Antwort.

„Ja, und da kann ich auch nichts für!“, schrie Harry, plötzlich wütend. War es seine Schuld, dass er so jung schon in Azkaban saß?

„Zwölf Jahre alt...!“, erklang es noch einmal. Harry konnte das Kopfschütteln beinahe hören. „Diese Schweine.“

Angst umfasste kalt sein Herz. „Du weißt, was...?“

Der Andere lachte bitter.

„Wer weiß es nicht? Es gibt keinen auch nur halbwegs ansehnlichen Insassen dieses Gefängnisses, ob männlich oder weiblich, der nicht aus eigener Erfahrung genau weiß, was es bedeutet, wenn ein Schweigezauber über die Zelle seines Nachbarn gesprochen wird.“

„Du meinst... du meinst, du bist auch...?“

„Ja, Junge. Ich auch. Und auch die arme Frau, die vor dir in deiner Zelle gesessen hat, die Götter seien ihrer Seele gnädig.“

„Und du meinst, dass sie auch alle anderen hier...?“

„Nun, zugegeben, ich kenne nicht viele der anderen Häftlinge, aber in zwölf Jahren kann man doch so einiges von seinen Zellnachbarn erfahren oder aus den Worten der Wachen schließen.“

„Ah...“ Harry war eine Weile still. Er dachte nach.

Sein Schluchzen hatte während des Gesprächs langsam abgenommen, ohne dass er sich dessen selbst bewusst geworden wäre.

„Kann ich dich was fragen?“

„Klar, Junge. Schieß los.“

„Als ich... als ich mich geweigert habe, zu... zu...“

Harry konnte nicht weitersprechen. Er schluckte mühsam. „Na, jedenfalls hat dann einer der Wachen einen Zauber auf mich gelegt... und auf einmal konnte ich die Dementoren nicht mehr spüren. Die Angst war einfach weg. Ich war... entspannt... und beinahe glücklich. Was war das?“

Harrys Nachbar antwortete eine Weile nicht. Dann sagte er düster: „Das war ein verdammter Imperius. Ein schwarzmagischer Fluch. Verboten. Aber es scheint, dass auf dieser Insel keine der normalen Gesetze Gültigkeit haben.

"Wie können sie einen Unverzeihlichen über ein Kind sprechen!?!?!!

"...Siehst du, Junge, es ist ein Spruch, der einem Anderen den Willen des Zauberers aufzwingt, der den Spruch wirkt. Ich vermute mal, dass du danach getan hast, was auch immer sie von dir verlangt haben mögen?“

Harry stellte verwirrt fest, dass er sich nicht erinnern konnte. Er strengte sein Hirn an.

Da war eine Stimme in seinem Kopf gewesen... Sie hatte ihn sanft angewiesen, etwas für sie zu tun... Er hatte keinen Grund gesehen, ihren Rat nicht zu befolgen... Alles war so friedlich gewesen... Was hatte die Stimme denn eigentlich von ihm gewollt?

Mit einem Mal erkannte Harry, was in jenem Moment geschehen war. Die Erinnerung stand plötzlich so lebhaft vor seinen Augen, dass es beinahe war, als erlebte er alles erneut.

Wie der Blitz war er von seinem Bett aufgestanden und zu der einfachen Kloschüssel in der Ecke seiner Zelle gerannt. Er erbrach sich laut und ausgiebig.

„Ich werte das mal als ein ‚Ja‘“, erklang es sarkastisch aus der Nachbarzelle.

Harry hätte seinen Nachbarn in diesem Moment umbringen können.

---


Im Lauf der Tage hatten sie sich angefreundet.

Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate und aus Monaten Jahre. Harry erfuhr, dass sein Nachbar früher auch auf Hogwarts gewesen war. Er hörte von den drei besten Freunden des Mannes- Krone, Wurmschwanz und Moony. Harry war fasziniert. Er hatte noch nie einen Werwolf kennengelernt.

Es war ein schweigendes Einverständnis zwischen den beiden Häftlingen, dass man weder über die Besuche der Wärter, noch über den Grund seiner Verhaftung sprach. Auch Namen schienen an diesem kalten Ort irgendwie keine Bedeutung zu haben, also erwähnten sie sie nie. Die Zellen rechts und links von ihren waren leer, also hatten sie keine anderen Unterhaltungsmöglichkeiten. Daher war eine direkte Anrede eigentlich nie nötig. Man wusste, wer gemeint war.

Als der Mann Harry von seiner Animagusform erzählte, die ihn selbst hier in Azkaban schützte, war Harry plötzlich Feuer und Flamme gewesen.

„Kann ich das auch lernen?“

„Nun...“ Der Andere schien nachzudenken. Endlich fuhr er fort. „Es ist zwar fortgeschrittene Magie, aber da die Verwandlung ohne Zauberstab erfolgen kann, müsste es eigentlich möglich sein, dass du sie auch hier lernst. Und es ist wirklich ein Segen, wenn die Dementoren es auf dich abgesehen haben.“

Harry zitterte ein wenig. Die Dementoren schienen ihn besonders zu mögen. Das hatten sie mit den Wachen gemeinsam.

Vielleicht hatte es mit den vielen schrecklichen Erinnerungen zu tun, mit denen sie ihn mehr als andere quälen konnten. Es hieß, Dementoren ernährten sich, indem sie einem Menschen alle Freude aussaugten. Technisch war das nicht ganz richtig.

Sie zwangen einen Menschen dazu, die schlimmsten Momente seines Lebens noch einmal zu erleben, soweit stimmte die allgemeine Sicht der Dinge. Doch sie saugten die guten Erinnerungen nicht in sich auf, sie sorgten nur dafür, dass diese in den Hintergrund traten. Denn dann bekamen sie Zugang zu ihrer tatsächlichen Nahrung: Angst und Verzweifelung.

Ein Mensch, der verzweifelt ist oder Furcht empfindet, strahlt diese Gefühle in starken Wellen aus, die für andere Lebewesen spürbar sind. So wird ein Pferd einen Sprung verweigern, wenn es spürt, dass sein Reiter selbst unsicher ist; ein tollwütiger Hund, der die Angst seines Gegenübers spürt, wird erst recht zubeißen; und ein Dementor wird die Angst in sich aufnehmen wie eine besonders leckere Süßigkeit. Er wird dafür sorgen, dass der Mensch vor ihm nur noch schreckliche Erinnerungen hat, damit seine Nahrungszufuhr gesichert ist.

Aus diesem Grund verstanden sich die Dementoren bestens mit den Wachen.

Die Wachen verschafften den Gefangenen schlimme Erinnerungen und neue Ängste. Sie spielten den Dementoren geradezu in die Hände- und diese ließen sie gewähren.

Wenn Harry ein Animagus werden könnte, dann hätte er vielleicht eine Möglichkeit, das gesteigerte Interesse der Dementoren von sich abzulenken. Für seinen Nachbarn schien das jedenfalls zu funktionieren.

Und so hatte Harry begonnen zu üben.

Tag für Tag hatte er sich von dem Mann in der Nachbarzelle erklären lassen, was er tun musste, um seine Animagusform zu finden.

Er lernte, dass die Form, welche ein Zauberer annahm, seinem Wesen entsprach. Sie konnte seinen Charakter beschreiben, sein Selbstbild, oder auch seine Rolle in der Welt.

Irgendwann erfuhr Harry, dass sein Mitgefangener sich in einen großen schwarzen Hund verwandelte. Schwarz, da er der letzte lebende Sohn einer Familie von Schwarzmagiern mit Namen Black war. Harry fand dieses Detail unheimlich amüsant, zumal da sein Nachbar seine Familie nicht besonders hoch zu schätzen schien. Ein Hund war er vermutlich deswegen geworden, da er ein geradezu an Dummheit grenzend treuer Freund gewesen war. Daher hatte der Sprechende Hut ihn zu Schulzeiten auch nach Gryffindor sortiert, nicht nach Slytherin wie den Rest seiner Familie.
Harry war schon etwa ein Jahr in Azkaban, als Black ihm erstmals erzählte, weshalb er einsaß.

Im Zuge der Erzählung über seine Animagusform hatte der Mann geschnaubt „Nun, das mit der Treue war wohl eine Fehleinschätzung.“

Harry hatte nachgefragt, und nach ein paar Tagen war der Mann schließlich damit herausgerückt, wie er der Geheimniswahrer seines Freundes Krone gewesen war, als der Dunkle Lord diesen töten wollte. Wie er Krone überzeugt hatte, doch lieber Wurmschwanz zum Geheimniswahrer zu machen; wie Wurmschwanz Krone und dessen Frau verraten hatte.

„Sie sind meinetwegen gestorben“, schloss er schließlich betrübt. „Wenn ich sie nicht überredet hätte, Geheimniswahrer zu wechseln, wären sie heute vielleicht noch am Leben.“

Harry hatte seine liebe Not, den Anderen zu überzeugen, dass es nicht sein Fehler war; doch nach einem weiteren Jahr schien es ihm gelungen zu sein.

In der Zwischenzeit hatte er die Animagustransformation gemeistert.

Der Tag seiner ersten Verwandlung war für ihn ein Augenöffner gewesen.

Er hatte wieder ‚Besuch‘ von den Wachen bekommen. Hinterher hatte er sich mit Schnuffel, wie er den Anderen mittlerweile nennen durfte, über den Imperius unterhalten.

„Manchmal sehne ich mich nach ihren Besuchen, weil ich nur dann, unter Imperius, ein paar Minuten absoluten Friedens erfahre. Ich bin ein schrecklicher Mensch.“

Schnuffel hatte es bei dieser Aussage erstmal die Sprache verschlagen, doch dann hatte er sich beeilt, Harry zu versichern, dass er absolut nichts dafür könne, was die Wachen ihm antaten, und dass es durchaus normal und legitim sei, sich nach ein wenig Frieden zu sehnen. Wenn man in Azkaban saß, konnte man eben nicht so wählerisch sein, was die Mittel und Wege anging, wie man diesen Frieden bekam.

Harry war nicht überzeugt gewesen.

Doch Schnuffel hatte während dieses Gesprächs endlich erkannt, weshalb Harry die Verwandlung in ein Tier noch nicht beherrschte.

„Weißt du was?“, unterbrach er Harrys trübe Gedanken, „Ich glaube, du akzeptierst einen Teil deiner Persönlichkeit nicht. Du gestehst dir nicht zu, dass du unschuldig bist. Wenn du einsehen könntest, dass du nicht herausgefordert hast, was diese Männer dir antun, dann schaffst du es vielleicht endlich, deine Animagusform zu finden!“

Schnuffel war ganz aufgeregt. Doch Harry lehnte sich auf seinem Bett zurück und schloss verstört die Augen.

Konnte Schnuffel Recht haben? Verweigerte er sich selbst seine Unschuld?

Bei den Dursleys hatte er immer nur zu hören bekommen, was für ein Freak er sei, eine Belastung, ein Fluch, unnormal. Doch in Hogwarts hatte er gelernt, dass er nicht der einzige seiner Art und alles andere als wertlos war. Unschuldig... Andererseits hatte er in Hogwarts auch erfahren, dass seine Eltern gestorben waren, um ihn zu schützen.

„Wie könnte ich unschuldig sein? Ich habe den Tod meiner Eltern verschuldet.“

Schnuffel klang ungläubig, als er fragte: „Bist du deswegen hier?“

„Teufel, nein! Meine Eltern starben, als ich gerade mal ein Jahr alt war, ich erinnere mich gar nicht an sie. Nein, ich bin hier, weil man denkt, ich habe eine Erstklässlerin ermordet.“

„‘Man denkt‘? Hast du das denn?“

„Nein, habe ich nicht... aber wen interessiert schon, was ich dazu zu sagen habe? Ich bin ja ein Parselmund, also lüge ich bestimmt, nicht wahr?“

Schnuffel schien von dieser Neuigkeit geschockt, denn er schwieg wesentlich länger, als sonst zwischen ihnen üblich war.

Harry wurde es kalt ums Herz.

Hatte er Schnuffel mit dieser Information vergrault? Vielleicht war der Andere genauso voreingenommen gegen ‚Schlangenzungen‘ wie auch der Rest der Zaubererwelt. Hatte er gerade den einzigen Freund, den er in diesem Leben noch haben konnte, abgeschreckt?

Er fühlte sich elend. Es war doch nicht sein Fehler, dass er diese Fähigkeit besaß!

Nach und nach wichen die Zweifel und machten dem Zorn über die Ungerechtigkeit der Zaubererwelt platz.

Nur weil sie ihn vor einem verrückten Schwarzmagier schützen wollten, mussten seine Eltern sterben. Nur weil er mit Schlangen sprechen konnte, wurde Harry verurteilt. Nur weil er jünger und weniger hässlich als die übrigen Sträflinge war, kamen die Wachen öfter zu ihm als zu irgend jemandem sonst.

Nur, weil... Nur weil er er selbst war, strafte ihn die ganze Welt. Was hatte er nur verbrochen, um mit einem so unfairen Leben gestraft zu sein? Er hatte doch nichts getan. Kein Mensch hatte so etwas verdient!

Er würde Schnuffel jetzt sofort seine Meinung sagen. Das musste er sich nicht noch weiter gefallen lassen.

Schwungvoll stand er vom Bett auf-
-und fiel auf die Nase. Die bemerkenswert lange Nase. Langsam hob er den Kopf vom Boden, stemmte sich auf Arme und Beine hoch...

Wieso waren seine Arme genauso lang wie seine Beine? Oder waren seine Beine so kurz wie seine Arme?

Verwirrt drehte er sich auf allen Vieren zu seinem Bett um.

Es thronte auf Kopfhöhe über ihm.

Erschrocken stieß er einen lauten Schrei aus.

Und erschrak noch mehr.

Das war nicht seine Stimme. Es war ein kläglicher, unmenschlicher Schrei, wie der eines verwundeten Tieres. Und irgendwie... anders.

„Junge? He, Junge, was ist mit dir?“, erklang plötzlich Schnuffels besorgte Stimme.

Er sorgt sich um mich. Vielleicht habe ich ihn doch nicht abgeschreckt?

„Bääh!“, antwortete Harry energisch.

Zunächst kam von Schnuffel kein Laut, doch dann... glaubte Harry seinen Ohren nicht zu trauen. Der Mann lachte!

„Junge, das ist zu schön!“, brüllte Schnuffel. „Jetzt musst du mir glauben, dass du in jeder Hinsicht ein Unschuldslamm bist!!!“ Er lachte weiter.

„Du hast deine Animagusform gefunden, Kleiner. Es ist ein Schaf. Ein Lamm!!!“

Harry sah mit weiten Augen an sich herab.

Es gab keinen Zweifel, dass Schnuffel Recht hatte: Weiße, flauschige Beine- vier Stück davon- kamen in sein Gesichtsfeld. Ein Zucken in einem unbekannten Muskel an seinem Allerwertesten führte zu der Erkenntnis, dass er ein Schwänzchen hatte. Und, nicht zu vergessen, diese betörende Stimme...

„Bä-ä-ääääh!“, brachte er seine Verwunderung zum Ausdruck.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Schnuffel sich genug beruhigt hatte, um ihm zu erklären, wie er sich zurück in einen Menschen verwandelte.


Gegenwart

„Na, besser ein Alptraum von damals als einer von heute“, riss Schnuffels müde Stimme Harry in die Gegenwart zurück.

Die Wachen waren gestern das erste Mal seit langem wieder bei Schnuffel gewesen und seitdem war der Mann in geradezu lethargischer Stimmung.

Harry fühlte sich schuldig.

Seit nunmehr einem Monat kamen die Wachen nicht mehr zu ihm und es schien, als müssten alle anderen darunter leiden.

Doch die Schuldgefühle schwanden, sobald er die Hände über seinen Bauch gleiten ließ und sich daran erinnerte, warum die Wachen ihn jetzt in Ruhe ließen- das erste Mal seit seiner Einlieferung in dieses Gefängnis, das einem Horrorfilm der Muggel entsprungen sein könnte.

Es musste wohl etwa vor sieben Monaten passiert sein, als die Dementoren Azkaban verlassen hatten. Die Wachen munkelten, die Kreaturen haben sich Du-weißt-schon-wem angeschlossen und es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis er selbst nach Azkaban kommen würde. Es war das erste Mal, dass sie die mögliche Rückkehr des ‚Dunklen Lords‘ erwähnten.

Harry konnte nicht erkennen, ob sie darüber Angst oder Freude empfanden.

Umso deutlicher war jedoch ihre Freude über den Abzug der Dementoren. Trotz ihrer Amulett-Anhänger waren auch die Wachen nicht völlig unbeeindruckt von der ständigen Nähe der unmenschlichen Wesen geblieben. Jetzt, wo die Grauummantelten fort waren, gehörte die Insel ihnen.

Man konnte an diesem Abend das ganze Gefängnis aufatmen hören. In allen Zellen dankten Häftlinge stumm oder auch lautstark ihren Göttern für die Gnade, welche sie bewiesen hatten.
Alle freuten sich, doch jeder musste es für sich alleine tun: Niemand konnte aus seiner Zelle heraus, um seinem Nachbarn um den Hals zu fallen; viele hatten nicht einmal einen Nachbarn.

Nur einer war in dieser Nacht wieder einmal nicht alleine:
Harry.

Er befand sich gerade in einer Diskussion mit Schnuffel über die Möglichkeit, dass die Dementoren auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren und nie wieder nach Azkaban zurückkehren würden, als Schritte auf dem Gang laut wurden.

Johlend und Weinflaschen schwenkend kamen die vier Männer vor Harrys Zelle zu stehen. Schnuffel bedachte sie wie üblich mit schmeichelhaften Namen wie 'Kinderschänder' oder 'perverse Sadisten', sie lachten wie üblich nur darüber und schließlich schlossen das Klicken der Türe und die Vervollständigung eines Stillezaubers Schnuffel vom weiteren Geschehen aus.

Harry derweil legte bereits seine Sträflingskleidung ab. Er hatte schon lange aufgehört, sich gegen das Unvermeidliche zu sträuben.

Anfangs hatten die Wachen das als Anlass genommen, ihn nicht mehr unter Imperius zu stellen, wenn sie ihn besuchten, doch Harry hatte sich seine wöchentlichen Minuten des Friedens nicht nehmen lassen wollen. Sie glaubten also, er sei zu zahm für Imperius? Ein wohlgezielter Biss hatte die Männer schnell eines Besseren belehrt.

Neugierig sah er zu, wie einer der Männer einen Tisch und fünf Stühle beschwor. Es war nicht unüblich, dass sie darum spielten, wer an dem Tag zuerst an der Reihe war; aber warum der fünfte Stuhl?

Einer der Wachen bemerkte seinen Blick und sagte lässig: „Zur Feier des Tages spielst du heute mit.“

Harrys ungläubiger Blick brachte die Männer zum lachen. Doch es war kein gehässiges oder hartes Lachen wie er es sonst so oft von ihnen hörte, wenn sie ihn quälten; vielmehr klang es geradezu gutmütig.

Unsicher ließ sich Harry am Tisch nieder.

Der älteste der Männer teilte die Karten aus. „Die Regeln kennst du ja inzwischen, nicht wahr?“, wandte er sich dann an Harry.

Harry nickte. Er hatte zahllose Stunden damit verbracht, den vier Männern bei dieser besonderen Variante von Zaubererpoker zuzusehen, immer in ängstlicher Erwartung des ersten Sieges, der den Beginn seiner Demütigung, aber auch kostbare Minuten in der entspannten Unbeschwertheit des Imperius versprach.

Und so begannen sie zu spielen.

Während des Spiels kreiste immer wieder die Weinflasche und auch Harry bekam ein paar Schlucke davon zu trinken. Nach der kargen Kost, die er sonst immer zugeteilt bekam, war der Wein eine wahre Quelle der Geschmacksexplosionen. Seine Zunge, sein Gaumen, alles zog sich zugleich unter den bitteren roten Tropfen zusammen, während sein Geist jubelte. Es war eine Befreiung ganz anderer Art.

Harry hatte von Trunkenheit bisher nur gehört, und er hatte natürlich auch von den Folgen gehört- aber mal ehrlich: er war in Azkaban, mit Männern, die darum spielten, wer ihn zuerst benutzen durfte, und er wusste, dass Kopfweh oder Unzurechnungsfähigkeit die kleinsten seiner Sorgen waren. Also warum nicht?

Beherzt nahm er einen tiefen Schluck aus der Flasche, als sie das nächste Mal vorbei kam.
Die erste Runde war nur allzu schnell beendet. Drei der Männer lehnten sich zurück und steckten sich ein Pfeifchen an, während der vierte Harry von seinem Platz hochzog und zum Bett führte.

Wenig später begann die zweite Runde. Harry durfte wieder mitspielen. Er trank weiter und war schon mehr als ein wenig angeheitert, als der nächste Mann gewann. Harry musste sich schwer auf dem Tisch aufstützen, um nicht umzufallen, als der Mann hinter ihm mit immer unkoordinierteren Bewegungen in ihn hinein stieß.

Die dritte Runde begann. Harry trank weiter. Unter schweren Lidern hervor starrte er die Karten in seiner Hand an. Irgend etwas stimmte nicht mit ihnen, doch er konnte nicht wirklich ausmachen, was es war. Die Figuren schienen vor seinen Augen zu tanzen. War er schon so besoffen, dass er Dinge sah?

Doch dann erinnerte er sich, dass dies hier ja Zauberer-Karten waren.

Sie tanzten einen Freudentanz, weil sie gesiegt hatten.

Die Männer sahen sich bedröppelt an.

„Was machen wir denn jetzt?“

Schließlich hatte der jüngste von ihnen die rettende Idee. „Wisst ihr was? Der Junge ist doch schon fünfzehn. Inzwischen müsste er also alt genug sein, um gewisse Dinge genießen zu können...“

Und so hatten sie sich zum ersten Mal seit drei Jahren für all die Hochgefühle, zu denen er ihnen unfreiwillig verholfen hatte, revanchiert.

Harry war in einem Strudel unbekannter Eindrücke versunken. Sein erster Alkoholrausch, seine erste positive Erfahrung mit den Berührungen dieser Männer...

Mit offenen Augen hatte er begonnen, von all den Dingen zu träumen, die er hätte haben können, wenn das Schicksal ihn nicht so hassen würde. Einen geliebten Menschen, mit dem Sex immer schön wäre; Freiheit; Kinder, die ihn liebten; eine Familie...

Eine Familie.

Harry hatte nie eine Familie gehabt.

In diesem Moment in Azkaban, als seine Hormone verrückt spielten und der Alkohol seine Nerven zu einer Fehlfunktion nach der anderen führte, wusste Harry, dass er sich in seinem Leben wohl nie etwas so sehr wünschen würde, wie eine echte Familie.

---


Jetzt, sieben Monate später, stand er kurz davor, sich seinen lang ersehnten Traum selbst zu erfüllen.

Er hatte bis vor etwa drei Monaten nicht einmal gewusst, dass so etwas möglich war. Schnuffel sagte, das habe es seit Jahrzehnten nicht gegeben, es passiere nur ganz selten. Es hieß, dass nur große, mächtige Zauberer mit einem besonders liebevollen Menschen solch ein Wunder bewirken könnten.

Es schien, dass Harry dieses Gerücht soeben erfolgreich widerlegt hatte. Er war nicht besonders mächtig, und ein Kind der Liebe trug er da schon gleich gar nicht!

Dennoch wollte er es behalten.

Als sein Bauch angefangen hatte, sich unverkennbar zu wölben, sodass sich nicht mehr leugnen ließ, was geschehen war, da hatten die Wachen zunächst von ‚wegmachen‘ und ‚Heiler obliviaten‘ gesprochen.

Doch irgendwann hatten sie es aufgegeben.

Es galt als Vergehen gegen die Magie, sein eigenes Kind zu töten; ein noch größeres Vergehen war es, ein ‚Miracle‘ zu zerstören. Da keiner der Männer wusste, von wem das Kind letztendlich abstammte, wollte keiner derjenige sein, der für seinen Tod verantwortlich war.

Harrys erster erfolgreicher Ausbruch aus dem Imperius, als er von den Plänen gegen sein Kind gehört hatte, war sicher ebenfalls eine Motivation gewesen...

Schnuffel hatte zunächst nicht verstanden, wie Harry das Kind dieser Leute behalten konnte. An seiner Stelle, hatte er gesagt, wäre er es so schnell er nur konnte wieder losgeworden.

Doch dann hatte ihm Harry von seiner Kindheit bei den Dursleys erzählt, und von seinem Wunsch, irgendwann eine eigene, richtige Familie zu haben.

Schnuffel hatte diesen Gedanken einige Tage lang in seinem Kopf herumgewälzt, bis er schließlich entschieden hatte, dass sein ‚Lämmchen‘ mehr Recht auf eine Familie hatte als jeder Andere.

Harry war ihm unglaublich dankbar.

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Zwei Monate später war es endlich soweit.

Mitten in der Nacht wachte Harry auf. Sein Bauch krampfte sich zusammen. Es waren Schmerzen, wie selbst er sie noch nie erfahren hatte. Von einem der Wachleute wusste er, dass seine innere Magie einen bei Frauen natürlich vorhandenen Kanal formen musste, um das Kind zur Welt zu bringen.

Harry fühlte, wie seine Organe beiseite gedrückt wurden, um den Durchgang für das Baby zu öffnen. Er schrie so laut seine Lungen es erlaubten.

Schnuffel war schon bei seinem ersten leisen Stöhnen aufgewacht und versuchte nun, Harry zu übertönen, um die Wachen herbeizurufen.

Leider hatten diese ihr Quartier in einem anderen Teil der Festung bezogen. Sie hörten nichts von den Schreien der ersten Häftlinge, die jemals um ihre Anwesenheit gebeten hatten.

Irgendwann gab Schnuffel den Versuch auf und konzentrierte sich ganz darauf, seinem Lämmchen Mut zu machen.

„Du schaffst das, Kleiner. Das ist die Familie, die du dir immer gewünschst hast. Halt durch!“

„Schnuffel... ich.. ich... Aaaaaaaargh! Ich halte das nicht aus! Es zerreißt mich!“

Hilflos saß Schnuffel in seiner Zelle und umklammerte die Gitterstäbe. Die Knöchel wurden weiß von dem starken Griff, doch der Mann merkte es nicht. Tränen liefen über seine Wangen, während er seine Hilflosigkeit verfluchte.

Dort, keine drei Meter von ihm entfernt, litt der Junge- fast schon ein Mann!- mit dem er sich im Lauf der letzten drei Jahre angefreundet hatte, unvorstellbare Schmerzen, schrie, als liege er im Sterben- und er konnte nichts tun. Er hatte ihn ja noch nicht einmal gesehen! Lediglich die Stimme des jungen Mannes kannte er. Und doch hatte er ihn ins Herz geschlossen wie einen eigenen Sohn.

„Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarrrrrghh!!!!!!“

Der Schrei war lauter als alles, was Schnuffel einem Menschen je zugetraut hatte.

Dann herrschte Stille.

„Lämmchen? Junge, bitte bitte sag was!“

Nach einigen weiteren Sekunden absoluter Stille drang endlich, endlich ein Laut an Schnuffels gespitzte Ohren.

Ein leises, unsicheres Stimmchen weinte. Und eine ruhige, gefasste, wenn auch müde Stimme versuchte, das Kleine zu beruhigen.

„Schnuffel? Ich habe eine Tochter!“

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„Nein, bitte! Nehmt mir Sarah nicht weg! Ich tue alles- ALLES!- wenn ich sie nur behalten darf!“

Die Wachen waren am nächsten Tag in Harrys Zelle gekommen und hatten das kleine schwarzhaarige Mädchen mit großen Augen betrachtet.

Dann hatten sie verkündet, dass Harry das Mädchen wohl kaum selbst versorgen könne. Sie wollten das Mädchen mit in ihren Teil der Festung nehmen und sich dort ‚um sie kümmern‘.

Harry glaubte nicht wirklich, dass sich die Männer an ihrer eigenen Tochter vergreifen würden, aber... was, wenn doch? Wenn sie sich an einem Zwölfjährigen vergangen hatten, was sollte sie davon abhalten, auch seine Tochter zu missbrauchen, wenn sie älter wäre?

Er konnte es nicht wissen.

In panischer Angst drückte er das kleine Wesen fest an seine Brust, so fest, dass es kurz darauf erwachte und zu schreien begann.

„Junge, sei vernünftig. Rück das Mädel ohne großen Aufstand raus. Du weißt, dass du gegen uns keine Chance hast. Also mach schon.“

„NEIN! Sie ist meine Familie! Sie ist alles was ich habe! Und sie ist so klein und so unschuldig...“

„Und?“

In der Stimme des alten Wärters lag solch eine aufreizende Selbstgefälligkeit, solch eine blatante Missachtung von Harrys Gefühlen und von Sarahs Bedürfnissen und Wohlergehen, dass Harry rot sah.

„Nein, verdammt! Ihr bekommt sie nicht. Ich gebe sie nicht her!!!“

„Mach jetzt keinen Quatsch, Kerl! Rück das Kind raus.“

Der Mann machte einen Schritt auf Harry zu.

Harry wich in die Ecke der Zelle zurück und schloss die Augen.

Nicht meine Sarah, bitte! Diese Monster dürfen sie nicht bekommen. Wenn ich sie doch nur von uns fernhalten könnte. Egal wie. Wenn ich sie doch nur verletzen könnte, wie sie mich so oft verletzt haben. Dann würden sie es nicht wagen, näher zu kommen... Ha, in der Hölle brennen sollen sie alle, verdammte Kinderficker!!!

Lodernde Wut ergriff ihn.

Harry streckte die Hand aus und ließ dem Zorn freien Lauf.

Es gab einen ohrenbetäubenden Knall und Harry wurde von einer heftigen Druckwelle erfasst und gegen die Wand gepresst.

Sarah schrie.

Unsicher, was er sehen würde, öffnete Harry die Augen.

Und erstarrte.

Zwei Wände seiner Zelle waren komplett verschwunden, nur noch rauchende schwarze Trümmer waren davon übrig. Dasselbe galt für drei der vier Wachen.

Der vierte lag noch vollständig, aber nicht minder leblos, im plötzlich frei erreichbaren Gang.

Harry wurde von einer Bewegung hinter den rauchenden Trümmern zu seiner Rechten aufgeschreckt. Dort richtete sich ein großer, schwarzer Hund langsam unter den Gesteinsbrocken auf und schüttelte sich Staub und Steine aus dem Fell.

„Schnuffel..?“

Zögerlich ging Harry auf den Hund zu, Sarah immer noch fest an sich gepresst. Die Kleine hatte aufgehört zu weinen, als Harry die Wachen, und einen Großteil seiner Zelle gleich dazu, in die Luft gejagt hatte. Sie schaute aus weit aufgerissenen Äuglein um sich und schien sich deutlich zu wundern, in was für eine verwirrende Welt sie da hineingeboren worden war.

Vor Harrys Augen wurde Schnuffel wieder zum Mann.

Harry musterte ihn neugierig.

Schnuffel musste um die vierzig Jahre alt sein. Er hatte langes, ungekämmtes Haar –wie auch er selbst- und schien einige Zähne zu vermissen (auch das traf auf Harry ebenso zu).
Das Seltsamste an Schnuffels Erscheinung war aber der Ausdruck totalen Entsetzens, der auf seinem Gesicht lag. Der Mann schluckte. Räusperte sich. Schluckte wieder.

Endlich brachte er heraus, was ihm so zu schaffen machte.

„James...?!“

Harry starrte den Anderen nun seinerseits ungläubig an.

„Woher kennst du meinen Vater?“

„Du bist... DU bist Harry?! ...Krones Sohn!!!“

„MEIN Vater war KRONE?!“

Wortlos starrten die beiden Männer sich eine lange Zeit an.

Dann schienen beide gleichzeitig zu einer Entscheidung zu kommen. Keiner von ihnen konnte später sagen, wer den ersten Schritt gemacht hatte, doch auf einmal lagen sie einander in den Armen und schluchzten.

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Endlich beruhigten sie sich wieder.

„Wir... sind frei“, stellte Schnuffel unsicher fest.

„Ja, das sind wir wohl“, antwortete Harry ebenso zögerlich.

Es war ein sonderbares Konzept, das beide noch nicht so recht fassen konnten.

„Tja, ähm... Dann sollten wir wohl... gehen, oder?“, fragte Schnuffel stockend. Er war fünfzehn Jahre in dieser Hölle von Gefängnis festgesessen. Und jetzt sollte er ...weggehen? Der Gedanke machte ihm Angst.

Harry war erst seit drei Jahren hier, doch er hatte in dieser Zeit genug erlebt, um ihn mehr als zehn Jahre altern zu lassen. Auch ihm erschien der Gedanke, sein Leben wieder in die eingenen Hände zu nehmen und die unbekannte, möglicherweise in den letzten Jahren sehr veränderte Welt ‚draußen‘ in Angriff zu nehmen, ziemlich einschüchternd.

In diesem Moment meldete Sarah sich lautstark zu Wort.

„Sag mal, Schnuffel, weißt du, wo die Wachen ihre Quartiere haben? Ich möchte sehen, ob sie irgend etwas haben, das Sarah essen kann.“

„Ich weiß es nicht, aber ich denke, es ist irgendwo in der Richtung...“ Er machte eine vage Handbewegung in Richtung der rechten Gangbiegung.

„Na dann, lass uns gehen.“

„Ja... warte einen Moment.“

Schnell ging Schnuffel zu dem einzigen ‚unversehrten‘ toten Wärter und kramte in dessen Taschen umher.

„Aha!“ Mit einem Triumphschrei brachte er einen Zauberstab zum Vorschein.

Harrys Augen leuchteten auf, als er die kindliche Begeisterung im Gesicht des Mannes sah, der einst der beste Freund seines Vaters gewesen war.

Schnuffel hatte so viel Schlimmes erlebt, und doch war er nicht verrückt geworden. Und er hatte sich die Kraft bewahrt, noch immer fröhlich und ausgelassen zu sein wie ein kleines Kind. Ein echter Rumtreiber eben.

Vater wäre stolz, wenn er ihn heute sehen könnte.

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„Wir können sie jetzt nicht mal ernähren!“

„Ich weiß.“

„Wir sind Flüchtlinge. Schwerverbrecher, soviel die Welt weiß. Vogelfrei, zum Abschuss freigegeben! In Gefahr.“

„Ich weiß.“

„Und trotzdem willst du sie nicht hergeben?“

„Sie ist mein Leben, Schnuffel.“

Sie hatten im Wohn-Esszimmer der Wachen einen Kühlschrank mit Salat und Nudeln für sie selbst, und Milch für Sarah gefunden.

Nach einem guten Essen hatten sie sich im schönen, sauberen Bad der Männer gewaschen und ein wenig Körperpflege betrieben. Schnuffel sah ohne Bart gleich ein paar Jahre jünger aus.

In den Kleiderschränken hatten sie saubere Hosen gefunden und sogar einige Oberteile, die sie auch in der Muggelwelt ohne Bedenken würden tragen können.

Anschließend hatten sie eine Weile am Tisch gesessen und sich beratschlagt.

Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass niemand die Hölle verdient hatte, welche sie erlebt hatten.

Also hatten sie Sarah in einem der Betten zur Ruhe gelegt, die Türe dieses Zimmers handversiegelt, und waren zu einer Runde durch das Gefängnis aufgebrochen.

Jede Zelle hatten sie einzeln betreten und mit einem Schweigefeld gesichert, sodass kein Laut nach draußen drang. Dann hatten sie den Insassen gefragt, ob er zurecht verurteilt worden sei und was er verbrochen hatte.

Viele der Menschen saßen seit Jahren wegen eines Mordes im Affekt oder weil sie ein einziges Mal einen Unverzeihlichen angewendet hatten in Azkaban. Schnuffel und Harry waren sich einig, dass mehr als ein Jahr in Azkaban für solche Fälle zuviel waren. Sie hatten die Insassen befreit und zu den drei offenen Zimmern der Wachen geschickt, um sich so gut es ging zurecht zu machen und auf sie zu warten.

Es gab allerdings auch Fälle, in denen sie die Türe wortlos wieder hinter sich schlossen und mit einem leuchtend roten X markierten.

So etwa im Fall eines Todessers, der fünfzehn Muggel zu Tode gefoltert hatte und auch noch stolz darauf war. Oder einer Frau, welche ihre eigenen Kinder auf grausamste Weise ermordet hatte. Oder des Mannes, welcher ...

Aber genug davon.

Schließlich waren gut drei Viertel der momentan etwas über 80 Insassen des Zauberergefängnisses in den Zimmern der Wachen versammelt. Sie waren unruhig, warteten nur darauf, dass die Wachen zurückkommen und ihnen erklären würden, dass das alles nur ein neues, sadistisches Spiel gewesen sei und jeder, der mitgemacht hatte, angemessen bestraft werden würde.

Doch die Wachen kamen nicht. Stattdessen betraten nach einer Weile zwei Männer das Wohn-Esszimmer, von denen der jüngere ein Baby im Arm trug.

Schnuffel und Harry erzählten in knappen Worten ihre Geschichte. Wer sie waren, wessen sie fälschlicher Weise angeklagt worden waren, wie Harry von den Wachen geschwängert worden war und schließlich versehentlich alle vier in die Luft gejagt hatte, als er seine Tochter vor ihnen schützen wollte.

Der Junge-der-Lebt... die Wachen tot... eine männliche Schwangerschaft... Schnuffel und Harry betrachteten amüsiert, wie die Häftlinge ungläubig zu murmeln begannen.

Dann erklärten sie den vor Ehrfurcht glühenden Hexen und Zauberern, dass sie entschieden hatten, dass alle außer den psychopatischsten Todessern, Sittenstrolchen und Massenmördern nach dem, was die Wachen ihnen allen angetan hatten, ihrer Meinung nach keine weitere Strafe verdient hatten.

„Wir können euch nicht versprechen, dass ihr weit kommt. Wir konnten nur diesen einen Zauberstab retten und den werden wir brauchen, wenn wir das Baby am Leben halten wollen. Doch wir wollen euch zumindest die Chance geben, es zu versuchen.

"Seid ihr bereit, die Welt da draußen wieder für euch zu erobern?“

Einige der Frauen und Männer hatten Tränen in den Augen, andere grinsten dümmlich. Manche standen sichtbar unter Schock. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, je wieder das Tageslicht zu sehen.

Endlich machte sich die Gruppe gemeinsam auf den Weg.

Sie fanden den Ausgang. Dort machten sie ein kleines Boot am Strand aus, welches einer der älteren Zauberer in ihrer Gruppe mit Schnuffels Zauberstab in ein mittelgroßes Segelboot verwandelte, auf dem sie gerade so alle Platz fanden.

Am Ufer angekommen verglichen sie ihre Kenntnisse der Gegend miteinander und zogen in Richtung eines winzigen Zaubererdorfes los, welches nach allgemeiner Auffassung nur wenige Kilometer südlich von Azkaban liegen musste.

Manche der Insassen Azkabans waren seit so vielen Jahren nicht weiter als von ihrer Zelle zum Waschraum und zurück gelaufen, dass sie von ihren Nachbarn gestützt werden mussten, doch irgendwie schafften sie es schließlich alle bis zu einer Anhöhe, von der aus man auf das Dorf hinunter sehen konnte. Hier machten sie Rast, während zwei Frauen voraus geschickt wurden, um das Dorf auszukundschaften.

Nach etwas über einer Stunde kamen sie mit strahlenden Augen zurück.

In dem Dorf hatten sie ein kleines Sportgeschäft gefunden, mit einer netten Auswahl an Besen aller Art.

Fröhlich tuschelnd zog sich die Gruppe in den Wald zurück, um den Einbruch der Nacht abzuwarten.

Schnuffel musste einen Schlafzauber über Sarah sprechen, da diese vor Hunger schrie.

Leise und mit angespannten Sinnen ‚schlichen‘ die knapp sechzig Menschen sich irgendwann nach Mitternacht endlich vom Stadtrand her an das Sportgeschäft heran.

Zum ersten Mal in ihrer aller Leben lächelte ihnen scheinbar das Glück.

Niemand bemerkte sie, als sie die Zauber auf der Eingangstüre brachen. Und es gab genügend Besen für alle.

In einer feierlichen Zeremonie wurde der Zauberstab herumgereicht und jeder der befreiten Häftlinge tätowierte sich ‚Sarah‘ auf den Arm, das Bein, den Busen (einige der jüngeren Insassen der Gefängnisinsel wandten verschämt die Augen ab; die Langjährigen schnaubten nur „wie kann man jetzt noch Schamgefühle haben...“) oder einen anderen Körperteil ihrer Wahl.

Harry und Schnuffel waren gerührt von diesem Beweis der Dankbarkeit und von dem gemeinsamen Schwur der fünf Dutzend Hexen und Zauberer, sie nie zu vergessen und ihnen auf ewig für ihre uneigennützige Tat dankbar zu sein.

Schließlich war es Zeit aufzubrechen.

Hand in Hand standen Harry und Schnuffel da und sahen zu, wie einer nach den Anderen ihrer Leidensgenossen in seine Zukunft davonflog.

„Lämmchen, was hält dich hier?“

Harry sah unglücklich aus, und Schnuffels besorgten Augen war es nicht entgangen. „Ich finde es nicht richtig, diese vielen Besen zu stehlen.“

Schnuffel lachte. "Kleiner, nach allem was die Zaubererwelt dir angetan hat, hast du jedes Recht ein bisschen etwas zurück zu fordern!"

"Ja, aber-"

Harry unterbrach sich hastig, als ein ploppendes Geräusch ankündigte, dass jemand ganz in ihrer Nähe appariert war. Schon konnten sie vor dem Laden Stimmen hören.

"Sind Sie sicher, dass es kein falscher Alarm war?"

"Ja, Herr Auror, ich habe selbst gehört, wie die Diebe sich unterhalten haben."

Harry und Schnuffel sahen sich entsetzt an.

Harry hatte Sarah fest umklammert, während sein Freund in der einen Hand einen Besen, in der anderen den Zauberstab des Wachmannes hielt.

"Was tun wir bloß...?", flüsterte Harry.

Eine Antwort sollte er nicht erhalten, denn in diesem Moment öffnete sich die Ladentüre.

"Lämmchen, halt dich an mir fest!", schrie Schnuffel.

Die Auroren betraten das Geschäft gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie zwei Personen mit einem Knall vor ihren Augen verschwanden.

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Als bekannt wurde, dass es einen Großausbruch auf Azkaban gegeben hatte, wurden alle Grenzen für Portschlüsselverkehr dicht gemacht. Die Muggel wurden informiert und alle Informationen, die man zu Aussehen, Alter und Gefährlichkeit der Flüchtlinge hatte, wurden Tag und Nacht im Muggelfernsehen sowie im Zaubererradio gesendet.

Großbritannien befand sich in einem Zustand äußerster Anspannung.

Harry und Schnuffel waren in jener Nacht von den Auroren verfolgt worden. Kaum apparierten sie an einem Ort, da spürten die Auroren ihre magische Fährte auf und folgten ihnen. Es kostete die beiden Flüchtlinge viel Energie und List, die Männer endlich von ihrer Spur abzubringen. Nach mehr als einem vollen Tag hatten sie endlich eine erste Verschnaufpause.

Inzwischen war Sarah wieder aufgewacht. Das kleine Wesen schrie erbärmlich und beiden Männern war nur allzu klar, dass sie so keine Chance hätten.

Sie wussten nicht einmal die Grundfakten über Kinderpflege- nicht einmal, ob das Kind mit Kuhmilch alleine überleben würde, oder ob es zusätzliche Nahrung brauchte.

"Lämmchen, sie wird sterben, wenn das so weiter geht."

"Aber ich kann sie nicht weggeben!!!"

"Gibt es denn niemanden, dem du ein Kind anvertrauen würdest?"

"Mein Vertrauen in die Menschheit habe ich an dem Tag verloren, als ich nach Azkaban kam- und eigentlich hatte ich schon davor so eine Ahnung, dass Menschen von Grund auf schlecht sind- schau dir doch nur mal meine Verwandten an!"

"Aber Kleiner, wenn wir Sarah weiter auf dieser wilden Jagd mit uns herumtragen, wird sie Schaden davontragen. Meinst du nicht, das Risiko wäre kleiner, wenn... Ich meine, es muss ja nicht für immer sein. In einem halben Jahr oder so, wenn sich der Trubel gelegt hat, holen wir sie ab und verlassen England gemeinsam. Na, was sagst du?"

Harry sah in die flehenden Augen seines langjährigen einzigen Freundes.

Er wusste, dass der Mann Recht hatte.

Und so fanden sich die drei Menschen schließlich vor dem Haus der Weasleys wieder.

"Mach's gut, meine kleine Sarah", flüsterte Harry, als er sein wertvolles Bündel auf der Türschwelle ablegte und ein Pergament und eine Feder aus dem Haus beschwor.

"Ich verspreche dir, ich bin bald wieder da!"


Zukunft

Molly Weasley war sich nicht sicher, was sie in dieser Nacht bewegt hatte, nochmal aufzustehen und nach der Kleinen zu sehen. Vielleicht war es ihr Mutterinstinkt, der sie warnte, dass etwas Wichtiges mit dem Mädchen geschah.

Seit sie Sarah vor einem Jahr bei sich aufgenommen hatte, war das kleine Mädchen ihr sehr ans Herz gewachsen.

Als sie aus dem Kinderzimmer gedämpfte Stimmen vernahm, versteifte sich Molly. Ihr Zauberstab lag noch immer auf dem Nachttisch neben ihrem Bett, wo sie ihn am Abend zuvor abgelegt hatte. Doch etwas ließ sie weitergehen. Wenn sie jetzt umkehrte, das spürte sie, dann würde sie etwas Wichtiges verpassen.

So schlich sie sich bis an die Türe, welche sie nachts immer einen spaltbreit offen stehen ließ, und lauschte mit angehaltenem Atem den Stimmen ihrer ungebetenen Besucher.

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„Du siehst so niedlich aus, wenn du deine Tochter im Arm hältst! Oh, wie konnte nur irgend jemand denken, du hättest das Zeug zum Mörder!“

Molly sah durch den Türspalt die Schatten zweier Männer. Es schien, dass der Größere seinem Begleiter die Haare verwuschelte.

Dieser grummelte iritiert und meinte dann verärgert: „Aber ich bin doch ein Mörder.“

Der Andere sah ihn scharf an. „DU bist NICHT an Ginny Weasleys Tod schuld, Kleiner!“

Molly stockte der Atem. Sie hatte geahnt, dass die Eltern ihres Adoptivkindes gekommen waren, um es zurückzufordern. Doch eine Äußerung wie diese hatte sie nicht erwartet.

Der Kleinere derweil funkelte den größeren Mann wütend an. „Das weiß ich auch selbst, danke schön! Ich rede von“ – er schluckte- „von den Wachen.“

„Ach so, die.“ Der Größere tskte gleichgültig. „Also erstens mal, Lämmchen, war das im Affekt gehandelt, zweitens hatten sie nichts anderes verdient, nach allem was sie dir angetan hatten...“

„Und drittens?“

„Drittens. Lämmchen, Harry, was hast du gedacht, bevor du sie mit diesem bemerkenswerten Schwall wilder Magie in alle vier Winde zerstreut hast?“

Harry sah auf das kleine Bündel in seinen Armen.

„Ich dachte... Ich hatte Angst, dass sie mir das Baby wegnehmen. Ich konnte nicht zulassen, dass sie bei ihnen aufwächst! Was, wenn sie sie auch... benutzt hätten... wie – wie mich ... und dich ... und ... und... ich hatte einfach Angst um sie, verstehst du?“

„Ich verstehe dich, Kleiner. Ich verstehe dich sogar viel besser als mir lieb ist.“

Schnuffel zitterte ein Wenig in Erinnerung an die vielen Besuche der Wachen, die auch er erlitten hatte, besonders in seinen ersten Jahren.

„Nun, jedenfalls siehst du dann doch sicher ein, dass es nicht deine Absicht war, sie zu ermorden, oder?“

„Naja... nicht eigentlich, nein...“

„Also war es ein Unfall. Du wolltest nur die Kleine schützen, ich finde, das ist dein gutes Recht. Das, mein Lieber, war kein Mord. Es war vielleicht nicht die sauberste Lösung, aber hey, dafür sind wir jetzt frei!“

Er grinste Harry fröhlich an.

Harry musste bei dem ansteckenden Frohsinn des Älteren einfach grinsen, er konnte nicht anders.

„Ach, Schnuffel, wenn ich dich nicht hätte...!“

„Da fällt mir ein. Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich dein Pate bin?“

„WAS?! Das hat mir niemand gesagt! Dann bist du ja auch fast Familie!“ Harry strahlte.

Molly fühlte einen wachsenden Kloß in ihrem Hals.

Das Gespräch ließ keinen Zweifel, wen sie da vor sich hatte.

Harry Potter. Der unschuldig war.

Und Sirius Black. Dem Harry zu vertrauen schien.

„...Aber zurück zum Thema. Du willst also der Familie unbedingt Geld für Sarahs Pflege geben? Dann schreib doch einen Scheck. Ich bin sicher, deine Eltern haben dir einen Batzen Geld hinterlassen.“

Harry sah seinen Paten nachdenklich an.

„Nun, ein großer Teil dieses ‚Batzens‘ ist bereits an die Weasleys gegangen, weil es ja hieß, ich hätte Ginny ermordet-“

„Ginny Weasley... ich kann immer noch nicht glauben, dass sie tot ist. Sie wurde geboren, wenige Tage bevor... bevor...“ Schnuffel brach ab und sah zu Boden.

„Oh“, machte Harry leise. „Du meinst, bevor Pettigrew meine Eltern verraten hat?“

Pettigrew?! Peter Pettigrew?!?

In Mollys Kopf drehte sich alles. War es möglich, dass auch Sirius Black zu Unrecht in Azkaban gesessen hatte?

Was hatten sie nur getan?

„Wurmschwanz, ja“, knurrte Schnuffel. „Wer hat die jüngste Weasley ermordet?“

„Angeblich ich... Die Wahrheit ist etwas komplizierter. Es geht um ein altes Tagebuch Voldemorts, das Lucius Malfoy“- Schnuffel fletschte knurrend die Zähne- „Ginny untergejubelt hat. Sie war unvorsichtig genug, hineinzuschreiben, und es hat von ihr Besitz ergriffen. Es brachte sie dazu, die Kammer des Schreckens zu öffnen und Leute zu versteinern, wie, weiß ich nicht genau. Doch, warte, Riddle sagte etwas von einem Basilisken...“

„Riddle?“

„Tom Marvolo Riddle. Voldemort. Seine Erinnerung war in dem Tagebuch und versuchte, wieder aufzuerstehen, indem sie Ginny all ihre Lebenskraft raubte. Ich habe das olle Teil zerstört und ihn aufgehalten- leider zu spät.“ Das Letzte sagte er ganz leise.

Beide schwiegen ein Weilchen betreten.

Molly wurde derweil von den vielen Informationen beinahe erdrückt. Harry hatte versucht, Ginny zu retten? Er hatte es mit Du-weißt-schon-wem aufgenommen?

Schließlich ergriff Harry wieder das Wort.

„Kann ich denn einen Scheck schreiben, der etwas wert ist? Wo ich doch ein entflohener Häftling bin...“

„Den Kobolden in Gringotts ist es egal, wer du bist. Es ist sogar egal, mit welchem Namen du unterschreibst- sie haben Mittel und Wege, um herauszufinden, ob die Unterschrift zu dem Verließ passt. Wir müssen also eigentlich nicht weiter von den Hinterlassenschaften meiner ätzenden Verwandtschaft leben- auch wenn ich ihnen heute dankbar bin, dass sie die Bank für unzuverlässig hielten und ihre Schätze im Haus gehortet haben.“

„Oh Klasse! Dann müssen wir jetzt nur entscheiden, wieviel wir ihnen geben wollen, und-“

"Du musst uns gar nichts geben, Harry."

Unter den geschockten Blicken der beiden Flüchtlinge betrat Molly Weasley leise das Zimmer.

"Ist es wahr, Harry? Du hast Ginny nicht ermordet?"

Der Junge sah sie aus unsagbar traurigen, matten grünen Augen an.

"Haben Sie das wirklich geglaubt?"

Molly schluckte. Hatte sie das?

Anfangs vielleicht nicht. Es war ihr absurd vorgekommen, dass der höfliche, schüchterne kleine Junge, den sie im Jahr zuvor am Gleis 9 3/4 kennengelernt hatte, irgendjemanden verletzt, geschweige denn ihre Ginny ermordet haben sollte.

Doch der Prozess war wie in einem Nebelschleier an ihr vorbeigezogen, und was immer dort gesagt worden sein mochte, es schien keinen Zweifel an Harry Potters Schuld gelassen zu haben. Mit einem Gefühl von Unwirklichkeit hatte Molly später gelesen, dass Harry Potter der Tat für schuldig befunden und nach Azkaban verurteilt worden war.

Sie hatte es nicht glauben wollen.

Sie hatte sich ja nicht einmal eingestehen wollen, dass Ginny tatsächlich tot war.
Doch mit der Zeit war die Wahrheit bis zu ihr durchgedrungen. Und mit der Zeit hatte sie Ginnys Tod akzeptiert. Und Harrys Verurteilung.

Aber seine Schuld?

Eigentlich nicht.

"Ich konnte mir nie erklären, wie gerade DU gerade GINNY ermorden konntest. Es ergab keinen Sinn..." Aus trüben Augen sah sie ihn an.

Es dämmerte ihr ganz allmählich, dass sie ihren Gefühlen hätte vertrauen müssen.

"Wenn ich damals etwas gesagt hätte... dann hätten sie vielleicht nach weiteren Beweisen gesucht und..."

"Es ist schon gut", unterbrach sie Harry.

Mit Erstaunen sah Molly im fahlen Mondlicht, das zum Fenster hereinschien, dass der junge Mann vor ihr einen ernsten, erwachsenen Ausdruck auf dem Gesicht trug. Da war kein Vorwurf in seinen Augen, sondern nur Trauer und, so unglaublich das auch schien, Verständnis.

"Ich bin Ihnen nicht böse, Mrs. Weasley. Selbst wenn Sie für mich gesprochen hätten, hätte das vermutlich nichts geändert. Der Minister wollte mich wegschließen, also hat er das getan. Ohne respektlos sein zu wollen, ich denke nicht, dass Ihre Familie einflussreich genug gewesen wäre, eine Entscheidung des Ministers erfolgreich anzufechten. Es macht also keinen Unterschied.

"Wenigstens haben Sie so das Geld erhalten.

"Es gibt niemanden, dem ich es mehr gönnen würde als Ihnen."

Molly liefen die Tränen über die Wangen, als sie dem jungen Mann zuhörte, wie er ganz selbstverständlich erklärte, dass er es befürwortete, dass sie sich ohne jedes Recht an ihm bereichert hatten.

"...Es ist ja nicht so, als hätte ich in Azkaban viel mit dem Geld anfangen können. Und so waren Sie jedenfalls in der Lage, sich gut um meine Kleine zu kümmern..."

Molly sah, wie das eben noch ernste und angespannte Gesicht plötzlich einen ganz weichen Ausdruck bekam, als der Junge sich zu dem Kleinkind auf seinem Arm hinunterbeugte.

In diesem Moment öffnete Sarah ihre grünen Augen.

Harry lächelte sie an. "Hallo Sarah. Daddy ist wieder da."

Das Ticken der Standuhr klang laut in der nächtlichen Stille. Minuten verstrichen, in denen Vater und Tochter einander stumm anschauten.

Dann lachte Sarah leise und streckte ein Händchen aus, um nach Harry zu greifen.

Molly keuchte vor Erstaunen auf.

Die beiden Männer drehten sich stirnrunzelnd und mit fragenden Blicken zu ihr um.

"Das...", setzte Molly an. "Das ist das erste Mal, dass Sarah gelacht hat!!!"

Harry sah seine Tochter einen Moment lang verwirrt an, bevor er sie eng an sich drückte und seine Wange an der ihren rieb.

"Oh meine Kleine, dachtest du denn, ich komme nicht wieder? Egal, wer deine Väter sind, ich liebe dich! Du und Schnuffel, ihr seid meine Familie!"

Das Kind lachte noch einmal und zog Harry spielerisch an den Haaren.

Molly hingegen stand wie an ihrem Platz festgewachsen.

"Ihre Väter? Aber... wieso... Ist sie denn nicht deine Tochter?"

Harry fixierte sie mit einem durchdringenden Blick.

"Erinnern Sie sich an meinen Brief, Mrs. Weasley? Ich habe nicht übertrieben als ich sagte, dass Sarah kein Kind aus einer glücklichen Beziehung ist."

Molly starrte ihn weiterhin verständnislos an.

Harry seufzte.

"Ich bin sicher, Sie haben in der Zeitung gelesen, dass alle vier menschlichen Wachen Azkabans bei dem Ausbruch ums Leben gekommen sind."

Molly nickte.

"Nun, der Grund dafür war, dass sie mir Sarah wegnehmen wollten. Da habe ich sie mehr oder weniger unabsichtlich mit einem Ausbruch meiner wilden Magie ...gesprengt."

"Wie konntest du denn in Azkaban überhaupt eine Tochter haben? Warst du mit einer Frau zusammen in einer Zelle?"

Für Harry war seine Schwangerschaft schon so lange eine Tatsache gewesen, dass er nicht begreifen konnte, wieso Mrs. Weasley immer noch nach einer Frau in der Geschichte suchte.

Schnuffel schien das Dilemma zu erkennen, denn er mischte sich nun hilfreich in die Geschichte ein.

"Sarah hat keine Mutter, Molly. Nur Väter."

Molly sah ihn aus vor Schreck geweiteten Augen an.

"Was? ... Wer!? ... Wie... ? Hast du...?"

Harry schnaubte.

"Ich wünschte, es wäre so einfach. Mit Schnuffel hätte ich vielleicht noch leben können.

"Nein, Mrs. Weasley, kein Grund zur Sorge." Seine Stimme wurde hart. "Der Schulfreund meines Vaters hat mich am Tag von Sarahs Geburt das erste Mal auch nur gesehen. Er ist also kein Perverser, der sich an seinem Patensohn vergreifen würde."

Harry wurde langsam beinahe ärgerlich, denn Molly Weasley stand für sein Empfinden gehörig zu lange auf dem Schlauch.

"Es gab vier gelangweilte Wachen in Azkaban. Haben Sie sich nie gefragt, was für Menschen einen Job in einem Gefängnis annehmen würden, das von Dementoren bewacht wird? Wer macht das schon freiwillig, ohne irgendeinen Vorteil dadurch zu erlangen?

"Nun, ich kann Ihnen versichern, diese vier Wachen haben den Job nicht aus purem Sinn fürs Gemeinwohl gemacht!

"Es gibt vermutlich keinen Häftling Azkabans, der nicht mindestens einmal von den Wachen vergewaltigt worden wäre."

Nun war es heraus.

Molly starrte den sechzehnjährigen Jungen mit schreckensbleichem Gesicht an, wie er da vor ihr stand, im Arm seine Tochter, die er mit fünfzehn bekommen haben musste. Er sah ernst und gefasst aus, und viel erwachsener, als es ein Junge seines Alters hätte sein dürfen, zumal da er mehrere Jahre seines Lebens an einem Ort verbracht hatte, an dem ihm jegliches Wissen übers Erwachsenwerden, welches andere Jungen seines Alters nach und nach entdeckten, hätte verschlossen sein sollen.

"Harry, du bist doch erst..."

„Sechzehn“, bestätigte Harry. „Aber ich war zwölf, als sie das erste Mal... das erste Mal...“

Er wandte sich ab und verbarg sein Gesicht in Schnuffels Mantel.

Molly seufzte schwer. „Ich vermute, davon hast du nichts, Harry, aber ich möchte, dass du eines weißt: Ich bin froh, dass die Bastarde tot sind, die dir das angetan haben.“

Harry sah erstaunt auf.

Es war schön, zu wissen, dass es Menschen gab, die sahen, wie falsch sie alle in Azkaban behandelt worden waren. Es wäre vielleicht gar nicht schlecht, wenn das mehr Leute wüssten...

„Schnuffel", wandte er sich an den Mann, der zuerst sein Freund, seit ihrem Ausbruch aber immer mehr eine Vaterfigur für ihn geworden war, "ich denke, Mrs. Weasley müssen wir nicht obliviaten. Ich will, dass sie das weitererzählt. Vielleicht vergeben sie dann ja ein paar von den Anderen.“
Nur wenige ihrer Mit-Ausbrecher waren wieder gefasst worden, doch jene, welche sich auf freiem Fuß befanden, galten vor dem Gesetz noch immer als vogelfrei.

Schnuffel sah ihn kurz an und nickte. „Das ist eine gute Idee. Würdest du das für uns tun?“, fragte er dann die Mutter der Weasleyfamilie. Diese willigte gerne ein, hatte aber auch eine Frage. „Ich werde darauf hinweisen, dass ihr beide unschuldig verurteilt wurdet. Wollt ihr hier bei mir wohnen bleiben, bis eure Fälle neu verhandelt werden?“

Harry seufzte. „Nein, es ist besser, wenn wir das Land so schnell wie möglich verlassen. Jetzt, wo die Portsperren und die Überwachung der Muggelflughäfen am Abklingen sind, sehe ich keine Veranlassung mehr, länger hier zu bleiben. Ich bin damals nur vordergründig wegen eines Mordes verurteilt worden. Der eigentliche Grund aber war, dass ich ein Parselmund bin. Daran hat sich nichts geändert..."

Eine Weile herrschte bedrücktes Schweigen.

Sarah war wieder eingeschlafen und hatte sich eng an ihren Daddy gekuschelt, die kleinen Fäustchen fest in seinen Mantel gekrallt.

"Nun, es wird Zeit für uns, zu gehen", sagte Schnuffel schließlich vorsichtig.

Harry nickte.

Der Abschied von Mrs. Weasley fiel ihm nicht leicht, denn er wusste, dass dies das letzte Mal war, dass er einen Menschen aus seinem früheren Leben sehen würde.

Er verfasste schludrig einen Scheck über eine große Menge Geld, den er der sich sträubenden Frau in die Hand drückte.

"Sie waren eine Mutter für meine Sarah. Ich habe sonst keinen Weg, Ihnen zu danken. Bitte, lassen Sie mich wenigstens das für Sie tun..."

Noch immer liefen Molly die Tränen übers Gesicht. Nur undeutlich nahm sie wahr, wie Schnuffel seinen Arm um Harry und das Mädchen schlang.

Mit einem Ploppen verschwanden Sarah, ihr Vater und sein Pate aus ihrem Leben.

"Molly Liebes, was war das eben für ein Geräusch?"

Molly drehte sich um und sah ihren Mann verschlafen im Gang stehen.

Mit einem herzzerreißenden Schrei warf sie sich ihm entgegen und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.

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Am nächsten Tag saßen in einem Flugzeug Richtung Asien ein paar Leute, die niemand mehr als die Gefängnisflüchtlinge erkannt hätte, welche ein halbes Jahr zuvor im Fernsehen gezeigt worden waren.

Schnuffel, Lamm und Tochter verließen Großbritannien. Nie wieder würden sie sich der europäischen magischen Jurisdiktion anvertrauen. Und vielleicht hatte man in Asien ja auch weniger Vorurteile gegenüber Schlangen.

Sarah schlief glücklich in Harrys Arm, während Schnuffel die Aussicht aus dem Fenster der großen Maschine genoss. Er war noch nie mit einem Flugzeug geflogen und war beeindruckt von der überlegenen Höhe und Geschwindigkeit.

Harry war zufrieden.

Er ließ England endlich hinter sich zurück, und damit auch seine ganze schreckliche Kindheit. Die Jahre der Missachtung bei den Dursleys, das Stigma des ‚Jungen-der-Lebt‘, und schließlich auch die Jahre in Azkaban.

Jede Erfahrung hatte ihn geprägt, das ließ sich nicht leugnen. Doch er hatte die Chance bekommen, als der neue Mensch, der er nun war, ein ganz neues Leben anzufangen.

Der Pass, den Schnuffel in einer zwielichten Ecke Londons für ihn erworben hatte, wies ihn als ‚John Logan Earnest‘ aus, Sohn von ‚Heath Michael Earnest‘ (das war Schnuffel), und Vater von ‚Sarah Lilly Earnest‘.

Harry Potter gab es nicht mehr. Er war in England gestorben.

John Earnest aber flog einer glänzenden Zukunft mit seiner Familie entgegen.

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Und so erfüllte sich endlich eine wenig bekannte Prophezeiung. Jahre später sollte sie die Öffentlichkeit erreichen. Der Tag, als man begriff, was geschehen war, als man Harry Potter aus dem Land vertrieben hatte, war ein schwarzer Tag für die britische Zaubererwelt.

Der Eine mit der Macht, den Dunklen Lord zu besiegen, war nicht mehr.


ENDE

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A/N: Die Namen sind eine kleine Wortspielerei, alles Insider-Witze. Kommt irgendwer drauf?
A/N 2: Eine review wäre nett. ; )