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Begabung

By: RihaijdeRih
folder German › Originals
Rating: Adult +
Chapters: 11
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Reviews: 24
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Disclaimer: This is a work of fiction. Any resemblance of characters to actual persons, living or dead, is purely coincidental. The Author holds exclusive rights to this work. Unauthorized duplication or commercial use is prohibited
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Begabung

„Tu es endlich!“
Die harte Stimme hallte laut durch die Halle wieder. Farjins Wut verzerrte sein sonst so sanftes Gesicht mit den dunklen Augen, welches so oft gütig, sogar fast liebevoll auf ihn geblickt hatte. Jetzt war es dem Jungen fremd und flößte ihm Angst ein, als ob er dieses Gesicht noch nie zuvor gesehen hatte.
Der Meistermagier trat einen weiteren Schritt auf ihn zu. Sein Gesicht zeigte rote Flecken und er bebte vor Anspannung. Sein Blick richtete sich erneut auf den kleinen, blonden Jungen vor ihm.

„Ich habe dich geschaffen, ich habe dir alles beigebracht. Du bist nichts ohne mich. Nutze endlich deine Macht, benutzte sie, dazu wurdest du geboren. Dazu habe ich dich alles gelehrt. Tu es!“
Die Stimme seines Meisters war hart und fordernd, nichts davon erinnerte an die Sanftheit, mit der er sonst mit Arlyn im Unterricht sprach.

Der Junge mit der hellen, ungewöhnlichen Hautfarbe zwischen einem Creme- und Kupferfarbton mit den weichen, rotblonden Haaren stand wie erstarrt, sah den wimmernden Mann vor sich voller Entsetzen an.
Stumm schüttelte er wieder und wieder den Kopf, während sein schmaler Körper erzitterte.

Farjin verlor endgültig die Geduld mit seinem Schüler. Entschlossen trat er vor, umklammerte hart von hinten Arlyns Arme, stieß ihn grob vorwärts und ergriff seine Hände. Er zwang den Jungen sie zu erheben , näherte sich dabei dem Mann, der voller Furcht zusammen gekauert da lag, wieder und wieder um sein Leben flehend.
Arlyn wand sich in Farjins Griff, sträubte sich, versuchte seine Hände zu befreien. Seine Magie tobte in ihm, wollte sich Bahn brechen, aber Farjins fordernde Magie drang auf ihn ein, wollte ihn zwingen, das Undenkbare zu tun.
Nur noch mühsam kontrollierte Arlyn seine heiße Magie, die plötzlich so voller Wut und Zorn war, die kurz unter der Oberfläche seiner Haut brodelte, bereit sich Bahn zu brechen, wenn er es nur zu ließ.

Nie zuvor hatte sie sich so wild, so heiß, so gefährlich angefühlt und so beängstigend.
Es kostete ihn unendlich Kraft, sie zu beherrschen zumal Farjin seine Forderung weiter auch magisch verstärkte. Arlyn kämpfte gegen seine Macht an, diese Magie, die so gewaltig war, dass sie seinen Willen fast hinweg zu fegen drohte.
Farjin war es schon zuvor gelungen.
Der Junge wusste, dass er der Magie seines Meister nur wenig entgegen zu setzen hatte. Er hatte ihn auch zuvor schon dazu gebracht, die Magie für ihn einzusetzen.

Aber dieses Mal nicht. Er würde nicht töten. Er konnte es nicht, er wollte es nicht, dazu würde er seine Magie nicht missbrauchen. Dieser Mann flehte dort um sein Leben. Er würde ihn nicht töten!

Farjin schrie vor Zorn und tiefer Enttäuschung auf, als Arlyn seine Barriere verstärkte, sich weiter vor ihm zurückzog. Farjins Magie prallte ab, vermochte nicht, Arlyns Magie zu erreichen, die so verlockend, heiß und wild an ihren Fesseln zerrte, alles darstellte, was Farjin beherrschen wollte.

Diese wilde, ursprüngliche, gewaltige Magie über die dieser kleine Junge verfügte! Sie war seine, war alles, was er immer gewollt hatte seit er sie das erste Mal gespürt hatte.
Er hatte ihn geformt, ihn ausgebildet, seine Magie entwickelt, die so viel mehr war, als die jedes anderen seiner Schüler. Nun würde er sie vervollkommnen, zu seiner eigenen machen. Magie jenseits jeder Vorstellungskraft. Der Junge würde ihm gehorchen, wie er es immer getan hatte.

„Töte ihn!“, brüllte der Magiermeister erneut, stieß Arlyn grob nach vorne, doch der blockte erneut den Zugriff ab und keuchte: „Nein! Das kann ich nicht tun!“

Farjin zog plötzlich seine Magie zurück und Arlyn dachte schon, er hätte es überstanden, als ihn die Magie erneut mit voller Wucht traf, zu schnell um einen Schutz zu wirken.
Er wurde hoch geschleudert, weit durch die Luft gewirbelt, als ihn Farjins Zorn traf. Noch in der Luft umgab Arlyn sich blitzschnell mit einem Schutz, so dass sein Sturz gemildert wurde. Dennoch trieb der Aufprall ihm noch die Luft aus den Lungen.
Er landete fast am Ende des Saals, drehte sich rasch um, sprang wieder auf die Beine, bereit den nächsten magischen Angriff abzuwehren. Sich gegen seinen Meister zu wehren, dachte er dabei entsetzt. Ich kämpfe gegen meinen Meister.

Farjin raste vor Wut.
Noch nie hatte Arlyn seinen Meister so erlebt. Keine Sanftheit war in seinem Blick, nichts von dem bewunderten Magiermeister, der ihn die letzten fünf Jahre unterrichtet hatte. Kalte, entsetzte Angst durchflutete den schmalen Jungen, als der die wutverzerrte Grimasse sah.
Rasch blickte er sich um, aber die Saaltüren waren geschlossen und es gab keine offene Tür durch die er fliehen konnte. Er stand ganz alleine dem zornigen Meister gegenüber.

Farjin hob seine Arme und Arlyn sammelte verzweifelt seine Magie, bereit sich zu verteidigen. Doch die Magie, die Farjin in seine Richtung schleuderte traf nicht ihn, sondern den unglücklichen Mann am Boden, zerfetzte ihn in der Luft, ließ nichts von ihm zurück.
Arlyn schrie erschrocken auf, fühlte wie Farjins Magie den Mann tötete, weiter heiß durch den Saal fegte.

Vollkommen entsetzt starrte Arlyn den großen Mann am Ende des Saals an, den Mann, dem er vertraut hatte.
Farjin, der Magiermeister, sein Lehrer in den letzten Jahren, der Mann zu dem er aufgesehen hatte, den er bewundert hatte. Der ihm ein Zuhause gegeben hatte, ihn stets als seinen Meisterschüler bezeichnet hatte.
Diesen Mann, der dort stand, ihn hasserfüllt anblickte, diesen Mann kannte er nicht. Aber er wusste instinktiv, dass er ihn fürchtete sollte.

Farjin zog die Magie zurück, als er den Jungen anstarrte. Schwer atmend stand er da, beobachtete kühl, wie der Junge sich gegen den nächsten Angriff spannte, doch als er kam, war Arlyn fast zu langsam. Farjin schleuderte ihm die Magie entgegen, die ihn abermals hoch hob, den schmalen Körper haltlos herumwirbelte und fast bis hoch an die Decke schleuderte.
Sofort wob Arlyn rasch erneut einen Schutz um sich, drehte sich in der Luft um, veränderte die Richtung. Anstatt haltlos an die Decke zu prallen, wurde er seitwärts geschleudert, rutschte an der Wand wieder zu Boden. Schmerzen durchfluteten ihn. Die Magie hatte ihn nicht verletzt, wohl aber der Aufprall auf dem harten Holz der Wand. Seine Schulter fühlte sich taub an. Kurz schrie auf, als er versuchte sie zu bewegen. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihn.
Er schloss kurz die Augen, sammelte die Magie zum Heilen in der Schulter. Augenblicklich fühlte er den Schmerz nachlassen, spürte, wie Knochen heilten, die Beweglichkeit der Schulter wieder hergestellt wurde.

Doch es gelang ihm nicht schnell genug, den nächsten Angriff von Farjins Magie abzublocken, zu sehr war er auf das heilen konzentriert. Wieder wurde er herum gewirbelt, über den Fußboden des Saals geschleudert. Unsanft kam er an der Wand zum Halten, hob schützend die Arme um einen neuen Schutz aufzubauen, doch Farjin fegte ihn erneut einfach zur Seite.
Panik wallte in Arlyn auf, als er in rascher Folge Salven von Farjins Magie abwehrte, die der große Mann ohne Unterlass auf ihn warf.
Farjin näherte sich mit vorgestreckten Armen dem am Boden liegenden Jungen. Arlyns Gesicht verzerrte sich vor Angst und Anstrengung. Er hob wieder und wieder die Hände, wehrte die Magie ab, doch er spürte, dass er dabei immer schwächer wurde. Er hatte dieser gewaltigen, wütenden, tobenden Magie seines Meisters nichts entgegen zu setzten. Die Furcht vor seinem Meister lähmte ihn zu sehr.

Unaufhaltsam näherte sich Farjin, das Gesicht nun starr, den Blick direkt auf sein Opfer gerichtet. Arlyns Bewegungen wurden langsamer, immer wieder durchbrach ein Teil der Magie seinen Schutz, ließ ihn wieder gegen die Wand krachen.
Sein Rücken schmerzte, er fühlte Blut hinab rinnen, wusste, dass er die Heilmagie nicht zusammen mit der Schutzmagie beherrschen konnte. Nicht, wenn Farjin ihn weiterhin mit dieser Wucht attackierte.

Hilflosigkeit machte sich in Arlyn breit. Er wusste nicht, ob Farjin ihn nicht sogar töten würde, denn diesen furchterregenden Magier kannte er nicht.
Als Farjin dicht vor dem Jungen stand, senkte er endlich die Arme, betrachtet den zierlichen Jungen vor sich voller Wut.
Arlyn hatte kaum noch Kraft, haltlos fielen die Hände hinab, er konnte kaum noch etwas sehen. Schwärze drohte ihn zu umfangen, er spürte wie die Magie ihn heilte, doch langsam, viel langsamer, als er es sonst konnte.
Endlich stoppte Farjin seine Angriffe. Er stand nun direkt vor Arlyn, das Gesicht eine undurchdringliche Maske. Seine linke Hand schoss hervor. Arlyns Abwehr verpuffte ohne Wirkung, als der Magier ihn magisch anhob, fest und hart an die Wand presste. Es war, als ob seine Hand sich tatsächlich um Arlyns Kehle schließen würde, so real war die Magie.

Der Junge rang nach Luft, kämpfte mit seinem ganzen Körper gegen den magischen Griff an, zappelte hilflos in diesem festen Griff gefangen.

„Du undankbarer Bastard. Ich habe dich erschaffen, ich habe dich deinen Eltern abgekauft, damit du das wirst, was ich wollte, damit du diese, deine Magie nutzt! Ich habe dich zu dem gemacht, was du bist! Ich kann dich zerquetschen, wie ein Insekt, zerstören, wie ein misslungenes Gemälde. Du verdienst eine Lektion, Arlyn. Eine Lektion, die du niemals vergessen wirst. Eine Lektion, die dir zeigt, wo du stehst und wem deine Magie gehört,“ zischte Farjin.
Seine drohende, grausame Stimme ließ den Jungen vor ihm erzittern.
Arlyn rang verzweifelt nach Luft, schwach entsandte er seine Magie, versuchte einen Schutz zu wirken, doch Farjin brüllte plötzlich auf, schlug den Schutz lässig beiseite. Dann zog er seine Magie urplötzlich zurück.

Arlyn fiel vornüber auf den harten Boden. Er griff sich an den Hals. Der würgende Griff war weg, stattdessen aber fühlte er ein sehr feines Band, wie dünnes Metall, welches seinen Hals eng umschloss. Er griff danach, zerrte erschrocken daran. Sein Verstand ließ die Erkenntnis nur langsam durchsickern: ein magisches Band!
Farjin hatte seine Magie mit einem magischen Band gebunden.
Entsetzen breitete sich in Arlyn aus. Er warf sich zurück, doch Farjin war schneller, zog ihn rasch zu sich heran, Der Junge wand sich, versuchte frei zu kommen, aber der Meister ergriff seine Hände
Auch hier schlossen sich plötzlich feine Bänder aus einem kaum sichtbaren Metall, welches matt golden schimmerte, um seine Handgelenke

Farjin ließ den Jungen los und der keuchte auf vor Überraschung. Er fühlte wie seine Magie in ihm war, fühlte ihre Bereitschaft, spürte das feine, vertraute Kribbeln unter der Haut, doch das war auch alles.
Farjin hatte seine Magie im Innern gebunden.
Natürlich hatte Arlyn darüber gelesen. Es war Teil seiner Studien gewesen. Er wusste, dass es möglich war, dass diese feinen Bänder seine Magie in seinem Innern banden so banden, dass er sie nicht mehr einsetzten konnte. Diese Bänder machten ihn so hilflos wie einen ganz normalen Menschen, beraubten ihn gänzlich seiner Magie.
Der Junge keuchte entsetzt auf, als ihn die Erkenntnis voll traf, zerrte verzweifelt an seinen Armbändern, versuchte, das dünne Metall am Hals und an den Händen irgendwie abzustreifen, doch alles war vergebens.

Farjin trat zurück, betrachtete kalt und gelassen, die verzweifelten Versuche seines Schülers, die Bänder abzustreifen.
„Eine Lektion, mein junger Arlyn. Du wirst eine Lektion bekommen, die dich lehren wird, nie wieder meinen Befehle in Frage zu stellen!“

Seine Worte waren hart und kalt. Er stand da, starrte auf seinen Meisterschüler herab, Verachtung und Kälte im Blick. Arlyn schluckte, kam schwankend auf die Füße.
Blut trocknete an seinem Rücken und ohne seine Magie, die ihn sonst sofort heilte, spürte er deutlich, schmerzhaft jeden Bluterguss, jede Schürfwunde, jede Prellung.

„Du bist für mich nichts wert, bis du deine Lektion gelernt hast. Geh! Geh mir aus den Augen.“
Farjins Stimme war leise, so voller kalter Verachtung, dass sie Arlyn Stiche in die Brust versetzte. Er wollte etwas sagen, wollte erklären, sich womöglich entschuldigen, aber er war so voller Furcht und Entsetzen über den Mann, den er zu kennen geglaubt hatte, dass ihm kein Wort über die zitternden Lippen kam.

Abrupt wandte sich Farjin um, die Mundwinkel missbilligend nach unten verzogen, durchschritt den Saal mit großen, hastigen Schritten.
Mit einem fast sanften, knarrenden Geräusch öffneten sich die großen Saaltüren hinter Arlyn und kalte Luft wehte herein. Gehetzt sah der Junge sich um.
Sein Meister beachtete ihn nicht weiter, schritt durch den Saal zur hinteren Tür zu seinen Gemächern, aber hinter Arlyn war das Tor offen, winkte die Freiheit aus diesem plötzlichen Alptraum.

Arlyn zögerte nicht lange, drehte sich um und floh. Er rannte, so schnell er konnte durch die großen Türen, über den vertrauten Innenhof zur Mauer, durch das große Tor hinaus auf den Weg zum Wald.
So schnell er irgend konnte rannte er vor diesem grausamen, furchteinflößendem Mann weg, der einst sein Meistermagier und fast väterlicher Freund gewesen war. Seine Füße trugen ihn rasch vorwärts aus dem bekannten Gelände, weg von der Burg, in der er fünf Jahre gelebt hatte.

Die leise pulsierende Magie in ihm war vertraut, war seine eigene, auch wenn sie nun in ihm verschlossen war und er sie nicht benutzen konnte.
Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl. Als ob er einen seiner Sinne verloren hätte, als ob er nicht mehr Hören, Sehen oder Schmecken konnte.
Die Erfahrung war völlig neu für ihn. So fühlte sich also ein ganz normaler Mensch.
Ein merkwürdiger Gedanke.
Arlyn war nun einer von ihnen, begriff er. Kein Meisterschüler mehr, nur ein unbedeutender Mensch, dachte er traurig.
Aber immerhin würde er nun auch nicht tun müssen, was Farjin von ihm verlangt hatte. Er würde nicht töten müssen, würde seinem Meister nicht zu Diensten sein müssen.

Vor ihm lag eine ganze Welt voller Freiheit, weit weg von diesen entsetzlichen Forderungen des Meistermagiers. Und als Arlyn rannte war es eher, als ob eine Bürde von ihm abfallen würde, als ob er die Zeit seiner Lehre abschütteln würde und dabei mit jedem Meter leichter, freier werden würde.

Er rannte bis seine Lunge brannte und er in einen langsameren Trab überging, schließlich nur noch schritt, tief die Luft einsaugend. Seine Magie konnte ihm nicht helfen, dieses Mal musste sich sein Körper ganz von alleine erholen.
Es war ein sehr merkwürdiges, unbekanntes Gefühl, das Pochen und Brennen seiner Prellungen zu fühlen, ohne es heilen zu können. Arlyn fühlte sich unsicher, da er nicht wusste, wie sein Körper sich alleine heilte, wie es sich anfühlte. So war es für Menschen ohne Magie? Soviel Unsicherheit?

Hilflos und ängstlich fühlte er sich ohne den Schutz seiner Magie. Sie war so sehr Teil seiner Selbst, immer präsent, immer involviert.
Er würde erst lernen müssen, nur ein ganz einfacher Junge zu sein.

Arlyn wanderte ziellos weiter bis es anfing zu dämmern.
Er folgte einfach dem Lauf der Straße. Seit Jahren war er nicht aus der Burg gekommen, er wusste nicht, was sich in dem Wald verbarg oder wohin diese Straße führte, er würde ihr einfach folgen und sehen, wohin sie ihn bringen würde.

Die Luft kühlte merklich ab, als die Sonne sich dem Horizont näherte. Der Junge genoss den Anblick, lauschte den Vogelstimmen, nahm den Geruch nach Erde und Feuchtigkeit in sich auf. Ihm war leicht ums Herz und er konnte die Erinnerungen nach und nach von sich schieben.

Wie hatte er sich nur so in Farjin täuschen können?
Er kannte den Meistermagier nun seit fünf Jahren, seit er in sein Dorf an der Küste gekommen war und seinen Eltern eine stolze Summe bezahlt hatte, für ihren fünften Sohn. Seine Eltern waren arme Fischer gewesen. Er erinnerte sich nur vage an diese harte Zeit.
Sie hatten vom Fischfang gelebt. Oft genug war das zu wenig, um alle satt zu machen. Hunger und Kälte hatten zu seiner Kindheit gehört, wie die harte körperliche Arbeit an den Netzen.
Als dieser hohe, vornehme Herr kam und ihnen Gold anbot, Geld, welches sie kaum in einem Jahr verdienen konnten, für ihren jüngsten Sohn, hatten die armen Fischersleute nicht sehr lange gezögert. Der Junge war ohnehin viel zu zart gebaut und würde in dem harten Leben der Fischer nicht gut bestehen können. Der vornehme Herr versprach, ihn gut auszubilden, seine Gabe zu fördern, seine Magie zu entwickeln. Und eben diese Gabe, diese Magie war es, die ihnen ohnehin unheimlich war, die ihn aus der Gemeinschaft der Fischer ausgrenzte.
Schon die Gilrand dra Ghil, die Namensgeberin des Dorfes hatte ihnen gesagt, das ihr jüngster Sohn, etwas Besonderes war. Sie hatte ihm diesen merkwürdigen Namen gegeben, einen Namen in der ganz alten nordischen Sprache, der Sprache der Inseln: Arlyn.

Der Junge erinnerte sich noch an die Gesichter, an die Tränen seiner Mutter, doch es war eher wie eine Chance gewesen, der Armut zu entkommen, der schweren Arbeit, der Einsamkeit, weil er so anders war.

Meister Farjin hatte ihn als Schüler mitgenommen, hatte seine Magie erkannt und gefördert.
Es war keine leichte Zeit gewesen. Farjin war ein strenger Magiermeister, forderte Arlyn immer wieder auf, das Beste zu geben, verlangte von ihm immer mehr, als von allen Anderen. Dennoch war er immer gut behandelt worden und genoss einen besonderen Status unter Farjins Schülern. Nicht nur wegen seines ungewöhnlichen Aussehens. Seine Magie war besonders stark.
Farjin hatte immer wieder verzückt reagiert, wenn ihm Lektionen gelangen, die den anderen Schülern noch Schwierigkeiten machten. Seine Magie war intuitiv, stark, er lernte sehr schnell, war stets bemüht, seinem Meister alles recht zu machen, seinen hohen Ansprüchen zu genügen. Er war sein Meisterschüler geworden.

Bis zu diesem Tag. Bis zu dieser letzten Lektion.
Hier hatte er versagt, hier war er gescheitert. Zum ersten Mal.
Gescheitert, als Farjin, sein Meister von ihm das Unmögliche verlangt hatte: seine Magie zum Töten einzusetzen.
Arlyn schauderte bei der Erinnerung an die letzten Ereignisse, er sah wieder das vor Furcht so schrecklich verzerrte Gesicht des gefesselten Mannes vor ihm, den Farjin ihn befohlen hatte, zu töten.

„Fühle den Fluss der Magie dich durchströmen. Ihre Kraft, ihre Wildheit. Nutze sie. Zentriere sie in einen einzigen Strahl. Lege alle Kraft hinein, jeden Impuls und dann lenke sie direkt in sein Herz“, hatte Farjin ihn aufgefordert.
Doch Arlyn hatte dabei nur das Wimmern gehört, die Augen des Mannes gesehen, der ihn flehentlich anstarrte, dessen Todesangst gefühlt.

„Ich kann es nicht.“ hatte er geflüstert. „Das kann ich nicht tun.“
Und Farjin war hinter ihn getreten, hatte seine eigene Magie in ihn entsandt, hatte ihn wieder und wieder aufgefordert, doch er vermochte es nicht.
Dann hatte der Meister seine eigene Magie verstärkt, war in Arlyn eingedrungen, hatte sich seiner Magie bedient, sie versucht umzuleiten, versucht, ihn zu zwingen, sie zum Töten ein zusetzten.
Arlyn schauderte erneut bei dem Gedanken wie er in ihn gedrungen war, wie die fremde Magie ihn berührt hatte. Der Junge hatte sich gewehrt, hatte sich zum ersten Mal gegen seinen Meister gestellt.

Ein Schluchzen baute sich in Arlyn auf, als er die Ereignisse erneut rekapitulierte. Mit dieser Weigerung hatte er alles zunichte gemacht, alles zerstört. Sein ganzes Leben weggeworfen. Alles verloren. Sein zuhause, seine Freunde.
Nun war er ganz alleine. Alleine aber frei.

Arlyn schüttelte jeden Gedanken an Farjin ab, dachte daran, dass er einen Platz zum Schlafen finden musste. Es war Frühling und noch recht kühl abends, er trug nur seine normale Kleidung, hatte weder eine Decke noch Proviant bei sich.
Gegen Abend musste er sich überlegen, was er machen sollte. Langsam verschwand die Sonne und es wurde dämmerig. Unbekannte Geräusche nahmen zu, je dunkler es um ihn wurde.
Auf der Straße wäre es sicherlich nicht gut zu bleiben, dachte sich Arlyn und betrachtete den Wald ringsum genauer. Es gab immer wieder Lichtungen und Arlyn suchte nach einen Platz an einem großen Baum, unter den er sich eventuell Schlafen legen konnte.
Er bog auf einen schmalen Wildpfad ab, entdeckte nur wenige Meter neben der Straße eine Lichtung mit dichtem Gebüsch und großen Bäumen.
Es war fast schon ganz dunkel geworden und so sackte er einfach an einem Baumstamm hinab, versuchte daran eine bequeme Position zu finden. Er lehnte sich gegen den Baumstamm, wandte sein Gesicht nach oben in den Himmel in dem vereinzelt schon Sterne zusehen waren.
Es war friedlich und ruhig, vereinzelt Vogelstimmen rings um ihn her, eine leichte Brise, die aber rasch kälter wurde. Arlyn schlang die Arme um seinen Oberkörper, wusste, dass er wohl frieren würde ohne seine Magie. Seufzend schloss er die Augen.
Er war frei. Aber auch völlig auf sich alleine gestellt. Zum ersten Mal überhaupt in seinem Leben.
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